Der Wille zum schelmischen Konter

von Christian Rakow

Berlin, 27. Oktober 2017. Wer bei She She Pop noch den geselligen Schlager "Something Stupid" im Ohr hat, den einer ihrer Väter zum legendären Generationen-Abend Testament beisteuerte, der sollte sich hier ganz schnell ausstöpseln. Denn das ist schon ziemlich anders, was da in "The Ocean is Closed" auf der Hinterbühne des HAU1 auf einen zu rauscht.

Streicher brummen, ein Nebelhorn schrillt auf, der Pianist bearbeitet mit Schlägeln die Saiten seines Flügels. Es fiept und grummelt und wallt, lauter und lauter, krasser und krasser, bis man sich blutenden Ohrs der Warnung aus dem Programmzettel entsinnt: "Zeitweise kommt es zu erhöhter Lautstärke. Gehörschutz liegt kostenlos an der Garderobe aus."

TheOceanisclosed3 560 Benjamin Krieg uBegegnung auf Augenhöhe: The Ocean is closed © Benjamin Krieg

Das "Solisten-Ensemble" zeitkratzer, das hier mit sechs seiner Mitglieder am Werkeln oder – nomen est omen – am Kratzen ist, pflegt das Erbe der Neuen Musik, des Noise und der elektronischen Avantgarden. Karlheinz Stockhausen haben sie schon adaptiert, John Cage, aber auch Lou Reed und Kraftwerk. Sogar Volksmusikausflüge gab es. Alles sorgsam auseinander gebaut und zu bizarren Klanglandschaften geschichtet. Es ist die Art Musik, in der die Violine nach Die-Tür-gehört-mal-wieder-geölt klingt und man sich als Laie beständig fragt, warum die überhaupt Notenblätter vor sich haben.

Wenn ohne Dann

Mit dieser Laienfrage ist man gar nicht so weit weg von "The Ocean is Closed". She She Pop treffen zeitkratzer für ein kommentiertes Konzert. Im Stile des Volksliedverses "Wenn ich ein Vöglein wär'…" nähern sich Performer*innen und Musiker*innen einander an. "Wenn alles, was heute Abend hier passiert, vorher angekündigt würde…"; "Wenn das hier ein Wunschkonzert wäre…" so wird reihum der Möglichkeitssinn am Mikro beschworen. Tausend Wenns – kein Dann. Wobei man sich natürlich sicher sein kann: wenn Lisa Lucassen räsoniert "Wenn ich irgendwann im Laufe des Abends einen kleinen Folksong singen könnte…", wird ein solcher Song später noch folgen ("Tiny Sparrow"). Die Motivketten sind durchaus dicht gewirkt.

Denn Ordnung im scheinbar Chaotischen ist das große Thema dieses Abends. "Wenn wir nur ein Notenblatt hätten, aus der Hand eines großen Komponisten, sodass wir wüssten, was wir hier machen!" So murmelt zeitkratzer-Posaunist Hilary Jeffery trocken, mit der Anmutung eines traurigen Clowns. Später schmuggelt er entsprechend "Freude, schöner Götterfunken" in sein Spiel und erträumt sich das hier ablaufende Konzert als Angriff eines radikalfeministischen Kollektivs auf den tauben Beethoven und seine "patriarchale Musik".

Diskrete Erzählgesten

Männerpose versus Frauenpower, Disziplin versus Freigeist, Virtuosität versus scheinbarer Dilettantismus. She She Pop umspielen in der Kommentarspur vertraute Koordinaten ihres Kunstschaffens. Mit allem Willen zur Selbstbeschämung und zum schelmischen Konter. Da triumphiert Schlagzeuger Maurice de Martin eben noch mit einem aberwitzig rasanten Drum-Solo, nur um sogleich auf ein seltsames Kugelmonster und seine Schwestern zu stoßen, die das "männliche Genie" garstig verlachen.

