Susi, Mimi und ich

von Dorothea Marcus

Bonn, 9. September 2017. Die Fakten sind haarsträubend und stellen Bauskandale um BER, Elbphilharmonie, Kölner Oper und Stuttgart 21 locker in den Schatten. Eine Provinzstadt sucht, weil sie ihren Hauptstadtstatus verloren hat, neuen Glanz im internationalen Kongresswesen und braucht dafür ein repräsentatives Haus. Sie findet einen Investor, der den gleichen Namen wie ein bekannter Autokonzern trägt, dessen Initialen "SMI Hyundai" allerdings lediglich seine Frau (Susi), seine Tochter (Mimi) und sich selbst (I) bezeichnen und dem jegliches Eigenkapital fehlt. Die Baukosten explodieren bald von einst 140 auf 300 Millionen Euro, davon sind die Projekt- und Planungskosten rund fünfmal höher als die Baukosten, die Stadt bürgt entgegen aller Versprechungen vollständig. Windige Investoren mit Sitz in Steueroasen steigen ein, im September 2009 ist Baustopp, alle beteiligten Firmen gehen insolvent, es folgen Razzien, Ermittlungen, Anklagen – nur niemals gegen Bedienstete der Stadt Bonn.

Traumatisierte Stadt ?

2015 wurde das WCCB tatsächlich eröffnet, finanziert von Steuergeldern, von denen vorher nie die Rede war. Zugleich wurden in Bonn, eine der reichsten Kommunen Deutschlands, Schwimmbäder, Seniorenzentren – und Theaterspielstätten geschlossen, zuletzt etwa die Halle Beuel. Darf man als Theater seiner Dienstherrin Stadt überhaupt so kritisch nachrecherchieren? Kurz vor ihrem Weggang hat das Schauspieldirektorin und Dramaturgin Nicola Bramkamp, zusammen mit dem Autor Ulf Schmidt, einfach mal gemacht und bis zuletzt vor einer Einstweiligen Verfügung gezittert.

Für das kommunale Desaster mit Kabarettpotential ist natürlich Regisseur Volker Lösch der Fachmann, mittlerweile auf Bonner Abgründe spezialisiert (zu Beispiel in Waffenschweine), und er kostet das bis zur Neige aus. Zunächst leitet er den Fall um das Bonner WCCB tatsächlich psychologisch von der Traumatisierung der Stadt her: Sieben Menschen sitzen in holzgetäfeltem Spießerschick stumpfsinnig paralysiert vor der Tagesschau, wo mit 18 Stimmen Überlegenheit die Entscheidung verkündet wird, Berlin zur Hauptstadt des frisch vereinigten Deutschlands zu machen.

BONNOPOLY2 560 Thilo Beu uBundesrepublinischer Biederkeit zur besten Tagesschauzeit im ersten Teil von "Bonnopoly" 
© Thilo Beu

Müde trauert man dem kosmopolitischen Flair der Provinzstadt nach, nicht ohne sich zugleich karnevalselig im Arm zu liegen, woraufhin das Roman-Herzog-Double "Ruckherzog" (Bernd Braun) flammend den "Ruck durch Deutschland" beschwört und Schröderblair (Daniel Breitfelder) ein schneidig-dynamisches Erfolgsballett auf die Bretter legt. Lobe den Einzelnen! Schneller als sie sich besinnen können, fallen die lethargischen Bonner zackig in den Trickle Down-Disco Dance zur 90er-Jahre-Hymne "I like to move it" ein, es muss aufwärts gehen, Wachstum, Wettbewerb und Erfolg sind die Devisen, wer braucht da noch Gemeinsinn.

Goldrausch und kommunale Entrückungen der 90er Jahre

Vor dem Eisernen Vorhang finden sich dann die smarten Bonner mit Visionen zusammen: Laura Sundermann beschwört als "Bürgermeisterin" – Namen werden bewusst nicht genannt, die Ähnlichkeit zur nie angeklagten Bärbel Dieckmann ist aber bestechend – entrückt-esoterisch ihren Traum vom totalen Weltstadt-Wettbewerb. Bald schon ist jener Berater am Start, der – jenseits aller Anti-Korruptionsregeln – den Deal mit dem Koreaner eintütet. "Dieser Investor ist ein Glücksfall", schluchzt die Bürgermeisterin begeistert. Das Bürgschaften unterschreiben überlässt sie aber doch lieber ihren Mitarbeitern.

Wollüstig winden sich die Bonner Politiker an der Wand, während "der Investor" (Holger Kraft mit schwarz-grau-Perücke) eilfertig "I love Beethoven" und "Ich bin ein Bonner" zu Protokoll gibt. An Kalauern und Holzhammer-Metaphern wird an diesem Abend nicht gespart ("Wer im Rathaus sitzt, muss manchmal mit Scheinen werfen").

