Streit um Defizit der Oper Halle
Misswirtschaft oder Kampagne?
3. Mai 2017. Als "Fass ohne Boden" bezeichnet die Mitteldeutsche Zeitung (24.4.2017) aus Halle die städtische Oper. Binnen eines dreiviertel Jahres, so die Zeitung, habe die neue Opernführung um Florian Lutz das Haus in eine bedrohliche Lage gebracht.
Misswirtschaft?
Von Januar bis Ende April 2017 sei die Zuschauerzahl von 34.500 auf 20.500, die Einnahmen der Oper von 600.000 auf 333.000 Euro (44%) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken. Weil auch der 2014 zwischen Stadt, Land und Theater vereinbarte Stellenabbau in Verzug geraten sei, werde für das laufende Geschäftsjahr eine "Deckungslücke von 1,5 Millionen Euro" prognostiziert.
Kampagne?
Die Leitung der Oper dagegen spricht von einer undifferenzierten Debatte, in der unterschiedliche ästhetische und künstlerische Positionen noch nicht genügend berücksichtigt seien. Die ungewöhnliche Häufung kritischer Artikel und Kommentare, die im April in schneller Abfolge in der Zeitung erschienen, verhindere eine ernsthafte Auseinandersetzung über die mit dem Leitungswechsel vollzogene "programmatische und künstlerische Neuausrichtung" des Hauses.
Übliche Differenzen
Gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk erklärte Opernchef Florian Lutz: "Wir gehen natürlich davon aus, dass in der ersten Spielzeit nach einem Intendanzwechsel mit einer großen ästhetischen Veränderung, Schwankungen sowohl bei Besucherzahlen als auch bei Einnahmen passieren können."
Strukturproblem
Ohnehin ist die Theater-, Oper-, Orchester GmbH Halle (TOOH) schon seit Jahren in einer schwierigen Lage. Im Fördervertrag zwischen Stadt und Land war der Landeszuschuss für die TOOH ab 2014 von zwölf auf neun Millionen Euro gesenkt worden. 21 Millionen des 33 Millionen-Etats kommen von der Stadt, drei Millionen Euro erwirtschaftet das Theater selbst. Das Theater ist gezwungen, Stellen, insbesondere im Orchester, abzubauen. Der Darstellung der Zeitung, er sei beim Abbau von im Jahre 2013 ursprünglich 480 Stellen auf 419 Stellen im Jahr 2019 in Verzug geraten, widerspricht allerdings der Theater-Geschäftsführer Stefan Rosinski. Mit derzeit 459 Stellen liege man im Zeitplan, sagte der Manager gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung.
Differenzierung
In einer öffentlichen Erklärung erläuterte die Opernleitung inzwischen weitere Gründe für den Zuschauer- und Einnahmerückgang: Anders als im Vorjahr würden in diesem Jahr die Besucher kostenloser Veranstaltungen nicht als Zuschauer verbucht. Die Einnahmen fielen auch deshalb geringer aus, weil sich zu einem durchaus gewollten, größeren Anteil von Schüler*innen und Student*innen im Publikum zu entsprechend niedrigeren Eintrittspreisen ein Rückgang in der Anzahl "lukrativer" Gastspiele im Vergleichszeitraum ergeben habe. Weil aber die Spielzeit, in der die attraktiven Händel-Festspiele bevorstünden, noch gar nicht beendet sei, könne man die Zahlen nicht seriös vergleichen.
Neues Dukatengrab
Während die Opernleitung für den 14. Mai "alle interessierten, enthusiastischen und kritischen Zuschauerinnen und Zuschauer" einlädt, "die neusten künstlerischen Entwicklungen" zu diskutieren, sieht die Mitteldeutsche Zeitung ein Höchstmaß an "Arroganz und Ignoranz" am Werke. Denn kaum sei das (voraussichtliche) Defizit bekannt geworden, plane die Oper Halle bereits ein neues "Dukatengrab". Sie denke darüber nach, ein leer stehendes ehemaliges Interhotel, das zuletzt als Flüchtlingunterkunft gedient hatte, für drei Monate als Spielstätte zu nutzen. Viel zu teuer und unangebracht, kommentiert die Mitteldeutsche Zeitung dieses Vorhaben.
