Podcast - Ensembles: Wie wichtig ist Diversität auf der Bühne?
Der blinde Fleck
2. Juni 2017. Wie halten sie's mit den Schauspieler*innen? Diese Frage kam immer wieder auf im Zuge der Debatten um die beiden neuen Intendanzen in Berlin. Ohne festes Ensemble starten an der Volksbühne Chris Dercon und Marietta Piekenbrock in die nächste Spielzeit. Oliver Reese versammelt am Schiffbauerdamm eine Riege hochkarätiger Spieler*innen, allerdings mit monochronem Hintergrund. Wie viel Diversität ein Stadttheater-Ensemble nötig hat, diskutieren Nikolaus Merck und Elena Philipp im Podcast.
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(Lieber Herr Waßmann, sagte ich nicht gerade genau dies? Die Leute gehen wegen der Schauspieler. Ja. aber die ästhetische / inhaltliche Linie wird nicht von den Schauspielern geprägt. Binnen der letzten 100 Jahre immer weniger. Vielleichti st das unterkomplex, weil das ensemble eben genau Schauspielerinnen und Kostümbilderinnen und Bühnenbauer und Regisseurinnen umfasst? Was denken Sie?)
Und das ist doch im Grunde genommen, genau das was an den Produktionshäusern (passenderer Begriff als frei Szene) passiert, nur ohne (!) das Leute zusammenarbeiten müssen, die kein Interesse aneinander und am verortneten Stück/Stoff haben (was meistens der Grund für viele mislungene oder äusserst mittelmässige Stadttheaterproduktionen ist)
(Und ist übrigens auch rassistisch. Das einzige, was People of Color teilen, sind Erfahrungen mit Rassismus. Sonst gibt es den Professor*innensohn aus Bielefeld genauso wie das tamilische Kind der Reinigungsfachkraft, das erst vor drei Jahren nach Deutschland gekommen ist.)
Ein Ensemble sollte aus einem anderen Grund nicht zu "weiß" sein:
Wir leben in einer Gesellschaft, die strukturell rassistisch ist. Dafür spricht die Tatsache, dass auch Nikolaus Merck, auch ich, erst auf den zweiten Blick überhaupt bemerken, dass alle Schauspieler*innen weiß sind.
Und wir (Wir = weiße Mehrheitsgesellschaft) reproduzieren im Theater diese Schieflage, wenn wir immer nur weiße Schauspieler*innen besetzen. Wir reproduzieren sie auch, wenn wir PoC nur Rollen spielen lassen, die anscheinend etwas mit ihrer Hautfarbe zu tun haben. Wir erhalten Sehgewohnheiten aufrecht, in denen PoC nicht vorkommen, nichts erzählen, nichts zu sagen haben.
Und noch simpler geht es um ökonomische und künstlerische Teilhabe. Wenn Oliver Reese keine PoC-Schauspieler*innen einstellt, dann haben PoC-Schauspieler*innen auch schlechtere Chancen, Jobs zu bekommen.
Ein Theater wie das BE ist diesbezüglich in einer besonderen Verantwortung, weil kleinere Bühnen möglicherweise dem Beispiel folgen und weil das BE Bilder erzeugt, die eine größere Reichweite haben.
(Lieber J.A., wir würden ja auch gerne, aber manche Dinge kosten einfach viel Zeit. Die wir dann wieder für andere Sachen brauchen. Aber danke für die Anregung, wir diskutieren das noch einmal. Herzlich wb)
Einen Skandal sehe ich hier am BE nicht. Ich sehe aber bei Reese auch kein intellektuelles Abenteuer und auch keinen Brecht adäquaten Geist am Wirken. Den habe ich aber auch - bei allem Respekt vor dem großen alten Zampano - auch bei Peymann nicht gesehen. Es wird eben nicht in jedem Jahrzehnt ein Brecht geboren oder ein Müller oder selbst ein Bernhard oder eine Jelinek. Ich hoffe, Sie verlangen bei dieser Seltenheit nicht auch noch eine antirassistische Hautfarbenquote bei den deutschsprachigen Theater-Dichtern... Oliver Reese wird da also Platzhalter sein müssen wie schon Peymann vor ihm und ich wünsche ihm und seiner Mannschaft, dass er allein diese Rolle erst einmal bewältigt. Was ich nicht verstehe, ist Rinkes Mitarbeit, ohne dass er selbst ein Stück von sich im ersten Programm hat.
