Die Todgeweihten grüßen uns

von Tobias Prüwer

Leipzig, 17. März 2017. Ruinierte Leiber schieben sich durch den steril ausgeleuchteten Saal. Die fünf Frankensteins gleichen eher untoten Kreaturen denn Lebenden. Die grotesken Flickenteppiche ihrer Haut werfen Falten. Als Madensäcke schwanken die Figuren über die kleine Bühne am Schauspiel Leipzig, wo Hausregisseurin Claudia Bauer mit "Geister sind auch nur Menschen" ins Innenleben eines Alters-, besser Siechendenheim schaut. Sie inszeniert Katja Brunners Text als Feldlazarett, aufgeschlagen für die finale, dahindämmende Schlacht im Kriegsspiel des Lebens.

Parodie früherer Existenz

Der Abend beginnt putzig und süß. In neon-pastellfarbenen Kleidchen, Mädchenfrisuren mit Schleifchen bauen sich die sechs Darsteller*innen vor einer weiß verhangenen Rotunde auf. Ein Dreirad leiert. Gepudert sind ihre Gesichter, Kajal ziert die Augen, rot glänzen die Lippen. Der Chor hebt an: "Sie sind angealtert, sie sind angekrankt von der Zeit, sie können sich kaum wehren, sie sind in die Gebrechlichkeit und ins Alter hineingefallen wie eine Wespe in einen Honigtopf." Nach kurzem Vorspiel wird der Vorhang weggezogen, gibt den Blick frei auf eine Minidrehbühne. Alles ist weiß: Ein Tisch, Stühle, eine Wanne. Die Scheibe rotiert.

geistersindauchMenschen1 560 Rolf Arnold uAm welken Lebensabgrund in gealterten Lebenspanzern: "Geister sind auch nur Menschen"
© Rolf Arnold

Das Altenheim erscheint als Durchgangsstation, Zwischenraum, durch den sich die Greise schleppen. Nun tragen die Spieler strähnig-graue Perücken und welke Körperpanzer, die nichts als Gebrechlichkeit zur Schau stellen. An ihnen wird "das Alter zu einer spöttischen Parodie unserer früheren Existenz", wie es Simone de Beauvoir mal formulierte. Im Gesellschaftsspiel um Produktivität hat man sie ausgemustert, jetzt harren sie dem Verlöschen.

Letztes Aufbegehren

Katja Brunners fein ausgearbeitetes Stück führt ins Innenleben einer Frau Heisinger, deren einzige Artikulation nach außen das willkürliche Koten ist. Um Frau Simplon ist es nicht besser bestellt. Mehr als ein Wimmern bringt sie nicht zustande. Andere Alte brabbeln vor sich hin. Einige zählen wieder und wieder ihre Gebrechen auf und die Unzulänglichkeiten dieses Nichtorts am Ende des Lebens, wo selbst noch das Rauchen reglementiert ist – als ob es jetzt noch auf Nichtraucherschutz ankäme. Eine explodiert vor sexuellem Begehren, einer will sich mal richtig zusaufen, eine andere einfach nach Hause. Wer ihr sagen könnte, wer sie ist, will jemand permanent wissen. Wozu sie eigentlich gelebt, sich fürs "Vaterland" aufgeopfert hat, will eine Fünfte wissen. Dann wieder taucht ein Pfleger auf.

geistersindauchMenschen2 560 Rolf Arnold uAltenheim, Partyzone und Lebensrad: Bühnensetting, entworfen von Andreas Auerbach
© Rolf Arnold

Die Szenen verschwimmen. Was real ist, was Kopfgeburt, ist nicht auszumachen. Aber es spielt auch keine Rolle in dieser Art Wachkoma. Die Dramaturgie ist größtenteils tot gestellt. Ein paar szenische Ausbrüche wie eine kurze Partyeskapade der auf Pflegestufe Kasernierten bewirken leichte Tempo-Nuancen. Dann wird die Bühne wieder zum zähfließenden Honigtopf, einem Endloskreisel des Ewiggleichen.

Abgrunds-Endspiel

Die dabei mitunter einziehende Langeweile könnte man bekritteln, wäre diese dem Sujet nach nicht überaus angemessen. Denn das Thema Alter, hochbetagte Gebrechen und Demenz kommt hier nicht als melancholisches "Schaut mal hin, schlimm dort" daher. Es überwältigt das Publikum mit einer Mischung aus Ekel und Mitleid. Claudia Bauer verzichtet einmal auf ihr typisch gewordenes Handwerkszeug aus massig eingesetzten präzisen Handkameraprojektionen und Verfremdung durch Masken.

Bei aller comichaften Überzeichnung durch die Körperkostüme dringt ein Rest Menschlichkeit aus den Figuren hervor. Das liegt vor allem am ergreifenden Spiel, das die existenzialistische Ebene sehr expressiv überträgt. Dessen Wirkung wird durch die Nähe zum Publikum unterstützt. Oft sind es nur die Blicke, das Augenspiel der Darstellenden, aus denen ein Funke Humanes überspringt und um Humanität fleht. Manchmal mildert ein ironisches Wortspiel die Härte des Stoffs ab, schütteln Lacher das peinliche Berührtsein kurz ab. Nur kurz, dann kreiselt dieses Endspiel weiter.

Geister sind auch nur Menschen
von Katja Brunner
Deutsche Erstaufführung
Regie: Claudia Bauer, Bühne & Kostüme: Andreas Auerbach, Musik: Smoking Joe, Dramaturgie: Katja Herlemann, Licht: Veit-Rüdiger Griess.
Mit: Andreas Dyszewski, Timo Fakhravar, Sophie Hottinger, Julia Preuß, Katharina Schmidt, Florian Steffens.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-leipzig.de

 
Mehr zu Katja Brunners Stück: Hier gehts zur Nachtkritik von Heike M. Goetzes Uraufführung in Luzern im Mai 2015.

 

Kritikenrundschau

"Ohne Effekthascherei, gut austariert zwischen Realismus und Abstraktion", beschreibt Dimo Riess den Abend in der Leipziger Volkszeitung (20.3.2017). "Zum Realismus mögen die Momente der Langatmigkeit gehören." Doch immer wieder arbeite der Abend geschickt den Zustand heraus, "wenn Körper und Geist zusammenfallen und mindestens einer der beiden den Dienst versagen". Brunners Sprachspiele blieben haften. Das Ensemble spiele "durchweg überzeugend und angemessen minimalistisch".

In keiner Minute habe man den Eindruck, es handle sich hier um Betroffenheits- oder Mitleidskitsch, sagt Michael Laages auf mdr Kultur (18.3.2017). Das liege am harten und kräftigen Text Brunners und Claudia Bauers und Andreas Auerbachs "Verpackungsstrategie" – eine Kombination, die ganz fabelhaft funktioniere.

 

 

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