In der Verwertungskette

von Christoph Fellmann

Zürich, 14. September 2017. Die Pointe hätte Bertolt Brecht, dem alten Humoristen, vermutlich gefallen. Dass nämlich die "Dreigroschenoper", seine Ballade von der Korruption jeder Gemeinschaftlichkeit, jeder menschlichen Regung und damit auch jeder Kunst, zu einem Profit-Center des bürgerlichen Stadttheaters geworden ist. Das Stück aus dem swingin' Armutsmilieu in London erlaubt erbauliche, in die nötigen Merksätze gerahmte Einsichten in den Kapitalismus – und klingt außerdem dank der Musik von Kurt Weill auch noch gut. Und am Ende der Verwertungskette entsteht dann ein so kulinarischer Theaterabend wie jetzt in Zürich, in dem Brechts politische Reime aufpoppen wie lustige Memes aus pittoresker Vorkriegszeit.

Pittoresk, nett und ulkig

Dass seine Kapitalismuskritik so nett und ulkig auf die Bühne kommt, das hätte Brecht wie gesagt eventuell gefallen; nur schon, weil es ihn in seinem Befund bestätigt hätte. Denn als "nett" und "ulkig" wird im Stück ja auch das Lied der Seeräuber-Jenny beschrieben, in dem ja immerhin eine ganze Stadt dem Erdboden gleichgemacht wird.

Dass auf der Pfauenbühne über drei Stunden hinweg vorgeführt wird, wie recht der Brecht doch hatte – das ist denn auch noch das Beste, was sich über diese Inszenierung von Tina Lanik sagen lässt.

Dreigroschenoper1 560 Matthias Horn uBisschen Bondage, sonst unterschiedliche Stile in der "Dreigroschenoper" © Matthias Horn

Das Problem ist vielleicht, dass die Regie ständig markiert, dass hier im Grunde genommen bloß ein Gemeinplatz herrscht, der wieder einmal auf- und dem Bildungsbürger zugeführt werden soll. Lanik tut das, indem sie ihr Ensemble sehr unterschiedliche Stile spielen lässt: Das distanzierte, fast teilnahmlose Spiel, wie es beispielsweise Jirka Zett als Bandenchef Macheath zeigt, ist dabei nur die Kehrseite der falschen Theatralik, die bei der Frau Peachum von Isabelle Menke zu sehen ist – wirklich wichtig oder ernst scheint hüben wie drüben niemand zu nehmen, was er tut oder sagt.

Rolltreppe ins Nichts

Und wie um sich über Brechts nicht gerade subtile Parabel zu mokieren, hat Bettina Meyer eine Rolltreppe ins Nichts auf die Bühne gestellt: So augenblicklich man die Metapher auf nicht existente Aufstiegschancen begriffen hat, so stundenlang dreht sie sich danach noch im Kreis.

Dreigroschenoper3 560 Matthias Horn u Macheath' Hinrichtung mit Jirka Zett und Elisa Plüss © Matthias Horn

Das alles ist also irgendwie interessant um die Ecke gedacht (und auf die Drehbühne gestellt). Nur, das reicht nicht als Zugriff auf diesen sperrigen Evergreen aus dem Jahr 1928. Wenn das Stück nur ein Gemeinplatz sein soll, warum spielt man es dann überhaupt noch? Reicht da ein Hinweis im Programmheft auf die Kleiderfabriken in Bangladesch? Während der Plot langsam vorankommt, wird zwischen den seltsam versprengten Spielstilen des Ensembles in keinem Moment eine Haltung oder ein Anliegen spürbar. Und wenn man weiter liest, dass Tina Lanik die Figur der Polly Peachum (Elisa Plüss) stärken und das Stück aus deren Sicht erzählen wollte: Müsste das auf der Bühne dann nicht sichtbar werden, und zwar konsequenterweise als kapitalistische Aneignung eines feministischen Anliegens?

Cabaret-Jazz, behutsam

So bleibt zuletzt eine "Dreigroschenoper", die zwar kompliziert gedacht ist, die in der Realität auf der Bühne dann aber nur selten über die naheliegendste Figurenführung und über minutenlanges Rampensingen und -sprechen hinauskommt. Die Rolltreppe und ihr Gerüst werden so bespielt, wie solche Bühnenbauten halt bespielt werden, wenn es viel Text, aber nur wenig zu spielen gibt. Und wenn Macheath dann hingerichtet werden soll, erscheint vom Bühnenhimmel ein Galgenstrick, und die Geige spielt mit viel bedeutsamem Vibrato. Überhaupt ist der Sound der zehnköpfigen Band unter der Leitung von Polina Lapkovskaja nicht gerade von Gravität und Körperlichkeit. Dass so behutsam gespielt wird, hilft zwar den meist dünnen Stimmen des Schauspielensembles, aber nicht Weills schnittigem Cabaret-Jazz.

Die Dreigroschenoper
von Bertolt Brecht und Kurt Weill
Regie: Tina Lanik, Musikalische Leitung: Polina Lapkovskaja, Bühne: Bettina Meyer, Kostüme: Heide Kastler, Licht: Frank Bittermann, Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger.
Mit: Klaus Brömmelmeier, Isabelle Menke, Elisa Plüss, Jirka Zett, Fritz Fenne, Miriam Maertens, Christian Baumbach, Julian Lehr, Julia Kreusch, Johannes Hegemann, Miguel Abrantes Ostrowski, Svenja Koch, Katrija Lehmann, Lucas Riedle, Polina Lapkovskaja.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.schauspielhaus.ch

 

Kritikenrundschau

Leerheit statt Lehre findet Daniele Muscionico von der NZZ (15.9.2017) in dieser Zürcher Version des Brecht’schen Welterfolgs. Laniks "Knallpetarde" zünde dennoch – allerdings "am unerwarteten Ende": Ihre "Dreigroschenoper" sei ein "optimierter Liederabend, ohne dass die Hauptdarsteller singen könnten". Kurz: "Ein kühnes Projekt!" Die darstellerischen Mängel wett mache das neunköpfige Orchester: unter der Leitung von Polina Lapkovskaja spiele es derart "frivol auf zu den bürgerlichen Manieren der Verbrecher, dass hörbar wird, wohin Laniks Intention hätte führen können", so Muscionico.

Die Zürcher "finden einen eigenen Ton für die bekannten Brecht-Songs und -Szenen. Es ist ein schweizerisch unterkühlter, etwas zahmer Ton“, berichtet Andreas Klaeui im SRF 2 Kultur (15.9.2017). Tina Lanik ziehe "die Brecht-Figuren in Statur und Haltung so nah an eine Zürcher Gegenwart, wie es nur geht"; die "Spielanlage" sei "klug", doch was am Ende fehle, "ist das Spiel damit, die Lust an der grossen Nummer, nicht das blosse brave Absingen von Songklassikern, die Faszination an der Gaunerromantik, die Sinnlichkeit – selten wurde so klar wie an diesem Abend, dass die Dreigroschenoper wirklich ein Klassiker ist. Ein Haifisch, dem schon langsam die Zähne ausfallen."

 

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