Programmatische Bekenntnisse fehlen mir nie. Im Gegenteil, ich finde sie oft überaus ärgerlich. Bekenntnisse sind überflüssig wie ein Kropf, was zählt ist, was einer tut.
2. Diversität auf der Bühne ist das eine, wo bleibt die Diskussion um die Diversität (und auch hier sollte es nicht nur um Ethnizität gehen) des gesamten künstlerischen Personals (Regie, Dramaturgie...)?
Was das BE angeht, warten wir doch erst einmal die ersten Inszenierungen ab und urteilen dann. Der Verweis auf die Tradition ist legitim, aber Theater lebt von Veränderungen, Entwicklungen. Ob die zu etwas Neuem oder gar Besserem führen, das ist schon wieder ein anderes Thema.
" Ein Ensemble sollte nach Leistungskriterien engagiert werden...".
Aha. Können Sie vielleicht näher ausführen, welche Kriterien das sind? Das gute Sprechen? Der schöne Körper? Ernsthaft, ich habe keine Ahnung, wovon Sie da schreiben. Oder haben Sie das BE mit der Berliner Hertha verwechselt?
Muss ich Ihnen das wirklich erklären, welche Leistungen eine Schauspielerin, ein Schauspieler erbringen muss? Sie scheinen nicht vom Fach zu sein.
Grundvoraussetzung ist die Beherrschung des schauspielerischen Handwerks (z.B. einen Text gut sprechen, d.h., gestalten können, Körperbeherrschung, singen, tanzen). So etwas lernt man nur an guten Schulen (vor allem staatlichen), weshalb ich dafür plädiere, dass sich nur diejenigen Schauspieler nennen dürfen, die eine entsprechende Ausbildung vorweisen können. So weit ich weiß, ist der Begriff "Schauspieler" nicht geschützt, jeder darf sich so bezeichnen.
Es gibt eine lange Geschichte des Bemühens von Theaterleuten um die Professionalisierung des Berufes. Ich habe heute die Befürchtung, dass das professionelle Niveau gefährdet ist, wofür es viele Gründe gibt. Eine Gefahr wäre die Zusammenstellung eines Ensembles nicht primär nach künstlerischen, sondern nach außerkünstlerischen Kriterien. Vielleicht sehe ich aber auch zu schwarz.
Lesen Sie dich bitte #3 und verstehen Sie dann, warum es nicht um "naturalistische" Besetzung geht. Es geht um Repräsentation. Es schadet unserer Gesellschaft, wenn "Mensch" fast immer als "weißer Mensch" gedacht wird und Leute mit anderen Hautfarben nur als vermeintliche "Fremde" und "Andere" vorkommen.
So, ich habe mir nun die Mühe gemacht, um anhand des repräsentativsten diversen deutschen Stadttheaters, dem Gorki, festzustellen, ob sich Migrationshintergrund bzw. Hautfarbe und eine gute, staatliche Ausbildung auschliessen. Die Antwort ist natürlich nein. Tut sie nicht. Ausnahmslos jeder Schauspieler dieses Hauses hat eine - wie sie postulieren- anständige Ausbildung an einer staatlichen deutschen Hochschule genossen.
Man könnte ja nun weitergehen und vielleicht sogar behaupten, dass-wie auch immer definierte- Diversitäten eher noch einen Mehrwert darstellen könnten. Vielleicht sehe ich aber auch zu weiss.
Ich glaube, dies hier ist nicht speziell Reese Thema. Da haben Sie sich vermutlich vertan. Hier geht es am Beispiel des neuen Ensembles des BE um die grundsätzliche Frage, ob Ensembles per se mittlerweile divers sein sollten oder nicht.
Ein Theaterleiter ist dazu berufen, exakt die Schauspieler einzustellen, die er für geeignet hält.
@14: Nein, man darf nun Herrn Reese nicht "einfach mal machen lassen". Die engagierte Zivilgesellschaft, die das Erbe Weigels und Brechts hochhalten will - ein Erbe das sich in der Instituion BE bündelt - muss nun endlich wieder Ansprüche stellen an dieses Theater. Es geht nicht nur um die Integration von migrantischen Positionen. Bertolt Brecht (& Ruth Berlau, die man in dem Zusammenhang immer auch erwähnen muss) arbeiteten in den USA auch mit dem (schwulen) Kommunisten Charles Laughton zusammen und ihr Galileo von 1947/1948 in Hollywood und New York war auch ein Manifest gegen den irrationale, antikommunistischen Wahn, der damals in den USA herrschte. Ein Berliner Ensemble, das 2017 einen solchen Spielplan und ein solches Ensemble ankündet - und das zu Zeiten von triumphierenden rassistischem genderfeindlichen Populismus hat total versagt. Ein solches Statement zu Abschottung und "guter deutscher Schauspielkunst" ist dem BE nicht würdig.
