Dunkler Spiegel

3. Juni 2017. Anne Lepper erhält für ihr Stück Mädchen in Not den Mülheimer Dramatikerpreis. Über die Preisvergabe entscheidet in Mülheim traditionell eine Preisjury in einer öffentlichen Diskussion, die in diesem Jahr der Theaterkritiker Michael Laages moderierte. Lepper setzte sich in der Finalrunde mit 4:1 Stimmen gegen Elfriede Jelinek und ihr Stück Wut durch.

Der Jury gehörten Claudia Bauer (Regisseurin), Cornelia Fiedler (Kritikerin und Sprecherin des Auswahlgremiums), Marion Hirte (Professorin für Produktionsdramaturgie an der Universität der Künste Berlin), Wolfgang Kralicek (Journalist und Theaterkritiker) und Kathrin Röggla (Autorin und Vizepräsidentin der Akademie der Künste, Berlin) an.

AnneLepper 280 schaefersphilippen uAnne Lepper © SchaefersphilippenAnne Lepper, 1978 in Essen geboren, war bereits 2012 mit ihrem (am Theater Bielefeld uraufgeführten) Stück "Käthe Hermann" für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. Ihr jetzt ausgezeichnetes Drama "Mädchen in Not" wurde in der Regie von Dominic Friedel am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt. Das Stück sei ein "dunkler Spiegel", in dem sich die Welt nicht wiedererkennen könne, so Jurorin und Regisseurin Claudia Bauer in ihrem Plädoyer für Leppers Text.  Als gleichermaßen komische wie abgründige Dystopie mit diversen intertextuellen Verweise – etwa auf Ibsens Nora oder Kafkas Schloss beschrieb die Jury "Mädchen in Not". Gewürdigt wurden auch Vielschichtigkeit und Formstärke des Textes, der der reduzierten Struktur eines Märchens folge und dabei große Assoziationsräume und unzählige Möglichkeiten der Umsetzung eröffne. Der Publikumspreis 2017 ging an Konstantin Küspert für sein Stück Europa verteidigen.

Die Preisverleihung an Anne Lepper, Konstantin Küspert  und Tina Müller, Gewinnerin des Mülheimer Kinder-Stücke-Preises 2017, findet voraussichtlich am 18. Juni 2017 in der Mülheimer Stadthalle statt.

(sle)

mehr meldungen

Kommentare  
Mülheimer Dramatikerpreis an Anne Lepper: verdient
Völlig verdient. Eine fast verspätet zu nennende Anerkennung für eine großartig autonome Stimme. Ick freu mir für Anne Lepper.
Mülheimer Dramatikerpreis an Anne Lepper: Zusammenhang
Die Jurorin Claudia Bauer, die ein "Plädoyer" für Leppers Text vortrug (siehe oben), hat im Januar 2012 am Staatstheater Hannover das Stück SEYMOUR dieser Autorin inszeniert.
Frage: Ist es gut, wenn Theaterexperten, die offenbar in enger Verbindung zu einer Kandidatin stehen, in die Jury dieses wichtigsten Preises für neue Dramatik berufen werden? Muss man da nicht von einer positiven Voreingenommenheit ausgehen?
Dies ist keine Kritik an der Entscheidung der Jury (für die es gute Argumente gibt), sondern an der Auswahl der Juroren. Künftig sollte man vielleicht auf etwas mehr Neutralität der Juroren achten.
Mülheimer Dramatikerpreis an Anne Lepper: unvermeidlich
#3. Ich fand die Jury und die ganze Veranstaltung wesentlich besser als im vorigen Jahr. Nicht nur Laages war zielführend konzentrierter. Von 5 Juror*innen haben zwei außerordenlich gut und präzise ihre Ansprüche geltend gemacht (Fiedler und Kraliczek). Eine Jurorin war sympathisch etwas zu diplomatisch in ihren Äußerungen, aber dennoch zielgerichtet konsequent. Claudia Bauer hat m.E. sehr gut erörtern können, was für sie als Regisseurin wichtig ist an einem Text, sodass ich sie nicht was Anne Lepper betrifft voreingenommen heißen würde, selbst wenn sie bereits 2012 etwas von Anne Lepper inszeniert hat.
Es hat ein Stück gewonnen.
Zweifelsfrei Dramatik.
Und es hat von der Dramatik unter den aufgebotetenen, inszenierten Texten genau der Text und damit dessen Autorin gewonnen, der in einem allgemeinen Hang zur Comicifizierung von zeitgenössischen Dramentexten den professionellsten kontextuellen literarischen Rahmen aufzubieten hatte.
Das finde ich für die Vergabe eines Dramatiker-Preises, der auch so und nicht Theatertext-Preis heißt, sehr gut.
Die größte Potenz an für Theater zeitgenössisch relevanten Mut habe ich allerdings bei dem Setz-Text und Bach gesehen.
Da in einem Fall sich der Dialog noch nicht aus der Erzählung - wie Setz selbst im Vorfeld bemerkte - befreien konnte und im zweiten Fall der Text literarisch noch nicht OHNE Theater bestehen könnte, wie es etwa die Dramen von Crimp oder Goetz können, die literarisch das Theatrale des Unausgesprochenen zu erzeugen vermögen, sind auch Setz und Bach(Mondtag) zurecht ebenfalls auf die Plätze verwiesen.
Ich fand sehr gut das Bemühen der Jury für "Wut" von Jelinek eine noch etwas ratlose neue Einordnung im Kontext ihrer Arbeiten finden zu wollen. - Auch wenn sich der Ort dafür als nicht der unbedingt richtige erwies, verdient das weitere, eher literaturwissenschaftliche Fachdiskussion.

Antwort auf die Frage: Ich finde es unvermeidbar, dass Theaterexperten als Juroren von Praxis (Regie, Dramaturgie, Autor*in) über Theorie (Literatur/Theaterwissenschaft) bis Ästhetische Vermittlung (Kulturjournalismus/Philosophie) eine enge Verbindung zu den jeweils vorausgewählten Kandidaten haben. Das ist ja ihr Arbeitsgegenstand. Da muss man doch hoffen, dass die Verbindung eng ist. Zu allen Vorausgewählten.

Bemerkenswert ist eventuell, dass in der Auswahl drei Autoren vertreten waren, die von dem 2010 gegründeten Verlag schaeferphilippen betreut werden, die als Agentur auch gleichzeitig Regieseur*innen vertreten und relativ neu auch das, was von den von ihnen Vertretenen als Literatur firmiert: Rau, Bach, Lepper. Und das ist in einer Auswahl von 7 aus gut 140 schon bemerkenswert bis eventuell voreingenommen? -
Kommentar schreiben