Zurück in die Zukunft

von Georg Kasch

Berlin, 10. November 2017. Los geht's! Schon im Foyer brausen die E-Gitarren, flackert das Licht über dem neuen, türkisfarbenen Teppichboden – 45 Minuten lang. Drinnen dann, im großen Saal, dröhnt der Hardrock ohrenbetäubend weiter, während abstrakte Lichtstreifen über die Wände blitzen, auf der leeren Bühne die Hubpodien rauf- und runterfahren und sich am Ende der große Glaslüster ins Parkett senkt.

Nach Wochen in der Tempelhofer Außenspielstätte haben Chris Dercon und Marietta Piekenbrock jetzt mit "Samuel Beckett / Tino Sehgal" das Große Haus der Berliner Volksbühne eröffnet. "(Ohne Titel)“, so heißt der Auftakt, mit dem es Tino Sehgal mit kindlicher Freude (und einem nackten Performer) so richtig krachen lässt. Dann kommen die Bühnenarbeiter und bringen die Stühle. Jetzt geht's also endlich los!

Tino Sehgals Performances versinken im Pausenhofrauschen

Naja, fast. Denn nach dem kraftmeiernden Auftakt, der Errungenschaften historischer Avantgarde als Gegenwart ausgibt, müssen alle wieder raus. Eine Stunde und 15 Minuten ist das Publikum angehalten, durch die Foyers und Gänge zu flanieren. Was wirkt wie eine überlange Pause, mit Schlangen am Buffet und Kultursmalltalk, ist Teil des Abends. Überall gibt’s Sehgal satt, allerdings ausschließlich ältere Werke. Der Künstler, der die wichtigsten Museen mit Performances füllt, recycelt sie oft, insofern ist das nichts Ungewöhnliches. Nur gab es gerade erst im Berliner Gropius-Bau eine große Sehgal-Retrospektive, wo konzentrierte Sprechwerke wie "Ann Lee" zu sehen waren – in stillen, abgeschiedenen Räumen.

 


Auftakt mit der Soundkulisse von Ari Benjamin Meyers

Hier aber stehen die kindlichen Performer in den Seitenfoyers, man versteht nur Wortfetzen, weil das große Pausenhofrauschen drumherum alles übertüncht. Das ist blöd für die Darsteller*innen, die vergeblich versuchen, sich gegen die lebendige Soundkulisse durchzusetzen. Hat niemand daran gedacht, dass sich Menschen in einem Foyer anders verhalten als in einem Museum? Und: Geht es bei diesen sich wie Avatare ihrer Selbst bewegenden Menschlein um Themen wie Arbeit, Gerechtigkeit und das Leben in einer Blase? Man ahnt das mehr, als dass man es erfährt.

Beckett-Gefolgschaft mit Walter Asmus

Nur unwesentlich besser funktionieren die zugehörigen Avatar-Videos von Philippe Parreno und Pierre Huyghe. Auch auf die Beckett-Filme Quad I, Quad II und "Geistertrio" kann man sich bei all dem Foyer-Gewusel nicht richtig einlassen. Ist vermutlich nicht schlimm, weil sie einen Abstraktionsgrad besitzen, der an Ödnis grenzt und ziemlich angestaubt wirkt. Sie sind das Scharnier zwischen den Sehgal-Performances und dem Beckett-Abend, der eineinhalb Stunden nach dem offiziellen Beginn im großen Saal anfängt. In 75 Minuten reihen sich hier nahezu pausenlos die drei Einakter "Nicht Ich", "Tritte" und "He, Joe" aneinander.

Beckett Tritte 560 DavidBaltzer xStreng notiert: Anne Tismer schreitet in "Tritte" eine Beckett-Partitur ab © David Baltzer

Walter Asmus hat sie inszeniert, ein Beckett-Getreuer seit Jahrzehnten. So sehen seine Arbeiten auch aus: In "Nicht Ich" leuchtet nur Anne Tismers Mund grell im völlig abgedunkelten Saal und quasselt sich um Kopf, Kragen und die Realität. In "Tritte" (in Berlin zuletzt 2014 von Katie Mitchell für die Staatsoper im Schillertheater inszeniert) schleppt sich Tismer im weißen Unschuldskleid getreu der Beckett'schen Schrittnotation von rechts nach links und wieder zurück, leicht in sich gekrümmt, während sie den Mutter-Tochter-Konflikt vorträgt – hell die Tochter-Sätze, dunkel die der Mutter.

