Druckerschwärze statt Filterblase

von Jan Fischer

Celle, 7. April 2017. Das Internet. Unendliche Weiten. Wir befinden uns im Jahr 2067. Die ganze Cellesche Zeitung befindet sich fest im Griff einer App, die besser als der Leser weiß, was dieser lesen will. Die ganze Zeitung? Nein. Eine Jungredakteurin leistet Widerstand. Sie möchte eine Journalistin werden, eine, "die von allen gelesen wird".

Ein Schritt zurück: In der Einführung zur Inszenierung "Die Zeitung“ am Schlosstheater Celle spricht Andreas Döring, der Intendant des Theaters sowie Autor des Stücks davon, dass die Inszenierung ein "Zwillingskuss zwischen zwei bürgerlichen Institutionen" sei. Das Schlosstheater und die Cellesche Zeitung haben sich für "Die Zeitung" zum 200jährigen Bestehen des Lokalblattes zusammengetan, um die Zukunft und die Vergangenheit des lokalen Journalismus' wie des Journalismus' überhaupt auszuloten.

Neonröhren-Zukunft

Die Zukunft sieht, wie gesagt, schlecht aus. Auf der Bühne wird sie hauptsächlich angezeigt durch das kalte, weiße Licht von Neonröhren und die Benutzung von Virtual-Reality-Brillen. Alle Artikel werden von einer App geschrieben, die auch gleichzeitig Artikellänge und -inhalt für Leser individuell anpasst, bestimmte Kommentare für bestimmte Leser zensiert und überhaupt komplett autonom arbeitet.

Zeitung1 560 Alex Sorokin uEinige haben VR-Brillen, andere Durchblick: Thomas Wenzel, Philip Leenders, Irene Benedict und Ulrich Gall spielen "Die Zeitung" in Celle © Alex Sorokin

Die Vergangenheit ist in deutlich wärmeres Licht getaucht. Es geht um die Gründung der Celleschen Zeitung im Jahr 1807, um die ersten Verleger und Redakteure und wie sie ihre eigene Druckerschwärze zusammenkochten. Über verschiedene Stationen folgt man dem Weg des Blattes hin zur heutigen Zeitung, inklusive häufiger Kostümwechsel des Ensembles.

Gemeinsam ist beiden Zeitebenen, dass immer wieder diverse übergroße Kisten als Kulissenteile herhalten müssen – mal sind es Serverschränke, mal das Haus der ersten Verleger.

Von Fake News zum Pyroeffekt

Spannend angedacht ist das Projekt, das Regisseur Eberhard Köhler auf die Bühne gebracht hat, allemal. Überall brechen den regionalen und überregionalen Zeitungen ihre Leser weg, Debatten um Fake News und Filterblasen beherrschen die Medien. Die Idee, in einer recherchebasierten Stückentwicklung zusammen mit einer Zeitung auf der Bühne alles das zu verhandeln und historisch zu kontextualisieren, gerade auch zu einem wichtigen Jubiläum einer Zeitung, ist nötig und wichtig.

Leider bleibt es in Celle bei der Idee. Nicht, dass "Die Zeitung" als Inszenierung komplett nicht funktionieren würde. Das Bühnenbild ist stellenweise großartig: Pyroeffekte, sich wellenförmig bewegende Neonröhren als Druckerpresse, die immer wieder auf neue Art aufklappbaren Kisten. Das Ensemble gib sich redliche Mühe, Spielfreude zu verbreiten, gerade auch bei häufigen Kostüm- und Rollenwechseln. Es gibt einige Witze, die auf lokaler Ebene durchaus scharfsinnig sind. Doch inhaltlich bleibt der Abend auf halber Strecke stecken.

Die App als Bösewicht

In "Die Zeitung" ist das Internet der Bösewicht, veranschaulicht in der dystopischen App, die Filterblasen nur noch verstärkt, die nicht herausfordert, nicht ärgert, und, ein Satz aus der Inszenierung: "Eine Zeitung, die nicht ärgert, ist langweilig." Gleichzeitig aber gibt es Durchsagen, die Zeit und Ort der gerade auf der Bühne spielenden Handlung klarmachen sollen, die mit den Worten "Liebe Zeitungsleser" beginnen, also, wie auch Andreas Döring in seiner Einführung, selbst schon eine Filterblase annehmen, in der die Inszenierung passiert. Die große Bösewicht-App ist eine stark konstruierte. Hier sollen bestimmte, meinungsverstärkende Algorithmen parodiert werden.

