Nation ohne Hoffnung

von Georg Petermichl

Wien, 14. Mai 2008. Auf die Goodies der Sponsoren für die Wiener Festwochen-Besucher muss leider auch mal eingegangen werden: Denn die muteten nicht erst bei der Europapremiere von "Interracial", dem südafrikanischen Stück von Mpumelelo Paul Grootboom, ein wenig eigenartig an. Letztes Jahr wünschte beispielsweise der Hauptsponsor "reinen Kunstgenuß" - mit Handreinigungstüchern! Und heuer soll man sich nun mit einem geschenkten Euro2008-Fußball-Fanschal die österreichische Nationalität umhängen.

Nach dem dreistündigen Stück über den verlorenen Kampf um eine geeignete südafrikanische Gesellschaftsperspektive, die man im Verlauf der Aufführung aus schwarzem Blickwinkel an Stereotypen von Schwarz und Weiß zerbröckeln sah, werden am Ende diese Schals verteilt. Eine fragwürdige Einladung zur Unbedarftheit.

Clash der Realitäten und Kulturen

Grootboom hat jedenfalls eine dramaturgische, wie narrative Bruchlandschaft auf die Bühne des Wiener Schauspielhauses gebracht. Sein schwarzes Ensemble vom South African State Theatre ist dafür von Beginn an gesammelt auf der Bühne: Im Vordergrund schart man sich rund um Marmorsitzbänke mit einem aufgemalten Schachbrett in der Mitte, auf dem Laufsteg im Mittelgrund schlafen zwei Schauspieler um die Szenerie der Parkbewohner zu unterstreichen. Dahinter sitzen weitere, die auf ihren Auftritt warten.

All das wird mit europäischen Klängen, dem Kanon in d-Dur des Barockkomponisten Johann Pachelbel, eingeleitet. Ein eigenartiger Clash der Realitäten und Kulturen. Vorne nimmt sich ein alter, frohmutiger Obdachloser, der weiße Daniel (Sello Johannes Zikalala), des jungen Sello mit Black-Power-Gehabe (Olebogeng Boitumelo Phang Sebotha) an, will ihm mit Schach die Selbstmordgedanken vertreiben. – Sie geben eine zerbrechliche Konstellation ab. Bald schon findet sich das Publikum in Daniels Kriminalgeschichte über rassistische Vorurteile in der Post-Apartheid wieder: Der weiße Psychiater Clive (Zikalala) hat seine weiße Frau Bev (Koketso Mojela) an den Schwarzen Thabo (Segomotso Modise) verloren.

Genüsslicher Rassismus

Gemeinsam tanzen die beiden – man spürt Unbehagen – einen spanischen Liebestango am Laufsteg, während der Afrikaans-Privatdetektiv Gert ihrem Mann von deren Beseitigungsmöglichkeiten vorschwärmt. Sebotha fischt für seinen Gert von Rooyen aus dem Gestenpool eines kolonial denkenden Ekelpakets: Heroische Griffe ans Revers unterbrechen sein Fächern mit dem Jägerhut. Dabei ergießt er sich genüsslich in Rassismen.

Mittendrin hat sein Schausteller genug: Er zitiert den Regisseur Klaas (Thatale Klaas Motebejane) auf die Bühne, weil er die Stereotypisierung seiner Figur nicht versteht, und überhaupt keine "weiße" Rolle spielen will. Die Antwort, sinngemäß übersetzt: "Rassismus ist nur eine Emotion, und kann von jedem gespielt werden. Das ist nicht den Weißen vorbehalten!"

Wir befinden uns mittlerweile in der dritten Sphäre der Bühnennarration. Und so strapazierend dies für europäische Standards anmuten mag: Diese drei Ebenen unterbrechen sich fortwährend dort, wo rassistisch gewachsene Motive eines Herrschafts- und Gewaltgefüges nicht mehr weiterwissen. Wenn der Regisseur seine Rollenbegründung in den herabwürdigenden Minstrel Shows des 19. US-Jahrhunderts sucht, muss weiter gespielt werden. Nachdem zwei schwarze Auftragskiller (Sebotha, Vuyani Shadrack Dlomo) mit farbenfröhlichem André-3000-Stil in einem grimmigen Clownakt Bev und Thabo abgeschlachtet haben, braucht das Ensemble eine Stückpause.

Haßtiraden und Gospelgesang

Dann murksen sich die Parkbewohner fast gegenseitig ab. Abbruch. Die Kriminalgeschichte wird weitergetrieben. Prostituierte, Mörder, Rassisten, Sexisten, Ehebrecher, allesamt irgendwie selbstgerecht, haben sich gegen Ende wieder auf die Obdachlosenromanze eingeschworen: So lange schleifen sie sich einem hoffnungsvollen Ende entgegen, bis der Regisseur dankenswerterweise die leidig gewordene Aufführung abbricht. Die dabei gefundene Einheit ist aber ebenso desaströs: Minutenlange Hasstiraden auf die weiße Bevölkerung in Südafrika werden von Gospelklängen begleitet.