@11: In einer Stadt wie Berlin muss man auch englischsprachige SchauspielerInnen in ein internationales Ensemble integrieren. Der Fokus auf die Sprache "deutsch" ist extrem aussschliessend - ja, ein Bekenntnis zum "Nationalen", das dem BE nicht ansteht. Das BE muss ein Theater sein, dass sich gegen jegliche Kriterien des "Nationalen" stellen MUSS (Grosschreibung ist hier angebracht)
Beneidenswert wer wie Sie, Herr Schwarz, so selbstgewiss ist. Sie verwerfen das Nationale, was ich für einen Fehler halte, den die Linke und andere seit Jahrzehnten begehen. Ist man sich nicht über sein Verhältnis zur Heimat (wieder so ein Schreckenswort) klar, wird man nicht wirklich ein Europäer oder gar ein Weltbürger sein können. Unsere Sprache ist nun mal Deutsch und nicht Englisch. Sprachmischmasch (Denglisch), der oft falsch oder unfreiwillig komisch ist, haben wir in der Werbung und leider auch im Alltagsgebrauch viel zu viel. Damit will ich nichts gegen Aufführungen in Originalsprache sagen. Als Dramaturg betreute ich oft Opernaufführungen in Italienisch, Russisch oder Französisch, schrieb die deutschen Übertexte dazu. Im Schauspiel, das mag für viele extrem konservativ anmuten, plädiere ich für die Pflege und Weiterentwicklung unserer Muttersprache, schließe alle Experimente in dieser Hinsicht ein.
Die Verwendung von Anglizismen wirkt auf mich zumeist wie der misslungene Versuch, gewollt lässig (ich schreibe bewusst nicht cool) und weltläufig zu wirken. Der erwähnte Bertolt Brecht arbeitete gern mit Anglizismen, aber wenn man der Überlieferung glauben darf, sprach er nur ein mäßiges Englisch. Aber das sei nur am Rande erwähnt.
Im Übrigen: ich gebrauche - des Englischen nicht so mächtig, als dass ich es ohne Intensivlernen (by doing) auch nur im Alltag gebrauchen würde - sehr gern Anglizismen wie "cool" oder "okay" oder "by the way" o.ä. - Aber: es geht nicht ohne lässige Ironie oder leichten bis mäßigen Spott dabei, manchmal auch als Anbiederung an echten oder nur imitierten Alltags-Jugendslang... Das ist jedoch etwas, das man nicht ab-lesen, sondern lediglich abhören oder -sehen kann. Das wiederum könnte als alltäglichen Sprachgebrauch nur ein*e Schauspieler*in übersetzen:) Denn Übersetzer oder Lektoren verstehen davon gar nichts- Ich glaube, nicht einmal Dramaturgen verstehen davon etwwas ...
#17: Lieber Samuel Schwarz: Versuchen Sie doch einmal, erst einmal darüber nachzudenken, was Sie wirklich meinen, bevor Sie etwas sagen oder schreiben, und sagen oder schreiben dann, was Sie meinen.
Das ist doch ein sehr großer Unterschied, ob einem eine Website durch Ameisengift "keimfrei" gemacht in ihrer Ausstrahlung vorkommt, oder die Menschen, die auf ihr abgebildet werden! - Und es ist ebenfalls ein großer Unterschied, ob man in etwa Probenprozess solche Dinge im intimen Schutzraum des Theaters so etwas Spontanes sagt oder eben hier so etwas spontan Gedachtes schreibt- Ich finde, Sie sollten sich nicht nicht so aufregen. Sie belegen das alles selbst so eindrücklich: Das Berliner Ensemble als Brecht-Ensemble war überall da, wo Brecht gearbeitet hat. Und da war es gleich, ob das in Amerika, in Finnland, Dänemark, der Schweiz oder halt in Deutschland war - Und so würde das auch heute sein, lebte er. Neues Berliner Ensemble heißen und Neues Berliner Ensemble sein sind nicht notwendig dasselbe und auch nicht auf dieses Theaterhaus zu verkürzen. Das ist halt ein - zugegeben für Theater sehr geeignetes - Gebäude. Und wie wir wissen, gehört und gehörte es nicht unbedingt vollkommen zweifelsfrei der Stadt Berlin...
