Einer muss die Tür zumachen

von Hartmut Krug

Dresden, 31. März 2017. Engagiert und fröhlich wirkt der junge Mann, der sich vor dem Bühnenvorhang im Scheinwerferspot aufstellt. Doch er wirkt genervt, wenn er sich vorstellt. Rouni heiße er und sei vor zwei Jahren nach Deutschland gekommen. Aus Syrien geflohen, über viele Länder und das Meer.

Seine Erzählung wiederholt er mehrmals – schließlich ist er mit ihr voll ausgebucht. Unentwegt rufen Festivals, Theater und Journalisten an, und er darf oder muss erneut seine authentische Geschichte erzählen. Als Quotenflüchtling, der seine Kultur und seine Religion erklären soll. Dabei sei er einfach nur der Rouni, der Schauspieler werden und die Leute professionell anlügen wolle ...

Beerdigung eines Ex-Aktivisten

Ein fulminanter, zugleich ernsthafter wie komödiantischer Beginn einer bösen Komödie! Eigentlich sollte Ibrahim Amirs "Homohalal" Anfang 2016 am Volkstheater Wien uraufgeführt werden. Doch kurz vor der Premiere wurde das Stück abgesagt. Es war aus der Arbeit mit Geflüchteten und Aktivisten der Wiener Votivkirchenbesetzung entstanden. Doch als "Dystopie" sei es nicht geeignet, sich mit der "Zukunft schutzsuchender Menschen" auseinanderzusetzen, so die Begründung der Absage.

Nun, eine Untergangsphantasie ist die für Dresden umgeschriebene Fassung nicht. Eher eine komödiantisch überdrehte Auseinandersetzung mit den menschlichen Stärken und Schwächen auch von politischen Aktivisten und Geflüchteten. Die Szene ist ein fiktives Dresden im Jahr 2037. Ein Dresden, das zu einem Vorzeigeprojekt für Toleranz und interkulturelles Miteinander geworden ist.

homohalal1 560 David Baltzer uWer kann das schon? Abdul (Holger Bülow) verschüttet bei seiner eigenen Beerdigung Benzin.
© David Baltzer

In undeutlich flatterigen Videosequenzen werden zunächst fröhliche, optimistische Menschen im Jahr 2017 gezeigt. So schön war es mal. Dann entern diese Menschen, jetzt in bonbonfarbenen Kostümen, in einem Dresden des Jahres 2037, von dem allerdings nichts weiter gezeigt wird, die leere Bühnenschräge. Sie ist der Spielort, auf dem sich rund um ein Foto des gestorbenen Abdul Menschen nach langer Zeit zur Beerdigungsfeier wiedertreffen, die einst gemeinsam politisch aktiv waren. Erst einmal aber scheucht Said seinen Sohn Jamal über die Bühne. Der ist schwul, und sein Vater ist entsetzt und droht, ihn zu erwürgen. Argumente hat er nicht, nur schreckliche Vorurteile.

Barbara will nicht heiraten

Regisseurin Laura Linnenbaum inszeniert diese wie auch viele andere Szenen als oft allzu überdrehtes, lautstarkes Lachtheater. Sie drückt unentwegt auf die Wirkungstube, indem sie ihre Darsteller Figuren mit jeweils individuellen Macken zeigen lässt. Sie alle toben und schreien und sind oft nicht weit von Klischees entfernt. Für den Zuschauer werden beim jeweils ersten Auftritt einer Figur deren Name, Alter, Herkunft und familiäre Beziehungen zu anderen aus der Gruppe auf die Bühne projiziert.

Wenn sich nacheinander alle einstigen Aktivisten einfinden, gibt es nicht nur freudige Erinnerungen an die gemeinsamen erfolgreichen Kämpfe, sondern auch Auseinandersetzungen darüber, warum man Etliches nicht geschafft habe. Es geht um Liebe, Beziehungen, Ehen und gegenseitige Heimlichkeiten. Und natürlich kommen auch interkulturelle Unterschiede zur Sprache. So wird in der Erinnerung eine Liebesbeziehung ausgespielt, die drei Jahre dauerte, bis der Flüchtling Said seiner geliebten Barbara einen Heiratsantrag machte. Sein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt, und die Heirat hätte ihn vor der Abschiebung in den Irak gerettet. Doch Barbara wollte nicht "klassisch" werden, also nicht die übliche reaktionäre Ehebeziehung eingehen. So wurde Said in den Irak zurückgeschickt, wo er Folter und Ärger mit der Familie erlebte.

