Dösigkeit für alle!

von Reinhard Kriechbaum

Graz, 21. April 2017. Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Auch pralle Metaphern können so humpelnd daher kommen wie die Kurgäste, die jeden Morgen aufs Neue anheben zum Einstieg ins Thermalwasserbecken. "Ich werde mich doch eher in Ruhe lassen", befindet dann regelmäßig einer, worauf man wieder den geordneten Rückzug antritt Richtung Liege im Ruheraum. Die "Pumpernickelplattenverschiebung" im Magen ist Grund für auffällige Geräusche. Mit tektonischen Unwägbarkeiten ist eben zu rechnen in einer Thermenregion.

Ferdinand Schmalz, 1985 in Graz geboren, 2013 mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeichnet, mit seinem Erstling "am beispiel der butter" zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen, kommt derzeit mit dem Textdrechseln kaum nach. Die Systemfehler der Gesellschaft und die Drangsal der wenigen Individualisten – das will benannt, in saftige Bilder hinein- oder aus ihnen herausgepresst sein. In jedem Stück möglichst viel davon. Da bekommt man Stress als Jung-Autor. Vielleicht deshalb hat Schmalz für sein vorigen Herbst in Zürich uraufgeführtes drittes Stück "Der thermale Widerstand" einen Ort der Entschleunigung ausgesucht: ein Heilbad, wo es sich freilich bald "ausrelaxed" haben wird. In einen Wellnesstempel für Betuchte soll es nämlich verwandelt werden.

Das Thermalbad – Hort einer neuen Freiheit

Da ist einer wie Bademeister Hannes gefragt, ein abgebrühter Fachmann der Balneologie. Sein historisches Thermen-Wissen reicht zurück bis in die Antike, mit missionarischer Souveränität setzt er die Klapptafel "Vorsicht Rutschgefahr" an die rechte Stelle. So einer ist gerade recht am Platz, um des leidenden kleinen Mannes Selbstverliebtheit in seine Bresthaftigkeit zu schützen. Der Bademeister, Alter Ego des Autors wohl, setzt in einem Monolog noch eins drauf, vergleicht die Therme mit dem Theater, das der Sprache Freiräume zurückerobert, die ihr gezielt oder durch Gedankenlosigkeit genommen worden sind. Ähnlich also sei das Thermalbad Hort einer "neuen Freiheit, die sich zum Horizont öffnet".

DER THERMALE WIDERSTAND Ensemble 560 Lupi Spuma 147Get up, stand up for your rights! © Lupi Spuma

Auf so etwas kann man wohl nur kommen in der Ionenwolke dampfenden Wassers, an einem Ort, "wo brodelnd Ursüppchen auskochen". Der Trick von Ferdinand Schmalz, seine Marotte oder seine Masche: Es ist ihm kein Sprachbild zu seicht und andrerseits kein Gedanke zu tief, und die unterschiedlichen Pegelstände führen zu tollkühnem poetischen Auf-Grund-Laufen oder zu formulierverliebten Absauf-Situationen.

Badelatschen-Chor

Viel Dampfbad und Aufguß also. Spontaner Witz und Situationskomik müssen drüber tragen übers Fremdschämen dafür, wie eigentlich doch nur das allgegenwärtige Jelinek'sche Vorbild zu Tode geritten beziehungsweise ersäuft wird. In vollem Bewusstsein dieser Tatsache reizt der begabte junge Regisseur András Dömötör Schmalzens Komik aus. Ein Zweikampf mit Bademeister-Pfeiferl und einem Paar Gummischlapfen als Waffen, das ist wahre Brutalität. Das Ensemble in seinen weißen Kurbetrieb-Kostümen darf deftig rangehen: "Die Unbesorgten" und "Kurgäste aller Art" werden verschmolzen zu einem Text rhythmisch skandierenden und auch ur-witzig singenden Antiken-Chor. Tamás Matkó hat die Musik geschrieben für die Aufführung, die so einen besseren Fluss bekommt als man dem Text allein zutrauen würde.

In der Probebühne-Situation von Haus Zwei im Grazer Schauspielhaus erzielt man viel Aura. Wenn der Bademeister ob der Firmenübernahme in den Untergrund geht und das Bad flutet, macht man den Raum ganz eng (ein Teil des Zuschauer-Podiums wird verschoben, in einer "Notfall-Evakuierungsmaßnahme"). Im bodennahen Bühnennebel scheinen die Protagonisten, die sich an ihre Plastikliegen klammern wie an Holzbalken nach einem Schiffsunglück, wirklich zu ertrinken. Gedankt wird dem Bademeister sein Engagement für die alten Werte überhaupt nicht. Gerade hat er noch einen saftigen Spruch geschwungen für die Thermen als Sanitätsanstalten für den Geist – "kein öffentliches, ein Diskurs-Bad!" – da machen sich die anderen schon wie die Kannibalen über ihn her: "Das hier war bloß ein Fisch / wir sind sein Wasser nicht / Wir sind uns selbst Wasser genug", skandiert der Chor.

Der thermale Widerstand
von Ferdinand Schmalz
Österreichische Erstaufführung
Regie: András Dömötör, Bühne und Kostüme: Monika Annabel Zimmer, Musik: Tamás Matkó, Dramaturgie: Elisabeth Geyer.
Mit: Nico Link, Anna Szandtner, Fredrik Jan Hofmann, Raphael Muff, Silvana Veit, Florian Köhler.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus-graz.com

 

Kritikenrundschau

"Schmalz erklärt die Therme zum Modellbetrieb der um sich greifenden Profitmaximierung. Aus dieser gibt es, Schwefelwasser sei Dank, praktisch kein Entrinnen", schreibt Ronald Pohl im Standard (23.4.2017). Der Fabel sei als Gleichnis nicht über den Weg trauen. Dafür zeige sich ein exakt geführtes Ensemble in prächtigster Übertreibungslaune.

"Dömötör gelingen unglaublich absurde Slapstick-Szenen, die in einem Showdown zu den Geräuschen eines Lichtschwert-Kampfes aus 'Star Wars' münden", freut sich Thomas Trenkler vom Kurier (24.4.2017). Das gesamte Ensemble spiele mit größtmöglicher Begeisterung.

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