Als Statist im eigenen Leben

von Eva Biringer

Wien, 11. März 2017. Wer würde sich anmaßen, das Leid dieses Mannes nachzufühlen? Inmitten eines vollbesetzten Saals ist er ganz allein. Zum Ping-Pong braucht es mindestens zwei. Egal wie hektisch er um die Platte rennt – und er rennt mit der Energie des Manikers – kann er gegen sich selbst nur verlieren. Schon das erste Bild dieses bildgewaltigen Abends weist auf sein Ende hin, die totale Einsamkeit.

Am Anfang steht ein Buch, Thomas Melles "Die Welt im Rücken". Wie schon sein Vorgänger 3000 Euro stand es auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, all jenen Kritikern zum Trotz, die schimpften, es sei kein Roman. Schön, wenn es einer wäre und nicht der Erfahrungsbericht einer unheilbaren Krankheit. Thomas Melle ist bipolar. Auf monatelangen Größenwahn folgte die bodenlose Depression: "Weg sein wollte ich sehr." In seinen manischen Phasen hingegen drängte es ihn, "die Schönheit der Schande unserer Zeit zu fixieren". Er tat das in Form seines gefeierten Debüts Sickster sowie als Übersetzer und Autor zahlreicher Theaterstücke. Stets wandeln seine Protagonisten am Abgrund, heute weiß man, dass es sein eigener ist. Der Titel seines Stücks Aus euren Blicken bau ich mir ein Haus etwa kam dem 1975 geborenen Autor auf einem seiner manischen Streifzüge durch Berlin. Streifzüge wie sie auch der an einem Hirntumor erkrankte Wolfgang Herrndorf durchlitt. Während jener die eigenen Bilder zerstörte, verramschte Melle seine akribisch zusammengestellte Bibliothek. Auf diese "Welt im Rücken" nimmt der Titel des Buchs Bezug.

Theater: "Ort der Erinnerung und Rekonstruktion"...

Für die Uraufführung vertrauen der Regisseur Jan Bosse und seine Dramaturgin Gabriella Bußacker ganz auf die sprachliche Wucht der Vorlage und – wie schon in Robinson Crusoe – auf the one and only Joachim Meyerhoff. Auf der von Stéphane Laimé eingerichteten Bühne des Akademietheaters steht zunächst nur eine Tischtennisplatte. Mit nikotinbeigem Pullover (Kostüme: Kathrin Plath) und braunem Lockenkopf sieht Meyerhoff Thomas Melle auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnlich. Während er gegen sich selbst im Tischtennis verliert, erzählt er von seiner Erkrankung als elephant in the room: Alle sehen sie, jeder schweigt. Der Kapuzenpullover, den er sich später überzieht, hat übrigens die Farbe des Elefanten in der "Sendung mit der Maus". Sie finden das ein bisschen zu verquer gedacht? Der Logik des Stücks folgend sieht der Zuschauer nun mal genau wie der Protagonist überall Zeichen: Leben als Schnitzeljagd. Und die theatralen Zeichen mehren sich. Die Psychiatrie ist ein Schwall asynchron hüpfender Ping-Pongbälle, ebenso die tägliche Ration Psychopharmaka. Die Krankheit ein quer über die Bühne gespannter Ariadnefaden als Versuch, dem Labyrinth der eigenen Seele zu entkommen. Aus seinen einzeln fotokopierten Körperteilen zimmert Meyerhoff ein Christusmosaik (ausgerechnet beim "auf 200 Prozent vergrößerten Schwanz" streikt das Kopiergerät), aus Tape und Tischtennisbällen eine Dornenkrone. Ein Maniker vor dem Herrn, der nur allzu gerne Blowjobs vom Popstar Madonna entgegen nimmt.