BONNOPOLY1 560 Thilo Beu uSchlammschlacht: Gold trifft auf Matsch und Sumpf © Thilo Beu

Zu "Baubeginn" fährt dann der Eiserne Vorhang hoch, König Midas mit goldenem Helm und tropfender Betonmaschine predigt ein "neues kommunales Finanzmanagement" und Totalprivatisierung, während sich die Stadtbediensteten bis auf goldene Bikinis ausziehen und lüstern im Schlammbad wälzen zu "Gold" von Spandau Ballet: der kommunale Goldrausch der 90er-Jahre, ein wenig neckisch mit Schubkarren turnen, auf die sie sich bald – der Baustopp kommt schnell - ermattet niederlassen. Immer wieder ist "Zeit für eine Original-Email", in denen das ganze Ausmaß der Ignoranz deutlich wird. Die Sparkassen-Frau (Lisa Lantin) ist eine nervige Dauer-Warnerin und wird stets lässig beiseite geschoben.

Akten und Scheine fliegen wie Tetris-Steine

Als besudelte Schlamm-Monster bewerfen sie sich dann immer weiter, bald kommen weitere Investoren-Deals und die explodierenden Kosten zur Sprache, allein der Posten "Kopieren" schlägt mit 138.000 Euro zu Buche. Stets werden die Akten, lässig abgesegnet, in den Matsch hinter sich geworfen von den "Bürokraten", selbst wenn der Investor Tetris-Spiele geltend macht, und das sogar zweifach, und Fliesen legt, um bezahlt zu werden, aber dann wieder abreißt, weil ja noch die Elektrik fehlte.

BONNOPOLY4 560 Thilo Beu uGeld, das wie vom Himmel kam © Thilo Beu

Aus dem komplizierten Wust schaffen es Lösch und vor allem der kongeniale Autor Ulf Schmidt tatsächlich, eine amüsante und pointierte Erzählung herauszudestillieren: ein rasantes Realkabarett über die absurde Geltungssucht der piefigen Stadt Bonn und die Kurzsichtigkeit, mit der Großbauprojekte in der Bundesrepublik regelmäßig an die Wand gefahren werden. Das ist durchaus auch für Nicht-Bonner ein netter, lustiger, gut – mit Hilfe des Bonner Generalanzeigers, der eine Begleit-Broschüre zur Verfügung stellt - recherchierter Abend, und doch vermisst man die tragische Fallhöhe. Die kabarettistische Zuspitzung wirkt oft verharmlosend, das Lachen entsorgt die Brisanz.

Investor Man-Ki Kim per Skype zugeschaltet

Wieviel spannender wird es, als per Skype-Leinwand der eigentliche Investor Man-Ki Kim dazugeschaltet wird und erzählt, dass er kaum Macht über die Geldmittel hatten. Der tatsächlich strafrechtlich verurteilte Mann erscheint letztlich als Strohmann und Bauernopfer für eine Stadt, die sich als neoliberaler Konzern aufführte und das Konzept "Public Private Partnership" über alles stellte. Zu ihm gesellen sich Mieterbund und Wirtschaftswissenschaftler und erzählen, was alles schiefläuft in den Konzepten der Kommunen.

Nach der Pause ist Bärbel Dieckmann vorsichtshalber schnell weg ("Demokratie braucht Wechsel"), der neue Bürgermeister feiert als jovialer Karnevalskasper das Engerschnallen des Gürtels – das Ensemble zieht sich die Taillen zu und sinkt röchelnd auf den Boden - und lässt teure Hundekot-Tüten ebenso aus dem Stadtbild verschwinden wie Schwimmbäder und Seniorenbegegnungsstätten.

Mit sichtlich viel Spaß verwandeln sich die Schauspieler in Schmierenkomödianten, die sich für keinen Gag zu schade sind. Und dann ist natürlich höchste Zeit für den Bürgerchor, Löschs Markenzeichen. Erst sind es nur zwei Studentinnen, die von ihrem Kampf gegen den Verkauf des alternativen Bonner Viktoriaviertels erzählen. Das wurde zwar zunächst abgewehrt, aber der Investor sitzt immer noch mit am Tisch: etwas so lassen, wie es ist, kleinteilig, alternativ, lebendig ist als Möglichkeit in Bonn offenbar nicht vorgesehen.

Debatte auf den Punkt gebracht

Immer mehr Bürgerinitiativen strömen auf die Bühne, schwellen die Stimmen, rücken die Formationen vor und entwerfen mit wachsender, begeisternder Kraft die alternative Utopie einer Stadt, in der nicht nur Beethoven das Kultur-Marketing-Totschlag-Argument ist und in der man umsonst, öffentlich, frei, kommunikativ und draußen sein kann. Das hat lokalpatriotische wie bundesweite Wucht. Denn auch, wenn man in vielen Städten in Sachen Bürgerbeteiligung und Lebensqualität sicher schon deutlich weiter ist als in Bonn, muss diese Diskussion in Deutschland geführt werden, sie ist von immenser Wichtigkeit und Brisanz.