Ich habe in Ihrer ersten obigen Aussage wenn ein System, dann kein poetisches System erkannt.
Lag das an mir, weil ich es nicht erkennen konnte?
Oder an Ihnen, weil es sich möglicherweise um ein System, aber durchaus kein poetisches handelte?
Ist Poesie überhaupt ein System?
Warum heißt Poesie dann nicht einfach System statt Poesie?
Niemand, lieber Samuel Schwarz, fände es großartiger als ich selbst, wenn ich mich so kurz und prägnant fassen dürfte, wie ich es nachweislich kann. Jeder Kommentar hier ist nämlich für mich ein poetischer und daher persönlicher Rückschritt. Allerdings ein inzwischen besser sichtbarer.
S. Schwarz hat relativ deutlich seinen Standpunkt erklärt. Nichts davon erscheint in irgendeiner Weise unreflektiert bzw. undurchdacht.Im Gegenteil. Das Ameisengift hätte ich vielleicht durch aseptisches Natriumchlorid ersetzt, aber nun gut.
Im Gegensatz dazu schweifen Sie tatsächlich vom Thema ab und starten quasi eine Genealogie der Sprachen und deren Verwendung. Zu weit hergeholt. Eher bin ich aber etwas erschrocken über die Kommentare eines Exmecklenburgers, die von Deutschtümelei und , ich will beinahe sagen, nationalistischerm Hochmut durchsetzt sind.
Und wenn jemand so strikt Reese-Ensemble vs Brecht-Ensemble mit Brecht argumentiert, dann argumentiere ich selbstverständlich mit der Verwendung von Sprache(n). Weil Brecht als Ensembleleiter nun einmal Dichter war. Erst Dichter und dann zusätzlich Ensembleleiter. Da ist die Sprache kein schmückendes oder lästiges Beiwerk, sondern durch und durch Hauptarbeitsmittel. Brecht ist aus seinen dezidierten Haltungen zur Welt heraus zu seiner Sprache gekommen und wegen seiner Sprache auf der Flucht gewesen, und er hat wegen seiner ganz persönlichen Dichtung notwendig Theater gemacht und alles andere an seiner Entwicklung resultierte daraus. Auch das Ensemble, das er um sich versammeln konnte und das sich um ihn sammelte. Deshalb ist das kein Abschweifen, sondern nur besonders rigoros am Thema.
Sie scheinen Texte nicht lesen zu können, daher lohnt sich für mich eine Diskussion mit Ihnen nicht. Leider mache ich auch bei Ihnen die Erfahrung
des reflexhaften Reagierens auf bestimmte Begriffe. Unterstellungen sind das Gegenteil von Diskussion, also lassen wir es.
Einer der gehaltreichsten Kommentare scheint mir gleichwohl #3 zu sein. Mich überrascht, dass bei dem insgesamt so klug (wahlweise: langweilig) austarierten Gesamtprogramm Reese die Ensemblemischung in Bezug auf die hier geäußerten Kritikpunkte nicht aufgefallen ist.
Dennoch möchte ich meinen Punkt aus einem anderen Thread wiederholen, den Nikolaus Merck hier aufgegriffen hatte, nämlich inwieweit auf *allen Ebenen* (Intendanz, künstlerisches Personal, insbesondere Ensemble, Gewerke) *an jedem Haus* immer jede Quote erfüllt sein muss? Ist es nicht reizvoller, Diversität auch *über die Häuser hinweg* zu haben? Also das eine eben mehr so, das andere mehr so? Genau dann wäre doch der Vergleich der Ästhetiken möglich! Meine Vermutung ist, dass bei einer statistischen "Gleichschaltung" (cum grano salis!), auch Spezifika der Wahrnehmungen, der Äußerungen, der Form, der Herangehensweisen, der Auseinandersetzungen verloren gehen.
PS: Von einer äußerlichen Personalbesetzung auf die innere Haltung / Vorgehensweise zu schließen ist an sich schon fragwürdig. Siehe Jury-Besetzung und Regisseursportfolio des diesjährigen Theatertreffens in Bezug auf Geschlechterverteilung.
