Die Fratze des Religiösen

von Petra Nachbaur

Bregenz, 7. Juni 2017. Was haben Alev, Martin und Benjamin gemeinsam? Die Maria! Alle drei haben schon die Gottesmutter gegeben, seinerzeit im Krippenspiel. Bei der Erwähnung dieser Hauptrolle geht's aber weniger um das Hervorkehren früher Bühnenerfahrung als vielmehr um Berührungspunkte mit religiösem Brauchtum: Fakten sowie Anekdoten aus Theorie und Praxis verschiedener Konfessionen bestimmen "Ich glaube", die jüngste Produktion des Aktionstheater Ensemble.

Ergänzt werden die Selbst- und Fremdbilder der Religionskulturen durch offenherzige Thematisierung so banal-exotischer Angelegenheiten wie Analbleaching oder Schönheitsoperationen im Zahnfleischbereich, durch putzige Varieté-Einlagen und unmotivierte Überlegungen zu Schwulensaunen im Wallfahrtsort. Das muss schief gehen – tut es aber nicht. Ein Wunder – oder kluge Komposition des bewährten Gespanns Martin Gruber (Regie) und Martin Ojster (Dramaturgie).

Aus dem Gesangsbuch

Aufeinander los gelassen werden die Enkelin einer polnischen Oberkatholikin, die zwischendurch türkisch sprechende Ex eines Ramadanbewussten Ägypters, die "Ich bin noch nicht fertig mit der Reformation"-Protestantin, ein eloquenter Atheist und ein leicht bekleideter Träumer, der sich gelegentlich mit Federboa, manchmal aber auch mit Engelsflügeln ausstattet.

ICHGLAUBE1 560 Stefan Hauer uMit Flügeln und Schirmchen bewaffnet in "Ich glaube" © Stefan Hauer

Der im größtenteils katholischen Vorarlberg sozialisierte Martin Gruber, Jahrgang 1967, baut kein Krippenspiel. Jesuskind gibt es in diesem Stück nicht, dessen Gehalt Gruber mit den Darsteller*innen Susanne Brandt, Alev Irmak, Martin Hemmer, Claudia Kottal und Benjamin Vanyek entwickelte. Dafür aber das klassische Zubehör der Heiligen Jungfrau aus dem Gebet- und Gesangsbuch, wo von Mantel, Schirm und Schild die Rede ist: Den himmelblauen Umhang trägt Benjamin Vanyek mit Grazie, und die blau und golden aufgespannten, schimmernden Schirmchen werden nicht nur balanciert und gewirbelt, sondern wehrhaft und spitz geführt, wenn sich die beiden Herren in ihrer bühnenbildfreien Welt im Wechselschritt voran bewegen.

Gewaltausbruchs-Salven

Salve steht hier aber nicht nur für den Gruß der Himmelskönigin, sondern auch für das konzertierte Abfeuern von Schusswaffen: Zum ballernden Sound (Kristian Musser) fetzen Kirill Goncharov und Jean Philipp Viol in wilden Arpeggien und höchsten Lagen über die Saiten und Griffbretter von Violine und Viola. Währenddessen marschiert Alev, die zu Beginn des Stückes mit bösem Blick Verwünschungen ins Publikum geschleudert hat, mit einer Kinderknarre durch die Gegend und feuert in aller Seelenruhe auf ihre Spielgefährt*innen – rote Farbe. Nicht der sprühendste Einfall, aber die Szene gewinnt ausgerechnet durch ihre Überlänge.

Kurz erscheinen im Kontrast die kleinen, wirkungsvoll platzierten Choreographien: Da torkelt und strauchelt das Häuflein Menschen synchron. Verletzte Comicfiguren, die sich mit großer Geste an Hals, Bauch, Kopf fassen, und wieder von vorn und wieder und wieder. Groß in Satz und Umsetzung sind die mehrstimmigen Gesangsnummern. Da können die Darsteller*innen, die jede/r für sich im Schauspiel brillieren, auch ihre Musikalität sprechen lassen.

Schlagerselige Verfremdung

Den Ton trifft Arrangeur Kristian Musser nicht zuletzt durch ganz leichte Verfremdungen der Schlager und Schnulzen mit den beiden anti-schwelgerischen Streichern. So gelangen unmögliche Lieder zu verblüffender Wirkung.

ICHGLAUBE2 560 Stefan Hauer u Beten, singen, tanzen © Stefan Hauer

Denunziert wird nur ein Mal: Nachdem der naive Benjamin den sich überlegen gerierenden Martin mit dem Mireille Mathieu-"Martin" assoziiert hat, kontert der bloßgestellte Titelheld mit einem höllischen Hit. Zumindest darf Susanne zu dieser "Patrona Bavariae" nicht nur abhotten, sondern auszucken.

Nicht nur im Kitschlied, sondern auch in ironiefreien Momenten geht es dann plötzlich um die Liebe. Weniger um Sexualität: Diese kommt beim Durchhecheln der lust- und körperfeindlichen Vorschriften der Religionen zum Ausdruck, stimmig durch die weiblichen "Repräsentantinnen" von Katholizismus, Protestantismus und Islam.

Und die Liebe

Wenn aber von der Liebe gesprochen wird, vermittelt durch Filmszenen oder eigene Erfahrungen, dann von kleinen, besonderen Momenten. Und vom Ende, sei es durch Entzauberung oder einfach angesichts der Tatsache, dass jemand "jeden Tag einen Kakao und einen Mohnstriezel" zum Frühstück isst. Was ist nun das künstlerische Credo von Martin Gruber? Ich glaube, dass er der unheilvollen Benutzbarkeit, die Religionen und Weltanschauungen innewohnt, etwas entgegenzusetzen hat: die Kraft des reibungsvollen Miteinander.

Ich glaube
von Martin Gruber und aktionstheater ensemble
Regie: Martin Gruber, Regieassistenz: Robin Sarah Ströhle, Dramaturgie: Martin Ojster, Musik/Arrangements, Sound-Design: Kristian Musser, Musiker: Kirill Goncharov, Jean Philipp Viol.
Mit: Susanne Brandt, Alev Irmak, Martin Hemmer, Claudia Kottal, Benjamin Vanyek.
Dauer: 1 Stunden 10 Minuten, keine Pause

www.aktionstheater.at

 

Kritikenrundschau

Mit "Ich glaube" maße sich Martin Gruber "keinen philosophisch-theologischen Diskurs an", sondern zeige, "wie Metaphysik, Spiritualität oder Repression in den Alltag wirken", schreibt Christa Dietrich in den Vorarlberger Nachrichten (8.6.2017). Es sei die Direktheit, mit der die Darsteller*innen "agieren, es ist die Naivität, die gespielt, aber nicht aufgesetzt wirkt, es sind die kleinen Gesten bis hin zum Posieren, die Assoziationen freisetzen und kulturgeschichtliche Faktoren vermitteln, es ist der choreografisch getaktete Wechsel von Coolness und Leidenschaft, das Aufeinandertreffen von harten Grooves und Schlagerschnulzen, (...) und es ist die Offenheit, die 'Ich glaube' so ansprechend" mache. "Sich selbst miteinzubeziehen", schaffe das Aktionstheater "nicht nur methodisch großartig, es erreicht damit auch eine unvergleichliche Spannung."

 

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