Insgeheim Lohengrin - Am Residenztheater München streckt Alvis Hermanis die Hand zur Versöhnung aus
Du holde Kunst
von Willibald Spatz
München, 5. Mai 2017. Zweifellos ist das Setting einigermaßen grotesk: Fünf Personen gesetzten Alters treffen sich in einer über Airbnb angemieteten Wohnung. Sie kommen getrennt, sie gehen getrennt, sie wissen nichts voneinander außer ihren Namen. Dabei geht es um nichts Sexuelles, um nichts Schändliches – sie kommen zusammen, um Wagner zu hören. Alle seine Opern haben sie durch, nur "Lohengrin" fehlt noch. An jedem Abend ein Akt. Drei letzte Abende werden sie also noch gemeinsam verbringen und dann für immer getrennte Wege gehen. Doch, wenig überraschend, sie kommen über die Musik ins Reden und stellen fest, dass sie mehr gemeinsam haben als ihre Wagner-Liebe. Sie sind alle irgendwie vom Leben geprellt worden, schrecklich einsam und suchen nun Zuflucht in der Kunst.
Aus dieser Ausgangssituation hat der Regisseur Alvis Hermanis am Residenztheater zusammen mit Schauspielern und einem Dramaturgen ein Stück entwickelt. Sie verwenden dazu Geschichten, die die Beteiligten einbringen. Aus Versatzstücken und Ideen entstehen im Lauf einer solchen Stückentwicklung plastische Figuren und ein erzählerisches Ganzes, im Idealfall. In diesem speziellen Fall sind die Monologe und Berichte der Figuren aus ihren Leben auffällig harmlos und demonstrativ unpolitisch. Im Programmheft wird diese Methode "Neobanalismus" genannt.
"Niemand sollte mich als Fremden erkennen"
Verdächtig ist das in zweierlei Hinsicht. Zum einen wurde gerade "Lohengrin" im Nationalsozialismus ideologisch ausgiebig missbraucht, Adolf Hitler identifizierte sich mit der Heilsbringerfigur. Auf der anderen Seite ist der lettische Regisseur Alvis Hermanis selbst eine umstrittene Person geworden, nachdem er 2015 eine Inszenierung am Thalia Theater Hamburg abgesagt hatte, weil er nicht mit dem humanitären Engagement des Theaters für Geflüchtete in Verbindung gebracht werden wollte. Das führte zu heftigen Auseinandersetzungen. Auch er selbst meldete sich noch mal zu Wort, fühlte sich aus dem Zusammenhang heraus zitiert und allgemein missverstanden.
"Insgeheim Lohengrin" ist nun seine erste Arbeit in Deutschland seitdem und wirkt ein bisschen wie ein Versöhnungsversuch, eine Einladung zur gemeinsamen Flucht in die Kunst, die völkerverbindend allen offen steht. Ganz ohne die Debatte anzuschneiden geht der Abend nicht vorbei. Etwa in der Mitte spricht der von Wolfram Rupperti gespielte Eskil, als Norweger der einzige hier mit einem Migrationshintergund, von seinen Integrationsbemühungen: "Als ich aus Norwegen weggegangen bin und beschlossen hatte, Deutscher zu werden, wollte ich die Sprache so gut lernen, dass ich ohne Akzent spreche. Niemand sollte mich als Fremden erkennen." Er habe nicht die Bedeutung der Worte gelernt, sondern deren Klang. Nun folgt die Aufzählung des Wortes "Ohr" in verschiedenen Sprachen, auch auf Afghanisch. Thema im Schnelldurchgang erledigt – aber auch in Wagners Oper verlangt ja Lohengrin von Elsa, dass sie ihn nie nach seinem Namen und seiner Herkunft frage, andernfalls werde er sie sofort verlassen.
Bizarre Opern-Reenactments
Dass der Abend insgesamt zu einer eher lauen Veranstaltung verkommt, liegt aber nicht allein am Herumschleichen um den heißen Brei. Von der Struktur her lehnt er sich mit drei Akten an "Lohengrin" an, auch inhaltlich sucht er immer wieder Parallelen in der Opernhandlung. Zu Beginn huschen die fünf in den extrem naturalistisch als Wohnküche eingerichteten Bühnenraum. Hier fragt man sich noch, wer hinter dem etwas nachlässig gekleideten, aber doch so akkurat agierenden Herrn, den Paul Wolff-Plottegg darstellt, steckt. Oder wer diese esoterisch angehauchte Dame ist, als die Ulrike Willenbacher danach hereinschleicht. Dieser Zauber hält an, bis das erste Wort gesprochen wird. Zunächst wird munteres Halbwissen zu Wagner und seinen Opern hervorgekramt, über beste Interpretationen diskutiert. Später werden prägende Erlebnisse der Vergangenheit referiert. So vergeht der erste Akt.