Zeitung2 560 Alex Sorokin uRettung durch die Druckerpressse: Thomas Wenzel, Irene Benedict und Ulrich Gall schwelgen in den Anfangsjahren der "Zeitung" © Alex Sorokin

Aber die Inszenierung schafft es nicht, dies tatsächlich auch in glaubhaften, dystopischen Realismus zu überführen. Also in etwas, das wehtun könnte. Der Weg, den "Die Zeitung" einschlägt, ist vielmehr einer, der über Klischees versucht, automatisierten und netzbasierten Journalismus lächerlich zu machen – beispielsweise, wenn die Darsteller mit ihren Virtual-Reality-Brillen auf den Augen große Gesten ins Leere vollführen.

Heil im Status Quo

Überhaupt bleibt die ganze Debatte um Online-Journalismus sehr kurz gehalten, in "Die Zeitung" liegt das Heil und Gegengift gegen die App darin, die alte Druckerpresse wieder anzuwerfen und eine Zeitung auf Papier zu drucken. An dieser Stelle vermischen sich dann auch die Zeitebenen, in denen die Inszenierung spielt: Vergangenheit – in (Helden-)Gestalt historischer Redakteure und Verleger – vermischt sich mit der Zukunft, die wiederum ihre Erlösung in der alten Form der gedruckten Zeitung findet.

So findet die verkürzte Debatte ihr Ende im Status Quo, ohne jemals drängenden Herausforderungen tatsächlich alternative Modelle oder Ideen entgegen zu setzen. Und eine dringend nötige Diskussion versandete in dem guten Gefühl, dass sich ja eigentlich gar nichts ändern muss.

 

Die Zeitung
von Andreas Döring
Recherche: Harald Wolff
Regie: Eberhard Köhler, Ausstattung: Vesna Hiltmann, Choreografie: Darya Barabanova, Dramaturgie: Mona vom Dahl, Andreas Döring, Regieassistenz: Adnan Taha, Hospitanz: Denise Frerichs, Inspizienz: Günther Goldammer.
Mit: Irene Benedict, Verena Saake, Thomas Wenzel, Ulrich Gall, Philip Leenders.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.schlosstheater-celle.de

 

Kritikenrundschau

Eine "interessante, moderne Inszenierung" hat Hartmut Jakubowski erlebt, wie er in der Celleschen Zeitung (10.4.2017) schreibt. Autor und Regisseur gingen der Frage nach, "welche Werte, Zwänge und Überlegungen die Zeitungsmacher in allen Zeiten bewegt haben mögen." Kurz: "ein hoch ambitioniertes Projekt" mit unterhaltsamer Wirkung.

Kommentare  
Die Zeitung, Celle: Theater für die Stadt
Der lokale Bezug, das politisch-gesellschaftliche Engagement und die zeitgeschichtliche Relevanz sind Qualitäten der Celler Produktion, die verdienten besonders und beispielhaft gewürdigt zu werden. Wann können das Theaterbesucher an einem Abend erleben; wie oft verlassen die eine Aufführung mit dem Gedanken, was geht das mich (noch) an? In Celle macht ein städtisches Theater wirklich Theater für die Stadt, was Intendanten anderenorts nur großmäulig ankündigen.
Paul Tostorf
Die Zeitung, Celle: mit angeklebten Bärten
Leider fehlt eine Frage in Ihrer ansonsten stimmigen Kritik an diesem Abend: Was soll das alles? Hier wird lokalpolitischer Wille (einer städtischen Zeitung willfährig zu dienen) großmäulig als "Auseinandersetzung mit der Stadt" verkauft. Celle hätte vermutlich dringlichere Probleme, mit denen eine Theater-geführte Auseinandersetzung lohnen würde. Der "Intendant" entblödet sich jedoch nicht, seine Bühne für die Werbeveranstaltung der städtischen Zeitung herzugeben und seine zu Papier gebrachte intellektuelle Leere als Inszenierung an das Theaterpublikum zu verkaufen. Schauspieler mit angeklebten Bärten, die freudig auf Zeitungspapier starren, oder sich (angetan mit VR-Brille) ratlos durch entsetzlich ideenlose Bühnenräume tasten - das ist gelebte Verwesung der letzten kleinen Stadttheaterflecke in Vollendung. Celle hat übrigens auch noch ein in seiner Bedeutungslosigkeit auf Höhe der Celleschen Zeitung anzusiedelndes Schützenmuseum, eine lange Geschichte als Militärstandort, sowie ein familiengeführtes Schuhgeschäft mit Tradition. Wir blicken erwartungsvoll auf die kommenden Jubiläumsthemen in Celle.
Die Zeitung, Celle: Anführung?
@2/Thomas Weber: Warum schreiben Sie Intendant mit Anführungsstrichen? Ist das eine "Meinung"?
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