Welt im Ruecken 560 Reinhard Werner 036sJoachim Meyerhoff als Thomas Melle als Jesus Christ Superstar © Reinhard Werner

Melles Roman ist große Kunst. Muss er deswegen auch auf die Bühne? Dem Programmheft zufolge ist er wie das Theater "ein Ort der Erinnerung und der Rekonstruktion". In Wahrheit macht die Rolle seines Protagonisten als Statist im eigenen Leben "Die Welt im Rücken" zum idealen Theaterstoff. Aufgrund eines ausgeprägten Sendungsbewusstseins ist er sich immerzu seiner selbst bewusst, agiert stets für ein unsichtbares Publikum: "Als würde mich jemand beobachten, warf ich mit dramatischen Gesten um mich, die so etwas wie Überforderung darstellen, gleichzeitig noch einen gewissen Humor mitsenden sollten, eine Ironisierung der offensichtlich wahnwitzigen Situation." Weiß der "Verrückte", dass er "verrückt" ist? Ja, deswegen quält er sich in den depressiven Phasen mit Reue und Scham.

... oder auch: der richtige Ort für die Visionen des Wahnsinnigen

Abgesehen davon ist das Theater ein Auffangbecken für Neurosen jeder Art. Man denke nur an den Pollesch-Film "Stadt als Beute", dessen Darsteller auf ganz ähnliche Weise durch Berlin rasen (Inga Busch im geklauten Pelzmantel, Stipe Erceg im Brunnen des Sony Centers) wie der manische Thomas Melle. Auch in der Theaterprovinz Erlangen, wo sein Stück "Haus zur Sonne" zur Aufführung kommt, sitzen die Schrauben aller Beteiligten ziemlich locker. Im Buch klingt das so: "Es gab Proben, bei denen sich die Schauspieler und der Regisseur plötzlich und ohne ersichtlichen Grund völlig entfesselt anschrien. Und eine Schauspielerin in einem Ausraster ihre Brüste entblößte, alle weiter austickten, bis ich, der eigentlich Verrückte für Ruhe sorgen musste."

In seiner Inszenierung findet Jan Bosse dafür das schrägste Bild des Abends. Nach der Pause ist die Bühne vom Tischtennis-Bindfaden-Kreuzigungschaos befreit. Auf Meyerhoffs Kommando – "Da muss man sich halt auch mal helfen lassen" – rollt ein gutes Dutzend Burgtheatermitarbeiter ein bakterien- oder auch Hirn-förmiges, nach Bienenwachs stinkendes Riesen-Ding auf die Bühne. Wie der "post-traumatische" Regisseur das Personal herumscheucht ist meisterhaft. Merke: Das Theater ist auch der Ort, an dem Dutzende von Steuergeldern bezahlte Arbeitsstellen die Visionen eines Genie Schrägstrich Wahnsinnigen in die Tat umsetzen. Schließlich reitet Meyerhoff im goldenen Anorak auf dem Richtung Decke schwebenden Ungetüm zu Gnarls Barkleys "Crazy". Dann versinkt alles in Schwarz, so wie das zu Beginn des Abends brennende Saallicht allmählich, man bemerkt es erst spät, dunkler wird.

Welt im Ruecken 560 Reinhard Werner 050sI remember when I lost my mind ... © Reinhard Werner

Spätestens, wenn Meyerhoff anschließend im Bauch des Wachs-Ungeheuers verschwindet, ist klar, dass hier alles, wirklich alles passt: eine Vorlage, die Pflichtlektüre ist für jeden Menschenverstehenwoller, eine in ihrer Zurückhaltung meisterhafte Regie und ein Soloperformer, der einem über beinahe drei Stunden hinweg die Luft zum Atmen nimmt, der funkelt, glüht, zu Staub zerfällt und wieder von vorne beginnt. Am Ende, und das ist ein, Hilfsausdruck, wahnsinnig guter Moment, klatscht das Publikum minutenlang im Stehen. Auch Thomas Melle nimmt den Applaus entgegen. "Wie nah Fremde einander sein können" heißt es an einer Stelle seines Buchs. Ohne sich anmaßen zu wollen zu wissen, wie er sich fühlt, hofft man: ein bisschen weniger allein.

