Im Zeichen der Hyäne

von Theresa Luise Gindlstrasser

Wien, 30. März 2017. Etwa 30 Frauen sind es. Stehen vor der Rampe der Universität Wien. Tragen rote Kopfbedeckungen und Jacken mit Hyänen-Sujet. Es ist der 5. Oktober 2016 und die Burschenschaft Hysteria tritt beim "Coleurbummel" der schlagenden Studentenverbindungen auf. Präsenz zeigen, Raum für sich reklamieren, das ist es, was die Burschenschaften mit ihren Verbindungsfarben-Schärpen beim wöchentlichen "Spaziergang" vor der Wiener Uni tun. Dass sich eine Gruppe von Frauen "Burschenschaft" nennt, beim Herbstbummel denselben Raum für sich reklamiert, dabei aber eine ganz andere Art von Präsenz zeigt, ist erstens neu und zweitens zähnefletschend. Oder wie es die Hysteria selbst formuliert: "Die Burschenschaft weist dem Vertreter einer neumodischen Herren-Burschenschaft den rechten Weg – und dieser kann nur zurück an den Herd führen!"

Hysteria PraterSept2016 BHysteria"Aus Gründen der Pietät und zu ihrem Schutz durften Männer nur verschleiert und in Begleitung einer Frau teilnehmen." Die Burschenschaft Hysteria trägt 2016 in Wien das Patriarchat zu Grabe.
© facebook.com/BurschenschaftHysteria

Hyänen leben in matriarchalen Strukturen. Deshalb scheint das Emblem der Burschenschaft Hysteria ein gelungener Verweis auf die Möglichkeit nicht-patriarchaler Gesellschaftsordnungen zu sein. Die Zeichnung einer zähnefletschenden Hyäne ist aber mehr als Parole, ist etwas anderes als eine Kampfansage. Ist nämlich Behauptung einer Wirklichkeit. Bei öffentlichen Aktionen, bei der Pflege des Social-Media-Auftrittes und im Umgang mit der Presse verhält sich die Hysteria so "Als-ob-wie-wenn" das, was in Anbetracht der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung als Forderung erscheint, Realität wäre: nämlich das Matriarchat. Zumindest was das in der Öffentlichkeit behauptete gruppeninterne Weltverständnis betrifft. Denn obwohl das "Goldene Matriarchat" gesamtgesellschaftlich besehen auch für die Hysteria erst in der Zukunft liegt, wird eine Verkehrung von Verhältnissen unternommen: Frauen gehöre die politische Sphäre, Männer gehörten in das traute Heim. Durch das zwar nicht lückenlose, aber streng arrangierte "Als-ob-wie-wenn" tritt die Differenz zwischen unserer Gesellschaft und der Gesellschaft der Hyänen klar hervor. Dieses "Als-ob-wie-wenn" ist es auch, das die Burschenschaft Hysteria einem Theaterkontext so artverwandt erscheinen lässt.

Totalitärer Anspruch des Als-ob

Es ist aber komplizierter. Deswegen von vorne: Am 10. Januar 2016 wird auf der Facebook-Seite der Burschenschaft Hysteria zum ersten Mal gepostet. Es ist die Zeichnung der zähnefletschenden Hyäne. Bald darauf sperrt Facebook die Autorin Stefanie Sargnagel aufgrund eines gegen die Identitären gerichteten Postings. Die Burschenschaft solidarisiert sich, Sargnagel wird und bleibt der öffentlich am meisten wahrgenommene und prominenteste "Bursche". Es folgen imposante Bildkompositionen von Frauen in schwarzen Anzügen mit roten "Deckeln", die linke Faust martialisch erhoben. Das Männerwahlrecht soll eingeschränkt, alle Zyklen weltweit aneinander angeglichen werden.

