Die Mauer muss weg

von Andreas Wilink

Bochum, 11. März 2017. Terror-Alarm. Salven knattern, Stimmen überschlagen sich. Aufruhr in den Straßen. Bürgerkrieg. Brennpunkt Verona. Und wir sind live dabei. Kamera ab.

Eine Mauer trennt die gegnerischen Familien und Parteien. Und nicht nur sie. Die meterhohe Barriere spannt sich die Rampe entlang und teilt das Parkett im Schauspielhaus Bochum von der Hinterbühne, wo ebenfalls ein Teil der Zuschauer platziert ist. Auf der einen Seite Montague, auf der anderen Capulet. Aber keiner soll hier sagen: Ich sehe was, was Du nicht siehst. Die Verbindung stiftet bzw. den Durchblick gewährt: die mobile Video-Kamera, die wacklig, trickfilmartig und technisch nicht immer einwandfrei (da ließe sich von den Kollegen der Berliner Volksbühne noch einiges lernen) das jeweils Verborgene hinter der Wand auf dieselbe projiziert. Angesichts der Tragödie von "Romeo und Julia" könnte man auch sagen: Geteiltes Leid ist halbe Freud'. Was für die von Marius von Mayenburg verantwortete Inszenierung allerdings schon zu viel versprochen wäre.

Grob, falsch, verrenkt

Die Mauer in den Köpfen muss weg. Dafür steht die junge Liebe. Zunächst steht verträumt Romeo (Torsten Flassig) am Seiteneingang, klampft auf der Gitarre und macht ein paar Liebes-Verse. Typ: softer Liedermacher. Da ist Mercutio (Jakob Benkhofer) mit rotzigem Bomberjacken-Charme schon ein anderer Kerl, einer, wie ihn Wolfgang Tillmans gern fotografiert und mindestens so schwul, während Tybalt, blondiert tänzelnd (Fridolin Sandmeyer), kein Messerstich zuzutrauen ist. Ein bisschen Gender-Verwirrung schadet auch nichts, weshalb Signora Capulet (Matthias Redlhammer wie eine Adele Sandrock aus dem Pütt) und die Transenrevue-Amme (Nils Kreutinger) traditionelle Geschlechter-Zuschreibung überwinden. In dieser Veranstaltung wirkt ohnehin jeder wie verkleidet.

Romeoundjulai1 560 ThomasAurin uWir feiern hier 'ne Party, und Du bist nicht dabei? © Thomas Aurin

Wenn Regie auch bedeutet, Schauspieler zu führen, Rhythmus herzustellen, über drei Stunden eine Spannung zu gestalten, so hat Marius von Mayenburg seine Aufgabe in einer Menge von Grobheiten, Falschheiten, Verrenktheiten und Geschwätzigkeiten kläglich verfehlt. Keiner im Ensemble kann die Autorität seiner Figur behaupten. Wenn es wenigstens noch Entertainment gewesen wäre ...

Wenn Sprache versagt

Es müsste doch mal wieder ganz anders aussehen und sich anders anfühlen. Merkt denn niemand, wie sehr nur noch modische Routinen, Requisiten, Codes und Haltungen bedient werden? Video-Geflimmer. Jemand haucht oder wimmert einen Song. Alles second hand. Als hätte das Sprechtheater einen beständigen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem emotionalen Rigorismus der Oper. Grundsätzlich versagt das Gefühl in der Sprache und versagt es sich – stattdessen wird gesungen. Nichts ist entwickelt, alles wie auf Knopfdruck abgerufen. So läuft die Theater-Maschine leer.

Romeoundjulia 560 ThomasAurin uSofter Typ trifft Cyber-Girl: Torsten Flassig als Romeo und Sarah Grunert als Julia © Thomas Aurin

Auf dem Capulet-Fest, das sich als brünstig dekadente, techno-stumpfe Konfetti-Parade und kannibalische Body-Painting-Party aufputscht (die Nachtschatten aus dem Hades-Club waren bei Jette Steckel am Thalia Theater in Hamburg weitaus schicker), trifft Romeo seine Juliet, ein struppiges Cyber-Girl (Sarah Grunert), und hängt – in der Balkon-Szene – an der Mauer kussfertig an ihr wie Spider-Man. Immer nur Ersatzhandlungen für den emotionalen Furor, das Unbedingte, Tollkühne, den sprühenden Enthusiasmus, die Naivität des Außer-Sich- und Überwältigt-Seins. Der Rausch kommt bloß aus der Spritze.