Ich zielte damit auf die Frage, inwieweit (freiwillige) Quotenerfüllung (im besten Sinne) das alleinige Ziel sein kann. Klarerweise gibt es ja auch andere Ziele. Und eines davon könnte sein: Spezifizität der Ästhetiken, der Personalien usw. Niemand würde doch vom Ballhaus Naunynstraße fordern, proporzgemäß Ostberliner oder Schlesierinnen oder Blauäugige sonstewen einzustellen. (Ich habe auch nicht gehört, dass die in den Opernintendanzen überproportional vertretenen sexuellen Präferenzen wegquotiert werden sollen.) Nein, die Berliner Mischung ergibt sich eben auch *über die Häuser hinweg*. Dieser Aspekt schien mir in der in diesem Thread geführten Diskussion unterbelichtet. In kleineren Städten mag das anders sein, weil die Theaterlandschaft dort naturgemäß schmaler ist. Aber in Berlin haben wir ja gerade den Luxus einer sehr breiten Landschaft. Da kann es Nischen für vielerlei geben. Für Postmigrantisches genau wie für Sorbisches, wie für PoC-iges, für Maskulinisten, für Langhaarige und für Brillenträgerinnen und für Arbeiterkinder. Alle haben Ihre Perspektive, alle können einen Platz finden. Aber eben nicht alle überall und jederzeit und erzwungenermaßen/zwangsläufig. Man kann das (zurecht) fordern. Man kann aber auch hinterfragen, wozu die Erfüllung dieser Forderung führen würde. Das hat nichts mit versteckter Agenda zu tun, sondern ist schlicht und ergreifend: offener Diskurs.
Strukturellem Rassismus (der auf keinem Auge blind ist!) zu begegnen erfordert genau diesen!
Ihr Beispiel mit dem Ballhaus Naunystrasse ist etwas geschmacklos. Am Ballhaus Naunystrasse treten Menschen aus allen Gesellschaftsschichten mit allen Hautfarben, die der liebe Gott erfunden hat, auf. Was Gorki-Theater und Ballhaus Naunystrasse machen, ist - was die Abbildung der Zusammensetzung der Bevölkerung angeht - eigentlich "normal"...nur durch die monochrome Ensemblepolitik der sonstigen deutschen Theater wirken nun Gorki- und Ballhaustheater exotisch. Hier werden also Fakten verdreht. Was eigentlich "normal" wir als "exotisch" markiert. Ich weiss nicht, wie es ihnen geht. Aber ich persönlich stelle als Theaterschaffender Anspruch an die Erkenntnisse und Traditionen des Weigel/Brecht-Theaters namens BE. Dieser Theaterstil, die Theorie auf der dieser Stil basiert, die Arbeitstechniken, die es nutzte, das ist für mich nicht verbunden mit irgendeinem deutschen Provinz-"Theater" (dem man eine solche Ensemblepolitik natürlich auch vorwerfen müsste), sondern mit dem BE, dem legendärsten der Berliner Theater. Dieses Theater namens BE ist mit einer Geschichte und Tradition verbunden - ja, mit einer ganz spezifischen Haltung, mit Fortschritt, internationaler Solidarität und ja, dezidiertem Anti-Rassismus. Ja, ich muss es anscheinend so deutlich sagen: Ich empfinde, diese Ensemblepolitik des neuen BE - auf Basis der auf Diversität setzenden Theaterpraxis des Jahres 2017 - als rassistisch.
ich bin voll bei ihrer argumentation, die sich der "ideologisierung von laub -und mischwäldern" verweigert - die jetzt auch noch im bereich der kunst eine quotenordnung schaffen will - welch anmaßung dahinter steckt und auf welche "wurzeln" sie zurückgreift, sollte sich jeder selbst befragen und nicht dem zeitgeist der politik blind folgen, sondern sich der aufgabe der kunst besinnen. das dabei ganz UNTERSCHIEDLICH ansätze NEBENEINANDER geben darf/muß/sollte scheint bei manchen vergessen zu sein, wenn sie für eine "große mitte/große koalition mit gebashter opposition" nun auch schon am theater plädiert ... sie haben schon alles gesagt, ich kann mich nur wiederholen ... bis ich hier wieder wegzensiert werde und der "offene diskurs" auf einem "zensierten diskurs" reduziert wird ... mit den gesellschaftlich bekannten folgen ...