Notfonds
Dass dieses Geld – rund eine halbe Milllion Euro schreibt die Zeitung, eine Zahl, die wiederum die Stadt Halle dementiert –, falls es wirklich benötigt werden sollte, zur Hälfte von der Bundeskulturstiftung kommen soll, dass außerdem im Jahre 2014 ein Notfonds für einen "sozialverträglichen Stellenabbau und die Finanzierung von Abfindungsregelungen" angelegt worden war, in dem sich noch 5 Millionen Euro befinden sollen, über deren Verwendung Stadt und Land derzeit verhandeln, dämpft den Furor der Zeitung kaum. Statt teurer Sonderprojekte empfiehlt sie den Künstlerinnen "Mäßigung und Sparsamkeit".
(www.mz-web.de / mdr.de / jnm)
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Das passiert doch nicht aus Versehen. Die werden doch nicht von Journalisten vom Tisch des Geschäftsführers gestohlen. Welchen Weg nehmen diese Zahlen dann, und warum immer nur zu dem einen Journalisten, der von opportunistischer Schlichtheit und Mäßigung schwafelt. Ist das die Zukunft der Kunst, Mäßigung? Ich vermisse hier einen Aufschrei der Verteidiger der Freiheit der Kunst, die durch Mäßigung nicht mehr gegeben sein kann.
Ein solches Vokabular erinnert mich an dunkle Zeiten...
Ich habe über 30 Jahre am Theater gearbeitet. Soviel kann ich sagen, es gibt immer nur eine Person am Theater, die Frau/Herr über die Zahlen ist, und nur diese eine Person kann steuern, was mit diesen Zahlen passiert.
Ob dies dann lauteres Geschäftsgebahren eines ehrbaren Kaufmanns ist, wage ich zu bezweifeln. Werden Zahlen absichtsvoll von einer kaufmännischen Position aus lanciert, verstößt dies gegen die Regeln des ehrbaren Kaufmanns. Dann wäre in der nächsten Aufsichtsratssitzung eine Abmahnung für die Geschäftsführung zu erwirken. Das sagt das Recht.
Der Kaufmann ist dafür verantwortlich, dass im Haus vertrauensvoll mit Zahlen umgegangen wird. Das ist das eine.
Das andere:
Wieso prüft der Hallensische Journalist diese Zahlen nicht, und checkt die Argumentation bei den Betroffenen nicht gegen - wäre das nicht fairer Journalismus? Also können wir doch nichts ernst nehmen, von dem wir nicht wissen, ob es überhaupt stimmt.
Zum obigen Bericht.
Es fehlen Anmerkungen, wie
1) Zahlen darf man nur spielzeitbezogen besprechen.
2) Es müssen echte Vergleichsmöglichkeiten geschaffen werden, also unter Abzug der Schummeleien, die es offensichtlich in den Vorjahren gegeben hat.
3) Die Zahlen müssen von der Opernleitung kommentiert werden.
4) Von Dukatengrab zu sprechen finde ich sehr problematisch. Sind wir nicht glücklich über jede neue Spielstätte, mit der ein Theater eine Stadt erobert?
Und letztens:
Hier sollte doch noch einmal über dieses sinnlose Konstrukt der Hallenser Theater GmbH nachgedacht werden. Seit der Wende haben die ostdeutschen Länder über 40 Theater verloren, die meisten durch Schließung, und einige durch Fusion, wie hier in Halle.
Die Hallenser GmbH ist ein Konstrukt, bei dem die Intendanten der Häuser nicht einmal einen Platz in der Geschäftsführung haben. Das ist einmalig in Deutschland, und erinnert an Konstrukte von kommunalen und Landes-GmbH in der Verkehrs-, Wasser- und Wegewirtschaft, jedoch nicht an Theater.
Die Intendanten der Häuser müssen in die Geschäftsführung, weil sie ansonsten nicht über die Strategie der Theater und deren Zukunft mitsprechen können. Im Prinzip hat der ehemalige Geschäfstführer Stiska der Stadt einen Bärendienst erwiesen, sie zu einem solchen Modell zu überreden, in dem der GF im Prinzip allmächtig ist. Das sollte zügig rückgebaut werden. Dann wären alle Intendanten und der Kaufmann gleichberechtigte Geschäftsführer und Entscheidungen müssen im Konsens errungen werden. Soweit mein Vorschlag.
dem ist nichts hinzuzufügen! vielen Dank für Ihre Ausführungen. Die Kampagne gegen das Haus ist schmutzig seitens der mitteldeutschen Zeitung!
