In der Bilderfalle

von Alexander Jürgs

Wiesbaden, 1. November 2017. Welche Bilder vom Töten zeigen wir? Und welche Bilder vom Töten zeigen wir nicht, welche zensieren wir? Warum unterscheiden wir zwischen den fiktiven Bildern des Tötens, den opulenten Schlachten des Hollywood-Kinos, dem Kitzel des Sonntagabendkrimis, und den Bildern von realen Tötungen? Warum ertragen wir die aus der Ferne und in Schwarzweiß aufgenommen Drohnen-Videos, die den Tod von Menschen, von unschuldigen Zivilisten genauso wie Terroristen, zeigen, wenn wir sie in Dokumentationen oder der Tagesschau zu sehen bekommen? Warum ertragen wir dagegen die Propaganda-Videos der Bildkünstler des Islamischen Staats nicht, die unverpixelt und in HD-Qualität zeigen, wie einem Gefangenen der Kopf abgetrennt wird?

Die Augen eines Terroristen

Rabih Mroués nur knapp eine Stunde dauerndes Stück "Sand in the Eyes" ist eine schelmische Meditation über diese Fragen, eine Befragung des Blicks und der Macht über die Bilder – mal humorvoll, mal beklemmend. In der Wartburg, einer Nebenspielstätte des Wiesbadener Staatstheaters, sitzt der libanesische, heute in Berlin lebende Regisseur am Bühnenrand an einem einfachen Tisch und hält auf Englisch einen Vortrag. Er hat ein paar DIN-A4-Blätter vor sich, einen Laptop, eine altmodische Schreibtischlampe, hinter sich eine große Projektionsfläche.

Sand in the eyes 560 JoachimDette uRabih Mroué am Bühnen-Erzähltisch © Joachim Dette

Mroué erzählt davon, wie ihm ein USB-Stick mit Propagandavideos der Dschihadisten zugetragen wurde. Und wie er entdeckte, dass es der hessische Verfassungsschutz war, der ihm diese Dateien zugespielt hatte. Er erzählt, dass er diese Videos nicht ansehen wollte, dass er stattdessen einen Freund mit der Sichtung des Materials beauftragt hat. Er zeigt einen Schnappschuss dieses Freundes, verwackelt, in einer Bar, das Gesicht unkenntlich gemacht. Er erzählt, wie dieser Freund ihn, Mroué, in einem der Videos entdeckte – oder einen seiner Doppelgänger. "The resemblance in the eyes are frightening", hat der Freund zu ihm gesagt. Die Ähnlichkeit der Augen ist erschreckend.

Es ist das Markenzeichen von Rabih Mroué, dass er Fiktion und Dokumentation vermischt, dass er historische Ereignisse mit erfundenen Anekdoten zusammenbringt, dass er in die Irre führende Spuren legt. In "Sand in the Eyes" fragt er danach, warum der IS sich an Ridley Scotts Filmmaterial bedient. Oder er behauptet, dass er selbst als Statist in einem der Filme des Starregisseurs agierte und ein Ausschnitt davon später in einem IS-Video aufgetaucht ist. In einem anderem Video lässt er einen Terroristen davon berichten, wie der Verfassungsschutz ihn anwerben wollte. Als Zuschauer verbringt man viel Zeit damit, darüber nachzusinnen, welche dieser Geschichten nun wahr oder unwahr ist. Dabei kommt es genau darauf gar nicht an. Weil Mroué zeigen will, dass jede Erinnerung, jedes Bild gemacht ist – durch die Umstände, durch Ideologie, durch Erfahrungen. Mroué ist der Dekonstruktivist unter den Theaterregisseuren.

Bilder der Gewalt

Seit vielen Jahren schon beschäftigt er sich mit den Bildern der Gewalt: mit den Bildern und Erzählungen des libanesischen Bürgerkriegs (in Riding on a cloud), mit den Toten des Arabischen Frühlings (in seiner Documenta-Installation "The Pixelated Revolution"), mit den verqueren Märtyrer-Bildern der arabischen Terroristen (So Little Time). Dass Rabih Mroué sich nun in seiner neuen Lecture Performance, die er in einer ersten Version vor einigen Wochen auch schon im Berliner Haus der Kulturen der Welt präsentierte, selbst als "not a specialist of images", also als Nicht-Experte für die Bilderwelten, bezeichnet, ist deshalb mindestens kokett – oder wieder eine seiner bewusst eingesetzten, falschen Fährten.

