Nehmt's wie ein Mann und verschwindet!

von Elena Philipp

Berlin, 20. Oktober 2017. Das Leben in der heutigen Gesellschaft? Ein einziger Stumpfsinn. Nichts von Interesse. Was bliebe aufgeklärten, verantwortungsbewussten und sensationsgierigen Frauen anderes übrig als "die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen, die umfassende Automation einzuführen und das männliche Geschlecht zu vernichten"? Männer vernichten? Das sitzt. Oder? Was uns das "SCUM Manifesto" von Valerie Solanas – ein radikal-rotziger feministischer Text von satirischer Schärfe – fünfzig Jahre nach seiner Entstehung noch zu sagen hat, testet das bewährte Regie-Duo Tom Kühnel und Jürgen Kuttner in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Mit einem rein männlichen Schauspielaufgebot. Und Songs von Christiane Rösinger mit Andreas Spechtl.

Männer als Marilyn

Weil derzeit von strukturellem Sexismus am Theater die Rede ist: In "Feminista, Baby!" dürfen sich zu Beginn einmal die Männer ausziehen, bis auf die Unterhose. Eine ausgewaschene Boxershort reckt Markwart Müller-Elmau gen Publikum, bevor er sich in ein weißes Neckholder-Kleid, windelartige Push-up-Unterhosen und ein Paar Pumps zwängt. Lippenstiftiger Rotmund, eine Blondperücke und ein zielgenau mit dem Schminkstift applizierter Schöhnheitsfleck: Marilyn Monroe lässt grüßen. Eine Ikone der Weiblichkeit! Aus männlicher Sicht. Das Stolpern auf Stöckeln gibt’s oben drauf, wie sich’s für das Klischee einer Travestie-Show und den deutlich markierten Genderwechsel auf offener Bühne gehört.

feminista2 560 ArnoDeclair hMit den Marilyns auf der DNA-Showtreppe: Szene mit Jörg Pose, Bernd Moss und Markwart Müller-Elmau © Arno Declair

Atemraubend ist, was Bernd Moss uns Publikum dann in seinem Eingangsmonolog aus Valerie Solanas Manifest auf die Ohren brettert: das männliche Y-Chromosom sei nur ein unvollständiges X-Chromosom. Mann darf mithin als eine unvollständige Frau gelten, als " wandelnde Fehlgeburt, die schon im Genstadium verkümmert ist". Kurz: "Mann sein heißt, kaputt sein", wackelt Moss mit dem Perückenkopf. Sexbesessen sei dieser seelische Krüppel überdies: "Im mystischen Glauben, er könne durch das Berühren von Gold selbst zu Gold werden, ist er dauernd hinter den Frauen her." Mann als Anti-Midas, irgendwo zwischen Trottel und Tyrann, Usurpator und Ubu Roi. Der berockte DT-Recke Moss wettert die radikalen Anwürfe im Hausfrauen-Habitus mit Professoren-Pathos über die Rampe. Applaus.

Mit den Diskurspop-Kapitänen Christiane Rösinger und Andreas Spechtl

Danach darf Christiane Rösinger ans Mikro, noch eine Frauen-Ikone, diesmal eine des Kreuzberger Feminismus'. Der eiserne Vorhang hat sich gehoben und auf den Stufen zweier zur DNA-Doppelhelix gewundenen Wendeltreppen singt Rösinger, wie verlegen ärmelzupfend, vom Abdanken: "Manche Dinge, die versteht ihr nie / Diversity und Gender-Theorie / Andere nehmen eure Plätze ein / Sie werden nicht so weiß und männlich sein". Andreas Spechtl von der austriakisch-berlinischen Diskurspop-Band Ja, Panik sitzt dazu am Schlagzeug. Die Doppelhelixtreppe leuchtet showgerecht, und weiter geht's im Aufklärungsprogramm, wie Mann gelassen seinem Untergang entgegen schaukelt.

