Warum bist du so brutal wütend?

von Gabi Hift

Berlin, 2. November 2017. Ein Monster hockt auf der Bühne, rührt sich kaum, ein plastinierter Märchenzwerg (Artist: Moran Sanderovich), livid rosige Gewebsfetzen, trüb hängt ihm ein Penis als Nase zwischen den faltigen Wangen. Im Arm wiegt es ein Maschinengewehr aus Fleisch und Knochen (das gleiche Modell gibt’s in "eXistenz" von David Cronenberg): Willkommen bei den Radikalen Jüdischen Kulturtagen zu Sasha Marianna Salzmanns erster Theaterinszenierung von Sivan Ben Yisahis Monolog mit dem Titel "Die Geschichte vom Leben und Sterben des neuen Juppi Ja Jey Juden".

CelanAxt 2 560 StefanLoeberDie Schöne und ihr Biest: Sesede Terziyan mit persönlichem Albtraum © Stefan Loeber

Vom Band spricht eine melodische Stimme: "Inmitten der Stadt, nicht weit von hier, ist ein verzauberter Garten. Der Garten der Diaspora. Es ist der allerschönste Platz der Welt." Dann öffnet sich die Tür, eine junge Frau im Abendkleid tritt auf (Sesede Terziyan), in der Hand eine Trophäe in Form eines röhrenden Hirschs mit Fangarmen als Geweih. Als israelische Künstlerin (wie die Autorin des Textes, Sivan Ben Yishai) hält sie eine Dankesrede an die Deutschen, die ihr einen Preis verliehen haben, Variante jüdische Standup Comedy, Dank an eine Horrorfamilie, die Mutter: "schimpfend, blutspuckend, mit ihrem Finger in ihr Essen pickend, ihr schwarz gefärbtes Haar, der immer pinke Lippenstift – liebe Mama, ist es denn nicht offensichtlich, dass all das hier dir gewidmet ist?" Aus einem Haus, in dem die Luft ständig voller Tränengas war, ist sie geflohen, vor einer Mutter, die überzeugt ist, alle Gewalt käme von den Arabern ("sie erschießen sich sogar gegenseitig auf ihren Hochzeiten, das ist ihre Kultur", sagt sie) – und sie ist in den Armen der Deutschen gelandet, die nun mit derselben gerührten Großzügigkeit, mit der sie der geliebten Jüdin Preisgelder überreichen, auch immer größere Waffenlieferungen nach Israel schicken.

Schauobjekte von Wut und Schmerz

Dann wechselt die Tonart. Die Künstlerin erzählt, wie sie und ihre blonden Bräutigame sich gegenseitig immer größere Stücke Fleisch aus dem Leib gebissen hätten. Bis sie eines Tages einem von ihnen mit einem Knacks das Genick gebrochen, sein Herz gegessen und sich einen Mantel aus seiner Haut gemacht hat. Später fragt sie mal einer: Warum bist du so brutal wütend?

Sasha Marianna Salzmann, die hier das erste Mal inszeniert, verlässt sich ganz auf die Poesie von Yishais Sprache und auf die komödiantischen Fähigkeiten von Sesede Terziyan. Obwohl der Text in der zweiten Hälfte ein bisschen zerfasert, spürt man eine zunehmende Beklemmung und Trauer, spürt, dass es für die junge Frau kein Entkommen gibt aus Wut und undefinierbarer Angst. Der Clou der Inszenierung ist der eklige und doch vertraute Gnom. Was ist er? Der Alptraum der Künstlerin? Ihr Schmerz? Ihre skurril verformte rosa Fleischseele? Er ist einfach da, bleibt ein stumpfes, perverses Rätsel, bis er sie in die Arme nimmt wie Lear seine Cordelia und die beiden im "Garten der Diaspora" in einem Glaskobel als Schauobjekte enden.

Ver-rap-äppelung als Mutprobe?

Auch im zweiten Monolog des Abends, "Celan mit der Axt", geht es um Wut und Unbehagen, hauptsächlich aber wohl um eine Mutprobe des Autors Max Czollek, der alle heiligen jüdischen Kühe mal am Schwanz ziehen will. Till Wonka schlüpft in der Inszenierung von Sapir Heller zuerst in die Rolle von Paul Celan, der vor der Gruppe 47 seine "Todesfuge" vorträgt und in der Luft zerrissen wird ("Singsang wie in der Synagoge – der klingt ja wie Göbbels – haha 'schwarze Milch'"). Wonka veräppelt den vor Angst zitternden Celan, macht aus ihm einen lächerlichen Clown.

