Rausch und Rätsel

von Christian Muggenthaler

Regensburg, 2. Juni 2017. Alfred Döblins im Jahr 1914 entstandener Roman "Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine" handelt vom Irrsinn einer ökonomisch durchdrehenden Welt, deren eigentlicher Erwerbssinn stiften gegangen ist. Seine Firma droht dem Fabrikanten Wadzek abhanden zu kommen, der Konkurrent Rommel plant die feindliche Übernahme. Nur sehr am Rande geht es bei all dem tatsächlich um die Produktion von Dampfturbinen, sehr viel mehr geht es um den Kontrollverlust des Individuums in einer Welt des Aktienmarkts, der Spekulation und der Intrige.

Diesen radikalen Einbruch der Unübersichtlichkeit gestaltete Döblin radikal: Er verzichtete auf wesentliche Bestandteile klassischer Prosa, auf psychologische Motive etwa, auf eine souverän-auktoriale Erzählhaltung, zielführende Dialoge, auch nur andeutungsweise Erklärversuche. Irgendwo zwischen Charles Chaplins "Modern Times", Expressionismus und Dada platziert, geht es um die Anarchie des Daseins im 20. Jahrhundert und das alptraumhafte Einsickern der unerklärlich gewordenen Moderne in die Seele des Menschen. Man schaut, lesend, den Leuten beim Durchdrehen zu.

Die zerschellte Moderne

Der Roman arbeitet mit allerlei theatralen Momenten, weshalb es einerseits naheliegend, andererseits aber auch ein großes Wagnis ist, diese Typologie von absurden, grotesken, rausch- und rätselhaften Figuren auf einer Bühne vorzuführen. Sie sind sehr schnell sehr weit weg von ihrer Grundaufstellung. Hannes Weiler durfte jetzt am Theater Regensburg diesen Versuch wagen. Er macht dauerhaft das Konstruktionsprinzip des Romans kenntlich: seine kühne Zerschelltheit, seine erratischen Motivlagen, sein kaleidoskopisches Chaosprinzip, sein Befremdungspotential, auch seine komödiantischen Elemente.

wadzek hp c Kaufhold0080 bearbeitetKapitalismus zur Stummfilmzeit: Susanne Berckhemer, Patrick O. Beck © Martin Kaufhold

Zu Beginn gelingt's. Die Kostüme (von Bettina Werner) zeigen von vornherein derart schrille Typen, als seien diese alle dem "Struwwelpeter" entsprungen. Schräge Vögel ohne Nest. Die Bühne (von Florian Dietrich) ist ein Verhau aus Felswänden, Minisilo, bürgerlichen Interieurs, Duschkabine, Reklamebotschaften. Krumm und schief zusammengenageltes Bretterdingsbums. Als sei da alles schon in die Luft gegangen: Detonation als Lebensziel. Das Bühnenbild birgt außerdem Innenwelten, aus denen eine Live-Kamerafrauschaft auf Leinwand überträgt; in diesem Fall ergibt das durchaus Sinn, weil die Spieler gern und oft die gestischen und mimischen Manierismen der frühen Stummfilmära zitieren.

Freude am Irrsinn

Bis dahin alles: gemach. Castorfsche Gemächer. Schnell sickert hechelnde Paranoia ein. Man zankt, zündelt, zetert. Die Figuren bauen sich und ihre Beziehungen aus lauter Wunderlichkeiten zusammen. Das ist erst einmal belustigend anzuschauen. Patrick O. Beck ist ein Wadzek, der sich in kafkaesker Maßlosigkeit den eigenen Untergang bereitet; Silke Heise ist seine Frau Pauline in der prallherzigen Schrägheit eines dauerhaft zugedröhnt wirkenden Muttchens; Wadzeks Gefolgsmann Schneemann zeichnet Frerk Brockmeyer als emotional extrem destabilisierten menschlichen Lemuren, eine Art Erklärbär ohne jegliche Erklärung. Die Inszenierung vermittelt viel Freude der Akteure an der Darstellung kompletten Irrsinns. Statt um Sinnsuche geht es um Sinnlosigkeitssuche.

wadzek hp c Kaufhold0700Live Dampf ablassen: Silke Heise, Susanne Berckhemer, Franziska Sörensen © Martin Kaufhold