Jürgen Kuttner hat einige Cameo-Auftritte: Wie ein Teufelchen kommt er – Jarry-mäßiges Stichwort: "Scheiße!" – nebelumweht aus der Versenkung geschossen. "Faminista" steht auf dem T-Shirt zur Glitzerhose, und als Videoschnipsel-Profi ventiliert Kuttner per Playback-Filmzitat über die Frau als (Miss-)Schöpfung Gottes. Die Toneinspielung stammt aus dem 80er-Jahre-Kultfilm "Die Hexen von Eastwick". In einer der spärlichen Spielszenen wird später das frauengekleidete Männertrio den Kuttner-Satan filmgerecht verjagen, mit per Windmaschine über die Bühne getriebenen Federn aus einem sadistisch zerfetzten Puppentorso.

Leider zahm

Klingt wild? Ist leider ziemlich zahm. Monologisch und mittelmäßig spielfreudig arbeiten sich Bernd Moss, Markwart Müller-Elmau und Jörg Pose durch Solanas Manifest, das die unabhängigen, stolzen, gewalttätig systemverachtenden "Abschaum"-Frauen (engl. scum) auffordert, das Establishment zu sabotieren und die Weltherrschaft zu übernehmen. Ungeheure Wucht hat Solanas Manifest (dem eine Tat folgte: 1968 schoss sie auf Andy Warhol, der einen ihrer Theatertexte abgelehnt und in der Factory überdies das Manuskript verlegt haben soll). In einer karnevalistischen Umkehrung deutet Solanas das männliche als das passive, schwache Geschlecht, dem es empörender Weise gelungen sei, seine negativen Eigenschaften auf die Frauen zu projizieren. Kurzerhand kastriert die Autorin auch Freuds Sexualtheorie um den Penisneid: "Männer haben einen Vagina-Neid!"

1967 zu Zeiten der Bürgerrechtsbewegung und Anti-Kriegs-Demonstrationen in New York verfasst, scheint in ihrem Pamphlet der avantgardistische Furor des frühen 20. Jahrhunderts durch – die Technikbegeisterung, das Bilderstürmerische. Wie bieder und rückschrittlich mutet demgegenüber unsere Zeit an: Wir debattieren (noch immer und erst jetzt!) über die Gender-Lohnlücke oder eine Quote an Theatern. Und Rösinger skandiert mit wackelnder Stimme: "Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch!" Rührend der Tribut an Solanas, aber dieser Feminismus ist in die Jahre gekommen.

 

Feminista, Baby!
nach dem SCUM Manifesto von Valerie Solanas
Regie: Tom Kühnel und Jürgen Kuttner, Live-Musik: Christiane Rösinger, Andreas Spechtl, Bühne: Jo Schramm, Kostüme: Daniela Selig, Licht: Kristina Jedelsky, Dramaturgie: Claus Caesar, Live-Kamera: Marlene Blumert / Bernadette Knoller.
Mit: Jürgen Kuttner, Bernd Moss, Markwart Müller-Elmau, Jörg Pose.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

"Mit besonders spektakulären Regie- Ideen wartet der Abend im Übrigen nicht auf", findet Christine Wahl im Berliner Tagesspiegel (23.10.2017). "Oft wird einfach an der Rampe gestanden und mehr oder weniger Gehaltvolles, zumeist aber irgendwie Gewitztes zum Besten gegeben." Insgesamt handelt es sich dem Eindruck der Kritikerin zufolge um eine tiefenentspannte Art von Wohlfühltheaterabend: "ironisch und nicht blöd, aber eben auch keinesfalls weltbewegend und sich selbst entsprechend nicht hyperernst nehmend."

"Der Wut und der Wucht dieses Textes wird dieser gefällige, erstaunlich harmlose Abend kaum gerecht", schreibt Katrin Pauly in der Berliner Morgenpost (23.10.2017).  Es bleibe alles "insgesamt doch kaum mehr als harmlose Juxerei".