Sand in the eyes 560a JoachimDette uReal? Fiktion? Und was ist mit der Ähnlichkeit der Augen? © Joachim Dette

Im Mittelpunkt der Performance steht eine Gegenüberstellung zweier Videos, die aber jeweils nur als Standbilder gezeigt werden. Auf dem linken Bild sieht man einen IS-Kämpfer mit einer Geisel. Der Mann ist in ein schwarzes Gewand gehüllt, das nicht mehr als die Augenpartie zu erkennen gibt und hält ein Messer drohend in Richtung Kamera. Die Hand umklammert den Hals seines Opfers, im Hintergrund sieht man eine Berglandschaft. Die Bildunterschrift erklärt, was das Bild darstellt: Terrorism – Terrorismus. Das Bild daneben steht dagegen für den "War On Terrorism", den vielbeschworen Krieg gegen den Terror. Es zeigt die ultraschallbildhafte, grau-unscharfe Aufnahme eines Drohnenangriffs. Wie weiße Punkte, "white dots", erscheinen die Menschen darauf. Über diese Menschen weiß man wenig – außer, dass sie höchstwahrscheinlich dem Tod geweiht sind.

Der Killer sucht den Blickkontakt mit der Welt

Mroué geht den Bildkonstruktionen auf den Grund. Er sagt, dass der IS-Killer mit der Obszönität spielt, dass der Blickkontakt, den er sucht, sich gegen die Welt in ihrer Gesamtheit richtet – und nicht gegen sein tatsächliches Opfer. Im Drohnen-Video dagegen ist gar kein Täter, kein Handelnder, auszumachen. Die enorme Entfernung, aus der die Aufnahme entstand, schafft die Distanz zu den Opfern. Mroué stellt die Frage, ob nicht das eine Bild den Gegenschuss zum jeweils anderen Bild darstellt. Es ist beeindruckend, mit welcher Hellsichtigkeit, mit welcher Schärfe er die Bilder seziert – selbst wenn man dabei nicht jeden seiner Schlüsse teilt.

Gibt es einen Ausweg aus den Bilderfallen? Kann sich nicht wenigstens der Einzelne vor der Vereinnahmung durch die Bildmanipulateure schützen? Mroué berichtet von einem Gerät, dass verhindern soll, dass Menschen zufällig von anderen Menschen fotografiert werden können. Schaltet man dieses Gerät ein, dann sorgt es dafür, dass Bildstörungen, "glitches" genannt, die Aufnahme unkenntlich machen. Diese Wunderwaffe will Mroué mit dem Publikum testen. Er fordert es auf, die Smartphones zu zücken, um ein Foto von ihm zu machen. Er schaltet das Gerät ein, er zählt: Eins, zwei, drei. Urplötzlich ist es dunkel – und Mroué verschwunden. Die Kameras zielen in Nichts. Ein durchschaubarer Gag. Oder doch eine Utopie?

 

Sand in the Eyes
von Rabih Mroué
Regie: Rabih Mroué, Mitarbeit Recherche: Andrea Geißler, Übersetzung: Lisa Wegener, Ziad Nawfal, Übertitel: Yvonne Griesel.
Mit: Rabih Mroué.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.staatstheater-wiesbaden.de


Kritikenrundschau

"Mit maximaler Ruhe, hintergründigen Fragen und charmant platzierter Ironie begegnet Mroué in seiner klugen Performance dem heißen Thema – ohne sich die Finger zu verbrennen", so Bettina Boyens in der Frankfurter Neuen Presse (6.11.2017). Locker an seinem Laptop kommentiere er auf Englisch, was in ihm beim Betrachten der Bilder aus IS-Videos vorgegangen sei, die hinter ihm auf die Größe einer Kinoleinwand projiziert werden. "Und stellt eine Unmenge kritischer Fragen. Zum Beispiel will er herausfinden, wohin die Bildmontage von Menschen führt, die gar nicht wissen, was mit ihren Aufnahmen im Internet geschieht." Es sind feine Momente, "in denen Mroué Fiktion und Realität mischt, die den Saal zum Schmunzeln bringen", und ganz ernst dagegen seine Analyse der IS-Tötungsvideos und der Drohnenbilder.

 

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