Fassbinder, Faust and the Animists - Im HAU Berlin zelebriert Michael Laub Rainer Werner Fassbinders "Warnung vor einer heiligen Nutte"
High on Fassbinder
von Sophie Diesselhorst
Berlin, 28. Juni 2017. 17 Schauspieler*innen verbeugen sich zum Applaus, und jede*r von ihnen hat mindestens dreimal das Kostüm gewechselt. Gut, die Bühne ist nur ein nach hinten zur Leinwand hochgeklappter weißer Bodenbelag, und als Requisiten müssen ein paar Stühle und Sessel unterschiedlicher Machart reichen. Trotzdem ist hier gerade zwei Stunden lang eine Materialschlacht geschlagen worden, wie man sie sonst eher aus gut ausgestatteten Stadttheatern gewohnt ist.
Individuelle Selbstdarstellungskünste
Die Verschwendung ist das Prinzip dieses Abends – nicht nur die materielle, sondern vor allem die Selbstverschwendung der Schauspieler*innen, die das Publikum zu sich locken wollen, in die Welt von Rainer Werner Fassbinders "Warnung vor einer heiligen Nutte" und dafür ihre individuellen Selbstdarstellungskünste eskalieren lassen.
Passenderweise porträtiert der Film ja auch vor allem Schauspieler*innen; eine Filmcrew sitzt in einem Hotel irgendwo am Mittelmeer fest (die Bediensteten sprechen abwechselnd spanisch und italienisch) und wartet darauf, dass die Dreharbeiten weitergehen. Man langweilt sich zu Tode, man säuft und vögelt durch die Gegend, wenn es nicht mehr auszuhalten ist; man inszeniert sich aber die meiste Zeit vor allem selbst für die Kamera, die noch nicht läuft.
Die Ebenen fallen ineinander und um wie Dominosteine
Smartphones gab es ja nun noch nicht in den 70ern – die schnelle Triebabfuhr per Selfie ist hier also unmöglich, was dazu führt, dass man sich unterhaltsam ins Gehege kommt und aneinander aufreibt. Und dass die bleibende Einsamkeit jedes Einzelnen umso schmerz-, weil dauerhafter in die Öffentlichkeit erblühen kann. All das kondensiert in einer kurzen Szene, auf die Michael Laubs "Fassbinder, Faust and the Animists" geradezu obsessiv immer wieder zurückkommt: Die Sonne geht unter, sie hängen auf der Hotelterrasse ab, und auf einmal explodieren im Cuba-Libre-Dunst zwei Streitigkeiten. Das ungerührte Zentrum bleibt Hanna Schygulla in kurzem weißem Kleid, die in lasziver Zeitlupe zu "Let’s go get stoned" tanzt.
Laubs Schygulla-Darstellerin Melissa Holley ist dann auch die erste, die sich komplett aus dem Geschehen lösen, "Hannas" (so auch Schygullas Figurenname im Film) sämtliche Texte hintereinander wegsagen und sich voll ins Artifizielle schrauben darf. Aber jede*r kommt mal dran. Nacheinander stellen sich die Filmfiguren vor und rattern gleich alles runter oder spielen kurze Szenenschnipsel nach – manchmal auch als Karaoke, während im Hintergrund der Originalfilm läuft. Oder es läuft auf der rechten Seite der Leinwand der Originalfilm, auf der linken die nachgestellte Szene mit Laubs Schauspieler*innen, und davor performen sie sie noch einmal live. Die Ebenen fallen ineinander und um wie Dominosteine – auch sie können sich dem Verschwendungsprinzip nicht entziehen.
Wenn das Filmbild abhebt
Das Verschwendungsprinzip weht auch hinein in die Atemlosigkeit der Szenenwechsel – kurze Tableaux Vivants, schnell aneinandergeschnitten. Vorm Auseinanderfallen retten das dynamisierende Tanzeinlagen, in denen sich die große Gruppe oder kleinere Einzelgruppen zu Synchron-Choreografien zusammenfinden und das Publikum animatorisch antanzen.
All diese Einzelzutaten ergeben eine starke, eigene Grundstimmung, aus der sich dann aber erstaunlich wenig speziell Erstaunliches entwickelt. Es gibt eine tolle "Yoga-Szene", in der Leonard Cohens "So long, Marianne", das Fassbinders Film leitmotivisch durchzieht, von einem Ooohm-Chor background-sängerisch begleitet wird, wobei die Oohms zusammen mit den Gesichtsausdrücken der Sänger*innen immer zombiehafter werden, bis das die Situation doppelnde Filmbild hinten in den Himmel abhebt, als wären wir mit David Lynch bei einer transzendentalen Meditation. Es gibt ein verrücktes Gretchen-Solo als Manga-Porno-Figur, die ihre keuschen Zeilen maximal verrät, indem Astrid Enduweit jeden Vokal auf sexy-Lippenschürzungs-Potential hin ausquetscht.