Die Burschenschaft Hansea zu Wien droht mit dem Hashtag #linkeweiberausknocken. Die ersten Reaktionen der Print-Medien auf "die älteste Burschenschaft Österreichs" kennzeichnen diese als "satirisch-feministische". "Schmierblatt" nennt die Hysteria daraufhin die Wochenzeitung "Der Falter". Die Hysteria verteidigt den totalitären Anspruch des "Als-ob-wie-wenn". Im Rückgriff auf den demokratiefeindlichen, oft verschwörungstheoretischen Jargon derjenigen, die sich als Gegner eines herrschenden Regimes verstehen, reagiert die Hysteria angriffslustig auf das wachsende Interesse der "Systempresse". Interviewanfragen werden unhöflichst zurückgewiesen oder für Provokations-Promotion benutzt wie auf jetzt.de. Für "Performance-Auftritte im Kontext zeitgenössischer Freizeitkultur" mögen sich Interessierte an die Kollegen von der Burschenschaft Olympia wenden. Außer die Wiener Festwochen fragen an, da lässt sich die Hyäne 2017 dann doch zum Picknick des Verlernens bitten.

MariaHolzerLillyPfalzer 560 sleVolles Ornat: Roter Deckel, schwarzer Anzug, schreiende Hyäne und erhobene Faust. © sle

Die Hysteria leistet eine zweifach Umdrehung der Umstände. Denn sie trägt nicht nur das Patriarchat zu Grabe (wie im September 2016 auf der Prater-Hauptallee geschehen), sondern tut's als Burschenschaft. Der Anblick einer im Gleichschritt marschierenden, Fahnen schwenkenden, "Ehre, Freiheit, Vatermord" und "Heil Hysteria!" skandierenden Gruppe widerspricht dem Vokabular des linken Aktivismus und der feministischen Performance gleichermaßen. Zufällige Passanten und Passantinnen reagieren verwirrt. Die Burschenschaft präsentiert sich als autoritäre Elite, sprengt aber, schon vor allen Aktionen, durch die bloße Tatsache, dass nur Frauen als Mitglieder erlaubt sind, die gewohnte Rahmung rechter Männerbünde. In sogenannten Mädelschaften wird im Unterschied zu Burschenschaften nie Mensur gefochten.

Mit dem Begriff "Burschenschaft" und dem kolportierten Fechten von Mensuren reklamiert die Hysteria Satisfaktionsfähigkeit für sich, stellt sich also in ein konkurrierendes Verhältnis mit den schlagenden Burschis. Der auf Facebook veröffentlichte (Fake-)Gründungsmythos schreibt die Hysteria in die Geschichte der Burschenschaften ein, ja überbietet diese sogar: Die Hysteria soll nämlich schon 1810, also noch vor der sogenannten Urburschenschaft 1815 in Jena, als Geheimloge rund um Maria Leopoldine von Österreich, spätere Kaiserin von Brasilien, entstanden sein. Geschichtliche Fakten werden genauso wie aktuelle Reaktionen verwendet und zur großen Hysteria-Behauptung verdreht. Es ist der Hyäne todernst mit ihrem Theater.

Mob und Anti-Mob

Die Mitglieder tragen Wichs und Coleurnamen, auf Facebook werden Photos von üppigen Festen gepostet, und beim Wettbewerb um den Bachmann-Preis läuft in Klagenfurt zur Unterstützung von Teilnehmerin Stefanie Sargnagel eine Abordnung auf. Außerdem fungiert die Burschenschaft in den sozialen Medien und mittels Flugblättern als Anti-Mob gegen den Sargnagel attackierenden Mob (#babykatzengate). Dergestalt öffentlich und aggressiv als Seilschaft agierend, demaskiert Hysteria eine der wichtigsten, wiewohl unsichtbarsten Funktionen von Burschenschaften. Lebenslang wirken da die Mitgliedschaften, dementsprechend auch auf die beruflichen Aufstiegschancen, zum Beispiel in die Politik. 

Rechte Netzwerke agieren aber auch sichtbarer: Jüngst organisierte sich ein Shitstorm gegen Sargnagel mit dem auch die FPÖ fraternisierte (#babykatzengate). Auf einen satirischen Reisebericht in der Wiener Tageszeitung Der Standard Bezug nehmend, wurde Sargnagel seitens der Kronen Zeitung vorgeworfen, Steuergeld zu verschwenden und Baby-Katzen zu treten, daraufhin fluteten Pöbler ihre Facebook-Seite massiv mit Hass bis Facebook den Account sperrte. Sargnagel dazu: "Für mich ist es eigentlich nur eine Bestätigung, dass die Burschenschaft Hysteria gute Arbeit leistet und sich sehr viele rechte Männer anscheißen und das Gefühl haben, sie müssen gegen uns Hetze betreiben, damit wir aufhören, das zu tun was wir tun." Ihr erstes Theaterstück, das am 19. April 2017 im Wiener Theater Rabenhof Premiere hat, dreht sich ums "babykatzengate".