Es ist ein großer Verdienst des Abends, sie auf den Punkt zu bringen. Vielleicht hätte es auch ohne Schlammschlachten und Holzhämmer funktioniert. Am Ausgang wird für weitere Stadtaktivisten auf der Bühne geworben. Sie könnten nicht nötiger sein. Denn selbst der Bonner Generalanzeiger wurde von einem Investor gekauft. Die preisgekrönte, jahrelang bestehende Rubrik "Die Millionenfalle" über den Skandal gibt es seitdem nicht mehr.

Bonnopoly.
Das WCCB, die Stadt und ihr Ausverkauf.
Uraufführung
Text: Ulf Schmidt, Textfassung: Elisa Hempel, Volker Lösch, Leonard Merkes, Ulf Schmidt
Regie: Volker Lösch, Bühne: Julia Kurzweg, Kostüme: Julia Kurzweg, Annegret Riedinger, Video: Lars Figge, Dramaturgie: Nicola Bramkamp, Elisa Hempel, Ulf Schmidt.
Mit: Bernd Braun, Daniel Breitfelder, Lisan Lantin, Glenn Goltz, Jan Jaroszek, Holger Kraft, Birte Schrein, Laura Sundermann.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.theater-bonn.de

 

Kritikenrundschau

"Es gelingt dem Schauspielteam, den komplexen Skandal mit all seinen Absurditäten und aberwitzigen Wendungen transparent zu machen", schreibt Dietmar Kanthak in der Kölnischen Rundschau (11.9.2017). "Man muss das mögen: Theater, das nah dran ist am Stoff und an den dokumentierten Quellen und seine Erkenntnisse mit viel Körper- und Musikeinsatz, krawalliger Komik und parodistischer Energie ausbreitet." Dieses WCCB-Spektakel lasse keine Langeweile aufkommen. Jedoch: "Nach der Pause bekommt eine Politik, die versagt hat und die Rechnung an die Steuerzahler weiterreicht, vom Theater die Quittung. (…) Wir sind jetzt im öden Universum der Agitprop."

Ulf Schmidt habe dem Aktenwust einen spielbaren, erhellenden und auch sehr komischen Text abgetrotzt. Lösch halte sich allerdings eher an die Klarheit des Kabaretts, statt der Wucht der künstlerischen Erschütterung zu vertrauen. "Sprich: 'Bonnopoly' erscheint zuerst etwas dünn, wenn auch sehr unterhaltsam", so Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger (11.9.2017). "Das Bonner Theater gehört selbst zu den Opfern der kommunalen Sparwut, aber Lösch vermeidet jegliche Larmoyanz und stellt sich ganz in den Dienst der Sache. Es war wohl bitternötig. Das Publikum feierte diesen Paukenschlag zum Saisonauftakt mit Jubelchören."

"Der Abend wird zur gnadenlosen Abrechnung mit der früheren und aktuellen Stadtspitze", so Jochen Hilgers für den WDR (11.9.2017). Das Stücke habe Skandalpotential. Immerhin sei das Schauspiel eine städtische Einrichtung Bonns. 'Bonnopoly' komme wie eine überzogene Satire daher. "Aus Sicht der Bonner ist es aber leider eher eine Dokumentation. Eine Dokumentation des Versagens und eine überaus teure noch dazu." Da bleibe so mancher Lacher im Hals stecken.

"'Bonnopoly' ist der passende Titel für diesen mutigen, teilweise etwas plakativen Theaterabend über die Frage wer die Zukunft einer Stadt bestimmen darf", findet Henning Hübert vom SWR (11.9.2017). Die Botschaften im zweiten Teil gerieten aber zu platt. "Da wäre auch in Volker Löschs 'Bonnopoly'-Recherche weniger mehr gewesen. Bestaunenswert bleibt aber der Mut des Theater Bonn, bei diesem großen Bauskandal endlich mal die Frage nach den moralisch und gesellschaftlich Verantwortlichen zu stellen."

Zwar sei im zweiten Teil des Abends nicht mehr viel inszeniert, "abgesehen vom exakten chorischen Sprechen", schreibt Cornelia Fiedler in der Süddeutschen Zeitung (15.9.2017). "Aber darum geht es hier nicht. Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp und ihr Team, deren Theaterarbeit aufgrund massiver Kürzungen bereits eingeschränkt werden musste, nehmen die ewige Rede vom Theater als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung wörtlich." "Bonnopoly" sei eine Art "Notwehr".

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