 

Die Welt im Rücken
nach einem Roman von Thomas Melle
Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath, Musik: Arno Kraehahn, Licht: Peter Bandl, Dramaturgie: Gabriella Bußacker.
Mit: Joachim Meyerhoff.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.burgtheater.at

 

 
Kritikenrundschau

Von einem "Jubelorkan" berichtet Ronald Pohl im Standard (online 13.3.2017) und fügt hinzu. "Er war doch einigermaßen berechtigt." Der Solo-Abend biete "die herrlichste Suada", die "zur Zeit an der Burg gesprochen wird". Jan Bosse inszeniere aus der "trefflichen Einsicht" heraus, "dass es eben nichts zur Sache tut, ob etwas wahr, falsch oder eben nur Anhang einer Krankenakte ist. Alles gilt dem Theater gleich; es ist die gefräßige Umwälzanlage, die aus den problematischsten Stoffen Schaum zum Träumen schöpft."

Barbara Petsch von der Presse (online 12.3.2017) verneigt sich vor dem Solisten Joachim Meyerhoff: "Immer wieder setzt einen dieser unglaubliche Nerven-Schauspieler in Erstaunen." Hinter den Roman-Adaption im Ganzen setzt bei aller Wertschätzung auch ein kleines Fragezeichen: Das Buch "Die Welt im Rücken" sei "unsagbar traurig, deprimierend, nur selten urkomisch. Es schildert inneren Zerfall, Isolation, Ich-Verlust unter polierten Oberflächen", so Petsch. "Diese Aufführung ist grandios, aber sie erhellt nur Teile von Melles Kosmos."

"Was treibt einen Ausnahmeschauspieler seiner Generation dazu, sich mit diesem Stoff über drei Stunden einen Wolf zu spielen?", fragt Uwe Mattheiss in der taz (13.3.2017) und gibt folgende Antwort: "Als Meyerhoff zur Apotheose am Schluss in einer bühnenfüllenden leuchtenden Skulptur, einer Art Rieseneinzeller, verschwindet, ahnt man es. Das Wiener Publikum feiert das weltschöpfende Moment des Schauspiels. Diejenigen, die den hellsichtigen Wahn vertragen, müssen es auf sich nehmen, ihn jenseits aller diagnostischen Begriffe zu tradieren, auf dass wir alle nicht dumm sterben."

"Wir sehen und hören eine erste, langsam anwachsende, heftige manische Periode", so Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (13.3.2017). "Dann folgt eine erste Selbsteinweisung in die geschlossene Abteilung der Berliner Charité. Wir erfahren vom Abbruch dieses Aufenthaltes. Eine noch schwerere, weitere Krankheitsphase zeichnete sich spätestens beim Bachmann-Wettbewerb 2006 in Klagenfurt ab." Und einmal werde es an dem Abend dann doch – wenn auch extrem übertrieben – theatralisch, "als Meyerhoff in Gold gewandet zum Gnarls-Barkley-Ohrwurm 'Crazy' auf einem riesigen Magenpräparat über der Bühne schwebt". Aber das sei dann schon alles gewesen. Etwas ratloses Fazit: "Soll man sich diesen schwierigen, ein immer noch verwundbares Selbst entblößenden, mithin unfreiwillig voyeuristischen und wohl auch zu langen Abend antun? Man sollte jedenfalls gewappnet sein. Und ein Triumph für Joachim Meyerhoff, der auf der Bühne nahezu Übermenschliches leistet, ist er in jedem Fall."

Im Buch sei Tischtennis eigentlich kein Thema, es werde nur ein, zwei Mal am Rande erwähnt, erklärt Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (14.3.2017). Bosse und Laimé benutzten es "als spielerische Metapher dafür, wie ein System aus dem Ruder läuft. Der Tischtennisball ist der fragilste aller Bälle, auch das verbindet ihn mit dem bipolaren Helden des Stücks". Je tiefer sich die Erzählung in die Manie steigere, desto mehr komme Meyerhoff ins Spielen, desto lauter und exaltierter wird er: "Das Theater wird von Theaterleuten im Scherz gern mit einer geschlossenen Anstalt verglichen. An diesem Abend kann man ganz unironisch sehen, dass da was dran ist: Theater spielen hat etwas Manisches."

