So war’s nicht

von Anne Rabe 

14. August 2017. Sexismus, strukturelle Benachteiligung und Gewalt sind in unserer Gesellschaft allgegenwärtig, die Diskussion darüber notwendig. Deshalb hat es mich nicht gewundert, dass es auch eine Debatte zu Sexismus an Schreibschulen gibt. Heute aber wurde ich durch nachtkritik.de auf einen Text von Darja Stocker aufmerksam (hier die Presseschau des Texts, der im "Merkur" erschienen ist), der, wie nachtkritik.de es selbst zusammenfasst, von "erschütternden Erfahrungen während der Zeit" an der Universität der Künste in Berlin berichtet. Dieser Text betrifft mich, denn ich habe ab 2006 mit Darja Stocker gemeinsam im Studiengang "Szenisches Schreiben" studiert.

Dazu muss man wissen, dass es sich um einen sehr kleinen Studiengang handelt. Alle zwei Jahre werden 8 bis 10 Studenten ausgewählt, die dann für vier Jahre als Klasse zusammen unterrichtet werden. Dabei ist man fast ausschließlich in dieser Gruppe zusammen. Außer einer theaterwissenschaftlichen Vorlesung, die studiengangsübergreifend angeboten wurde, und einiger Theaterprojekte in Kooperation mit der Schauspielschule Ernst Busch, haben wir die Studienzeit gemeinsam verbracht. Dabei hatten wir an der UdK einen eigenen Flur mit zwei Seminarräumen (dem unsrigen und dem des anderen Jahrgangs) und einem Aufenthaltsraum, an dem die Büros unserer leitenden Professoren angeschlossen waren. Das sage ich deshalb, damit nicht der Eindruck entsteht, wir hätten uns vielleicht in ganz unterschiedlichen Veranstaltungen bewegt, wie dies in anderen Studiengängen, auch künstlerischen durchaus möglich ist.

Um es vorwegzunehmen: Ich widerspreche der Darstellung von Darja Stocker aufs Schärfste. Und zwar ausdrücklich der Beschreibung unserer gemeinsamen Studienzeit. In diesem Text befinden sich nicht nur Verdrehungen und Verleumdungen, sondern auch ganz klare Lügen. Damit möchte ich keineswegs die Debatte an sich anzweifeln und auch nicht allem widersprechen, was die Autorin ausführt, mir liegt aber daran, diese Debatte ehrlich zu führen. Sonst ist es sinnlos, denn dann führt sie zu nichts. Sonst geht es nur darum, die Krassheitsspirale in die Höhe zu drehen und um Victimisierung auch meiner Person, gegen die ich mich wehren muss. In dem Text werden keine Namen genannt, auch wenn es klar ist, um welche Personen es sich handelt. Damit diese nicht im Internet verlinkt werden können, werde auch ich auf die Nennung der Namen verzichten.

Es beginnt mit der Beschreibung eines Kusses auf einer Party. Ein Kuss zwischen zwei erwachsenen Menschen, die nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Es wird aber suggeriert, als wäre an diesem Kuss irgendetwas Anrüchiges. Im Kontext der Debatte wirkt es so, als wäre hier schon der angeblich allgegenwärtige Sexismus an der UdK sichtbar.
Ja, in unserem Seminar liefen Diskussionen aus dem Ruder und es wurde auch gebrüllt. Tatsächlich jedoch von allen Seiten und nicht, wie hier suggeriert wird, von oben nach unten. Es waren auch nicht immer alle nett miteinander. Oft gab es Neid und Missgunst über gewonnene Preise oder Inszenierungen. Das gibt es sicherlich überall und auf so engem Raum ist es wahrscheinlicher, dass man aneinander gerät. Schließlich sitzen dort neun Profilneurosen auf engstem Raum und diskutieren über ihre Texte.

Wenn man einen Text mit ins Seminar bringt, wünscht man sich, Beifall zu bekommen. Man hofft, die anderen würden einem gratulieren zu diesem wunderbaren Stück Literatur, dass man sich da aus den Fingern gesaugt hat. Nur leider passiert das nie. Und noch seltener passiert es, dass man dann als Autor denkt: stimmt, die anderen haben recht, ich werde mich gleich nochmals den Text setzen, aber dann, spätestens dann wird schon die Jury aus Mülheim anrufen und den Wettbewerb absagen, weil der diesjährige Gewinner bereits gefunden ist! In Wirklichkeit ist das sehr schmerzhaft und ja, der richtige Ton wird auch bei der Kritik nicht immer gleich gefunden. Dazu kommt der wirtschaftliche Druck, der jeden verfolgt, wenn er auf die abstruse Idee kommt, mit Schreiben seinen Lebensunterhalt verdienen zu wollen. Zwischen Größenwahn und Versagensangst verläuft nur ein sehr schmaler Weg, den man mühsam suchen muss.