Das Bauprinzip ist: beabsichtigte Absichtslosigkeit. Und tatsächlich gelingt es vor der Pause, im Mahlstrom dieses dynamischen Durcheinanders ganz präzise ein Bild kompletter Orientierungslosigkeit zu gewinnen. Erkennbar bleibt – gerade noch – die allem zugrunde liegende Döblinsche Kernbotschaft: Erhebt sich ein Wirtschaftssystem über den Menschen, dem es eigentlich dienen sollte, verliert der sofort das Zentrum seines Strebens. Man erkennt in Regensburg den rapiden Verlust eines sinnstiftenden Ganzen im Blick auf Figuren, die genau daran zerbrechen. Wadzek scheitert zuletzt sogar in der Absicht, seinem Freund Schneemann ein Weizen zu servieren: Er zergrübelt das Gehen so, dass er nicht mehr geradeaus gehen kann. Nichts geht mehr.

Nach der Pause geht dann aber auch im Bühnengeschehen kaum mehr was. Die Stränge zerfasern. Größere Teile des Premierenpublikums sind da ohnehin längst schon weggegangen. Die Inszenierung ist fordernd, vielleicht überfordernd. Das Bühnengeschehen rotiert immer schneller durch die Episoden des Romanstoffs, wirkt dabei unfertig, schnell zusammenimprovisiert. Man könnte den ostentativen Entzug einer weiterhin überwölbenden Inszenierungsidee natürlich mit der anarchischen Grundidee des Projekts begründen, aber das wäre dann doch ein bisschen einfach. Der Dampf hat schlicht nicht ganz gereicht.

 

Wadzeks Kampf mit der Dampfmaschine
Nach dem Roman von Alfred Döblin
Bearbeitung von Hannes Weiler
Inszenierung: Hannes Weiler, Bühne: Florian Dietrich, Kostüme: Bettina Werner, Video: Hannes Weiler, Dramaturgie: Meike Sasse, Live-Kamera: Melanie Klos.
Mit: Patrick O. Beck, Susanne Berckhemer, Gunnar Blume, Frerk Brockmeyer, Silke Heise, Franziska Sörensen.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause

www.theater-regensburg.de

 

Kritikenrundschau

Auf regensburg-digital.de schreibt David Liese (3.6.2017): "Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine" sei wie "ein Schlingensief-Film", sei "seit langem das Beste, was man auf Regensburger Theaterbühnen" sehen könne. "Theater in seiner modernsten Form, anarchistisch und deterministisch zugleich, 'konstruktiv und logisch' in seiner destruktiven Beliebigkeit." Dem Regieteam um Hannes Weiler sei ein kongenialer Wurf gelungen und die Schauspieler "dürften nach jeder Aufführung ein Sauerstoffzelt brauchen". Die Inszenierung habe "so viel PS hat, soviel Schub, dass sie Piepen müsste beim Rückwärtsfahren".

Auf mittelbayerische.de fragt Ulrich Kleber (5.6.2017): "Darf man Alfred Döblins Roman so zurechtbiegen", dass nur eine "effekthascherische, aber letztlich rätselhafte Revue übrig bleibt?" Die Antwort: Die Inszenierung überrasche mit einer "Flut pfiffiger Ideen". "Grandios" das Bühnenbild, "imponierend die Leistungen aller Darsteller". Selten werde so viel Aufwand in Regensburg getrieben. Das Ganze sei mit filmischen, spielerischen, kostümbildnerischen, bühnebildnerischen Mitteln "possenhaft" überzeichnet. Doch reiche die "Spielfreude allein" nicht aus, um dieses Spektakel mit den "stark surrealen und absurden Zügen" wirklich "schlüssig zu machen". Zu oft entstehe der Eindruck, es handle sich nur um viel heiße Luft. Allzu "diffus und unklar" bleibe die Handlung. Weiler verzettele sich, statt den "gesellschafts- und zeitkritischen Ansatz" herauszuarbeiten, begnüge er sich damit, die "komischen und grotesken Aspekte auf die Spitze zu treiben".

"Ein Abend, zu dem einem nur Freizeitpark-Begriffe wie 'rasant', 'künstlich', 'etwas unübersichtlich' und 'auf gute Weise wahnsinnig' einfallen wollen", schreibt Christiane Lutz in der Süddeutschen Zeitung (10.6.2017). Die "turbulente Hochgeschwindigkeits-Inszenierung" mache es zwar "enorm schwer, der Handlung zu folgen", seltsamerweise mache" das aber, einmal akzeptiert, nichts aus, denn der Rest ist spektakulär genug. Zu gucken gibt es jede Menge."

 

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