 

Kommentare  
Welt im Rücken, Wien: wirkliche Begegnung
An dieser Stelle einfach ein Lob an die Kritikerin. Ohne das Stück gesehen zu haben, springt einem beim Lesen förmlich entgegen, dass es hier zu einer wirklichen Begegnung kam und es vollbracht wird, das auch in Worte oder eine "Rezension" zu packen. Hoffe das Stück mir bald anschauen zu können...
Welt im Rücken, Wien: Dank für Euphorie
#1 geht mir genau auch so. Danke für die euphorie.
Welt im Rücken, Wien: prädestiniert
Meyerhoff ist aufgrund seiner eigenen - schließlich schon gut aufgeschriebenen (Familien)Geschichte prädestiniert dafür, sich dieses Stoffes anzunehmen. Umso besser, wenn es dann gelingt, ein Ganzes zu werden, das sich einem Publikum schenkt.
Welt im Rücken, Wien: Wortwahl
(...) Ich wundere mich hier ein wenig über die auffällige Kategorisierungssucht der Kritikerin. Sie schreibt davon, dass das Buch Melles leider keine Roman sei, sondern ein Erfahrungsbericht. Na, und warum geht nicht beides? Warum soll einer, der psychisch krank ist, nicht gleichzeitig ein guter Autor sein können? Geht - aus Sicht von Biringer - nur entweder/oder? Sie schreibt - dazu passend - weiter: "Thomas Melle ist bipolar." Ach so. Ja, stimmt, man sollte - aus Gründen der Abgrenzung vom "Normalen"? - wirklich lieber schreiben, der "ist" bipolar, anstatt zu schreiben: Er leidet an einer bipolaren Störung oder so. Das ist ähnlich wie bei "der ist schwul" oder "die ist eine Frau". Macht aber nie allein den ganzen Menschen aus. Finde ich jedenfalls.
Welt im Rücken, Wien: Stoßseufzer
#4 - Frau Biringer meint einfach: Angesichts der brutalen Realität dieser Krankheit sei es dem Autor eigentlich zu wünschen, dass sein Buch Fiktion und eben nicht Bericht wäre. Dann wäre ihm wohl einiges erspart geblieben. Ihr Wunsch ist ein Stoßseufzer. Über das Buch sagt sie doch genug Gutes und nennt es "große Kunst". Von Entweder-Oder also keine Rede. Auch kam es mir überhaupt nicht so vor, als würde sie hier einen Menschen auf seine Krankheit reduzieren. Diese ist schlichtweg Thema des Abends, den sie euphorisch rezensiert.
Welt im Rücken, Gastspiel Berlin: ungewöhnlich, fordernd, bemerkenswert
Besonders unangenehm wird seine manische Phase für die bedauernswerten älteren Herrschaften in der ersten Reihe, die er derart unverschämt anpöbelt, dass sich Handkes „Publikumsbeschimpfung“ dagegen wie eine gepflegte Unterhaltung beim Kaffeekränzchen ausnimmt.

In der zweiten Hälfte weist der Abend einige Längen auf: klamaukige Sticheleien gegen die Bühnenmitarbeiter überbrücken die Umbaupause, bis Meyerhoff im goldenen Glitzerkostüm auf einem überdimensionalen Gehirn-Präparat, auf das jede Anatomie stolz sein könnte, und „Crazy“ von Gnarls Barkley schmettert.

Wie am Wiener Akademietheater, wo Jan Bosses „Die Welt im Rücken“-Adaption im März Premiere hatte, wird Joachim Meyerhoff auch beim Gastspiel am Deutschen Theater Berlin mit stehenden Ovationen bejubelt. Ein ungewöhnlicher und fordernder Abend, der das Prädikat „bemerkenswert“ verdient und damit ein Kandidat für die nächste 10er-Auswahl beim Theatertreffen sein dürfte, vor allem da die Jury Österreich im allgemeinen und das traditionsreiche Burgtheater im besonderen wohl nicht zwei Mal in Folge komplett übergehen wird.

