Vereinte Nationen - Clemens J. Setz' Theaterstück von Mathias Schönsee in Graz inszeniert
Gezüchtigt mit dem Fakeness-Faktor
von Theresa Luise Gindlstrasser
Graz, 30. September 2017. Martina ist "ca. 7 Jahre alt". Ihre Eltern Anton und Karin produzieren Scripted-Reality-Filme und verkaufen sie über das befreundete Pärchen Oskar und Jessica an interessierte "Subskribenten". Erziehungsmaßnahmen, Bestrafungen, alles was das User-Herz begehrt. Vor allem aber: Ein echtes Kind, macht echte Erfahrungen, für sie "ist es nicht gestellt. Sie ist vollkommen drin. In der Szene". Is it real? Or is it fake?
It is "Vereinte Nationen", das erste abendfüllende Theaterstück von Clemens J. Setz. Die Uraufführung am Nationaltheater Mannheim in der Regie von Tim Egloff war zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen, die Theater heute Jahresumfrage ergab den 2. Platz in der Kategorie "Bestes Stück". Ob der Text so geil wie seine Rezeptionsgeschichte ist, diese Frage verneint die österreichische Erstaufführung am Schauspielhaus Graz, in der Zuhause-Stadt von Setz.
Böse-Medien-Lesart
Mathias Schönsee inszeniert gemäß Realness-Fakeness-böse-böse-Medien-Lesart. Und so gibt sich der Text nur in seinen Plattitüden her. "Aber ich will nicht, dass so viel Fiktives unser Leben bestimmt", jammert Mathias Lodd und steht als Vater Anton den Ansprüchen der "Subskribenten" hilflos gegenüber. Bejammert also das Eintreffen einer Situation in der er sich längst schon befindet, bespricht das aber als sei es eine genialische Erkenntnis.
Mit dem Zaunpfahl bekommt das Publikum fade News vorgesetzt, längst schon mit Löffeln gegessen, Digitalisierung, Fiktionalisierung, what is real? Das penetrante Aussprechen der eigenen ach so blinden Flecken nervt. Die Figuren nerven heftig. Für interessante Erkenntnisse in Sachen Realness-Fakeness-böse-böse-Medien taugt "Vereinte Nationen" nicht, nada, nein.
Verquere Familie
Für alles andere, nämlich die Beziehungen zwischen den Figuren, interessiert sich wiederum die Inszenierung nicht. Schematische Standpunkte in naturalistische Gefühlsausbrüche verpackt. Unverbundene, unglaubwürdige Monster allesamt. Den müden Feminismus der Mutter Karin stellt Evamaria Salcher mit geltungssüchtigem Gelächter aus. Sie will auch mal Star sein, will Antons Erziehungsmaßnahmen ausprobieren. Franz Solar und Vera Bommer treten als Oskar und Jessica eine Tarantino-Tradition an mit Perücke und Tattoos, ein echtes Gangster Pärchen.
Dazwischen Tamara Semzov in der Rolle des Opfers. Weniger Text heißt in diesem Fall weniger Plattitüden und mehr Zeit für Schauspiel. Ihre Augen rollen sichtlich unbequem hin und her, Martina kennt sich nicht aus, sie ist scheu. Was das gesamte Beziehungskonstrukt im Innersten zusammen hält, keine Ahnung, alles könnte auch ganz anders sein.
Hegemoniale Strukturen
Sprunghaft folgen die Stimmungen aufeinander. Szene tröpfelt in nächste Szene über. Am Premieren-Abend fällt die wahllos eingesetzte Videoprojektion von Nahaufnahmen mit Realness-Fakeness-Charakter aus. Müder und immer müder manövriert sich der Abend durch den Text. Anton kauft Martina eine Tauchbrille. Lodd bedeckt den Schnorchel mit der Hand. Heißt: Er lässt die Tochter nicht atmen. Die grausame Geste vergeht. Ein Bild für etwas Gruseliges. Mehr nicht.
Die Darstellung von Misshandlung wird nur dann zum perfide, verwirrenden Wahnsinn, wenn sie zugleich Liebe und Zuneigung verspricht. Gefestigte, gesicherte hegemoniale Strukturen, deren Machtausübung stets ein zärtliches Wohlwollen, deren Brutalität immer nur gut gemeint ist, das wären vielleicht interessante Erkenntnisse aus einer Lektüre der "Vereinten Nationen". Auch im Hinblick auf den kryptischen Titel.
Vereinte Nationen
von Clemens J. Setz
Regie: Mathias Schönsee, Ausstattung: Helke Hasse, Dramaturgie: Jennifer Weiss. Mit: Mathias Lodd, Evamaria Salcher, Tamara Semzov, Franz Solar, Vera Bommer.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus-graz.com
"Fehlende Natürlichkeit" attestiert Thomas Trenkler dem Abend im Kurier (2.10.2017). "Evamaria Salcher spielt viel zu aufgesetzt die Coolness der brutalen Mutter." Franz Solar sei als mestophelischer Video-Produzent leider bloß "ein armselig tätowiertes Abziehbild".
"Ein aktuelles Sitten- und Gesellschaftsbild, vom 34-jährigen Grazer Autor gewohnt vielschichtig ins Licht oder aber Dunkel gerückt", beschreibt Werner Krause in der Kleinen Zeitung (2.10.2017) Setz' Stück. "Mathias Schönsee liefert, thematisch irgendwie ja durchaus passend, Short-Cuts, die mitunter wirken wie gesprochene Tweets." Die Inszenierung sei eine "ausbaufähige Versuchsanordnung".
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Lieber Michael Laages, was an dem glasklaren Text von Theresa Luise Gindlstrasser ist bitteschön kryptisch?
Mit kollegialem Gruß!