"Fluch"

29. September 2017. 18 Tage vor Festivalbeginn hat das polnische Ministerium für Kultur und nationales Erbe seinen Förderbeitrag von 500.000 Sloty (ca. 116.000 Euro) fürs internationale Theaterfestival "Dialog" in Wroclaw zurückgezogen. Das teilt der Programmleiter des Festivals Tomasz Kireńczuk in einem Statement mit. Er führt die Entscheidung darauf zurück, dass er neben den drei polnischen Produktionen, die offiziell durch das Geld vom Ministerium finanziert werden sollten, auch die politisch aufgeladene Inszenierung "Klątwa" ("Fluch") (Regie: Oliver Frljić) vom Warschauer Teatr Powszechny, die dort Proteste aus katholischen und rechtsnationalistischen Ecken ausgelöst hatte, programmiert hatte.

"Wir sind uns dessen bewusst, dass in der heutigen politischen Situation eine Aufführung von 'Klątwa' im Rahmen von öffentlicher Förderung unmöglich ist. Daher sind wir zu folgendem Schluss gekommen: Falls wir diese Aufführung zeigen möchten, müssen wir neue, vielleicht auch etwas ungemütliche Lösungen dafür finden. Wir haben uns daher entschieden, diese Aufführung ausschließlich durch den Erlös von Eintrittsgeldern zu finanzieren", schreibt Kireńczuk.

 Klatwa3 560 MagdaHueckel uSzenenbild aus "Klatwa" © Magda Hueckel

Nach Veröffentlichung des Programms habe das Ministerium aber nun seine Förderung zurückgezogen und ein beträchtliches Loch ins Budget gerissen – deshalb habe er sich notgedrungen entschieden, die drei polnischen Aufführungen abzusagen, die durch die Ministeriums-Förderung finanziert werden sollten: "Ein Volksfeind" (Regie: Jan Klata) des Narodowy Stary Teatr Krakau, "Hymne an die Liebe" (Regie: Marta Górnicka), eine Koproduktion des Teatr Polski Poznan und der Fundacja Chór Kobiet Warschau sowie "Eine Geste" (Regie: Wojtek Ziemilski) des Nowy Teatr in Warschau.

"Einschränkung der künstlerischen Freiheit"

Im Programm des Festivals, das vom 14. bis zum 21. Oktober stattfindet, bleiben nach dieser Entscheidung vier von ("Klątwa" mitgezählt) ursprünglich acht Produktionen: "Nicht Schlafen" sowie "En Avant, Marche!" von Alain Platel, "MDLSX" von Enrico Casagrande und Daniela Nicolò und "Kings of War" (Regie: Ivo van Hove).

Die Festivalleitung halte den Rückzug des Ministeriums für "eine politische Aktion (...), die sich einer Einschränkung der künstlerischen Freiheit nähert. Diese Haltung wird von uns als Beispiel einer ökonomischen Zensur empfunden sowie als Versuch die polnische Theaterwelt einzuschüchtern", heißt es in Tomasz Kireńczuks Statement.

Die kurzfristige Entscheidung führe dazu, "dass wir nicht in der Lage sind, aus anderen Quellen eine Summe zu erhalten, die der eingestellten Förderung entsprechen würde". "Wir sind jedoch der tiefen Überzeugung, dass es trotzdem stattfinden sollte, wenn auch nur um die Plattform für eine wichtige Diskussion über Kunst in Krisenzeiten, über Freiheit und Solidarität zu werden. Darüber, was öffentliche Kulturförderung und auch das öffentliche Theater ist und sein sollte. Und vor allem darüber, ob ein Dialog und das Festival Dialog weiterhin möglich ist."

(Festival Dialog Wroclaw / sd)

 

Mehr zum Thema politisches Theater in Polen:

"Klątwa" ("Fluch") von Oliver Frljić in Warschau – Analyse eines hochpolitischen Theaterskandals (Februar/März 2017)

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How Polish theater is affected by the PiS-government's rightwing populism (Februar 2016)

 

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Budgetkürzung Wroclaw: Leserkritik "Hymne an die Liebe"
"Hymne an die Liebe" ist eine Co-Produktion mit dem Gorki-Theater und dort regelmäßig zu sehen, die nächsten beiden Vorstellungen sind am 7.10.

Górnicka, die das Libretto für ihren Chor schrieb und die Performance live aus dem Publikum dirigiert, bezeichnet ihre „Hymne an die Liebe“ auf dem Programmzettel, der ähnlich sprunghaft-assoziativ wie der gesamte, 50 Minuten kurze Abend gehalten ist, als monströses „Völkisches Liederbuch“ aus unterschiedlichen Versionen der Nationalhymne, von Märschen, patriotischen, völkischen und nationalistischen Liedern. Als Einsprengsel werden auch O-Töne des norwegischen rechtsextremistischen Terroristen Anders Breivik verwendet.

Diese „Hymne an die Liebe“ ist nicht sonderlich subtil, aber das Dauer-Staccato der Performerinnen und Performer ist stilistisch bemerkenswert und brennt sich nachdrücklich in die Gehörgänge ein.

Kritik: https://daskulturblog.com/2017/06/11/hymne-an-die-liebe-marta-gornickas-polnischer-wutbuergerchor-am-gorki-theater/
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