Die Struktur des Theater-Abends imitiert recht präzise die schonungslose Art, mit der Autor Melle über die Stadien seiner Erkrankung schrieb. Genauso manisch-depressiv verläuft auch die Achterbahnfahrt dieses Abends. Die Energieleistung von Joachim Meyerhoff nötigt Respekt ab. Die FAZ wirft aber zurecht die Frage auf: „Soll man sich diesen schwierigen, ein immer noch verwundbares Selbst entblößenden, mithin unfreiwillig voyeuristischen und wohl auch zu langen Abend antun?“ Die Antwort muss jeder für sich selbst finden, aber: „Man sollte jedenfalls gewappnet sein.“

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2017/06/08/die-welt-im-ruecken-joachim-meyerhoffs-manisch-depressive-hoellentour-nach-thomas-melles-roman-zu-gast-aus-wien-am-deutschen-theater-berlin/
Welt im Rücken, Theatertreffen: radikal
Meyerhoff steigert sich zunehmend hinein in die Darstellung der manischen und der anschließenden depressiven Schübe. Die Distanz bröckelt, was auch an der erwähnten betonten Zeichenhaftigkeit liegt. Denn der Faden, die kopierte Kreuzigung, die Tischtennisbälle sind keine Zeichen für die Figur sondern für uns, das Publikum. Sie sprechen und an und bringen uns in eine knifflige Lage. Denn was wollen sie? Uns nahebringen, wie es sich anfühlen mag in einem manischen Hirn, einem bipolaren Ich? Wollten Buch und Inszenierung nicht genau diese Hybris, das könne möglich sein, vermeiden? Und wenn dem so ist, verharmlost das nicht, wovon hier erzählt wird, die Geschichte von einem, dem die „Welt im Rücken“ – gemeint ist die private Bibliothek, die Melle einst in einer manischen Phase verscherbelt hatte – abhanden gekommen ist? Und was macht das mit unserem Blick, der zunächst in einer brüchigen Balance aus Empathie und Distanz gehalten wurde? Wie werden wir hier nicht zum Voyeur?

Nach der Pause bringen Bosse und Meyerhoff noch das Theater hinein. Anhand einer Uraufführungserfahrung in Erlagen testen sie die Nähe von Krankheit und Theater aus, verorten Letztere als Ort, an dem der Wahn Heimat, Lenkung, Ausdruck finden kann. Das verplätschert sich allerdings ein wenig zu sehr im Anekdotischen, fokussiert auf den verqueren Humor eines radikalen Ichs, das hier weniger gefährlich und gefährdet als putzig schräg wirkt. wenn dann auch noch ein Monstrum auf die Bühne gerollt wird, das Gehirnwindungen zeigen mag, auf dem ein goldgewandeter Meyerhoff/Melle reitet und in dem er dann verschwindet, gehen Theatralität und Zeichenhaftigkeit so wirksam, einfallsreich und effektsicher Hand in Hand, dass die Verstörung der Zuschauer*innen gänzlich zum Theatereffekt verklärt erscheint. Eigentlich ist das alles hier ja nur Show, harmlos, gespielt, die Art von Wahn, die am Theater Kreativität heißt. Alles also halb so schlimm. Ja, der Abend ist großartig gespielt (das muss man bei Joachim Meyerhoff nicht dazu sagen, der durchaus nuancierter agiert, als das bei dieser Rampensau immer der Fall ist) und er vermag es durchaus, einen Einblick zu geben in die destruktive Kraft und die alles andere auffressende, sich eines Lebens komplett bemächtigende Gier dieser Krankheit. sein Problem ist, dass er mehr will: Zum einen das Theater als Ort der Verrücktheit und somit als Folie, als Vergleichspunkt oder gar möglichen Schutzraum zu etablieren, vor allem aber die Innensicht mit zu liefern, die automatisch zu einer Weichspülung und Verharmlosung, zu einem konsumierbaren Wahnsinn nach Massenkulturmuster führen muss. und so bleibt der Zuschauer beeindruckt zurück, einigermaßen überwältig – und mit einem schalen Geschmack im Mund, der nicht weggehen will.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/05/21/welt-voller-zeichen/
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