Von einem Höchstmaß an Arroganz und Ignoranz ist bei der Mitteldeutschen Zeitung die Rede, man ignoriert aber selbst die künstlerische Leistung der Oper. Was Arroganz ist, mag im Auge des Betrachters liegen. Ich habe an der Oper Halle keinerlei Arroganz erlebt, sondern ein offenes, aufgeschlossenes Leitungsteam, das am Dialog mit dem Publikum interessiert ist und mit dem man nach den Vorstellungen schnell ins Gespräch kommen kann.
Ich wünsche dem Leitungsteam der Oper Halle weiterhin viel Erfolg bei der Arbeit und werde diese mit großem Interesse weiter verfolgen.
Letztlich kann ich mich den Gedanken von A. Cotard nur anschließen. Lasst diesem jungen Team in Halle Luft! Die erste Spielzeit ist noch nicht einmal vorbei. Neues braucht Zeit. Da sind Leute, die mit Enthusiasmus eine zeitgenössische Oper denken und versuchen und schon sollen sie niedergemacht werden. Man muss im Sinne der Kunst hoffen, dass die Stadt Halle das Geschäftsführermodell der Hallenser Theater GmbH grundlegend neu ausrichtet. Die Intendanten gehören in die Geschäftsführung und müssen auf einer Ebene mit dem Geschäftsführer agieren. Andere Theater GmbHs machen es erfolgreich vor.
Das betrifft aber nicht nur Zeitungen oder ähnlich Meinungen manipilativ verbreitende Medien . Und nicht nur Mitteldeutschland.
Kunst und Kultur werden aus öffentlichen Mitteln finanziert und das ist auch gut so. Die Geldgeber entscheiden nicht darüber, welche Inhalte und Formen dies Kultur haben muss, das ist noch besser so !
Kulturschaffende sind frei in der künstlerischen Gestaltung und Umsetzung.
Die Gelder, di Ihnen dafür zu Verfügung stehen, sind Steuergelder.Daher haben diese Kulturschaffenden eine Verantwortung zum sorgsamen Umgang mit diesen Geldern.
Wer weniger einnimmt, kann nicht mehr ausgeben!
Bevor der Sturm losgeht: Ich finde den Neustart von Florian Lutz und seinem Team künstlerisch gelungen. Aber wenn ich die Anzahl der Zuschauerplätze drastisch reduziere, muss ich auch überlegen, wie ich diesen Einnahmeverlust wieder ausgleichen kann. Wenn mehr junge Menschen ins Theater kommen, ist das toll, die Einbußen beim Ticketverkauf muss ich aber bei weiteren Planungen berücksichtigen.
Das Stadttheater in Deutschland ist eben beides: Ort des künstlerischen Prozesses, des Diskurs und des Aufbruchs einerseits, eine aus Steuermitteln geförderte Institution andererseits. Deshalb ist es vielleicht auch so schwer in Deutschland ein Theater erfolgreich zu leiten.
Und falls Sie sich nicht zufällig nach jenem Namensvetter benannt haben sollten, der meinem hinterrücks und in aller Freundschaft die Frau ausgespannt hat, so betrachten Sie den bitte nicht als Vorbild: Als der sich nach Zürich absetzte, war das nicht nur Fahnenflucht und ein Verdrücken vor politischer Strafverfolgung, sondern gleichzeitig ersparte er sich das Abstottern seiner Schulden in Höhe einiger Dutzend damaliger Durchschnittsjahresgehälter. Dazu wollen wir doch heutige Intendanten doch nicht zwingen, zumal Zürich ja schon ein paar Intendanten hat, denken Sie nicht?
Eine interessante Koinzidenz des Falls in Halle. Ich wiederhole die bereits gestellte Frage: Wer lanciert die Zahlen und mit welchem Interesse?
Genau. Rosinski war in Rostock nur günstig für den Etat des Theaters, aber gefährlich für die Kunst und die Künstler, für den Erhalt von Sparten, für seinen Mitgeschäftsführer. Loyalität scheint stets ein Fremdwort für ihn zu sein.
... und das mit holländer, tosca und mahagonny auf dem spielplan ... Halle sollte nächstes jahr carmen, traviata und die zauberflöte spielen, wenn die zuschauer immer noch wegbleiben, vielleicht liegt es dann doch an der künstlerischen qualität, die die hallenser einfach nicht anspricht.