Anne Tismer als Gewissensstichelei

In "He, Joe" ist sie nur noch zu hören: als Gewissensstichelei im Kopf eines alten Mannes. Morten Grunwald sitzt fahl leuchtend auf der dunklen Bühne, während sein Gesicht auf dem Gazevorhang am Bühnenportal immer größer wird. Wie er die Schlinge, die die Frauenstimme zieht (der Mann ist Schuld am Selbstmord einer Frau), nicht kommentiert, eher eine unwillkürliche Gesichtschoreografie zulässt, das hat was. Gegen Ende aber verhärtet sich sein Gesicht doch noch in Eindeutigkeiten. Wenn Grunwald schließlich pathossatt die Hände hebt, ist diese Kunstanstrengung endgültig im Kitsch gelandet.

Beckett HeJoe 560 DavidBaltzer uIn Großaufnahme: Morton Grunwald hört die Stimme des Gewissens in "He, Joe" © David Baltzer

Immerhin: Leinwände, entmenschlichte Menschen, Reenactments, da gibt's eine Klammer. Man mag ja nach all der Vorab-Kritik an Dercon und Piekenbrock eigentlich nicht mehr meckern, das wirkt so wohlfeil. Also: Konzentration auf die positiven Seiten! Zum Beispiel auf die vielen Sehgal-Performer*innen, die jetzt im Saal wieder die Stühle und die Bühne demontieren, dabei summen und singen vom "technischen Zeitalter" zwischen christlicher Gregorianik und Lagerfeuer. Später flitzen sie durch den Saal, erzählen kurze Anekdoten, die sich im weitesten Sinne ums Heimischwerden drehen, ums Nicht-mehr-fremd-Fühlen. Auch diese Sehgal-Arbeit ist älter, uraufgeführt 2012 in der Londoner Tate Modern. Deren Leiter damals: Chris Dercon.

Außerdem locken sie einen auf die nun wieder völlig leere Bühne mit seinem weißen, elegant geschwungenen Rundhorizont unter der abschließenden Halbkuppel. Was für ein Ort! Nach so viel Gestern zum Auftakt allerdings muss die Zukunft hier erst noch beginnen.

 

Samuel Beckett / Tino Sehgal

Nicht Ich / Tritte / He, Joe
von Samuel Becket
Regie: Walter Asmus, Bühne und Kostüme: Alex Eales, Licht: Frank Novak, Ton: Hannes Fritsch, Jörg Wilkendorf, Video: Konstantin Hapke, Kamera: Nicolas Keil.
Mit: Anne Tismer, Morten Grunwald.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

Tino Sehgal
(Ohne Titel), 2017

Komposition: Ari Benjamin Meyers, Nico Van Wersch, Andreas Karperyd, Tom Lynn, Licht-Operator: Frank Willens, Musik: Thomsen Merkel, Carsten Brocker, Samuel Halscheidt, Nico Van Wersch, Christian Vinne

Ann Lee, 2011
Mit: Nikita Broadbent

Anywhere out of the world, 2000
Von: Philippe Parreno

Ann Lee & Marcel, 2016
Mit: Simone Kanda, Wiley Joy

Two Minutes out of Time, 2000
Von: Pierre Huyghe

This is exchange, 2003
Mit: Fiona Bewely, Dominic Bonfiglio, Franziska Dörig, Matthias Ecker-Ehrhardt, Cora Gianolla, Charlotte Gneuss, Benjamin Hermsdorf, Louise Höjer, Anne Jung, Felix Koch, Wenzel Mehnert, Daniel Mufson, Timothy Murray, Gabriele Nagel, Gregor Schmidt, Ulrich Volz, Peter Wilhelm, Frank Willens, Philipp Wüschner.

