Acht gewinnen

12. Juni 2017. Der zweite Theaterpreis des Bundes geht einer Pressemitteilung des Staatsministeriums für Kultur und Medien zufolge an acht Theater von 131 Theatern, die sich beworben hatten.

1. Theater und Philharmonie Thüringen, Gera und Altenburg (TPT)

Die Begründung der Jury: "Die Theater und Philharmonie Thüringen ist ein 'Theater der Welt' jenseits der Metropolen. Ein Ort, an dem Schauspieler*innen aus Burkina Faso, der Türkei, Österreich, Deutschland, Rumänien und Griechenland zusammenkommen – und das nicht bloß kurzzeitig im Rahmen eines Gastspiels, sondern als festes Ensemble. Diese bewusst gesetzte Diversität wirkt in beiden Häusern fort: Derzeit sind in Altenburg und Gera Mitarbeiter*innen aus insgesamt 26 Nationen aus der ganzen Welt beschäftigt. Das künstlerische Programm, das sich aus dieser Struktur ableitet, ist eigenwillig. Statt lediglich auf Kassenschlager, setzt die TPT in allen Sparten auf Randständiges, Vergessenes und Verdrängtes. 'Opernwiederentdeckungen des 20. Jahrhunderts', 'Wegmarken der europäischen Geschichte' und 'Vom Himmel hoch – Glaube und Gesellschaft' markieren die großen gedanklichen Linien. Die TPT ist mit diesem Programm widerständig gegenüber einem Denken der Einengung und Abschottung, aber nicht verschlossen. Der Diskurs sei das Produktive, so Schauspieldirektor Bernhard Stengele, und nicht der Fehler im System."

www.tpthueringen.de/
Preisgeld: 115.000 Euro

2. Theater Naumburg

"Das Theater Naumburg ist de facto eine Theaterneugründung: 2009 wurde es von einer Puppenbühne in ein Ensembletheater umgewandelt. Seitdem entwickelt es als kleinstes Stadttheater Deutschlands ein Programm für alle Generationen – und greift insbesondere seit 2015, als Stefan Neugebauer die Intendanz übernahm, weit in die kleine, aber geschichtssatte Stadt aus, erobert Kirchen, Museen, Gerichtssäle – und das Publikum. Dabei gelingt ihm zum Beispiel mit nur vier Ensemblemitgliedern auch Goethes 'Faust' an zwei verschiedenen Spielstätten – nah am Text und doch originell. Dieses Engagement möchten wir mit der Preisverleihung ebenso würdigen wie den Mut der Kommune, in Zeiten, in denen eher über Ensemble- und Theaterschließungen nachgedacht wird, ein eigenes Ensemble aufzubauen."

www.theater-naumburg.de

Preisgeld: 115.000 Euro

3. ETA Hoffmann Theater, Bamberg

"Das ETA Hofmann Theater Bamberg segelte in der Spielzeit 2015/16 unter neuen Segeln und aufgefrischtem Wind. Der Intendantin Sibylle Broll-Pape ist es mit einem jungen, engagierten Team von Schauspielern und Mitarbeitern, die mit den erprobten Kräften des Hauses eine kreative Zusammenarbeit aufnahmen, gelungen, neue Akzente zu setzen. Die Jury überzeugte es, wie die Intendantin nicht nur, wie von ihr angekündigt und heute so oft verlangt, das Theater 'geöffnet' hat, sondern eigenwillig ungewöhnliche Kontakte und Kooperationen eingegangen ist. In der ersten Spielzeit wurden unter dem Motto 'Heimat – Was ist deutsch?' Komödien ausgegraben, Klassiker inszeniert und neue Stücke gezeigt: Hebbels 'Nibelungen' trafen auf Konstantin Küsperts 'Rechtes denken' und auf Roland Schimmelpfennigs Einwanderungsgesellschaftsstück 'Das schwarze Wasser'. Dazu gab es in Kooperation mit den Bamberger Symphonikern den Abend 'Die deutsche Seele'. Die sehr eigenwillige Mischung erforderte Mut und Risiko und dies haben die Beteiligten neben einem hohen Einsatz aller Kräfte auf, um und hinter der Bühne gezeigt. Die Studenten der Stadt strömen in die Aufführungen, aber auch das alteingesessene Publikum ist von den neuen Impulsen begeistert. Engagiertes Denken und Gesellschaftskritik prägen den Geist des Hauses. Ein Nachdenken über das Heute mit Werken von einst und ein immer wieder überraschender Blick auf die Gegenwart weckt Neugier. Theater das sich einmischt, aussetzt und gleichzeitig Humor und Witz beweist: ein Karfunkelstein in Franken, dem Namensgeber überaus angemessen."

