Ein Teufel fordert immer seinen Lohn

von Andreas Klaeui

Luzern, 29. September 2017. Mit dem Humor ist es so eine Sache. Dass man sich selbst wahnsinnig komisch findet, ist leider keine Garantie dafür, dass sich der Spaß auch auf andere überträgt. Zum Beispiel ein Theaterpublikum. Der Sachverhalt ist nicht neu, altes Entertainer-Einmaleins, in Luzern findet es wieder mal seine Bestätigung. Diese Inszenierung treibt mit ihrem Ulknudelüberdruck dem Stoff allen Humor aus. Aber nicht nur das.

Übervolles Taufpaten-Büffet

Jeremias Gotthelf beginnt die Erzählung "Die schwarze Spinne" mit einem emblematisch gewordenen Bild: der Beschreibung einer Kindstaufe im Emmental. Die besteht vor allem aus einer gargantuesken Tafel, von der kein Gast ungesättigt aufstehen darf, da wird die Gotte zu Chüechli genötigt und die Gevatterleute sitzen hinter dem Weinwarm, einer Brühe aus Wein, Brot und Safran, auch an Kaffee darfs nicht fehlen, ganz gewiss nicht an Berner Züpfe und an den schönen Tellern mit den sinnreichen Sprüchen schon gar nicht.

SchwarzeSpinne2 560 IngoHoehn uMunteres Musical-Amalgam unterm Vollmond in "Die schwarze Spinne" © Ingo Hoehn

Aus dieser mit feinem Humor erzählten Idylle heraus entwickelt Gotthelf als Kontrast die gruselige Binnenerzählung vom Deal mit dem Teufel, den die Sumiswalder einst eingegangen sind, angestiftet von einer Fremden, der "Lindauerin"; von der schwarzen Spinne, die dieser Christine aus der Wange wächst, da wo der Teufel sie geküsst hat, und die nun Tod und Verwüstung übers Land bringt, weil die Sumiswalder dem Teufel seinen Lohn nicht zahlen wollen, nämlich ein ungetauftes Kind.

Von der Bauernidylle zum Schweizer Bundesrat

Barbara-David Brüesch ersetzt die trügerische Bauernidylle der Rahmenhandlung in ihrer gemeinsam mit der Autorin Anita Augustin erarbeiteten Spielfassung durch eine zeitgemäßere Kontrasthandlung: die Ansprache eines Schweizer Bundesrats, der aus Gotthelfs Text aktuelle politische Moralanwendung ziehen will ("Die reichen Schweizer müssen ihr Geld auch erst verdienen"). Das ist, von der motivischen Verschränkung des Tauf-Bilds mal abgesehen, durchaus pointiert ins Heute gedacht – nur ist die Parodie dann dermaßen dürftig und plump, dass der ganze Witz verpufft.

SchwarzeSpinne1 560 IngoHoehn uSchreckmomente und Spinnenweben im Grusical © Ingo Hoehn

Er wabert noch ein bisschen weiter in reichlich Bühnennebel, in flimmernden Videobildern und knorriger Bauernsprache, versetzt – weil es ja ein Musical ist und einer der Darsteller zufällig Schotte – mit englischen Brocken. In manchen Fällen ist das wirklich lustig getextet: "The Castle is nice / aber isch z heiss"; dann wieder begnügt sich die Regisseurin mit Zoten und oftmals gesehenem Slapstick; im Ganzen kommt das Originalitätslevel kaum über das kabarettistische Niveau eines Bunten Abends im "Bären" hinaus. Wenn man schon keine neuen Einfälle hat, müsste das Timing wenigstens stimmen.

