Hygiene, Schnitzel, Bier 

von Kornelius Friz

Hannover, 11. August 2017. Im August ist Theaterpause. Die Schauspieler fliegen in den Urlaub, die Regisseurinnen verziehen sich zum Denken in ihre dunklen Kammern. Das Publikum genießt es derweil, auch mal ohne schlechtes Gewissen zu Hause bleiben zu dürfen. Und die Bühnen der deutschen Theaterhäuser können sich erholen von einer weiteren Spielzeit voller Kunstblut, Laienchöre und Live-Videos.

Von Testosteron geprägte Männerfreundschaft

Doch zwei tragikomische Ausnahmen dieser Sommerpause gibt es. Eine davon wird diesen August uraufgeführt: Die Fehde um den Intendantenwechsel an der Berliner Volksbühne, der spätestens seit Petition und Shitstorm in sozialen Netzwerken zur Farce geworden ist. Die andere Ausnahme wird Jahr für Jahr auf vielen Bühnen gezeigt: Das Sommertheater unter freiem, zumeist aber verregneten Himmel, das den Ensembles die Theaterferien verhagelt und den zuhausegebliebenen Zuschauerinnen Abwechslung von Balkonien ermöglicht.

indien2 560 Karl Bernd Karwasz uMännerfreundschaft mit bösen Witzen: Frank Wiegard, Janko Kahle, Günther Harder
© Karl Bernd Karwasz

Das Sommer Hof Theater, wie es am Schauspielhaus Hannover heißt, zeigt die Tragikomödie "Indien" von den österreichischen Kabarettisten Josef Hader und Alfred Dorfer von 1991. 1993 haben die beiden das Stück in die Kinos gebracht, mit sich selbst in den Hauptrollen, und wurden damit schlagartig bekannt. Der Tradition des alljährlichen Open-Air-Spektakels im Theaterhof folgend, hat der Hannoveraner Intendant Lars-Ole Walburg heuer diesen Stoff hervorgekramt, lediglich befreit vom österreichischen Schmäh des Originals.

Witze mit Bart

Kurt Fellner und Heinz Bösel vom Fremdenverkehrsamt reisen von Wirtshaus zu Wirtshaus, um diese auf Hygiene, Schnitzel und Bier zu prüfen. Bösel ist ein grantiger Biertrinker mit Halbglatze. Fellner dagegen kommt in seinen Turnschuhen ebenso dynamisch wie strebsam und bieder daher. Mit seinen spekulativen Erzählungen von fremden Völkern quält er seinen Kollegen, der nur das Nötigste über die Lippen bringt. Natürlich kommen die beiden einander allmählich näher. Nachdem Bösel es gelingt, in Anwesenheit Fellners zu scheißen, gehen die beiden sogar zum Du über, ja, es entwickelt sich geradezu eine dieser berüchtigten, vom Testosteron geprägten Männerfreundschaften.

Die Handlung des Films wurde von der niederösterreichischen in die brandenburgische Provinz verlegt, das Roadmovie wird zum Kammerspiel in der Gaststätte. Ansonsten verlässt sich Walburgs Inszenierung verhältnismäßig stark auf eine naturalistische Darstellung, als wollte sie der filmischen Vorlage möglichst treu bleiben.

Natürlich sind es die Frauen und der Alkohol, die die beiden füreinander empfänglich machen. Nachdem Fellner erfährt, dass seine Freundin eine Affäre hat, während er auf Dienstreise ist, beginnt er, ebenso viel zu trinken wie sein Kollege. In ihrer Einsamkeit finden die zwei Männer Trost beieinander und verschwören sich gegen alles Fremde: die Wirte, "die Neger", die Frauen. Den rassistischen und sexistischen Witzen, die dabei gerissen werden, merkt man an, dass sie aus den Neunzigern kommen und auch die theatrale Kommentierung, etwa als in die Luft gezeichnete Anführungszeichen oder als das irre Lachen der beiden Betrunkenen, macht ihren schamlosen Exotismus weder komisch noch intelligent oder zumindest weniger traurig.

Die Pointen laufen ins Leere

Nach einem Streit sagt der Yuppie Fellner zu seinem eingeschnappten Gegenüber, dass sie doch endlich darüber sprechen sollten, was zwischen ihnen steht: "Ach, was heißt reden? Das klingt so hart", korrigiert er sich, "unterhalten wir uns lieber!" Leider ist "Indien" aber keine gute Unterhaltung. Auch nicht, als die allzu gewollte Komik mit einem Mal ins Tragische kippt. Hodenkrebs lautet die Diagnose beim Jüngeren der beiden Kollegen – bei diesem ein Vierteljahrhundert alten Stoff sei der Spoiler gestattet – und zunächst scheinen beide nicht zu verstehen, was das bedeutet. Doch dann findet Fellner es doch ganz wunderbar, dass er nun einen Termin habe, wann er "zu anderer Materie" werden wird. Und schon belehrt er den heulenden Bösel über Wiedergeburt, als wäre er der todkranke Til Schweiger in "Knockin' On Heaven's Door", der das Meer sehen will, bevor es zu spät ist. Leider bleibt die Krankenbettphilosophie über das Sterben, das Schicksal und die Freundschaft an der Oberfläche, was konsequent ist bei diesen eindimensional dar- und ausgestellten Figuren.

Es liegt nicht am einsetzenden Nieselregen, dass bei der Premiere von "Indien" weder Theater- noch Kneipenstimmung aufkommt. Ab Herbst wird das Stück im Brauhaus Ernst August gezeigt. Vielleicht passen die Zoten der beiden Männer besser dorthin als in den Theaterhof, wo alles ins Leere läuft, was als Pointe angelegt war. Günther Harder, Janko Kahle und Frank Wiegard, die sich tapfer durch den Sommerregen spielen, hätten echte Theaterferien verdient, wenn auch der Sommer nicht recht mitspielt. Vielleicht gibt es nächstes Jahr in Hannover tatsächlich zumindest einen ganzen August ohne Inszenierung. Und falls doch wieder unter freiem Himmel eine fluffig-derbe Wohlfühlkomödie mit tragischen Einsprengseln gezeigt werden sollte, kann man stattdessen immer noch nach Indien fliegen.

 

Indien
von Josef Hader und Alfred Dorfer
Regie: Lars-Ole Walburg, Bühne: Robert Sievert, Kostüm: Annika Lohmann, Dramaturgie: Rania Mleihi.
Mit: Günther Harder, Janko Kahle, Frank Wiegard.
Dauer: 1 Stunde, 30 Minuten

www.staatstheater-hannover.de

Kritikenrundschau

Die Geschichte sei nur im Kino ein Road-Movie, im Theater nicht einmal ein Stationendrama. Weil alle Stationen gleich aussähen, komme die Geschichte nicht vom Fleck,
schreibt Ronald Meyer-Arlt in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (14.8.2017). Auch sei die Bühne zu groß für das Spiel. Eine Studiobühne wäre geeigneter, intimer gewesen. Walburg versuche nicht, den Raum zu erobern und auch nicht die Geschichte.

Walburg setze erfolgreich auf Purismus, schreibt Stefan Gohlisch in der Neuen Presse (14.8.2017) Auf der Bühne: "Zwei Unsympathen von Sympathieträgern gespielt." Indien erzähle von traurigen Männern und vom Ende der Träume. "Ein Trauerspiel. Wenn es nicht auch sehr komisch wäre."

Kommentar schreiben