These associations, 2012
Mit: Ulrike Aurig Böttcher, Lisa Bedogni, Johanna Bender, Fiona Bewley, Nathalia Cury, Anja Dellner, Descha Daemgen, Jula Eberth, Hamoud Eshtay, Mohammad Ezzouini, Roana Salome Falkenberg, Ulrike Feibig, Claudia Garbe, Charlotte Wiebke Gneuss, Martina Hefter, Verena Hehl, Ben Hermsdorf, Olga Hohmann, Anne Jung, Jana Jess, Jana Maria Köder, Gregor Legeland, Chiara Marcassa, Elisabeth Markert, Michelangelo Miccolis, Wagner Lúcio Moreira, Gabriele Nagel, Susi Rosenbohm, Ralf Ruhnau, Arne Schirmel, Joyce Schmiedel, Gregor Schmitt, Sabine Schrem, Amelie Scupin, Isaac Spencer, Anne Tismer, Heidemarie Wagner, Angelika Waniek, Magdalena Weniger, Ingo Wesenack, Frank Willens, Maria Winkler, Udo Zickwol.

Dramaturgie: Marietta Piekenbrock, Künstlerische Produktionsleitung: Philip Decker.
Dauer des Gesamtevents: ca. 4 Stunden 20 Minuten, zahlreiche Pausenmöglichkeiten

www.volksbuehne.berlin

 

Kritikenrundschau

Als "insgesamt misslungen", "verkrampft" und "merkwürdig theaterfern" schätzt André Mumot diese Eröffnung in der Sendung "Fazit" auf Deutschlandfunk Kultur (10.11.2017) ein. Tino Sehgals kleine Arbeiten in den Foyers seien akustisch nicht zu verstehen gewesen. Es war wie eine "Ausstellungseröffnung" in einem Raum, der dafür nicht geeignet gewesen sei. Die Beckett-Arbeiten ("esoterische kleine Stücke, die nichts mit unserer Welt zu tun haben") seien auf Reduktion angelegt gewesen, wobei in "Nicht ich" ob der Größe des Hauses der für das Stück ikonische Mund der Darstellerin für Zuschauer in den hinteren Reihen nicht erkennbar gewesen sei. Auch die ist ein Indiz für die verfehlte Beschäftigung mit dem Raum der Volksbühne, die der Kritiker diagnostiziert.

Ein "gehöriges Maß an Vergangenheitsseligkeit" attestiert Felix Müller von der Berliner Morgenpost (11.11.2017) diesem Abend. Tino Sehgals Arbeit sei "im Publikumsverkehr" untergegangen. "Es herrscht die Atmosphäre einer überfüllten Vernissage, auf der die Kunst die Neben- und die Frage nach dem nächsten Glas Weißwein die Hauptsache ist.“ Lob erntet vor allem Anne Tismer für ihre Beckett-Darbietung und "die ergreifenden Momente, die sich aus den Sprachkaskaden Becketts speisen". Fürs Ganze aber sagt der Kritiker: "Ein ästhetisches Profil bleibt unsichtbar (…). Wer die Volksbühne einmal als Garant für Überraschungen, Subversion und neue Ideen schätzen gelernt hat, kann das nur traurig finden."

Echt "geil" findet Dirk Peitz von der Zeit (11.11.2017) den Metal-Auftakt dieses Abends, dessen Zusammenhang er im Museumsgedanken findet: Es gehe "um nichts weniger als eine Neubetrachtung des Theaters an sich nämlich", und zwar "durch die Rekonstruktion des Alten". Mit Beckett öffne Dercon "das Archiv" und verschaffe dem Theater also ein Gedächtnis über YouTube-Mitschnitte hinaus. Die Verbindung Beckett-Sehgal erschließe sich zwar nicht unmittelbar und eine "wirkliche Antwort darauf, was die Dercon-Volksbühne sein wird, außer eben nicht die Castorf-Volksbühne, gab es selbstverständlich nicht am Eröffnungsabend. Der Archivgedanke, der in den Beckett-Inszenierungen aufschien, macht dieses Theater aber unmittelbar unterscheidbar von allen anderen mindestens in Berlin."

Für Spiegel Online (11.11.2017) ließ sich Anke Dürr durch die Stationen dieses Abends treiben: "Das ist alles schön und gut, weltbewegend ist es nicht. Die Verbindungen, die der Abend herzustellen versucht zwischen Beckett und Sehgal, indem er den einen musealisiert und den anderen theatralisiert, bleiben vage." Beckett als Haupt-Act auf der großen Bühne werde "in einer Ernsthaftigkeit zelebriert, die etwas verdammt Lebloses hat: Beckett, in einen Museumsschaukasten verbannt."

