Zuschauernähe oder Insidergekreisel?

6. November 2017. Für die Frankfurter Allgemeine (4.11.2017) steht nachtkritik.de "in einem krassen Gegensatz zur traditionellen Theater-Berichterstattung". Redakteur Simon Strauß sieht durch das Online-Feuilleton "den Abbau regionaler Theater-Berichterstattung kompensiert". Das Portal habe es geschafft, "die sogenannten Debatten des Betriebs auf ihre Seite zu ziehen", fragt sich jedoch, ob das tatsächlich "zu besonderer 'Zuschauernähe' oder nicht viel eher auch zu einer gehörigen Portion Insidergekreisel führt?" Schließlich bekomme man "die großartige Chance, einen Leser durch Text und Thema zu locken, der sonst mit dem Theater gar nichts am Hut hat, (…) nur im – durch seine verschiedenen Facetten überraschenden – Feuilleton einer Zeitung. Das den Laien abschreckende 'Expertentum' findet nämlich mittlerweile nicht mehr hier, sondern dort statt: in den immer offenen, nie entschiedenen Diskussionsforen der Userinnen und User von 'Nachtkritik'."

Ulrich Seidler betätigt sich in der Berliner Zeitung (6.11.2017) selbst als Nachtkritiker: Noch bis kurz nach Mitternacht auf dem Fest zugegen, wo man durch "die leibhaftig gewordene Crowd" streifen konnte, steht sein Artikel über dasselbige bereits am nächsten Morgen um 9.21 Uhr online. nachtkritik.de biete, "ein im Internet eher selten gesittetes Forum des Streits", die "Freundlichkeit bei der Feier belegt es". Man sei eben "bei allen widerstreitenden Interessen (…) verbunden in der Liebe zum Theater (…). Man gehört, was an dem Abend nicht extra betont wurde, zur selben Blase." Anmerken möchte Seidler, "dass die verdienstvolle Erfolgsgeschichte von Nachtkritik.de auch eine des Krisengewinns ist und im ungerührt weiter fortschreitenden Marginalisierungs- und Elitisierungsprozess von Theater und Theaterkritik leider kein Happyend bedeutet. Dazu müsste man die Fach- und Betriebskreise nicht nur bedienen, reflektieren und aufwirbeln, sondern sprengen. Hat jemand da draußen eine Idee?"

In einem Interview für die Sendung "Kultur heute" vom Deutschlandfunk (4.11.2017) führt nachtkritik.de-Mitgründer Dirk Pilz noch einmal die nachtkritik.de-Grundidee von der Kritik als "erstem Ball, den man in den Ring wirft" und auf den der Leser regieren dürfe und solle. Durch die anderen Stimmen, die es mit den Kritikenrundschauen und Kommentaren gebe, würde im besten Fall "das Bewusstsein für das Geschäft" gehoben, "das man da eigentlich betreibt." Dem Vorwurf, nachtkritik.de sei so etwas wie der "Totengräber der Theaterkritik in der Zeitung", widerspricht Pilz: Zur Zeit der Gründung sei das Theater in den Zeitungen immer weniger vorgekommen, "vor allem in der Fläche". nachtkritik.de habe gezeigt, dass das Interesse des Publikums, auch an Theater in Paderborn, Aalen oder Chur, aber durchaus da sei: "In einer vertrackten Dialektik" habe das die Theaterkritik "auch in den Zeitungen eher wieder aufgewertet."

 

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