Akzent

von Teresa Präauer

Erwähnungen des Wortes "Akzent" auf nachtkritik.de bisher: 444 Mal

11. Mai 2017. Ich gebe das Wort "Akzent" in die Suchmaschine von nachtkritik.de ein und stoße zum Beispiel auf Alvis Hermanis' aktuelle Inszenierung am Münchner Residenztheater, und die Ergebnisse dieser Suchmaschine lassen jetzt den Schauspieler Wolfram Rupperti in seiner Rolle noch einmal sagen: "Als ich aus Norwegen weggegangen bin und beschlossen hatte, Deutscher zu werden, wollte ich die Sprache so gut lernen, dass ich ohne Akzent spreche. Niemand sollte mich als Fremden erkennen."

Ich bin in Amerika und lese, in der brütenden Sonne der Prärie sitzend, ein Buch. Dieses Buch ist ein französischsprachiges aus den späten 50er Jahren, es wurde ins Englische übersetzt und seit den 60er Jahren bis zum Ende der 70er aus der Grinnell College Library sechs Mal ausgeliehen. Nicht oft, für einen sogenannten Bestseller.

kolumne 2p praeauerMir steht der Sinn nach Hauptsätzen. Ich bin seit sechs Wochen hier und habe Angst, meine Sprache zu verlieren. Ich surfe und turfe durch deutschsprachige Zeitungen und Magazine und wieder ploppt die Leitkultur auf. Ich kaue daran, und das Deutsche mischt sich mit dem Englischen wie das Steak mit den Garnelen, das ich beim hiesigen Ägypter gegessen habe. Eine Sprachverwirrung macht sich in meinem Schreiben und Denken breit, und dazwischen tickern die neuesten Meldungen aus Frankreich vom oberen Rand des Laptop-Monitors an den unteren.

Ich sitze lesend in der brütenden Sonne der Prärie und, da mir heiß ist, steht mir der Sinn nach Wort- und Satzwiederholungen. Menschen gehen vorbei und grüßen, als würde man einander kennen. Das ist die Freundlichkeit der Menschen in Iowa. Sie lächeln stumm und wie ertappt, wenn man ihnen entgegenstapft auf den ramponierten Gehwegen dieser Kleinstadt.

Mir steht der Sinn nach Tappen und Stapfen, aber ich will diese Wörter heute bloß schreiben oder sagen, denn heute will ich mich nicht mehr bewegen. War das nicht Ilse Aichinger, die einmal schrieb, sie weigere sich fürderhin, Zusammenhänge herzustellen? Der Akzent, die Sprachverwirrung, Hermanis, die Leitkultur, die Wahlen in Frankreich, die brütende Sonne der Prärie. Can’t and Won’t.

Ein Afroamerikaner stapft vorbei, er fragt mich, ob das Buch, das ich lese, gut sei. Ich sage, ja, easy. Ich finde es einfach, aber auch klar, kompakt, elegant. Es tut naiv, dieses kleine französische Büchlein in meinen Händen. Worum es denn gehe, fragt er mich. Ich sage, hm, Couples. What is your Accent?, fragt er weiter. Ich sage: Austria. Hm. See you, sagt er freundlich grüßend und tappt seines Weges.

Gestern wurde ich dasselbe gefragt. Ich radelte nachts durch die Kleinstadt. Alles hatte geschlossen, nur bei Taco John’s blinkten noch die roten und gelben Lichter der Reklame für West-Mex, eine der vielen Ideen des Midwest vom Essen hinter der möglichen Border Wall. Am 5. Mai, Cinco de Mayo, vor wenigen Tagen, postete der Twitterpräsident ein Foto von sich selbst beim Essen einer Taco Bowl und warb für das Essen im Grill seines Towers.

Ich stehe mit meinem Fahrrad vor Taco John’s und lese die Speisekarte. Beim Hintereingang hocken zwei Jungs in Taco-John’s-Arbeitskleidung und rauchen. Sorry, rufen sie mir zu, wir sind ein Drive-in und dürfen nur Kunden bedienen, die mit dem Auto kommen. Gibt's hier noch irgendwas anderes to take away?, frage ich. McDonalds, sagt einer von ihnen, ist aber leider eine Meile entfernt von hier. Das wird dann wohl ein Diät-Abend, antworte ich. Sorry, young Lady, sagen sie, und: Welche Sprache sprichst du? German, antworte ich. Ah!, ruft einer der Jungs, guten Morgen, guten Abend, gute Nacht, Prost! Hey, wieso kannst du Deutsch?, frage ich. Ich hatte mal eine Freundin aus Deutschland, sagt er, jetzt wieder auf Englisch. Das waren die Phrasen, die er konnte. Und, eine noch: Was ist da los? Ich muss lachen. Wir verabschieden uns. Beim Weiterfahren denke ich darüber nach, wieso er ausgerechnet sagen konnte: Was ist da los? Wie war die Beziehung des Taco-John's-Typen zu seiner deutschen Freundin? Was war denn da los?

Als ich aus deutschsprachigen Landen weggegangen bin und beschlossen hatte, für zwei Monate wieder in Amerika zu leben, wollte ich die Sprache diesmal so gut lernen, dass ich ohne Akzent sprechen würde. Niemand sollte mich als Fremde erkennen. Ich wollte englischsprachige Bücher lesen und die Tagesnachrichten auf MSNBC schauen. Ich wollte die New York Times lesen und Lydia Davis, nämlich Can't and Won't. Dann rutschte mir wegen des Besuchs einer Aufführung das Deutsche Requiem dazwischen, denn alles Fleisch, es ist wie Gras. Je besser ich die Sprache von Mal zu Mal beherrschte, desto irrer wurde ich in und von ihrem Gebrauch. Ich mochte auf die Frage nach dem Woher antworten: Mein Akzent ist Traurigkeit, mein Akzent ist Zuversicht, mein Akzent ist Jeden-Tag-Aufstehen, mein Akzent verliert sich und verirrt sich im Sprachgetümmel dieses Colleges.

 

Teresa Präauer ist Autorin und lebt aktuell wieder in Iowa / USA. Ihre Bücher erscheinen im Wallstein Verlag und wurden vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erschien der Roman "Oh Schimmi" und, unter ihrer Herausgeberschaft, "Poetische Ornithologie" als Ausgabe der Neuen Rundschau im Fischer Verlag. In ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" denkt sie über die Einzelteile nach, aus denen Theater sich zusammensetzt.

 

Zuletzt schrieb Teresa Präauer in ihrer Kolumne "Zeug & Stücke" über Gründe, (k)eine Kolumne zu schreiben.

 

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