 Hysteria1 560 BHysteriaReaktionäre Rituale ad Absurdum führen: die Burschenschaft Hysteria in Aktion @ facebook.com/BurschenschaftHysteria

Die eigentliche Bühne der Burschenschaft Hysteria ist Facebook. Mittlerweile hat die Seite fast 22.000 Likes. Diese Aufmerksamkeit macht sie zu einer feministischen Interessenvertretung. Mehrere dort gepostete Sujets greifen die misogynste aller misogynen Praxen auf: Frauen erstens unter Schutz aka männliche Dominanz stellen zu wollen, sie aber zweitens bei Verstößen gegen das eigene rückwärtsgewandte repressive Frauenbild zu sanktionieren. Zugleich stellen sie den Bezug zur rassistischen Motivation von rechten Protektions-Phantasien für "unsere Frauen" heraus.

Finger weg von unseren Männern!

Unter den verkehrten Vorzeichen der Hysteria sieht das dann auf Facebook verbildlicht zum Beispiel so aus: Fünf Männer strecken die Hände abwehrend nach vorne. Drüber steht: "Finger weg! Unsere Männer gehören uns". Dasselbe nochmal auf Arabisch. Wobei ein Kommentar darauf hinweist, dass die arabische Formulierung verkehrt ist. Eine ebenfalls fehlerhafte arabische Formulierung unterlief einem FPÖ-Lokalpolitiker aus Graz in seinem Video an die "Sehr geehrten Herren Asylanten". Darin praktiziert er an einer Schaufensterpuppe all jene übergriffigen Handlungen, die er Asylwerbenden in einer verallgemeinernden Geste zunächst unterstellt, um sie sodann zu untersagen. Er beschließt seine Ausführungen mit dem Kommentar: "Finger weg von unseren Frauen!" Hysteria sagt nun: "Hände weg von unseren Männern!"

Ein anderer Kommentar interessiert sich mehr fürs Grundsätzliche: "Das ist völlig egal, was da auf Arabisch steht, es sollen ja nicht die Araber beleidigt werden". Vielmehr geht es um Männer an sich, ohne Rücksicht auf Herkunft, Sprache, Religion oder Klasse, die sollen "beleidigt" bzw. degradiert werden. Bei den Tüpfelhyänen steht schließlich auch jedes männliche Tier in der Hierarchie noch unter dem niedersten weiblichen Tier.

Kleidungsvorschriften für Frauen auch im "Goldenen Matriarchat"?

Diese Art der Diskriminierung erfährt durch eine der kompliziertesten Forderungen der Hysteria einen Knacks: Es solle "Schleierzwang für Männer in der Öffentlichkeit"  herrschen. Wurde beim besagten Prater-Umzug auch versucht umzusetzen. Wurde der Hashtag #MenInHijab für die eigene Sache in Dienst genommen: "Die Burschenschaft Hysteria gratuliert der Sektion Iran zu ihrem Erfolg! Mit eiserner Strenge und unbeugsamen Willen konnte sie auch die aufmüpfigsten Männer für das Tragen von nicht provokanter Kleidung im öffentlichen Raum begeistern".

Der "Schleierzwang" fügt sich nur schwer ins Bild der Burschenschaft. Er greift auf ein wieder anderes Vokabular zurück. Nämlich das des exklusiv angelegten, weißen, westlichen Aufklärungs-Feminismus und seinen Wertvorstellungen. Wenn der Hijab nämlich unter den verkehrten Vorzeichen ausschließlich als reines Unterdrückungsinstrument gewertet wird, dann wird das Ablegen des Hijabs unter den Vorzeichen der Welt, in der wir leben, zur einfach Befreiungsgeste aus patriarchaler Reglementierung. Im Umkehrschluss scheint es also auch im "Goldenen Matriarchat" Kleidervorschriften für Frauen zu geben. Nämlich, kein Kopftuch zu tragen.