Ode an die Ode
Denn Faust kommt ja auch vor im Titel, sowie "the Animists" – wobei sich diese Zusammenhänge nicht unmittelbar erschließen. Vielleicht gibt es deshalb den unterspannten Ab-Moderator, als der einer der Schauspieler ab und zu auftritt und in bekiffter Tonlage Dinge sagt wie: "The word animism doesn't really mean anything" oder eben "We're also gonna do some Faust".
Irgendwo ist das auch nur konsequent, so tief wie sie sich in die Welt von Fassbinders Ode an die Selbstreferentialität des Darstellenden Künstlertums hineinbegeben haben. Wie sollen sie sich da noch für irgendwas interessieren, was man von der Hotelterrasse aus nicht sehen kann. So gerät "Fassbinder, Faust and the Animists" zur Ode an die Ode, die manchmal so doll übersteuert wird, dass sie fast wie ein versuchter Exorzismus wirkt.
Den Szenen, in denen es bei Fassbinder schmerzhaft wird, weil die Schauspieler aneinanderknallen und einander wehtun, wird allerdings nicht genug Raum gegeben. Sie werden durch das Spiel mit der Dekonstruktion entschärft: Das Bühnengeschehen bleibt harmloser als sein idolisiertes Original – und kommt so doch im Selfie-Zeitalter an.
Fassbinder, Faust and the Animists
Konzept und Regie: Michael Laub, Dramaturgie: Astrid Endruweit, Choreografie: Greg Zuccolo, Vanthy Khen, Michael Laub, Video / Technische Leitung: Bodo Gottschalk, Licht: Nigel Edwards, Ton: Stephan Wöhrmann, Toni Bräutigam, Kostüm: Maria Roers, Monique Van den Bulck, Rebekka Schwark, The Cast.
Mit: Juli Apponen, Allison Brainard, Magdalena Chowaniec, Maxwell Cosmo Cramer, Astrid Endruweit, Lukas Gander, Robert Gather, Melissa Holley, Mike Iveson Jr., Vanthy Khen, Florian Lenz, Teyva Ly, Gabrielle Miller, Melissa Anna Schmidt, Chanrotha Un, Greg Zuccolo, Lars Studer; Im Video: Hilde Dalik, Luis Lüps, Daniel Philipp Roth, Jereon van Vliet.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.hebbel-am-ufer.de
Es werde mit einer solch nonchalanten Laszivität getanzt, "dass man die Augen kaum weit genug aufkriegt", staunt Simon Strauß von der FAZ (30.6.2017). "Laubs phantastisch zusammengestellte Besetzung hat die gleichgültige Stimmung des Films in sich aufgesogen, seine Schwermut und Leere zum zentralen Kriterium des Ausdrucks erklärt." Was einem im ersten Moment fast improvisiert vorkomme, sei in seiner Beiläufigkeit perfekt choreographiert und aufeinander abgestimmt. Laubs Fassbinder-Stück sei "ein Werkkommentar, der sich eigene Ableitungen erlaubt und von den Zwängen der Selbstreferenz befreit".
Eine "beschwingte Pop-Revue, ein gefühliges Sommerstück aus vielen Clips und Cut Ups", sah Ute Büsing vom Info-Radio (29.6.2017). "Auch wenn hier bewusst Disparates zusammengefügt wird, was nicht immer zur Verständlichkeit beiträgt: Diese neue Arbeit des 64-jährigen Pioniers des postdramatischen Theaters entfaltet eine ganz eigene Sogwirkung."
Laub sei dafür bekannt, dass er unerschrocken die verschiedenen Kunstformen kombiniere und zusammenbringe, was nicht zusammenpasst, schreibt Sandra Luzina im Tagesspiegel (30.6.2017). Doch was treibe Laub und seine Darsteller an? "Gewiss kein Faust'scher Erkenntnisdrang." Dem Fassbinder-Film gewinne der Choreograf kaum neue Aspekte ab. "Doch es gelingt, den Film, der in seiner Ästhetik heute sehr fremd wirkt, weiter zu verfremden."
"Eine trashige, melodramatisch-hysterische Reanimation von Rainer Werner Fassbinders Film 'Warnung vor einer heiligen Nutte' aus dem Jahr 1971" hat Eva-Elisabeth Fischer für die Süddeutsche Zeitung (20.7.2017) beim Gastspiel der Produktion auf dem Wiener Impulstanz-Festival gesehen. Der gebärdensprachliche Monolog von Astrid Endruweit oder auch ihre Verwandlung des Gretchen "in eine pornogeile Manga-Figur" ragen für die Kritikerin heraus. "In solch traurigen, komischen Szenen mag man Laub gerne folgen, anerkennend, dass sich das Stück aus Laubs Lebenswirklichkeit zwischen Berlin und Kambodscha, zwischen Film, Theater und Animismus speist."
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