"Nach all den Hasstiraden, Grabenkämpfen, Rückzugsgefechten und kulturpolitischen Arrogantheiten von Tim Renner bis Klaus Lederer erlebt die Volksbühne an diesem Freitagabend eine Implosion. Als sei alle Energie im Volksbühnenkampf verpufft, bevor es überhaupt losgeht." So berichtet Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (11.11.2017) von der Eröffnung. Sehgals "Exerzitien" wirken auf den Kritiker im Theaterraum "anämisch", wie "ein mittelgroßer Bluff". Becketts Einakter seien zwar "nicht unbedingt gedacht für die Einladung in ein neues Haus", bildeten aber doch das, "was im Gedächtnis bleibt von dieser sonderbaren Veranstaltung in einem leeren Theater". Fazit: "Das ist zu wenig, zu defensiv als Gesamtauftritt. Eher eine Late Modern als eine Tate Modern."

Für Tobi Müller in der Frühkritik auf Deutschlandfunk (11.11.2017) stellte der wuchtige musikalische Auftakt des Abends eine "Teufelsaustreibung" nach zweijährigem Volksbühnenstreit dar. Anne Tismer sei in ihrem Beckett-Auftritt mit der Rolle als "Neue beim Neuen" "total cool, super souverän" umgegangen. Becketts Poesie falle hier als "späthuman" auf, "der Mensch in den letzten Zügen". Sehgals Arbeiten seien zwar schwer verständlich gewesen und in der Präsentation eigentlich "danebengegangen", leuchten dem Kritiker aber "auf dem Nach-Hause-Weg" als Korrespondenz zu Beckett ein: Die "Cyborgs", die etwa die Performance "Ann Lee" präsentiere, sind "Beckett-Figuren", d.h.: "Beckett ist der Mensch im Spätstadium, Sehgal hat das bereits überwunden" und ist "im Posthumanismus".

"Ein Haus vergewissert sich seiner Mittel, poliert sein Besteck, stellt die Frage, was es eigentlich ist und was es kann. Eine alte Technik der Avantgarden seit dem 20. Jahrhunderts, in der Kunst perfektioniert durch die Institutionskritik. Hat man so etwas in einem deutschen Stadttheater in dieser Konsequenz schon mal gesehen?" So würdigt Elke Buhr in der Zeitschrift Monopol (online 12.11.2017) diesen Auftakt. Bei den Performances von Tino Sehgal merke man noch "die Fremdheit, mit der Kunst- und Theaterpublikum aufeinander trafen. Anders als im Museum, antwortet niemand Sehgals Ann Lee, als sie ihre Fragen ans Publikum stellt. Und nicht jeder schaltet entspannt um vom stummen Betrachter auf die Dialogperspektive. Aber vielleicht gelingt es ja in der neuen Volksbühne, ein Publikum zu generieren, das sich gern in verschiedenen Rollen ausprobiert".

"Wenig ist neu an diesem ersten Abend in der neuen Volksbühne. Aber das ist Teil der Pointe. Es geht um das Theater als Museum, Darstellung als Performance, Beginnen als Schon-begonnen-Haben, Interaktion als Aneinander-Vorbei. Also Zwischenzustände. Diese Zwischenzustände macht der Abend begehbar." So berichtet Ekkehard Knörer für die Onlineseite des Merkur (12.11.2017) über einen "faszinierenden wie beunruhigenden Anfang“ der neuen Volksbühne. Der Kritiker würdigt die Beschäftigung mit abgelebter Avantgarde in Walter Asmus' Beckett, die gleichwohl nicht "Historismus" bedeutetem und schätzt die "Intelligenz und Stringenz" dieses ganzen Events, die mit einer durchgehenden "Humorlosigkeit" einhergehe.