frage: sind die bewohnerinnen eines frauenhauses "sexistisch"? sind zufällige zusammenschlüsse einer einzigen ethnie - seien es nun chinesen oder deutsche per se "rassistisch"? sind globale finanz- und militärvereinigungen aus sehr unterschiedlichen ethnien per se "vorbildlich normal" und richtungsweisend für die zukunft der menschheit?
und ja - das be hat eine tradition - brecht und weigel, die sie geprägt haben sind tot. leider auch heiner müller ... will das heutige be diese - nun klassischen texte - vordergründig oder neben anderen klassikern mit zeitgemäßem leben füllen oder/und zeitgenössische autoren bekannt machen? das wäre doch der diskurs ... denn auch brecht wirkte ja zu seiner lebenszeit und verhielt sich den umständen entsprechend - auch DIES ist eine tradtion: die schriften der gegenwart mit einem ensemble, dass diese optimal transportiert. wäre für sie eine theaterpraxis der "optimal-ethnien" die einzig nicht "rassistische" variante - und alle, die sich durch diese "quote" nicht eignen (überflüssig wären für ihre behauptete "norm") sind dann >>> halt weg ... wie nennen sie DAS? "die neue normale selektion"?
Da pflichte ich S.Schwarz bei. Das kann man definitiv so sehen. Ich verstehe absolut die Argumentation eines Herrn Zisch, aber der Totschlagargumentation einer Marie lässt sich nicht folgen. Das Frauenhaus anzuführen anaolog zum BE Ensemble ist 1. ausgedacht und 2. schlecht gedacht, wenn man weiss, dass in einem solchen Frauen Zuflucht finden, die nicht selten Opfer von männlicher Gewalt wurden. Sind die Schauspieler des neuen BE Ensembles etwa Opfer von Schauspielern mit Migrationshintergrund? Absurd. Ich weiß wohl, worauf Sie hinauswollen, jedoch sollten Sie tunlichst passendere Vergleiche finden.
pardon - es wurde über (theater) räume ein rückschluß von deren bewohnern auf ihre "rassistische" haltung gezogen ... okay, wenn sie dem folgen können ...
und "exotisch" sehe ich die schauspieler am gorki-theater auch nicht - sie wären ja auch persönlich zu befragen, ob sie sich selbst als "exoten" sehen bzw. wie sie die einordnung wahrnehmen ... ich meine "tunlichst vergleichsweise" ... eigen- und fremdbild, wenn sie wissen was ich meine
Ich habe das so verstanden, dass das neue BE unter der Leitung eines u.a. - Autors, von dem jedoch keine Gedichte noch ein literarisch erfolgreich durchschlagendes Stück bekannt sind und unter der von ihm angeleiteten Verantwortungsübernahme eines begabten weiteren Autors, von dem zwar ebenfalls keine Gedichte aber recht begabte Kolumnen aus der Berliner Zeitung und einige begabte dramatische Arbeiten bekannt sind, neue, und zwar vor allem nicht-deutschmuttersprachige (?) Autoren bekannt machen will, von denen jedoch auch keine Gedichte bekannt sind.
Und die außerdem Alexander Eisenach aus dem Frankfurter Regie/Dramatik-Entwicklungs-Pool mitbringen, von dem ebenfalls keine Gedichte als literarisches Ereignis bekannt sind, der aber ein selbst geschriebenes kapitalismuskritisches Stück in Westernmanier zu inszenieren vermag. Um ihn als wirkungsmächtig wie einst Brecht dem Berliner Publikum anzubieten. Da tut einem der Alexaander Eisenach wirklich nur leid. Außer er hat solche potentiell wirkungsmächtigen Gedichte in der Schublade wie einst Brecht oder zum Beispiel aktuell so eine selbstgeschriebene Erste Hilfe-Fibel wie einst jener geschrieben hatte zu den fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. - Sonst kann er nämlich in den ihm nahegelegten Schuhen nur im Ganzen Kahn fahren...
Auf jeden Fall haben sie (Reese/Rinke- ein anderer Name fiel zum Zeitpunkt des damaligen Versprechens nicht) damit erst einmal ihr Versprechen eingelöst.
Denn als sie antraten um Peymann am BE nachfolgen zu wollen, haben sie das mit dem Argument getan, in Berlin ein Autorentheater etablieren zu wollen. Das ist ihnen bis jetzt, ganz nüchtern betrachtet, doch gelungen!