theater.bamberg.de

Preisgeld: 115.000 Euro

4. Theater der Jungen Generation, Dresden (TJG)

"Das Theater der Jungen Generation Dresden ist ein Kinder- und Jugendtheater, das sich einer klassischen Definition widersetzt. Wer als Erwachsener das auf internationale Projekte und Forschungsschwerpunkte angelegte Programm in die Hände bekommt, will am liebsten gleich selbst dorthin. Das TjG bietet Theater für alle Altersgruppe von 2+ bis 16+ und weit darüber hinaus. Seine künstlerischen Themen sind dezidiert gegenwartsbezogen, ohne die Komplexität der derzeitigen Fragen, Probleme und Verwerfungen zu leugnen. Ein Programmschwerpunkt beschäftigt sich mit Theater und digitalen Medien, im Generator, einer Rauminstallation, die im Studio des neu bezogenen Spielorts Kraftwerk Mitte errichtet wurde, findet Demokratieforschung statt. Wie jeder gute Forscher lässt das TjG auch die Vergangenheit nicht aus den Augen und geht dabei außergewöhnliche Allianzen ein. 'Der Fischer und seine Frau' von Einar Schleef nach den Gebrüdern Grimm, das 1974 im Dresdner Puppentheater uraufgeführt und sofort nach der Premiere verboten wurde, entstand in der Spielzeit 2015/16 in Koproduktion mit dem Staatlichen Jugendtheater Hanoi. In einer zutiefst gespaltenen Stadt, betont das TjG, will es ein Theater für alle sein."

www.tjg-dresden.de

Preisgeld: 115.000 Euro

5. Lichthoftheater, Hamburg

"Beim Lichthoftheater in Hamburg-Bahrenfeld hat die Jury der große Mut beeindruckt, mit dem diese kleine Bühne sowohl experimentellen Theaterformen wie auch dem künstlerischen Nachwuchs der Hansestadt einen Produktions- und Spielort zur Verfügung stellt. Dabei ermöglicht der Lichthof eine immer wieder Grenzen überschreitende Vielfalt theatraler Formate in einem weit gespannten Spartenspektrum von Schauspiel über Musiktheater und Tanz und bis zur Performance. Er kooperiert mit prägenden Institutionen der Stadt und auch in weitreichenden überregionalen Netzwerken. Offenbar finden die Theaterkünstler hier kompetente und kooperative Ansprechpartner für ihre Pläne und Projekte. Damit leistet der Lichthof einen ebenso unverwechselbaren wie auch unverzichtbaren Beitrag zur Theaterszene Hamburgs und weit darüber hinaus."

www.lichthof-theater.de
Preisgeld: 50.000 Euro

6. Tanzhaus NRW, Düsseldorf

"Nach Jahrzehnten der Kontinuität hat das tanzhaus NRW mit Bettina Masuch als Intendantin 2014 einen Neustart gewagt. Seither wurden die lokalen Verbindungen gestärkt und die Jugendarbeit im 'jungen Tanzhaus' fortgesetzt. Zudem hat das Haus internationale Ausstrahlung durch die enge Zusammenarbeit mit den 'factory artists' gewonnen. Mit thematischen Setzungen, wie 'Real Bodies' sowie 'Zusammen' hat sich das Haus auch gesellschaftlichen Themen zugewandt, die sich in künstlerischen Ästhetiken niederschlagen. Zwischen Ausbildungsort und 'community space' situiert, schlägt das tanzhaus nrw auch mit Konferenzen wie 'Inventur 2' eine Brücke zu den internationalen Diskursen unserer Zeit. Dem tanzhaus nrw gelingt damit die Verbindung zwischen künstlerischer Avantgarde, den Themen der Gegenwart und der Stadtgesellschaft, die tänzerisch, ganz praktisch, dort zu Hause ist. Die Fokussierung auf Tanz nutzt das Haus für eine Gemeinschaftsbildung in Bewegung."

tanzhaus-nrw.de

Preisgeld: 115.000 Euro

7. Sophiensaele, Berlin

"Mit den sophiensaelen würdigt die Jury die kontinuierliche Arbeit für die freie Szene in all ihren Spielarten in der Mitte der Hauptstadt. Den sophiensaelen unter der künstlerischen Leitung von Franziska Werner ist es gelungen, die Zusammenarbeit mit freien Gruppen in inhaltlichen Schwerpunkten fortzusetzen und diese weiter zu entwickeln. Obschon das Haus über geringe Mittel verfügt, ist es ein lebendiger Ort des Austauschs und der Diskussion unter Künstler*innen und in die Stadt hinein. Dem Haus ist es zudem gelungen, international renommierte Künstler*innen aus verschiedenen Sparten, wie Milo Rau oder Lea Moro, zu begleiten bzw. deren Arbeit gemeinsam mit ihnen zu entwickeln. Inhaltlich hat das Haus in den letzten Jahren eine Auseinandersetzung mit Postkolonialismus und Queerness verstärkt verfolgt und damit Akzente für die Zukunft gesetzt. Neben der wichtigen Funktion, die das Haus auch für Tanz und nicht nur in Berlin einnimmt, widmet es sich neuen Musiktheaterformen und bildet damit die Vielfalt der freien darstellenden Künste auf vorbildliche Weise ab. Die sophiensaele bestehen neben den Netzwerken der großen Produktionshäuser und befinden sich dennoch in großer Sichtbarkeit nicht nur lokal in der Mitte der Gesellschaft."