Infam finde ich den Versuch einen Professor zu diffamieren, in dem man ihm nicht nur vorwirft, eine jüngere Frau geküsst zu haben, sondern auch auf Grund seiner Gesten während des Unterrichts darauf schließt, dass er Beziehungen zu Studentinnen (unseres Studiengangs? der Medizin? oder vielleicht der Agrarwissenschaften?) gehabt hätte. Die "verräterische Choreografie seiner Mikrobewegungen" ist mir entgangen. Da ich selbst die jüngste war, die jemals in den Studiengang aufgenommen wurde, kann es sich aber auch hierbei nur um erwachsene Frauen gehandelt haben, denn ich war 19, als ich meine Aufnahmeprüfung absolvierte. Auch hier suggeriert Stocker ein Problem herbei, ein stammtischhaftes "so geht es aber nicht", wo in Wirklichkeit nichts ist. Kein Sexismus, keine Gewalt, kein strukturelles Problem. Aber ein schönes Opferbild. Sie beschreibt sehr ausführlich das klassische UdK-Opfer. Die jungen Frauen oder die ohne Mittel und die ohne einflussreiche Eltern. Sie selbst spricht sich diesen Opferstatus ab (obwohl ohne Mittel und einflussreiche Eltern), denn sie hatte ja bereits einen Erfolg und somit Erfahrung vorzuweisen. Sie kämpft für andere. Auch für die, die nicht ihrer Meinung waren. Denn oft genug weiß das Opfer ja gar nicht, dass es ein Opfer ist.

Dies unterstreicht sie mit der Behauptung, dass diese jungen Frauen, später nicht im Theater tätig geworden wären. Es ist also nicht nur so, dass sie während der Studienzeit unterdrückt wurden, es kommt dazu, dass sich ihre ganze Unterwürfigkeit noch nicht einmal gelohnt hat. Diese Behauptung ist unwahr und außerdem perfide, weil sie für den Leser, der selbst nicht dabei war, so schlüssig wirkt. Einmal Opfer, immer Opfer - eine Erzählung so rund wie ein Event-Dreiteiler.

Es ist nicht ungewöhnlich, nicht einmal falsch, dass nicht alle Absolventen künstlerischer Studiengänge erfolgreiche Künstler werden und mit Erfolg meine ich, dass sie davon leben können. Auch in anderen Studiengängen kommt dies vor. Die wenigsten von uns werden am Ende das, was sie mit Anfang 20 einmal von sich gedacht haben. Diese Tatsache einem massiven Sexismus in die Schuhe zu schieben, führt in der ehrlichen Debatte nicht weiter.

Genauso verhält es sich mit den Abgängen des Studiengangs. Hier sagt Stocker nicht, dass diese auf Grund sexistischer Übergriffe stattgefunden hätten. Aber sie werden von ihr in den Kontext eines aggressiven und demütigenden Klimas gestellt. Wir waren am Anfang unseres Studiums fünf weibliche Studenten und drei männliche. Einer ging schon nach wenigen Wochen, denn sein Vater hat ihm das Studium verboten und der Student hat sich diesem Willen gebeugt (das klingt unvorstellbar, aber genau so war es). Um seinen Verbleib im Studiengang haben sich beide leitenden Professoren sehr bemüht. Daraufhin durfte ein Nachrücker zu uns stoßen. Auch dieser ist aber schon nach wenigen Semestern wieder aus dem Studium entlassen worden, da er unter einer schweren psychischen Krankheit litt, die das gemeinsame Studieren zum Teil unmöglich machte. Beide Abgänge wurden als Verlust von den Studenten empfunden, haben aber zu der Debatte nichts beizutragen.

Wie die Autorin richtig beschreibt, kam es im Studiengang zur Verhärtung der Fronten und das Thema Sexismus spielte dabei eine Rolle. Wir waren nur noch sieben Studenten, die sich zunehmend in zwei Lager aufteilten. Das eine Lager (um Stocker) begann sich über die von ihr im Text behaupteten Verhältnisse zu beschweren. Wir anderen waren anfangs noch zur Diskussion bereit, irgendwann aber nicht mehr willens, die gesamte Seminarzeit über diese Themen zu sprechen. Dies geschah nicht, wie die Autorin behauptet, weil wir weniger erfolgreich waren oder Angst hatten, uns zu wehren. Wir sahen dafür einfach keine Notwendigkeit. Wir wollten studieren, über Texte reden. Wir wollten uns streiten und voneinander lernen. Wir fühlten uns von den leitenden Professoren nicht "entmutigt und behindert".