In "Feminista, Baby!" werde so ziemlich alles richtig gemacht, findet Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (24.10.2017). "Vor allem die Musik. Den Soundtrack steuert Christiane Rösinger bei, (...) und niemand lästert schöner über Pärchen als sie. Hier, am Schlagzeug begleitet von Andreas Spechtl, singt sie über pseudo-feministische T-Shirts von Dior und Klassentreffen von Alphamädchen." Die Schauspieler schlurfen auf die Bühne und verwandeln sich in drei Marilyn Monroes, inklusive Muttermal und weißem Cocktail-Kleid, "sie machen das so lässig, so frei von Weiblichkeitsposen und Travestie-Witzchen, dass es eine Freude ist." Fazit: "Ein feministisches Manifest im Sinne einer Handlungsanweisung ist der Abend nicht. Sondern eine trashige Party - bei der übrigens auch die Männer ihren Spaß hatten."

 

Kommentare  
Feminista, Baby!, Berlin: herrlich inverse Elefantenrunde
Der stärkste Moment dieses Abends ist die Synchronisierung der legendären Elefanten-Runde am Wahlabend 2005, als der mit Testosteron vollgepumpte Gerhard Schröder mit Wolfsgrinsen über die angeschlagene Angela Merkel herfiel, die die höhnischen Kommentare mit scheuem, immer irritierterem Lächeln über sich ergehen ließ und anschließend bekanntlich doch ins Kanzleramt einzog. Im Stil des österreichischen Maschek-Duos lassen Kuttner/Kühnel ihre Schauspieler einige Passagen zum Geschlechterverhältnis erstaunlich lippensynchron sprechen, während auf der großen Leinwand die Debatte des Macho-Alphatiers und seiner unprätentiöseren Gegnerin flimmert. Daraus entstehen witzige Kontaste, kuriose Brüche und kluge Überschreibungen, die aber - wie so vieles an diesem Abend - im Nichts enden. Wie lohnend und lustig wäre es gewesen, diesem Pfad weiter zu folgen.

Sonst gab es noch einige gute Ansätze: Jo Schramm stellte eine Doppelhelix als Blickfang in den Bühnenmittelpunkt. Diese Konstruktion hatte zwar nur die Funktion, dass in ihrem Zentrum der Musiker Andreas Spechtl thronen und die drei Marilyns darauf herumturnen können, er ist aber schön anzusehen und wurde von zahlreichen Handykameras abgelichtet. Ein zweites Plus sind die eingestreuten Songs von Christiane Rösinger, die zwischen Zorn und subtilem Spott changieren. Wer ihr Konzert vor einigen Monaten im HAU verpasst hat, bekommt an diesem Abend ausreichend Gelegenheit, ihre Lieder zu hören, die aber unverbunden neben der sonstigen Handlung stehen.

Es wird aber nicht klar, warum das DT und Kuttner/Kühnel das Pamphlet von Solanas aus der Gruft holten.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2017/10/20/feminista-baby-kuttner-und-kuehnel-jolen-scum-manifest-und-elefantenrunde-von-merkel-und-schroeder-aus-der-gruft/
Feminista, Baby!, Berlin: zur Varieté-Revue verharmlost
(...) Wie kann sich ein männliches Team einem derart radikalen und gewollt antimännlichen Text nähern. Die Antwort dieses Abends liegt irgendwo zwischen plakativ selbstironischer Anbiederung und lächerlich machender Verharmlosung.

Das beginnt bei den Kostümen. Was sicherlich wie angedeutet ironisch gemeint ist, wirkt auf der Bühne dann eben doch als hübsche, seine entwaffnen wollende Selbstironie vor sich her tragende Travestie-Nummer. Männer machen als Frauen gekleidet sich selbst lächerlich. Das ist durchaus perfide. nimmt es doch dem text den Wind aus den Segeln. Seht her, sagt das, die können über sich selbst langchen, sehen das genauso, sind ja gar nicht so schlimm. Das ist beruhigend und hat doch eine logische Folge: Der text, den sie da vortragen, wird dadurch automatisch, lächerlich. was der Abend befördert: So darf Jürgen Kuttner in allerlei Macho-Klischee-Klamotten den Klischee-Mann geben, in dem er die Lippen zu eingespielten Macho-Sprüchen aus dem Kultfilm Die Hexen von Eastwick bewegt. Die Bühne wuírd bestimmt von einer weißen Riesen-DNA-Doppelhelix mit eingebauter Treppe, auf der Kuttler einmal die ihn verfolgenden Marilyns mit Sitzbällen attackiert,nachdem er seinen ersten mephistophelischen Auftritt, nebelberhangen und aus dem Bühnenuntergrund, hatte und bevor ihn die Frauen-Power von der Bühne jagt.