Schwarze Video-Spinnenbeine

Inhaltlich fokussiert Barbara-David Brüesch so unübersehbar wie unverbindlich auf das Moment der Xenophobie, das Gotthelf nahelegt (und auf das der Germanist Peter von Matt jüngst hingewiesen hat): Christine kommt ja vom Bodensee, also weit weg vom Emmental, auch der Grüne Jäger ist ein Fremder. Immer wenn das zur Sprache kommt, wechselt das Licht unverzüglich und ein großes schwarzes Schweizerkreuz winkt mit dem Zaunpfahl. Und dann? Nichts. Der Gedanke wird nicht weiterverfolgt, er verliert sich im allgemeinen Aktionismus. Geradeso wie nebenbei auch der Grusel, allem dafür aufgebotenen chorischen Sprechen und allen schwarzen Video-Spinnenbeinen zum Trotz.

Was die Bühne vermissen lässt, hat die Musik. Knut Jensens Bühnenkomposition ist ein munteres Musical-Amalgam, frei flottierend zwischen "Cabaret", "Little Shop of Horrors" und Schweizer Ländlermusik. Neben Keyboard und Drums hat darin auch das Harmonium aus der Dorfkirche seinen Platz und das Hackbrett aus der Bauernstube. Da klingt das Alte neu. Immerhin.

Die schwarze Spinne
Ein Grusical nach Jeremias Gotthelf
Regie: Barbara-David Brüesch, Musikalische Leitung: Knut Jensen, Bühne: Alain Rappaport, Kostüme: Geraldine Arnold, Video: Georg Lendorff, Licht: Marc Hostettler, Dramaturgie: Hannes Oppermann.
Mit: Lukas Darnstädt, Verena Lercher, Thomas Douglas, Christian Baus, Jakob Leo Stark, Sofia Elena Borsani, Alina Vimbai Strähler, Yves Wüthrich, Moritz Huser, Silas Sieber.
Dauer 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.luzernertheater.ch

 

Kritikenrundschau

"Die Kompositionen von Knut Jensen, die so manchen Ohrwurm aus der Popkultur zitieren, um ihn dann gleich wieder zu verfremden, hat mindestens genauso viel Einfluss auf die Inszenierung wie Gotthelfs Text", schreibt Julia Stephan von der Luzerner Zeitung (1.10.2017). Die Inszenierung sei eine große, witzige Show, werde mit zunehmender Dauer aber wirkungslos und eher langweilig. Immerhin werde manche ­Figur, die in Gotthelfs volkserzieherischem Übereifer in die böse Ecke gestellt worden sei, hintersinnig rehabilitiert.

"Es scheint, als tauche man in einen Film von Tim Burton ein. Das Bühnenbild gleicht mit seinem vom Nebel umhüllten Schloss und den umrissenen Felsen und Bäumen einer dunklen Märchenwelt", schreibt Daniela Herzog auf zentralplus.ch (30.9.2017). Humorvoll gespickt mit unzähligen Pop-Kultur-Referenzen bleibe das Stück nicht einer oberflächlichen Interpretation behaftet, sondern führt ganz tief in die dunklen Abgründe der menschlichen Psyche hinein. "Gotthelf scheute es nicht, das Unaussprechliche zu benennen, und auch die Regisseurin Barbara-David Brüesch begibt sich tief hinein ins Makabre und Groteske."

"'Die schwarze Spinne' ist eine viszerale Erfahrung, die das Publikum oftmals zu irritieren vermag. Man will eigentlich wegschauen, starrt aber fasziniert aufs Geschehen", so Nikola Gvozdic auf null41.ch.

Außer Lukas Darnstädt sei der große Rest des Ensembles mit den Songs überfordert. "Das ist fatal bei einem Stück, das so stark auf die Musik setzt", so Lea Schlüpbach vom SRF (30.9.2017). "Grundsätzlich drängt sich der Gedanke auf, dass die Regisseurin Barbara-David Brüesch hier zu viel wollte: Grusel, Komik und Gesang ringen um die Aufmerksamkeit des Publikums – da bleibt für die Figuren nicht mehr Platz als eine klischeehafte Skizze."

 

 

 

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