Widerspenstig, instabil

von Jan Fischer

Hannover, 10. Juni 2017. Das erste Hindernis liegt gleich im Eingang: Wer die Inszenierung "Portrait of myself as my father" aus Zimbabwe bei den Theaterformen in Hannover besuchen möchte, muss über einen der Performer hinwegsteigen, der breitbeinig im Eingang liegt. Laute Musik knallt durch den Saal. In der Mitte des Raumes ist mit weißen Spanngurten ein Boxring markiert, in dessen äußerer Ecke ein weiterer Performer lümmelt, nackt bis auf ein paar Lederriemen um den Bauch, eine Boxershorts und ein Ledersuspensorium mit Nieten. Die Regisseurin und dritte Performerin der Inszenierung, Nora Chipaumire, deklamiert derweil in Football-Schulterpads mit einem Holzpenis, der ihr in der Wadengegend baumelt, über die Musik hinweg "This is a manifesto" ins Mikro. Die ersten Zuschauer stecken sich die neonfarbenen Ohrstöpsel in die Ohren, die beim Einlass vorsorglich ausgeteilt wurden.

Postkoloniale Blicke

Das diesjährige Festival Theaterformen in Hannover zeigt ausschließlich Inszenierungen von Regisseurinnen und Gruppen mit weiblicher Beteiligung. Das schlägt sich auch im Inhalt nieder. Nach dem Auftakt mit Tristesses gilt das auch für die zwei Inszenierungen aus Südafrika und Zimbabwe, die auf unterschiedliche Weise auf die Suche nach neuen Identitäten sind. So ist "Portrait of myself as my father" einerseits eine intensive Beschäftigung mit Nora Chipaumires Vater – am Ende der Inszenierung trägt sie einen der Performer auf dem Rücken mit sich herum, nur beleuchtet vom Blitzlicht eines Handys, und sagt: "I carry the carcass of my father on my back."

Portrait Of Myself 560 Anna Lee Campbell u"Portrait Of Myself as my Father" © Anna Lee Campbell

Andererseits widmet sich der Abend eindringich Männlichkeitsinszenierungen und -stereotypen, vor allem natürlich schwarzen. Im Boxring präsentiert sie sie und kämpft mit ihnen: Sexualisierung, die Reduktion auf den Körper, auf das Animalische. Alles das wird hervorgeholt, gezeigt, solange, bis alles Menschliche aus den Performern verschwunden ist. Das ist teils ironisiert, teils gebrochen, aber immer mit der bitteren Pointe: Die Stereotype werden, von allen Seiten, immer weiter reproduziert, immer weiter gegeben, und es ist schwer, vielleicht unmöglich, ihnen zu entfliehen. Zwar blitzt in Chipaumires Inszenierung am Ende ein Hoffnungsschimmer auf – bitter und tragisch bleibt das trotzdem, weil die Rolle des Vaters letztendlich auch nur ein Instrument des kolonialen und postkolonialen Blickes auf schwarze, männliche Identitäten ist.

Was ist aus dem Traum der "Regenbogennation" geworden?

"Portrait of myself as my father" beeindruckt als intensive, laute, streckenweise anarchische Inszenierung, voller Energie und Schweiß, der allen Performern von den Körpern, den Haaren und den Bärten tropft. Und die, trotz des bitteren Nachgeschmacks, auf mehreren Ebenen, einen ganz gehörigen Wumms entwickelt. Ähnlich schweißtreibend, aber deutlich subtiler wirkt "De-Apart-Hate", eine Inszenierung von Mamela Nyamza aus Südafrika zu. Wie Chipaumire ist Nyamza Choreographin und Tänzerin. Auch in "De-Apart-Hate" werden die Zuschauer mit Musik begrüßt – in diesem Fall Kirchengesänge mit Live-Percussion, die, so Nyamza im Nachgespräch, sie an die Kirchengänge ihrer Kindheit erinnern.

DeApartHate 560 John Hogg u"De-Apart-Hate" © John Hogg

Zentrale Metapher in der Inszenierung ist eine in Regenbogenfarben angestrichene Bank – ein Verweis sowohl auf die Regenbogenflagge der LGBTTIQ-Community wie auch auf Desmond Tutus geflügeltes Wort der friedlichen "Regenbogennation", die Südafrika nach dem Ende der Apartheid werden sollte. Nyamza untersucht mit Hilfe dieser Bank, was aus dem Traum geworden ist, dass die unterschiedlichsten Menschen friedlich zusammenleben.