Hysteria Akademikerball 560 Bhysteria "Butjunge Männer, aufgeputzt wie Leichtmatrosen, die sich betrunken an die Hälse der nur spärlich anwesenden Frauen schmeißen." Die Burschenschaft Hysteria widmet den jährlich von der FPÖ ausgerichteten "Akademikerball" in der Wiener Hofburg zum Männerschutzball um .
© facebook.com/BurschenschaftHysteria

Außerhalb von Facebook erfolgte der erste öffentliche Auftritt der Burschenschaft Hysteria als Saalschutz bei einer Aufführung von Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene am 8. Juni 2016 im Wiener Rathaus. Zuvor war die Veranstaltung bei einem Spieltermin im Audimax von Identitären gestürmt worden. So aktivistisch, nämlich über den eigenen kunstvollen wie komplexen Referenzrahmen hinaus sich positionierend, agierte die Hysteria bisher nicht wieder.

Dafür landete sie mit der Erklärung des WKR-Balles zum "Männerschutzball" den ultimativen symbolischen Coup. Mitten im von Gegen-Demonstrationen umwogten finsteren Herzen der Männerbünde und während ringsum die Burschenschafter tanzten, rollten Mitglieder der Hysteria in der Hofburg ihre Fahnen aus. Solch selbstsichere Subversivität verunsichert die Rechten. Von der Hysteria dermaßen düpiert, deutete FPÖ-Parteiobmann HC Strache in einem Tweet die Sache zur Ehrenrettung des Wiener Akademikerballes um. Der Auftritt habe "gezeigt, dass andersdenkende Menschen in den Reihen der Korporationen bzw. der FPÖ keine Gewalt fürchten müssen".

Wachsende Behauptungsmacht mit alternativer Wirklichkeit

Kürzlich wurde das sogenannte Fritz-Stüber-Heim als "Bude" eingerichtet. Das nach einer der bekanntesten Persönlichkeiten der österreichischen äußersten Rechten benannte Haus, war jahrelang Treffpunkt rechtsextremer Vereine gewesen. Eine montierte Photostrecke "dokumentiert" den Rauswurf der Burschen. Da ist es wieder, das "Als-ob-wie-wenn". Die Burschenschaft Hysteria konstruiert auf Facebook eine alternative Wirklichkeit. Sich der Öffentlichkeit einerseits entziehend, füttert sie diese andererseits mit Selbstdarstellungen. Die Photos, aber vor allem die Bildunterschriften, mittels derer Bildinhalte im Sinne der Hysteria gedeutet werden, lassen ihre Behauptungsmacht immer kraftvoller werden.

Gleichzeitig bekommt die Ideologie der oft als Trinkbrüder verharmlosten Burschenschaften (z.B.: durch Photos von im Fritz-Stüber-Heim zurückgelassenem antisemitischen Dekor) kritische Aufmerksamkeit. Die Hysteria praktiziert reaktionäre Rituale, stellt also Aspekte und Zusammenhänge eines reaktionären Weltbildes zur öffentlichen Diskussion. Im Zerrspiegel "Burschenschaft Hysteria" stolpert der gesellschaftliche Chauvinismus über seine eigenen Füße. Durch die Weigerung, Interviews zu geben oder sich auf einer Metaebene über Strategien und Aktionen der Hysteria zu äußern, wird die Burschenschaft zu einer Inszenierung ohne Ende. Das Publikum tobt, jubelt und macht dank Kommentar-Funktion auch selber mit.

 

TheresaLuiseGindlstrasser 140 TLGTheresa Luise Gindlstrasser hat Philosophie und Kunstwissenschaft studiert. Die gebürtige Oberösterreicherin ist freie Autorin für nachtkritik.de und verschiedene Print- und Online-Medien. Sie war Bloggerin und Diskutantin beim Berliner Theatertreffen 2015, beim Dramatiker*innen Festival Graz 2016 und anderen. Gindlstrasser lebt in Wien.

 

 Mehr dazu: Die Wochenzeitung Die Zeit veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 30. März 2017 ebenfalls einen langen Artikel über die Burschenschaft Hysteria. 

 

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