Das Versprechen - Tilmann Köhler inszeniert Friedrich Dürrenmatts Roman am Düsseldorfer Schauspielhaus in einem raffinierten Bühnenbild
Im Spiegel lauert der Abgrund
von Martin Krumbholz
Düsseldorf, 13. April 2017. Zwei Dinge sind an der alten Geschichte von Dürrenmatt aus den fünfziger Jahren interessant – und sie betreffen nicht so sehr den Krimi, der unterschiedliche Schlüsse hat (Drehbuch/Film bzw. später daraus entstandener Roman) und also so oder so gelesen werden kann, auch als "Requiem auf den Kriminalroman": Tatsächlich war der Krimi nicht totzukriegen, heute steht er bekanntlich mehr denn je in voller Blüte. Zwei Dinge, das sind die existenzialistische und die psychoanalytische Idee. Beide gelangen in Dürrenmatts bestechend kristalliner Prosa zu einer verblüffenden Ausprägung.
Der Kommissar Matthäi, der sich in den Ruhestand versetzen lässt, um als "Privatmann" einen Sexualmord an einem neunjährigen Mädchen aufzuklären, hat, so meint er zumindest, nichts anderes zu tun als: zu warten. Der Mörder wird wiederkommen. Zwar zweifelt der Mann an seinem Projekt – er benutzt ein lebendes Kind als Köder, was in ethischer Hinsicht natürlich haarsträubend ist –, aber er muss trotzdem warten, weil er, wie es heißt, "nichts anderes mehr tun konnte als warten, warten und warten". Der Mörder erscheint nicht, er ist mit seinem Auto verunglückt, aber das ist ein simpler Zufall, den der Autor einfädelt, um seinem Helden ein Bein zu stellen, der partout an den Zufall nicht glauben will. Der Mörder wäre gekommen, Matthäi hat recht. Warten auf … den Mörder/Godot. Dürrenmatt trifft Beckett.
Die Schwerkraft ausgetrickst
Die zweite brisante Idee betrifft die (ebenfalls immer wieder für tot erklärte) Psychoanalyse. Gritli Moser, das ermordete Mädchen, hat nämlich das Geheimnis des Mörders in einer Zeichnung verwahrt, allerdings in einer sonderbar verschlüsselten Zeichnung, als wollte sie den Mann, der ihr Schokoladetrüffel schenkt, unbewusst schützen. Es ist ein genialer Einfall des Autors und der Höhepunkt der ganzen Erzählung. Und damit kommen wir endlich zur Adaption des Romans in Düsseldorf und zu Tilmann Köhlers Inszenierung, die nicht unerheblich von einer frappierenden Bühnenbild-Idee (Karoly Risz) profitiert. Alle sechs beteiligten Schauspieler zeichnen das Bild vom "Igelriesen" im Cinemascope-Format auf die flache Bühne, die in ihrer ganzen Breite gespiegelt wird, dergestalt, dass das Paradox einer Steilwand entsteht, von der nichts herunterrutschen kann. (So vermag beispielsweise ein Spieler, indem er sich an der Rampe festkrallt, einen Suizid durch Erhängen darzustellen.)
Das Bild vom Igelriesen, der Schlüssel zur Aufklärung des Falls, hat die Gestalt einer Assemblage, einer Zeichnung, die zugleich skulpturale Elemente enthält: Autoreifen, Holzscheite, eine Maske usw. Der Igelriese ist ein groß gewachsener Mann, aus dessen Manteltasche stachelförmige Trüffel auf das Mädchen rieseln. Rotkäppchen, Sterntaler, das ein oder andere Grimm’sche Märchen hat Dürrenmatt auch noch flugs eingearbeitet. Toll! Eine dermaßen anspielungsreiche Story muss man dann eigentlich nurmehr eins zu eins auf die Bühne bringen, durchaus mit üblichen Mitteln: Doppelbesetzungen, gleitende Übergänge, Aufteilung der epischen Passagen auf verschiedene Erzähler und so weiter. Das ermordete Mädchen und ebenso der spätere Köder werden von einer Puppe repräsentiert (geführt von der Puppenspielerin Johanna Kolberg).
Florian Lange spielt den Kommissar als eine massige, schwermütige, fast düstere Erscheinung, trotzig, aber nicht rebellisch oder gar fanatisch. Der Mann hat keine Familie und lebt im Hotel, bewusst, um sich vom Betrieb und vom Getriebe der Welt fernzuhalten. Und natürlich holt ihn all das ein: Um zu seinem Mörder zu kommen, eröffnet er eine Tankstelle, tut sich mit einer Ex-Prostituierten zusammen und erliegt schließlich dem Suff. Alles Elend der Welt stürzt auf diesen noblen Mann. Seinen Vorgesetzten Dr. H. gibt Thomas Wittmann als Komiker; das ist vielleicht nicht ganz seriös, aber natürlich theaterwirksam. Und da Gründonnerstag ist und Karfreitag bevorsteht, ist man ja dankbar für ein Antidot.