Eine genierliche Mischung

Das martialisch mit Sirenen-Jaulen und hallendem Getrommel aufgedonnerte Killer-Spiel von Romeo, Mercutio und Tybalt wiederum zeigt in missverstandener Ästhetik eine heikle Schauder-Lust an Gewaltbildern. Und zwischendurch Einlagen wie aus einer Billig-Serie mit Schlampen- und Trulla-Tiraden. Hausfrauen-Trash, Ruhrpott-Büdchen-Slang, Pop-Pathos (u.a. mit Roberta Flacks "Killing me softly"), Satanskult und Heroinsucht mit Todesfolge (beim Beichtvater) und Gothic-Style ergeben eine genierliche Mischung. Dem Schauspielhaus Bochum, dem Shakepeare-Theater aus der Tradition von Zadek, Steckel, Haußmann bereitet diese Inszenierung Schande.

 

Romeo und Julia
von William Shakespeare
Übersetzung und Regie: Marius von Mayenburg, Bühne: Stéphane Laimé, Mitarbeit Bühne: Julius Florin, Kostüme: Miriam Marto, Musik: Matthias Grübel, Video: Sebastien Dupouey, Kampfchoreografie: René Lay, Licht: Bernd Felder, Dramaturgie: Alexander Leiffhardt.
Mit: Jakob Benkhofer, Torsten Flassig, Sarah Grundert, Nils Kreutinger, Matthias Redlhammer, Fridolin Sandmeyer, Michael Schütz.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.schauspielhausbochum.de

 

Kritikenrundschau

"Ein Fest für die Augen", das über weite Strecken die mitreißende Leichtigkeit einer Komödie habe, schreibt Ralf Stiftel in der Westfälischer Anzeiger (13.3.2017). "Die Mauer nehmen die Darsteller als sportliche Herausforderung, die erklettert werden will." Visuell hole von Mayenburg "Romeo und Julia" an die Gegenwart heran. Romeos Jugendgang grenze sich von der Elterngeneration durch Tattoos, schwarzes Leder und Rüpeleien ab. Die Jungmänner der Capulets kommen in schnieken Anzügen daher. Sehr romantisch sei die Inszenierung nicht, aber: "Großer Beifall für einen Abend, der den Klassiker sicher nicht neu erfindet, aber doch angenehm auffrischt."

"Der Abend im Großen Haus ähnelt eher einem Drogentrip als einer Gemütsreise", so Jürgen Boebers-Süßmann in der WAZ (13.3.2017). Von Mayenburg erzähle Shakespeares Tragödie als Geschichte der Faszination von Liebe und Tod: roh, wild, gewalttätig. Die Direktheit des Spiels gehe bis an die Schock-Grenze. "Eine Veroneser Gesellschaft wie eine Versammlung von Lemuren aus dem Totenreich: fratzenhafte Masken, das uneindeutige Spiel mit Geschlechterrollen – das ist zutiefst verstörend, aber eben auch verstörend gut gemacht. Ein paar mehr Ruhepunkte hätten dem Abend nicht geschadet, "und ein wenig mehr Shakespear'sche Original-Poesie auch nicht".

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beschreibt Andreas Rossmann (14.3.2017) den Abend als eine Inszenierung, "die vor dem Stück flieht, weil der Regisseur Marius von Mayenburg, wie der große technische Aufwand verrät, wohl der so vermessenen wie irrigen Annahme ist, es retten zu müssen". Vor lauter Angst, ja keine herkömmlichen Romantik-Klischees zu bedienen, verfalle von Mayenburg ins platte Gegenteil.

vor dem Stück flieht, weil der Regisseur Marius von Mayenburg, wie der große technische Aufwand verrät, wohl der so vermessenen wie irrigen Annahme ist, es retten zu müssen.

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