Sicherheit ist Freiheit

Der eigentlich tote Abdul, der Selbstmord begangen haben soll, taucht wieder lebendig auf. Zuvor war seine Urne explodiert, als eine der Aktivistinnen sich bei den Beerdigungsfeierlichkeiten als Imamin betätigte. Er wurde einst von der Gruppe verraten, als er als Einziger bei einer Aktion, bei der den Faschisten mit Benzin nur Angst gemacht werden sollte, von der Polizei festgenommen wurde. In Rückblende wird die Situation nachgespielt. In der Gegenwart nun bedroht Abdul seine einstigen Mitkämpfer mit ausgeschüttetem Benzin und Streichhölzern, die er sich aus dem Publikum holt. Daraufhin wird er von einer der Frauen erschossen.

Der Bruder des schwulen Jungen entpuppt sich als Rechter, und seine Mutter hat das Schlusswort, während sie unter der sich senkenden Bühnenwand fast begraben wird. Von der Freiheit als Sicherheit, von freier Marktwirtschaft und Ruhe und Ordnung redet sie, und davon, dass einer die Tür zumachen müsse. Und die anderen feiern dazu. Was für ein Schluss: Sicherheit ist Freiheit.

Ibrahim Amir hat eine Komödie geschrieben, die Politisches und Privates souverän ineinander montiert. Nicht alles wird erklärt, aber manches wird deutlich. Und die Schauspieler werfen sich mit komödiantischer Lust und heftigem Körperspiel in ihre Rollen. Das Publikum war von der Inszenierung begeistert und jubelte lange.

 

Homohalal
Komödie von Ibrahim Amir
Uraufführung
Regie: Laura Linnenbaum, Bühne:Valentin Baumeister, Kostüm: David Gonter, Video: Jonas Englert, Licht: Olaf Rumberg, Dramaturgie: Michael Isenberg.
Mit: Matthias Luckey, Annedore Bauer, Anna-Katharina Muck, Elzemarieke de Vos, Thomas Schumacher, Holger Bülow, Thomas Kitsche, Valentin Kleinschmidt, Rouni Mustafa.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

Kritikenrundschau

Michael Laages sprach auf Deutschlandradio (30.3.2017) von einer "unglaublich geschickt und trickreich geschriebenen Komödie und von Laura Linnenbaum als einer "sehr intelligenten und sehr aufstrebenden, jungen, klugen Regisseurin", die sehr geschickt mit den Rückblenden arbeite, die sie "auf eine Filmebene verlegt" habe.

Die Kritik der Dresdner Morgenpost (3.4.2017) zeichnet das Kürzel hn und meint, Ibrahim Amir stelle in "Homohalal" "vieles in Frage, bietet aber keine einfachen Antworten." Die Ausgangslage sei "verblüffen originell", das Ganze "clever konstruiert", es sei zuweilen "klamaukig, aber amüsant", und die Regisseurin Laura Linnenbaum inszeniere "effektiv".

Michael Bartsch hat für die Dresdner Neusten Nachrichten (3.4.2017) "eine Sternstunde dieser ambitionierten Interimsspielzeit" gesehen. Das Stück sei in seiner Dresdner Fassung "in Verbindung mit hübschen Regieeinfällen so verblüffend konkret, dass neben Pegida und Aleppo-Bussen am Neumarkt auch selbstironische Anspielungen auf das Montagscafé im gleichen Haus oder Christian Friedels Hamlet-Gesänge nicht fehlen." Ibrahim Amir teile "nach allen Seiten aus", die "Mischung von Ernst und Bitterkeit mit geradezu boulevardesk ausgespielter Komödie" entkrampfe "die interkulturelle Problematik, ohne sie zu entschärfen."

Sebastian Thiele schreibt in der Sächsischen Zeitung (3.4.2017), dass diese Arbeit "nicht nur durch filmische Mittel, körperliches Spiel und flottes Tempo eine ästhetisch perfekte Arbeit" sei. "Homohalal" sei vor allem "ein bissiger Beitrag zur Flüchtlingsfrage. Und ein mutiges Knallbonbon für das polarisierte Dresden."

Mounia Meiborg fragt in der Süddeutschen Zeitung (4.4.2017) , dass Amirs Stück "ausgerechnet" in Dresden uraufgeführt werde: "Hält die Stadt das aus?" Das Staatsschauspiel beweise Mut. Laura Linnenbaum bemühe sich "klugerweise" nicht um Realismus. Auf der Bühne stünden "skurrile Typen", die an Inszenierungen von Herbert Fritsch denken ließen. Diese Distanz bewahre die Inszenierung vor "vielen Fallstricken", denn an diesem Abend alle ihr Fett weg bekämen: "homophobe Muslime, deutsche Frauen mit Helfersyndrom, irakische Weiberhelden, Salafisten, Identitäre. " Die Figuren seien unterhaltsame Klischees, die "im richtigen Moment gebrochen" würden. Amir beherrsche die "Regeln der Migrations- und Integrationskomödie: je böser, desto besser".

 

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