Die menschlichste Form von Trash

von Martin Pesl

Wien, 5. Oktober 2017. "Wichsen kannst in Pforzheim oder Darmstadt", belehrt ein Taxler den anderen. "Bei uns haaßt des Schwarteln." Wir sind nämlich in Wien. Und wenn das.bernhard.ensemble Scorseses "Taxi Driver" (1976) mit den ungustiösesten Charaktereigenschaften von Qualtingers "Herrn Karl" (1961) spickt, dann ist das nicht das Lebenswerteste-Stadt-der-Welt-Wien, sondern das grausliche Wien mit hinterfotzigen Menschen, die nachts ausschließlich b'soffen Taxi fahren und unweigerlich hineinspeiben, also -kotzen. "Taxi.Speiber" heißt denn auch der neue Abend der Gruppe rund um Prinzipal Ernst Kurt Weigel in deren Stammhaus, dem Off-Theater in Wien-Neubau.

Method Acting wienerisch

Kotze ist die menschlichste Form von Trash, und Trash gehört zum Programm des bernhard.ensembles, das vor 20 Jahren von Weigel und Grischka Voss als Gegenmodell zur von Voss' Vater Gert am Burgtheater betriebenen Hochkultur gegründet wurde. Unaffektiertes, oft unterspanntes Schauspiel trifft präzisen Ausdruckstanz und clowneske Ekelnummern. Seit einigen Jahren verfolgt Weigel zudem das Konzept des "Mash-ups", bei dem er einen österreichischen Theaterklassiker mit einem amerikanischen Kultfilm verschneidet. Aus Schnitzlers "Weitem Land" und Lynchs "Lost Highway" wurde so etwa "Weit.way.land", was als Folie für die Leere eines bourgeois dekadenten heutigen Lebens beängstigend gut funktionierte.

taxi.speiber2 560 barbara palffy uTrevis (Ernst Kurt Weigel) at work © Barbara Pálffy

Weigel selbst übernimmt in der Regel die Hauptrolle und passt daran auch seine Physis an: Für den "Pulp Fiction"-Verschnitt legte er sich Gangstermuskeln zu, als "Big Lebowski" eine Kifferwampe. Sein Taxler Trevis in "Taxi.Speiber" – nunmehr ohne Grischka Voss – ist wieder ein gestählter einsamer Wolf. Von Anfang an trägt er den Irokesen, den Robert De Niro sich im Film für den finalen Amoklauf aufhebt. Der Rest des Ensembles umkreist in verschiedenen Rollen Weigel und die ausgehöhlte Karosserie, die ihm als Fahrzeug gen Radikalität dient.

Nicht tagesaktuell

Immer wieder treffen sich die Taxlerkollegen zum G'schichtl'n-Druck'n: ein Altnazi, ein Irrer mit Fliegerhaube, ein schwerer Epileptiker, der in einem Atemzug die Ausdrücke "g'schissene Asylanten" und "Ich bin Feminist" hervorwürgt. Vieles wirkt improvisiert und zündet mal besser, mal schlechter, Perfektion ist eindeutig nicht gewünscht. Hier fließen auch Sätze aus dem Monolog "Der Herr Karl" ein, der Helmut Qualtinger Ruhm und das niederträchtige Mitläufertum des einfachen Wieners in und nach der Nazizeit auf den Punkt brachte.

taxi.speiber3 560 barbara palffy uTanzen statt sprechen © Barbara Pálffy

Aber geht das alles zusammen: Taxler Trevis im heutigen Oasch-Wien als Ersatz für das New York der Post-Vietnam-Siebziger? Ja und nein. Dass das Ensemble auf Tagesaktuelles weitgehend verzichtet, ist zwar klug – bei den Wahlkampfturbulenzen in Österreich müsste man politischer Kabarettist sein, um das gut hinzukriegen. Gleichzeitig hängt die Behauptung der verlotterten Stadt, in der man als wacher Mensch zum Amokläufer werden muss, dadurch etwas in der Luft – so überzeugend Weigel als Trevis auch seine Abscheu in stoisch ehrlichem Wienerisch ins Mikro raunt. Die Kotznummern im Taxi erschöpfen sich in enervierender Schrille.

Der Pragmatismus des g'schissenen Wienerherzens

Aber es gibt auch einzigartige Spielszenen, die in einem normalen Theater des guten Geschmacks kaum so leuchten würden. Perfektion ist kein Thema, es wirkt, als würden alle den Film aus der fernen Erinnerung abrufen. Leonie Wahl, die die von Trevis Umworbene spielt, ist Profitänzerin. Sie tanzt, statt zu sprechen. Der Nicht-Tänzer Weigel ahmt erst schüchtern, dann vehement ihre Bewegungen nach, um in ihre Welt Einlass zu finden, wodurch berührende Choreografien entstehen. Isabella Jeschke hat die Jodie-Foster-Rolle: die junge Prostituierte, zu deren Rettung Trevis am Ende all seine Kollegen in epischer Zeitlupe erschießen wird. Jeschkes Changieren zwischen Drogenwahn und mädchenhafter Aufmüpfigkeit steht der Oscar-nominierten Originaldarstellung in nichts nach.

Als Ersatz für den rechtschaffenen Präsidentschaftskandidaten bei Scorsese (der als Figur sehr, sehr Siebziger ist) hat sich Weigel schließlich einen charmanten Coup einfallen lassen: jeden Abend einen anderen prominenten "Fahrgast", den Trevis nach seiner Aufgabe im Leben und danach fragt, wie weit er gehen würde, um jemandem zu helfen. Bei der Premiere hatte TV-Inspektorin Claudia Kottal eine Antwort parat, die den Pragmatismus des g'schissenen Wienerherzens hübsch zusammenfasste: "Es ist wie im Flugzeug. Da soll man ja auch selbst die Masken aufsetzen und dann erst den Kindern helfen." Passt.

Taxi.Speiber
nach "Taxi Driver" (Drehbuch: Paul Schrader, Regie: Martin Scorsese) und "Der Herr Karl" von Helmut Qualtinger und Carl Merz
Regie: Ernst Kurt Weigel, Bühne und Kostüme: Devi Saha, Musik: Bernhard Fleischmann.
Mit: Rosa Braber, Isabella Jeschke, Leonie Wahl, Kajetan Dick, Michael Welz, Ernst Kurt Weigel und je einem anderen Spezialgast pro Abend.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, eine Pause

www.bernhard-ensemble.at
www.off-theater.at

 

Kritikenrundschau

Margarete Affenzeller schreibt im Standard (online 12.10.2017): Von Scorseses "Taxi Driver" eine Brücke zu der Figur des Herrn Karl zu schlagen, sei ein "genialer Schachzug". Ein weiteres Beispiel einer "gelungenen Verquickung US-amerikanischer Filmkultur mit österreichischen Literaturklassikern von Regisseur Ernst Kurt Weigel". Der Darstellerin der minderjährigen Prostituierten, Isabella Jeschke, gebühre für ihre gänzlich unkitschige Darstellung einer 13-Jährigen, "deren Kindlichkeit unter Tonnen von Unrat verschüttgegangenen ist, aber durchblitzt", eigentlich der Oscar. "Die vagen Hoffnungen, die Travis an eine Frau (Leonie Wahl) knüpft, als tänzerische Dialoge zu zeigen", kröne den konzentrierten Strom der Inszenierung.

 

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