Gott und die Welt und die Limonade

von Henryk Goldberg

Eisenach, 18. März 2017. "Nein!" schreit die Frau, "Nein!". Aber Nein heißt nicht nein. Nicht für Sapor, der als Leiter der Eingliederungseinheit bei TreeSync Widerstand gewohnt ist. TreeSync haben ihre Zentrale in Celle und immunisieren sich und die "beglückbaren" Glieder der Menschheit gegen die "Individualisierungsindustrie", gegen die "Ereignisflut", alles so was. Zu diesem Zweck wird Sapor hier einziehen bei Claudette und Klaus, bei Ivan und Yvette, ihren Kindern. Und Nein heißt auch nicht nein für Claudette, die es schreit. Zwar, Claudette ist die Chefin einer erfolgreichen Limonadenherstellerei und kennt die drei Grundprinzipien des Biolimonadenbusiness, doch sie ist auch eine dumme Nuss – wenn auch nicht so schlimm wie ihr Mann, der den Werner sich das Qualitätsmanagement der Limonadenherstellung hinter die Ohren schreiben lässt, obgleich, wie er feststellt, es nicht einfach ist, sich was hinter die Ohren zu schreiben, denn man sieht es ja nicht. Deshalb, weil sie so blöde sind, ist es eigentlich egal, was sie sagen. Und auch deshalb hat dieser Abend ein Problem.

"Ablass" ist ein Auftragswerk des Landestheaters Eisenach, der Stadt, in der Luther einige Jahre die Pfarrschule besuchte, und finanziert wurde es zu Teilen aus Fördermitteln des Reformationsjubiläums. Ein Stück für junges Publikum und dem Lutherjahr zugeeignet, das war der Auftrag. David Gieselmann hat ihn angenommen und über Gott und die Welt und die Limonade geschrieben, sich indessen den Teufel um Luther und die Reformation geschert. Der Ablass kommt nur im Titel vor, es klingt einfach irgendwie, und als klitzekleines Alibi im Text. Erzählt wird die Geschichte einer Familie, die von einer Sekte infiltriert wird, der lediglich die Tochter widerständig begegnet.

Blöde Eltern ...

Man wird nicht sagen können, dass es ein sonderlich ernsthaftes oder gar wichtiges Stück sei, es ist nur ein in Teilen lustiges. Gieselmann kann mit handwerklichem Geschick Motive plündern und verwursten. Sein international erfolgreicher "Herr Kolpert", das war die Summe vieler Filme. Ablass1 280 P.P.Braun© P.P.Braun"He-Man", darüber redeten sie, "Natural born killers", das waren sie, "Funny Games", die spielten sie. Hier nun in "Ablass" frisst sich Eingliederer Sapor wie ein Tartuffe in die Familie; wie "Biedermann und die Brandstifter" pflegen Klaus und Claudette den Seelenfänger, und wie Ionescos "Nashörner" anverwandeln sie sich dem Trend. Gieselmann scherzt und plaudert sich mit seinem Handwerk durch die Geschichte, hat manchen intelligenten Witz, der indessen kaum an ein junges Publikum adressiert ist – und er kommt hinten nicht recht aus der Geschichte raus, das soll das Theater richten. Das richtet sich an seinem Auftrag aus und macht Jugendtheater.

Boris C. Motzki hat sich und seinem kleinen Ensemble zum Abschied diese Uraufführung ergattert – und seine Inszenierung ist keine Werbung für folgende Reprisen. Anke Niethammer hat eine Art Camping-Set auf die Bühne gestellt, Zeltstangen mit etwas Stoff. Und kleidet Claudette und Klaus in eine Art schwarz-weiß gehaltene Clownskostüme. Klaus, Yorck Hoßfeld, rappt beim Präparieren des Frühstückstisches, dass wir ihn für den altersgerecht schwachsinnigen Sohn des Hauses halten. Hoßfeld lässt die Vater-Figur an ihrer eigenen Albernheit ersticken. Gewollt war vermutlich eine künstlerische Übersetzung der absurden Situation.

... und abgefuckte Teenager

Jannike Schubert dagegen bewahrt die Mutter mit weiblichem Charme vor dem Absturz, sie spielt, anders als der Partner, nicht die missglückte Clownsnummer, eine ernstzunehmende Figur indessen ist auch sie nicht.Ablass 280 P.P.BraunIm Brainwashing-Basecamp © P.P.Braun Eltern sind halt blöde. Gregor Nöllen macht den Manipulator Sapor als einen in die Jahre gekommenen Sozialkundelehrer, etwas strenger vielleicht – ein gefährlicher, geschmeidiger Demagoge ist er nicht. Nur Dagmar Poppy, die aus einer anderen Familie importierte Brior, zeigt einmal, was mit diesem Text möglich ist, wenn sie die Absurdität lustvoll zelebriert im hysterischen Vortrag über die "abgefuckten Teenager".

Und die sind nun tatsächlich als einzige hier dem jungen Publikum zugewandt. Roman Kimmich, mit seinen Shorts und der Brille zwischen Schuljunge und Nerd, Ekaterina Ivanova, die widerständige Schwester mit forciert jugendlichem Ton. Für diese beiden hat der Regisseur einen angemessenen Ton, einen Gestus gefunden, eine konventionelle Normalität. Einen Ton aber für das ganze Stück, das ganze Ensemble hat er nicht. Ist auch schwierig bei einer Vorlage, die sich in Gedöns auflöst. Das dritte Grundprinzip des Biolimonadenbusiness besagt, der Trinkende müsse das Gefühl haben, er hätte diese Limonade schon einmal getrunken, nur leckerer, "Innovationsgewitter" seien nicht gefragt. Und der Hörende fragt sich, ob der intelligente David Gieselmann so mit seiner eigenen Arbeit kokettiert.

 

Ablass
von David Gieselmann
Uraufführung
Regie: Boris C. Motzki, Bühnenbild & Kostüme:  Anke Niehammer Dramaturgie: Sophie Oldenstein.
Mit:  Roman Kimmich, Ekaterina Ivoanova, York Hoßfeld, Jannike Schubert, Gregor Nöllen, Dagmar Poppy.
Dauer: 2 Stunden, eine Pause

www.theater-eisenach.de

 

Kritikenrundschau

In einer offenen Familienhauskonstruktion spiele David Gieselmanns "intelligente, gut gebaute doppelbödige Komödie", schreibt Michael Helbing in der Ostthüringer Zeitung (20.3.2017). "Ablass" habe mit Luther nur in Anklängen etwas zu tun. "Allerdings dringt hier eine Sekte als Halt versprechende Glaubensgemeinschaft in Familien ein." Überhaupt münde diese Komödie in großer Verwirrung, "die Figuren, ohnehin chronisch in Identitätskrise befindlich, geraten noch umso stärker in sie hinein, je mehr sie dort heraus drängen". Fazit: "'Ablass" in Eisenach ist nicht, was uns die Stimme von Schauspielchef Motzki allabendlich wünscht: 'ein unvergessliches Theaterlebnis'. Es ist aber ein Spaß für die ganze Familie – sofern sie über sich selbst lachen kann."

 

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