Grootboom hat als Autor und Regisseur von "Interracial" zwar ein langatmiges, fragiles Stück geliefert, das mit dem narrativen Tempo und der dramaturgischen Eleganz der europäischen Bühnen nicht mithält. Allerdings liefert er dabei auch ein seltenes Bühnenkuriosum: In all den Metaebenen tummelt sich ein Bastard zwischen Realität und deren unappetitlichen Formen von Abstraktion – eine Zustandsbeschreibung über ein Land, das seinen erkämpften Status als "Regenbogennation" im Alltag noch nicht leben kann. Ein körperliches Nachbild davon nimmt der Zuschauer mit nach Hause.


Interracial
Ein Schauspiel von Mpumelelo Paul Grootboom und Aubrey Sekhabi
Europa-Premiere
Inszenierung: Mpumelelo Paul Grootboom, Bühne und Licht Design: Declan Randall, Musik: Kholofelo Kola, Choreographie: Israel Bereta. Produktion: The South African State Theatre, Pretoria.
Mit: Vuyani Shadrack Dlomo, Loungo Masire, Koketso Mojela, Kedibone Tholo, Dineo Ramailane, Modise Mphatsoe, Olebogeng Boitumelo Phang Sebotha, Segomotso Modise, Thatale Klaas Motebejane, Gaolatlhe Mathenyane, Sello Johannes Zikalala, Brian Chokwe.

www.festwochen.at
www.statetheatre.co.za



Kommentare  
Warum wurde Interracial nach Wien eingeladen?
Ein wirklich sehr seltsamer Abend, der vollkommen losgelöst in Wien angekommen ist. In Südafrika mag diese Theaterpraxis und auch -politik vermutlich eine Relevanz haben, in Wien geht es unter. Diese Theaterästhetik wirkt kopiert, wenn die Spieler aus ihren Rollen treten, und alles wird von afrikanischen Klängen gemixt. Am Ende sitze ich sehr befremdet bei der Hasstirade des "Regisseur" da, ich habe das Gefühl, dass der weiße Rassismus mit einem schwarzen Rassismus beantwortet wird. Wenn das parodistisch gemeint sein soll, dann habe ich das nicht verstanden.

Die Gründe für die Einladungen nach Wien wären interessant ... Denn theaterästhetisch ist es weit weg von den sonstigen Produktionen.
Grootbooms Interracial: guter Denkanstoss
ich fand das spiel fantastisch in jeder hinsicht, das sehr intensive und aggressive Finale/Hasstirade des Regisseurs kam für mich unerwartet, machte aber durchaus sinn: ich hatte den eindruck, da wurden schlicht die angestauten emotionen zum ausdruck gebracht, die sich in schwarzafrikanischen staaten seit dem beginn der kolonialisierung angesammelt haben. das kann natürlich auch als schwarzer rassismus ausgelegt werden aber ich denke, dass damit der Hass ausgedrückt werden wollte, der sich im gesamten schwarzafrika gegenüber dem westen seit der kolonialzeit angestaut hat. diese gefühle sind für mich durchaus nachvollziehbar und es ist dringend nötig, dass man sich bei uns im westen darüber bewusst wird, dass die bewohner von schwarzafrika mit der art und weise, wie wir im westen mit dem kontinent umgehen und umgegangen sind, nicht einfach vergessen können. diese (hass-) gefühle sind für mich eine natürliche, menschliche reaktion die nicht mit schwarzem rassismus gleichgesetzt werden kann. um das bewusstsein (und das Verständnis) für die schwarzafrikanische Perspektive zu fördern fand ich den schluss ein guter denkanstoss, auch wenn ich eine auflösung der spannung, die damit aufgebaut wurde, erwartet hatte.
dass sich viele besucher vor den kopf gestossen fühlten kann ich verstehen, diese leute sollten sich einmal darüber informieren, wie der westen (und immer mehr auch die aufstrebenden volkswirtschaften von china und indien) in der vergangenheit und aktuell mit afrika umgehen. in diesem umgang kommt aus meiner sicht auch die arroganz zum ausdruck, mit der die industriestaaten an afrika herangehen und die dann zum mangel an verständnis führt, wenn einem die über lange zeit angestauten (negativen) emotionen entgegen schlagen.
Grootbooms Interracial: Hass wird mit Hass beantwortet
Für mich ist es unverständlich, wie das Spiel (also auch die Art des Spiels) akzeptiert und gut gefunden werden kann. Für mich war es eine sehr platte Art des Spiels, ich habe da keine echten Emotionen gefühlt und jedes Mal wenn ich dachte, dass die Geschichte nicht noch platter werden konnte, wurde sie. Auch die "vermeintlichen" authentischen Stellen, wenn die Spieler aus ihren Rollen treten, waren nicht wirklich authentisch, nicht mal so markiert. - Und das man Ende wirklich diese Hasstirade geschieht, war für mich schockiert. Ich wusste nicht, zu was ich gebeten war und identifiere das weiterhin als Rassismus. Warum muss Hass mit Hass beantwortet werden? Warum geht es nicht mit Hoffnung? Warum ist das so? - Diese Fragen sind relevant und das hat diese Arbeit nicht ein mal versucht zu zeigen, es ging angeblich darum Rassimus zu bearbeiten, aber wenn dann nur Klischees abgespuhlt werden, funktioniert das nicht.
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