Wenn man weiß, dass Celan sich von diesem Albtraum bis zu seinem Selbstmord nie erholt hat, zuckt man innerlich zusammen. Gleich darauf die nächste notorische jüdische Nachkriegs-Katastrophe: das berühmte Interview von Hannah Arendt über die Banalität des Bösen, in dem sie den Judenräten Kooperation vorwarf und das zu tiefen Zerwürfnissen in der amerikanischen jüdischen Community geführt hat. Wonka spricht lippensynchron mit und macht sich nach Celan auch über Arendt lustig.

CelanAxt 560 Stefan Loeber uMonologischer Mann: Till Wonka in "Celan mit der Axt" © Stefan Loeber

Es folgt eine Ver-rap-äppelung von Walsers Paulskirchenrede ("Moralkeule Ausschwitz"), ein schöner Text von Thomas Brasch, dann zwei zwecks Schockwirkung sowohl textlich als auch schauspielerisch lässig improvisierte Figuren (man könnte sie aber auch schludrig zusammengestoppelt nennen): Amichai Süß, ein jüdischer Bösewicht mit Goldzahn, der sich durch seine skrupellosen Immobiliengeschäfte an den Deutschen rächen will und furchtbar gern so eine schmutzige, verbotene Figur sein würde wie der Jude in Fassbinders "Der Müll, die Stadt und der Tod". Und schließlich ein angepasster Normalo-Jude, der eine erlogen kitschige Geschichte über seinen Großvater erzählt und schließlich sagt: "Wir schauen 'Tatort'. Wir essen mit Euch Döner und fürchten uns mit Euch vor dem muslimischen Mann und verachten die muslimische Frau. Wir sind endlich angekommen."

Falls es die Absicht dieser Textcollage von Max Czolleck sein sollte, Unbehagen zu wecken, dann hat sie ihr Ziel erreicht. Aber im Gegensatz zum ersten Monolog ist da keine aufrichtige Suchbewegung zu erkennen, keine Auseinandersetzung mit der Situation der Juden in Deutschland heute, nur ein frech erhobener Stinkefinger. Aber das Motto der Radikalen Jüdischen Kulturtage lautet ja auch: "Desintegriert Euch!"

 

Die Geschichte vom Leben und Sterben des neuen Juppi Ja Jey Juden
von Sivan Ben Yishai
Regie: Sasha Marianna Salzmann
Mit: Sesede Terziyan
Dauer: 60 Minuten

Celan mit der Axt
von Max Czollek
Regie: Sapir Heller
Mit: Till Wonka
Dauer: 60 Minuten

www.gorki.de

 

Kritikenrundschau

Es ist dies ein trickreicher, wut- und widerspruchsvoller Text, schreibt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (4.11.2017) über "Die Geschichte vom Leben und Sterben ...". "Schlimm schön wird der Abend durch das direkte, aber zwischentonreiche Spiel von Sesede Terziyan." Das mit 'Penisnase' ausgestattete 'Gummi-Etwas' habe Salzmann hinzuerfunden, "und das gibt dem Abend eine Abgründigkeit, die sich auf keine Desintegrationsbotschaft herunterbrechen lässt. Die neue Leitkultur hört nicht auf Leitsätze, zum Glück." In "Celan mit der Axt" erkennt Dirk Pilz hingegen "gehobene Comedy im Dienste der Desintegration". Czolleks Monolog sei vornehmlich dem Aufräumen in den 'Echoräumen' der Erinnerung gewidmet.

Zwar eröffne der abgründige Monolog von Sivan Ben Yishai im ersten Teil einen Denkraum, schreibt Esther Slevogt in der taz (4.11.2017), die auch Lob für die Regisseurin Sasha Marianna Salzmann und das Spiel von Sesede Terziyan formuliert. Der Kritikerin wird beim Zuschauen das Herz aus dem Leib gerissen, "angesichts der (zerstörerischen) Energie, die die deutsch-jüdische Neurose hier entfesselt." Doch schlage Teil zwei mit der Inszenierung des Texts von Max Czollek diesen eröffneten Denkraum auch schon gleich wieder zu. Klischeehafte Figuren und eine holzschnittartige Inszenierung verstärken noch den schlechten Eindruck der Kritikerin.

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