Im zweiten werden eigenartige Erlebnisse und Lieblingsrestaurants behandelt. Um im dritten Akt werden die Materialreste verwertet, also die Beziehungen und Lieblingssongs. Diese werden auch vorgesungen, eine ordentliche Fallhöhe von Wagner zu Heiners beziehungsweise Manfred Zapatkas "Born to be Wild". Das ist genauso witzig wie schmerzhaft anzusehen und anzuhören, auch ohne Wagner-Fanatiker zu sein. Noch bizarrer sind nur die Opern-Reenactments, die die fünf veranstalten. Charlotte Schwab liegt als Ortrud mit Reclam-Heft und Paul Wolff-Plottegg im Bett. Düster haut sie ihren Text zu dräuender Musik, die die sitzenden Männer mit Luftcelli orchestrieren, in den Raum. Freilich kann man darüber auch lachen, wenn man muss.
Das grundlegende Problem ist, dass aus diesen Einzelteilen kein Ganzes entsteht. Die fünf Figuren bleiben zweidimensional und uninteressant, so sehr die Schauspieler*innen auch versuchen ihnen Leben einzuhauchen. Direkt schade um die Zeit, in der man fast auch den ganzen Original-"Lohengrin" hätte anschauen können.
Insgeheim Lohengrin
von Richard Wagner, Alvis Hermanis, Götz Leineweber, Wolfram Rupperti, Charlotte Schwab, Ulrike Willenbacher, Paul Wolff-Plottegg und Manfred Zapatka
Regie und Bühne: Alvis Hermanis, Mitarbeit Bühne: Bärbel Kober, Kostüme: Cátia Palminha, Musikberatung: Rudolf Gregor Knabl, Licht: Markus Schadel, Dramaturgie: Götz Leineweber.
Mit: Wolfram Rupperti, Charlotte Schwab, Ulrike Willenbacher, Paul Wolff-Plottegg, Manfred Zapatka, Enrico Pollato.
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause
www.residenztheater.de
Kritikenrundschau
Hermanis führe "eine Gruppe mittelalter Menschen vor, die irgendwie anders sind als der Rest der Gesellschaft", schreibt Bernd Noack auf Spiegel online (7.5.2017). "So, wie Hermanis mit seinem konservativen Gedankengut aneckte und mehr oder weniger ausgeschlossen wurde aus gewissen ('linken') Kreisen, so fühlen sich auch diese drei Männer und zwei Frauen fremd in einer Welt, die sie nicht mehr verstehen." Von Akt zu Akt menschele es mehr, "wenn da von Schrullen und Einsamkeiten gesprochen wird, von putzigen Angewohnheiten und verpassten Lieben, von Absurditäten des Alltags, traumatischen Erinnerungen und intimen Banalitäten. Und das ist ja auch ganz nett, und die Gefühle schwappen, aber eben doch auch entsetzlich harmlos, bald betulich und am Ende nur noch lähmend langweilig."
Simon Strauss schimpft in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (8.5.2017): Das "einzig Verführerische" an diesem Abend sei der Titel. Hinter dem sich ein "Szenenkompott" verberge, "selbstgemacht vom Regisseur und seinen Schauspielern" und "schwer zu ertragen in seiner schamlosen Einfältigkeit". Was geboten worden sei, grenze ans "Debile", "pseudointellektueller Halbboulevard ohne Sinn für Handlungsaufbau oder Situationskomik", eine "langweilig-unbedarfte Abendschulstunde über die 'Drogenwirkung von Musik' ", eine "hanebüchene Arroganz der Arglosigkeit".
Vielleicht verstehen die Kolleginnen Theaterkritiker zu wenig vom "Lohengrin"? Das legt jedenfalls Reinhard Brembecks Kritik, er ist der Musikkritiker der Süddeutschen Zeitung (8.5.2017), nahe: Brembeck hat einen "unendlich melancholischen Abend" gesehen. Es sei "herrlich" Wagners Texte von diesen "grandiosen Schauspielern" rezitiert zu hören. "Wie viele Nuancen und Untergründigkeiten stecken da drin, die gesungen gar nicht zur Geltung kommen können." Hermanis wirke bei dieser radikalen Konzentration auf den Text "völlig gelöst, weil befreit von den gängelnden Zwängen der Musik". Ganz konsequent hätten der Regisseur und seine Spieler "Wagners Plot in kleine belanglose Alltäglichkeiten aus dem Münchner Heute" übersetzt. Für "Lohengrin"-Kenner sei "die Rückübersetzung ein großes Vergnügen", das den "Nichtkennern" entgehe. Für sie dürfte "Insgeheim Lohengrin" kaum mehr als "eine unzusammenhängende Sammlung von brillant gespielten Minidramoletten" sein.
Einerseits singe Hermanis in "Insgeheim Lohengrin" das Lied von der Kunst als eskapistischer Freizeitform, andererseits erfahre man kaum, was Wagner und "Lohengrin" mit diesen fünf Personen zu tun haben, "außer dass er ihnen offenbar ein bildungshuberisches Entrücktheitserlebnis für Minuten verschafft", so Mirko Weber in der Zeit (11.5.2017). Hermanis lasse unter der Oberflächenkonversation und -rezitation die Ambivalenz der "Lohengrin"-Rezeption "ein bisschen anklingen, um gleich wieder im mitunter fast ohnsorghaften Bühnenbetrieb die Spuren zu verwischen". Kurz: "Es streicht ein semirealistisches Daseins-Weh durch diese Übung, die keinen groß schmerzen muss."
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