Auch der Epilog mit seiner makabren Pointe ist hochkomisch geraten. Minna Wündrich und die anderen geben gleichsam im Chor die Erzählung einer einfältigen alten Frau auf dem Sterbebett von ihrem noch einfältigeren Ehemann, "Albertchen selig", der der Igelriese ist. Matthäi hat nichts mehr davon, er dämmert in seiner Tankstelle dahin. Und das sogenannte D'haus hat mutmaßlich seinen nächsten Kassenschlager.
Das Versprechen
nach dem Roman von Friedrich Dürrenmatt
Regie: Tilman Köhler, Bühne: Karoly Risz, Kostüm: Susanne Uhl, Musik: Jörg-Martin Wagner, Puppenbau: Franziska Hartmann, Licht: Lutz Deppe, Dramaturgie: Frederik Tidén/Felicitas Zürcher.
Mit: Florian Lange, Thomas Wittmann, Minna Wündrich, Kilian Land, Sebastian Tessenow, Johanna Kolberg, Hesen Kanjo.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.dhaus.de
Das Regieteam habe "interessante Einfälle und Supereffekte umgesetzt", meint Annette Bosetti in der Rheinischen Post (15.4.2017). "Doch tatsächlich vermag die Geschichte nicht zu berühren. Es schwächelt beim Erzählduktus." Und Längen gebe es auch.
Tilmann Köhlers Inszenierung sei "betont düster gehalten, kommt aber nie übertrieben morbide oder effekthascherisch daher", schreibt Florian Sawatzki in der Westdeutschen Zeitung (15.4.2017). Der Fokus liege "auf Kommissar Matthäi, dessen immer größer werdende Verzweiflung eindrucksvoll von Schauspieler Florian Lange rübergebracht wird." Sawatzkis Fazit: "Der etwas andere Krimi ist auch in dieser Bühnenfassung eine gelungene Abrechnung mit den Stereotypen des Krimigenres."
Tilmann Köhler erzähle die berühmte Geschichte als melancholischen Reigen und als Untergang eines Besessenen: "beherzt gespielt und düster in Szene gesetzt", so Sven Westernströer in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (17.4.2017). Dabei halte sich Köhler relativ eng an den Roman und übertrage die Erzählung "vielleicht etwas arg respektvoll" auf die Bühne. Dass er das ermordete Mädchen von einer Handpuppe spielen lasse, sei eine fantastische Idee und sorge für beklemmende, surreale Atmosphäre. Das Bühnenbild von Karoly Risz sei so schlicht wie famos.
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Lieber Herr Schulz weiter so !
Inszeniert ist der Abend wie von einem einser Schüler, ist aber auch ungefähr genauso spannend. Er macht nicht wirklich etwas falsch, hat aber auch keine wirkliche eigene Haltung. Diesem Text wird durch die Konzeption nicht wirklich etwas hinzugefügt. Die Bühne erlaubt zwar ein paar schöne Bilder, aber auch die zerfallen eher zu hohlen Gesten. Nichts drängt dem Zuschauer irgendetwas auf oder fordert ihn wirklich auf sich zu etwas zu verhalten.
Angebunden und bedeutungsschwanger wird über die Musik erzählt was gerade passiert. Ein Frau dreht sich 3 mal im Kreis und spielt dann mit Drehwurm jemand betrunkenen in einer Kneipe. Auf einmal sind alle unschuldige Kinder beim Verstecken spielen und kichern, wie Kinder halt so unschuldig beim Verstecken spielen kichern. Das einsam Schaukelnde Kind im Hintergund, während vorne tragisches verhandelt wird. Beim Verhör wird geraucht, etwas über die Stränge geschlagen, es geht doch um ein Kind. Der verhörte Gesteht. Aber merke auf, war er der Täter?
Der Kommissar, der seiner Intuition folgt, gegen Regeln verstößt, trinkt. Ist von Zweifeln geplagt. Der Chef, der erst drei Sätze böse sagt, dann einen verständnisvollen. Eigentlich mag der Chef ja den Kommissar, er hat doch ein kleines Herz für Querdenker. Doch kann er ihn diesmal einfach nicht verstehen. Der Fall ist zwar nicht ganz klar, aber so ist es halt einfacher und macht weniger Aufwand. Ja, so ist der Polizeichef. Pragmatisch. Aber eigentlich ein guter.
(Wie der gutsituierte Düsseldorfer im Publikum)
Am Schluss der Versuch einer eigenen Haltung zum Ende. Die Schauspieler an der Rampe erzählen/spielen den Rest der Handlung. Die Pointe wird angekündigt, man sieht sie, es vergehen 5 Minuten, sie kommt, keiner gluckst wirklich überrascht über die Pointe. Man kannte sie ja bereits und war darauf vorbereitet.
Dieser Abend bleibt auf der Bühne. Ich hatte das Gefühl, ohne mich oder die Zuschauer, hätte der Abend genau so stattgefunden wie bei der Premiere.
Er passt nach Düsseldorf. Kassenschlager glaube ich gern. Tut ja auch niemandem Weh. Man muss nicht nachdenken. Man kennt es. Ungefähr so spannend, und anspruchsvoll wie Mario Barth witzig. Aber der füllt ja auch ganze Stadien mit Zuschauern.