www.sophiensaele.com

Preisgeld: 115.000 Euro

8. Schaubude Berlin

"Die Berliner Schaubude gehört zu den wichtigsten Figurentheatern Deutschlands. Damit führt sie eine spezifisch ostdeutsche Puppentheatertradition fort, ohne sich auf eine ästhetische Handschrift festlegen zu lassen. Im Gegenteil: Mit seinen vielfältigen Kooperationen, Festivals, Nachwuchsförderprogrammen, mit seinem Angebot für alle Altersgruppen, seinen Genregrenzüberschreitungen und seinen entschiedenen Such- und Forschungsbewegungen in digitale Welten gehört dieses kleine Haus zu den kreativen Motoren Berlins."

www.schaubude.berlin

Preisgeld: 115.000 Euro

Die Höhe der einzelnen Preisgelder ergibt sich aus dem in der Auslobung festgehaltenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nach dem sich die Preisgelder an der (übrigen) öffentlichen Förderung der ausgezeichneten Theater orientieren sollen.

Die Staatsministerin

Zu der Preisvergabe erklärte die Kulturstaatsministerin Monika Grütters: "Es sind oft gerade die kleineren Bühnen, die mit experimentellen Theaterformen und breitem Spartenspektrum einen unverzichtbaren Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander leisten ... Theater sind eben unverzichtbare Orte öffentlicher Debatten, die die Gesellschaft nie nur abbilden, sondern sie immer auch mitformen. Gerade diese nun ausgezeichneten Bühnen möchte der Bund in ihrer künstlerischen Arbeit ermutigen und in ihrer Rolle stärken. Mit dem Theaterpreis wollen wir den Theatern mehr – auch medienwirksame – Aufmerksamkeit und Wertschätzung verschaffen."

Bewerbung und Jury

Der Theaterpreis des Bundes richtet sich an kleine und mittlere Theater – insbesondere auch jenseits der Metropolen –, deren Programm in der Spielzeit 2015/16 Grundlage der Bewertung war. Mit den Preisgeldern in Höhe von insgesamt 855.000 Euro möchte der Bund Bühnen würdigen, die in ihren Produktionen oder strukturellen Entscheidungen einen künstlerischen Anspruch verteidigen, der überregionale Beachtung verdient.

Die Theater waren dazu aufgefordert, sich selbst zu bewerben; Bewertungs-Grundlage war ihr Programm in der Spielzeit 2015/16. Der von Staatsministerin Monika Grütters berufenen Jury gehörten der Chefredakteur von Die deutsche Bühne Detlef Brandenburg, Theater der Zeit-Redakteurin Dorte Lena Eilers, nachtkritik.de-Redakteur Georg Kasch, die Intendantin des Theater Augsburg Juliane Votteler und Stefanie Wenner, Professorin an der HfBK Dresden, an.

Preisverleihung und Symposium

Die Realisierung des Theaterpreises erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts (ITI). Die Verleihung der Preise wird am 6. Juli 2017 im Theater der Altmark Stendal, vor anderthalb Jahren unter den Gewinnern des Ersten Theaterpreises, stattfinden. Am Nachmittag vor der Preisverleihung findet im Theater der Altmark ein Symposium zum Thema "Theater als Soziale Räume der Öffentlichkeit" statt.

(BKM / www.iti-germany.de / jnm)
 

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Kommentare  
Theaterpreis des Bundes: Süden?
Irgendwie seltsam, dass es im Süden keine förderungswürdigen Theater geben soll. Und war das nicht beim letzten Mal auch schon so?

(Lieber Aha, zumindest Bamberg ist aber weder Osten noch Norden noch Westen, oder? Herzlich wb für die Red.)
Theaterpreis des Bundes: Metropolen?
Und irgendwie auch seltsam, dass Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Dresden wohl zu "jenseits der Metropolen" zählen.
Theaterpreis des Bundes: erfreulich differenziert
Ich finde die Begründungen für die Sonder-Vergabe jedenfalls sehr ausgewogen und nachvollziehbar, so dass es mich freut für die Häuser.
Natürlich wäre es schöner und nicht aufzugebendes Ziel, wenn man auf Sonder-Vergaben verzichten könnte und generell mehr Geld in Theaterarbeit fließen würde, aber die Begründungen finde ich sehr gut spezifisch hingesehen und erfreulich differenziert beurteilt. Darf man das sagen, oder gibt es dann gleich Klassenschelte?
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