Der neue öffentliche Raum

"Vielleicht wird man einmal sagen, dass das Aufeinandertreffen von Theater und Virtual Reality (VR) einen ähnlich starken Einschnitt bedeutete wie die blasphemische Idee, Möbel auf die Bühne zu stellen", schreibt Philipp Bovermann in der Süddeutschen Zeitung. "Als Mitte des 19. Jahrhunderts Stühle, Tische und nach und nach die ganze Alltagswirklichkeit ins Theater einzogen, anstelle von bemalten Kulissen, da wussten die Schauspieler zunächst kaum, wie ihnen geschah. Nun stellen sich junge Theatermacher eine ähnlich verrückte Frage: Kann man eigentlich auch digitale Räume bespielen?"

Bovermann porträtiert als Vorreiter dieser Bewegung die "CyberRäuber" und schreibt: "Anstatt zu versuchen, Räume und Schauspieler möglichst fotorealistisch abzubilden, wie es der Großteil der VR-Branche tut, setzen die 'CyberRäuber' Brüche in der Wirklichkeitsdarstellung als Verfremdungseffekte ein." Sie inszenierten einen "Bruch mit heiligen Kühen des Theaters": "Gegen die Einmaligkeit von Aufführungen setzen sie gespenstische Räume außerhalb der Wirklichkeit, die man auf einem USB-Stick mitnehmen kann; gegen das öffentliche Happening die private Erfahrung hinter der VR-Brille."

Ihr Ziel sei es, "sobald wie möglich Besucher gemeinsam in die virtuellen Theaterräume zu bringen und sie dort auch mit Schauspielern interagieren zu lassen, nicht nur mit holografischen Aufnahmen". Damit berühre das virtuelle Theater "einen in seiner Bedeutung oft noch unterschätzten Bereich, nämlich den der 'social VR'", so Bovermann: "virtuelle Räume im Internet, in denen sich Menschen treffen, um Zeit miteinander zu verbringen". Computerspiele lieferten die Mechanismen, wie diese Welten funktionieren. "Aber es ist das Theater (…), das sich kritisch mit den Machtstrukturen öffentlicher Räume auseinandersetzt. Auch virtuelle Räume sind öffentlich. Bislang allerdings trauen sich nur wenige Theaterkünstler und -institutionen dorthin vor."

(sd)

 

Mehr zur Arbeit der CyberRäuber: "Cyberräuber" Björn Lengers präsentierte eine Pionierstudie zu Theater und Virtual Reality 2015 erstmals im Rahmen der Konferenz Theater und Netz von nachtkritik.de und der Heinrich Böll Stiftung. Ab der Ausgabe 2016 trat Legerns gemeinsam mit Marcel Kanapke unter dem Label "CyberRäuber" auf: mit einer VR-Version von Schillers "Die Räuber". 2017 präsentierten die CyberRäuber bei "Theater und Netz" ihre VR-Version der "Borderline Prozession" vom Schauspiel Dortmund.

 

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