Für mich war die Situation damals besonders anstrengend. Ich hatte in den Semesterferien zwischen dem zweiten und dem dritten Semester mein erstes Kind zur Welt gebracht. Zwei Monate darauf saß ich wieder im Seminarraum und wollte unbedingt weitermachen. Oft habe ich mich nachts auf die Seminare vorbereitet, die dann am Ende gar nicht stattfanden, weil wieder einmal die Stimmung im Studiengang besprochen werden musste, oder wie es hieß: Krisengipfel. Das betraf nicht nur die Seminare der beiden Studiengangsleiter. Alle Dozenten wurden immer wieder aufgefordert diese Diskussion zu führen. Täglicher Krisengipfel! Es kann also niemand behaupten, man hätte damals nicht reden können.

Zwischenzeitlich wurde ich (die ich gerade viele Stunden des Tages mit Stillen, Wickeln und Baby schaukeln verbrachte) von einer Studentin aus der Stocker-Gruppe mit Hassmails überflutet, in denen sie die Behauptung aufstellte, ich würde sie bei nachtkritik.de unter Pseudonym angreifen und ihre Texte zunichte machen. Das erwähne ich deshalb, um die Hysterie in dem damaligen Streit deutlich zu machen. Der hatte jegliche Bodenhaftung verloren. Ich teilte der Studiengangsleitung damals mit, das ich mein Studium für zwei Jahre unterbrechen würde (im "Szenischen Schreiben" gibt es nur alle zwei Jahre ein Aufnahmeverfahren), da ich mich nicht dazu in der Lage sah, mich zwischen Baby und sinnlosen Diskussionen aufzureiben. Die Reaktion der Studiengangsleitung war überraschend. Zwar hatte einer der Professoren durchaus Zweifel an einem Studium mit Kind, der andere aber unterstützte mich voll und ganz und dafür musste ich ihn nicht einmal küssen. Mir wurde angeboten, für zwei Semester, ein Seminar weniger besuchen zu müssen. Ein Vorteil für mich als Frau, dass der Studiengang nicht in das Bachelorsystem integriert war (es ist übrigens problemlos möglich, sich das 4-jährige Vollstudium als Bachelor anerkennen zu lassen).

Den besagten Brief aus der Stocker-Gruppe hat es tatsächlich gegeben und er führte am Ende dazu, dass sich der Studiengang auf vier Studenten dezimierte. Darja Stocker behauptet, dass alle Studenten außer einer den Brief zunächst hätten unterschreiben wollen, ihn also kannten. Tatsache jedoch ist, dass wir vier verbliebenen Studenten vom Dekan zu einem Gespräch geladen wurden. Dort wurde uns der Brief vorgelesen, denn von uns vieren kannte ihn nur einer im Wortlaut. In diesem Brief wurde gefordert, die Studiengangsleitung abzusetzen. Außerdem wurde (wie auch im Artikel) behauptet, dass auch wir vier Verbliebenen dem Brief zustimmen würden. Wir würden uns eben nur nicht trauen das zu sagen, weil wir noch keine Preise mit unseren Stücken gewonnen hätten. Wir hätten Angst, uns zu wehren. Das wirkt absurd? Ja, das ist es auch. Das ist eine unglaubliche Beleidigung. Darja Stocker wollte und will uns zu Opfern eines sexistischen und gewalttätigen Systems UdK machen. Dagegen wehrten wir uns, in dem wir dem Dekan gegenüber äußerten, dass wir uns ein gemeinsames Seminar mit den anderen drei Studenten nicht mehr vorstellen konnten. Und dagegen wehre ich mich auch jetzt wieder.

Nach zwei Jahren gemeinsamen Studiums trennten sich also unsere Wege. Wir vier studierten weiter. Kopfnoten habe ich nie bekommen. Wie das funktionieren soll, in einem Studium, in dem es keine Noten gibt, ist mir ohnehin ein Rätsel.

Tatsächlich waren wir der letzte Jahrgang, der von diesen beiden Professoren bis zum Studienabschluss unterrichtet wurde. Einer der beiden wurde emeritiert. Der knutschende und auf geheimnisvolle Weise die Geschichte seiner Beziehungen gestikulierende, musste gehen, weil er viele Jahre lang den Status eines Gastprofessors innehatte. Eine weitere Gastprofessur hätte ihm die Möglichkeit gegeben, sich eine ordentliche Professur zu erklagen. Gegen seinen Weggang gab es damals massiven Protest von uns und von unserem Nachfolgejahrgang rund um Sasha Marianna Salzmann. Ganz ehrlich. Hätte sich Sasha Marianna Salzmann für ein sexistisches Arschloch engagiert?

 

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