TheOceanisclosed1 560 Benjamin Krieg uEinander zugeneigt: She She Pop und das Solisten-Ensemble zeitkratzer © Benjamin Krieg

"Wenn all das hier gar kein Konzert, sondern ein Hintergrundgeräusch für meine Bewegung über die Bühne wäre…", sinniert einmal Sebastian Bark und begibt sich schleichenden Schritts auf Ehrenrunden um das Arrangement aus Notenständern und Instrumenten (Bühne: Lena Mody). So gewinnen die Spieler nicht durch offenkundige Skills, sondern durch diskrete Erzählgesten Boden zurück. Ein Wort codiert ganze Szenerien um. Im Ganzen ist der Abend gleichwohl eine Begegnung auf Augenhöhe. Musiker*innen und Performer*innen sind sich als Kollektive aus eigenwilligen Individualisten nahe. Ihre Werke vibrieren zwischen Formstrenge und flirrender Improvisations-Freiheit.

Man wünscht dem schrulligen und oft eindrucksvoll enervierenden Klangkunst-Theaterwerk, dass She She Pop noch eine gute halbe Stunde kürzen, ehe es auf große Tournee (u.a. an die Münchner Kammerspiele) geht. Es gibt unendlich starke Szenen wie die Fürbitten zur Einstimmung auf eine Philip Glass-Adaption. Aber auch Leerlauf, gerade gegen Ende.

Bis kurz vorm Finale Sebastian Bark nach der Posaune greift und in einer kleinen Miniatur vom Großen und Ganzen dieses Abends und dieser Theaterkunst kündet: Da wagt es einer, der ehrbare Dilettant, steht leicht gebeugt, aber nicht kümmerlich, lässt sich noch instruieren von den Könnern und bringt dann herzzerreißend schräge Töne hervor, die eigentlich ganz gut ins disharmonische Klanggefüge des übrigen Stücks passen. Und einen unvergesslichen Satz hat er auch noch, ehe er bläst: "Ich will nicht üben. Ich will spielen."

 

The Ocean is Closed
von She She Pop und zeitkratzer
Künstlerische Leitung: Sebastian Bark, Reinhold Friedl, Lisa Lucassen, Ton: Robert Nacken, Ausstattung: Lena Mody, Licht: Andreas Harder, Dramaturgie: Arved Schultze, Produktionsleitung: Michal Libera, Künstlerische Mitarbeit: Fanni Halmburger.
Von und mit: Sebastian Bark, Lisa Lucassen, Ilia Papatheodorou von She She Pop sowie Biliana Voutchkova (Violine), Nora Krahl (Violoncello), Elena Kakaliagou (Horn), Hilary Jeffery (Posaune), Reinhold Friedl (Klavier), Maurice de Martin (Perkussion) von zeitkratzer.
Dauer: 2 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.hebbel-am-ufer.de

 

Kritikenrundschau

"Es kracht, schabt, scheppert, quietscht dröhnt, wummert, wimmert", und man fühle sich diesen Tönen, Geräuschen, Schallwellen geradezu ausgeliefert, schreibt Katrin Pauly in der Berliner Morgenpost (30.10.2017). Und "auch das Performancekollektiv She She Pop und das Solisten-Ensemble 'zeitkratzer' liefern sich aus, nämlich einander." Beim gegenseitigen Umkreisen und Befragen sei "Bewunderung für einander ebenso vorgesehen wie Verwunderung". Fazit: "Laut und lustvoll, aber mit zweieinhalb Stunden Länge gegen Ende doch etwas zu ausführlich."

 

 

 

Kommentare  
Ocean is Closed, Berlin: utopischer Ort
zeitkratzer befragt die Musik auf das nicht Hinterfragte, nimmt Konvenbtionen der Klangerzeugung nicht als gegeben hin, verweigert die Gewissheit, wie etwas – ein Instrument, ein Stück – zu klingen habe. Das ist nicht neu und doch von ungeheurer Konsequenz, weil es eben auch den Status des Komponisten als zentraler Instanz verneint und ihn zu einem der vielen Bausatzteile reduziert. Wie zeitkratzer die Musik befragt She She Pop sein 20 Jahren das Theater, dekonstruiert Konventionen von Spiel und Erzählung, von Repräsentation und Fiktion. In einem postdramatischen Labor fragt die mit einer Ausnahme komplett weibliche Gruppe die Art und Weise, wie das Theater kommuniziert, in dem es Kommunikationsmuster aufbricht, vorführt, zerlegt und neu zusammenfügt. Eigentlich sind beide Kollektive also logische Partner. Wobei das mit der Partnerschaft so eine Sache ist. Die Rivalität ist von Beginn an gegeben: zwischen Musik und Theater, Klang und Wort, aber auch Ordnung und Chaos. Wie viele Regeln braucht Spiel und wer legt sie fest?

