Presseschau vom 10. Mai 2017 – Die Zeit schreibt über die reaktionäre Kultur- und Theaterpolitik in Polen

Blinde, wilde Zerstörungswut

Blinde, wilde Zerstörungswut

10. Mai 2017. Ein überaus besorgten Artikel über die Kultur-, insbesondere die Theaterpolitik in Polen schreibt Tomasz Kurianowicz in der Zeit 19/2017 (3.5.2017).

Erinnerungen an 1968

Der Kulturkampf zwischen den liberalen Bühnen Polens und der konservativen Regierung erinnere "auf paradoxe Weise an das polnische Protestjahr 1968". Damals sei es nach der Absetzung von Adam Mickiewiczs Nationaldrama "Die Totenfeier" am Nationaltheater Warschau zu Protesten gegen die Regierung gekommen. "Das Regime reagierte mit ganzer Härte und setzte eine Säuberungsaktion an Theatern, Universitäten und Institutionen durch."

50 Jahre danach Mickiewiczs Totenfeier am Teatr Polski in Breslau abgesetzt worden. Die Aufführung sei Opfer eines Machtkampfs zwischen Kulturminister Piotr Gliński, einem "patriotischen Katholiken", und den "linksliberalen Theaterkräften im Land" geworden. "Das Paradoxe: Gliński hätte noch 1968 für die Kunstfreiheit protestiert. Heute ist er vom subversiven Freiheitskämpfer" zum autoritären Politiker aufgestiegen.

Wrocław

Das Breslauer Theater sei bis 2016 von dem international gefeierten Regisseur Krzysztof Mieszkowski geleitet worden. "2016 musste er abdanken und den Stuhl für Cezary Morawski räumen, ein konservatives Fliegengewicht aus der zweiten Garde der Theaterwelt". Der neue Direktor sei vor allem für seine "altväterlichen Rollen in Vorabendserien" wie "M jak Miłość" ("L wie Liebe") bekannt. Morawski habe im Sommer 2016 alle "widerspenstigen Schauspieler" entlassen und nurmehr "kleine, lieblos inszenierte Einakter, Dramolette und Gastspiele von Privattheatern" geboten.

Teile des Ensembles hätten sich daraufhin geweigert, aufzutreten. Vergangene Woche hätten Lokalpolitiker beschlossen, den Direktor fristlos zu entlassen. Doch das Kulturministerium habe für den Fall mit der Streichung der Förderung des Theaters gedroht.

Aus Gegnern werden Verbündete

Der neue Direktor werde durch zwei einander eigentlich feindliche Politiker gestützt. Vom rechten Kulturminister Gliński und dem "Ex-Kommunisten Tadeusz Samborski, einem Landespolitiker der Bauernpartei PSL, der in Niederschlesien über die Kultur bestimmt".

Eigentlich müsse Gliński den polnischen Ex-Botschafter in Vietnam bekämpfen, doch sei es ihm wichtiger, das "kritisch-liberale Theater in Breslau vor die Wand zu fahren". Da der Kulturminister sich nur "beratend einmischen darf, war er auf die Hilfe des reaktionären Lokalpolitikers angewiesen, der seit Längerem geplant hatte, seinen alten Freund Morawski auf den Chefposten zu setzen".

Die Kulturkritik der Regierungspartei äußere sich in "einer blinden, wilden Zerstörungswut". Die erwachse aus einem tief sitzenden "Unbehagen der Nationalisten gegenüber einem westlich geprägten, aufklärerisch-laizistischen Wertesystem, das als liberaler Brutplatz einer verbrämten Globalisierung gilt". Deshalb setze der PiS auf eine Entlassungswelle von unbekanntem Ausmaß.

Hand- und Spanndienste der Opposition

Erschwerend hinzu komme das "Versagen der Oppositionspartei". Die Bürgerplattform von Donald Tusk, die PO, habe während ihrer acht Regierungsjahre die "Schulen und die Kultur finanziell beschädigt". Diese "Schwächung der Strukturen" erleichtere es dem PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński nun, die "Gleichschaltung der Institutionen wie der Zivilgerichte und des Verfassungsgerichts ohne große Widerstände voranzutreiben". Zugleich würden Fördergelder nur "an jene Kultureinrichtungen verteilt, die sich für eine patriotische, nationalistische und katholische Kunst einsetzen".

Auch seien erste Effekte einer Bildungsreform bereits erkennbar, mit der eine ganze Generation neu erzogen würde: "Die Unterstützung für die PiS bleibt hoch, die Angst vor ausländischen Kräften, Flüchtlingen und Biogemüse wächst. Wer den ganzen Tag im staatlichen Fernsehen Militärparaden sieht, im Theater zahnlose Komödien vorgesetzt bekommt und in den Kinos von Verschwörungstheorien hört, der geht mit dem Gefühl ins Bett, hinter den Landesgrenzen warte tatsächlich der Feind."

Nicht nur setzten die Oppositionellen diesem Treiben keinen ausreichenden Widerstand entgegen, sie nutzten die Säuberungen sogar ihrerseits, "um kritische Theaterdirektoren zu feuern und stattdessen harmlose Kompromisskandidaten einzustellen".

(jnm)

Mehr zu diesem Thema steht in unserem Theaterbrief aus Polen (13), in dem Anna R. Burzyńska im Februar 2016 fragte: How Polish theatre is affected by the PiS-government's rightwing populism?

Sowie in unserem Theaterbrief aus Polen (14), in dem Iwona Uberman im Oktober 2016 die Vorgänge am Teatr Polski in Wrocław / Breslau beleuchtete.

Sowie in unserem Theaterbrief aus Polen (15), in dem Natalia Staszczak-Prüfer im März 2017 den Skandal um Oliver Frljić' Inszenierung von "Klątwa" ("Fluch") in Warschau analysierte.

 

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