Die fiesen Stellen der Bibel

Tänzerisch nähern sich Nyamza und ihr Partner Aphiwe Livi dieser Bank, das einzige Bühnenbildelement der Inszenierung, die sich als widerspenstig und instabil entpuppt. Ganz gleich, wie die beiden versuchen darauf zu sitzen, immer wieder klappt die Bank weg. Ein Gleichgewicht ist nicht möglich. Um diese zentrale Metapher zum Zustand Südafrikas bauen die beiden starke Bilder: Mal steht Livi auf seiner Partnerin und deklamiert Bibelverse, mal legt sie die Bank als Sarg über ihn.

Der einzige Text, der gesprochen wird, sind eben diese Bibelverse – die allerdings noch nicht einmal ausformuliert, sondern nur als Verweise ("Epheser 6,5") wiederholt werden. Die meisten betreffen die fiesen Stellen aus der Bibel – diejenigen, die dazu genutzt werden, um Gewalt gegen Homosexuelle, Sklaverei und Rassismus zu rechtfertigen. "De-Apart-Hate" zeichnet so ein umfassendes, durch eine clevere Metapher gestütztes Bild von Südafrika – und prangert gleichzeitig Ungleichheiten an, sowohl die zwischen Schwarzen und Weißen als auch die zwischen sexuellen Identitäten, die Nyamza als lesbische Frau am eigenen Leib erfahren hat.

 

Portrait of myself as my father
Konzept, Choreografie, Regie: Nora Chipaumire, Musik: Philip White.
Mit: Nora Chipaumire, Pape Ibrahima Ndiaye (Kaolack), Shamar Watt.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

De-Apart-Hate
Konzept, Choreografie, Regie: Mamela Nyamza.
Mit: Mamela Nyamza, Aphiwe Livi, Gesang: Oyama Mbopa.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.theaterformen.de

 

Kritikenrundschau

"Starke Bilder" findet Stefan Gohlisch von der Neuen Presse (12.6.2017) in Mamela Nyamzas Theaterformen-Gastspiel über die "Regenbogennation" Südafrika: "Die Hoffnung auf das Überwinden der Unterdrückung erweist sich als wackliges Konstrukt."

Ein nicht wirklich spektakuläres Eröffnungswochenende hat hingegen Ronald Meyer-Arlt von der Hannoverschen Allgemeinen (12.6.2017) gesehen. Etwas zu einfach findet er Mamela Nyamzas Bild der hoffnungsvoll regenbogenfarbenen, aber instabilen Wippe. In "Portrait of myself as my father", angekündigt als Auseinandersetzung mit Stereotypen, entdeckt er "nichts als Behauptungen und vollmundige Versprechen" – und ein "Spiel mit einem rassistischen Topos", wenn die weißen Besucher*innen "mit Lust und Furcht" die durchtrainierten, schwitzenden schwarzen Körper betrachten.

Mounia Meiborg beschreibt "Portrait of myself as my father" in der Süddeutschen Zeitung (16.6.2017) als kluge, eindringliche und irritierende Arbeit. "Sie ist ein Frontalangriff auf die Zuschauer: Man weiß nie, ob man sich über einen beeindruckenden Move freuen soll – oder ob man gerade begeistert auf das eigene Klischeebild schaut."

Nora Chipaumire werfe vor allem die Frage auf, "ob man schlimme Zerrbilder wirksam zerlegt, indem man sie reproduziert". Überhaupt verstehe man nicht viel, weil fast die ganze Zeit zu nervtötendem Elektrogewummer ins Mikro genuschelt wird. "Warum diese Arbeit eingeladen wurde? Die Antwort kann nur lauten: Warum nicht?", so Patrick Wildermann vom Tagesspiegel (16.6.2017).
Auch Mamela Nyamzas Arbeit kommt bei ihm nicht gut weg. "Alle Bezüge und Bibelzitate aus 'De-Apart-Hate' mögen für ein südafrikanisches Publikum mühelos andockfähig sein." In Hannover sei dagegen eine Extraportion Interpretationsfuror nötig, um aus dem Duett auf einer kippelnden Regenbogenbank mehr herauszulesen als das Offensichtliche. Nicht jede Arbeit passe in jeden Kontext. "Was bedauerlich ist, weil Mamela Nyamza ohne Zweifel eine präsente und präzise Tänzerin ist."

Anlässlich des Gastspiels von "Portrait of myself as my father" beim Spielart-Festival München schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (8.11.2017): "Nora Chipaumire ist der Knaller des Festivals. Schon bevor die Zuschauer die Muffathalle in München betreten, dröhnt ihnen infernalischer Lärm entgegen, durchsetzt von Wortkaskaden in vier Sprachen (...) Was man versteht, ist die Haltung, die Attitüde: Die schwarze Performerin aus Simbabwe, die längst in New York lebt, tritt beim Festival "Spielart" nicht an, um in Larmoyanz die Folgen des Kolonialismus in ihrer Heimat zu beklagen. Sie hat Stolz und Wut, und ihre Performance nennt sie 'the ultimate manifesto about the black african'." 

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