Darüber entspinnt sich ein gut zweistündiger Dialog, der auf allen verfügbaren Ebenen geführt wird: Sprache und Musik, Argument und diktatorische Bestimmung, körperliche Dominanz und stilles Beharren. Das Spiel wird zum Möglichkeitsraum: Halbsätze, die mit „Wenn…“ beginnen und kein „Dann…) finden, bilden das textliche Fundament. dabei geht es um Möglichkeiten der Kunsterzeugung, Transparenz gegenüber dem Publikum, Scheitern und Anerkennung, um Befindlichkeiten einzelner Instrumentalistengruppen, aber auch um Machtgefüge: „Wenn all das hier gar kein Konzert, sondern ein Hintergrundgeräusch für meine Bewegung über die Bühne wäre“, träumt Sebastian Bark einmal und lässt es darauf ankommen. Die Spannung zwischen Spieler und Ensemble ist spür-, die Reibung hörbar. Auch patriarchale Strukturen scheinen auf und werden durch weibliche Monster angeklagt. Und dann ist da die Sehnsucht der Gleichwertigkeit, die auch mal in die nach der Ablösung des Anderen umschlägt. So kapert Ilia Papatheodorou wiederholt das Schlagzeug von Maurice de Martin, erklärt Sebastian Bark der Cellistin Nora Krahl ihr Instrument. Worauf sie mit einer zarten Vergemeinschaftung selbigen reagiert, während die Spieler*innen mit immer groteskeren Kostümierungen ein selbstironisches Aufmerksamkeitsspiel wagen. Das sie natürlich gewinnen. Und verlieren.

Denn der Möglichkeitsraum ist auch ein utopischer Ort der Verständigung. Gerade die Musiker*innen ersehnen sich immer wieder ein Mit-, statt des Gegeneinanders. Und so stellt man sich Fragen, kommt wiederholt zur Kernfrage „Wie fängt man an?“ zurück, die mal persönlich, mal universell, mal spezifisch auf die Bühnensituation, mal konkret auf den eigenen Lebensweg beantwortet wird. Eine kollektive, sich langsam zusammenfügende Geschichte der Anfänge, Abbrüche, Neustarts, die auch den Abend auszeichnet, der immer wieder ansetzt, sich unterbricht, aufs Neue loslegt. Ein Experiment im zweckfreien Spiel, das sich nur langsam von dem Mechanismen der Anerkennung, des Gefallenwollens, des Leistungszwangs und Unterhaltungsdrucks befreit und darüber denn doch so etwas wie Gemeinschaftlichkeit wenn nicht findet, so doch zumindest andeutet. Da sitzen sie am Ende, nach dem sie sich zwei Stunden lang umspielt, belauert, um die Macht des Mikrofons duelliert haben, einträchtig zusammen – als ein Ensemble und erzeugen Klänge. Ozeanische, ein wellenartiges Rauschen, Der Klang einer in sich ruhenden Welt. Pures Spiel. Zeit, das Licht zu löschen und zurückzukehren in die Stille, die nun eine gemeinsame ist. Ob mit oder ohne Regeln.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2017/10/31/monster-im-ozean/
Ocean is Closed, Berlin: Ohne Üben geht's nicht
"Und einen unvergesslichen Satz hat er auch noch, ehe er bläst: 'Ich will nicht üben. Ich will spielen.'"

Nun ja, warum denn bloß so aufgeblasen? Warum unvergesslicher Satz? Ist es nicht genauso oft so, dass man erstmal üben muss, um dann auch (gut) spielen zu können? Das wissen doch Schauspieler genauso wie Musiker. Ohne das Üben geht's eben auch nicht. Oder?
Ocean is Closed, Berlin: Maurice de Martin?
Und Maurice de Martin? Ist das nicht der, der auch im Sommernachtstraum von Macras/Ostermeier an der Schaubühne mitgespielt hat?
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