Dazu singt Christiane Prösinger, Ex-Kopf der Indie-Pop-Pand Lassie Singers Feministisches, während Ja, Panik!-Frontmann Andreas Spechtl nur begleiten darf (Ironie! Satire!). Es gibt noch etwas Kitsch – Berichte sich im Krieg aufgeopfert habender Frauen in Großaufnahme –, und nette Einfälle, etwa wenn die drei Darsteller in einer Art Live-Synchronisation die Solanas-Texte einer TV-Diskussion mit Gerhard Schröder, Angela Merkel und Joschka Fischer in den Mund legen. Das ist so witzig, dass der Zuschauer unweigerlich gar nicht hinhört, was da gesagt wird, sodass der ironische Bruch sofort in sich zusammenfällt. Kleiner Tipp: Wer wissen will, wie das richtig geht, schaue mal beim österreichischen Satire-Dup Maschek vorbei. Und so schafft der Abend vor allem eines: Die texte des SCUM Manifesto in ihrer (bewussten) Überzogenheit vorzuführen, das Publikum erstaunen und noch mehr lachen zu machen ob der kühnen Thesen Solanas‘. Radikalfeminismus wird damit zu einer wohlig begaffbaren Varieté-Revue, einer Freakshow satirisch überzogenen radikalen Denkens, der zu feiernde Text zum Exponat eines besonderen Gruselkabinetts. Mit Feminista, Baby! ist Jürgen Kuttner und Tom Kühnel ein Abend von erschütternder Harmlosigkeit gelungen, der gern und begeistert immer wieder die Grenze zur Verharmlosung überschreitet. Dieses Feminismus-Ding ist doch eigentlich ganz lustig! Es ist nicht ausgeschlossen, dass Harvey Weinstein herzlich gelacht hätte. Vielleicht ruft jemand mal nebenan in der FDP-Zentrale an? Rainer Brüderle hat doch jetzt Zeit.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2017/10/21/feminismus-als-freak-show/
Feminista, Baby!, Berlin: sieht alt aus
Als Bernd Moss nach ca. 10 Minuten großartig vorgetragenem SCUM-Monolog zu Szenenapplaus links abgeht, hat der Abend seinen Höhepunkt erreicht. Vorher schlüpfen Müller-Elmau, Pose, Moss in Marilyn Monroe-Kleider, rasieren und schminken sich. Nachher wird's immer schlimmer: größenwahnsinnige Bühne, schlimme Kasperleauftritte von Jürgen Kuttner als Jack Nicholson und ein Potpourri des 'wie theatralisiere ich ein Manifest'. Ja, die Maschek-Elefantenrunde sticht heraus, beantwortet aber auch, wie alles andere, nicht die Frage: warum eigentlich machen die das da? Der mit Abstand schwächste Kühnel-Kuttner-Abend, den ich bislang gesehen habe, von der Grundidee bis zur Umsetzung.

Man darf mal eine Pause einlegen und sich für die Umsetzung von Projekten ein bisschen Zeit nehmen.

Irgendwie ist es natürlich auch tragisches Timing, daß über die derzeitige Weinstein und #metoo-Debatte, oder ProQuote, etc., sowieso gerade viel Eindringlichkeit zum Thema vorhanden ist. Aber selbst ohne diesen direkten Vergleich sieht diese Auseinandersetzung mit einem 50 Jahre alten Text ziemlich alt aus.
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