Ein "aufreizend läppischer Auftakt" mit Maschinenspielen auf der Bühne hat Dirk Pilz von der Berliner Zeitung (online 12.11.2017) nicht gerade in diese Eröffnung reingezogen. Bald erscheint sie ihm als "Kunstkommunikationskatastrophe". Die Tino Sehgal-Performances wirkten "wie in den falschen Rahmen kopiert, in die Hände einer wahlweise überforderten oder dilettantischen Dramaturgie geraten". In Walter Asmus' Umsetzung von "Nicht ich" erkennt der Kritiker eine "schöne Beckett-Verschärfung", "das Theater als herz- und sinnstürzende Interaktions-Plastik". Die folgenden Beckett-Stücke verlören sich in "museal verpacktes Reproduktionstheater". Im Ganzen könne man sich Bezüge zwischen den "Metakunst-Figuren" bei Sehgal und den "Nicht-Figuren" bei Beckett denken. "Aber das transdisziplinäre Gespräch bleibt hier kunsttheoretische Behauptung, kuratorische Absichtserklärung. Das prägt den gesamten, papiernen, konzeptlastigen Abend: große Gesten, wenig Gehalt."

"Mit einem programmatischen und etwas dürren Ansatz, Theatermagerkost der strengen Sorte" hat die Volksbühne in den Augen von Katrin Bettina Müller von der taz (13.11.2017) eröffnet. "Nie hat man an diesem Abend das Gefühl, dass das Haus seine gewohnte Betriebstemperatur erreicht, dass es hinter den Kulissen, auf der Bühne und in den Köpfen der Zuschauer brummt vor Anstrengung." Tino Sehgal habe eine neue Arbeit für die Volksbühne hergestellt, die "ein wenig wie ein Fake, eine großspurige Behauptung" wirke. Walter Asmus zeige eine Treue zu Becketts Intentionen, "die auch befremdlich ist und visuell eher altbacken daherkommt". Der konzeptionelle Bezug zwischen Beckett und Sehgal sei gleichwohl deutlich, "bewegen sich doch beide durch posthumanistische Landschaften, Räume jenseits des Sozialen, das eine Mal befeuert von der Erfahrung der Vernichtung des Menschen in den Kriegen des 20. Jahrhunderts, das andere Mal vom Blick auf die Möglichkeiten der Technologie".

"Das ist öde, aus der Zeit gefallen, in seiner Egalheit anstrengend und frappierend humorlos. Immerhin ist das Prinzip zu erkennen: der Triumph des Kurators über die Regie." So berichtet Jan Küveler für die Welt (online 12.11.2017). Er sah Tino Sehgal "mit seinen großspurig 'Interventionen' genannten Miniperformances" und eine sklavische Beckett-Befolgung von Walter Asmus. "Das war wohl der Gedanke der Dramaturgie: der hippe Schmallippenpoet des digitalen White Cube, Tino Sehgal, prallt auf einen unwahrscheinlichen Vater im Geiste, der ebenfalls kontextlose Räume schafft, in denen es irgendwie um Kommunikation beziehungsweise ihr Scheitern geht. Das ist gar nicht so dumm, nur: sehr, sehr langweilig."

Die Volksbühne atme jetzt "tatsächlich mehr den Geist eines Museums als den eines Theaters", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (online 12.11.2017). "Das ist schon alles sehr minimalistisch, installativ und spröde, irgendwie auch asketisch-esoterisch. Und wahnsinnig konzeptlastig. Wo bleibt die Sinnenfreude? Wo die Leidenschaft, die Lust?" Sehgals Werke gingen im Getümmel unter. Mit Beckett gebe es die "Auflösung von Theater, oder dessen strenge Rückführung auf Elementares: Raum, Stimme, Sprache, Körper, Licht. Die absolute Reduktion.“ Doch sei der "minimalistische Beckett" hier "viel zu groß dimensioniert“. Die Sehgal-Gruppenchoreographie nach der "Beckett-Beschwörung" habe etwas "Erweckungskirchliches" gehabt. Fazit zu Sehgal: "Was im Londoner Museum ein Hit war, wirkt im Theaterzusammenhang schal und bemüht."

"Eine Beleidigung der Zuschauer und Darsteller" erlebte Simon Strauß von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (13.11.2017) in diesem "Nullprogramm ohne Anfang und Ende" an der neuen Volksbühne. Der Abend wirke wie ein "jetzt erst recht" Chris Dercons. Als wolle er sagen: "Wenn ihr mich für mein avantgardistisches Kunstverständnis kritisiert, mir eure hergebrachten Erwartungen an ein Theater zumutet, dann lasse ich euch zur Strafe umso länger in der Performancehölle braten. Nur, dass es gar keine Hölle, nicht mal ein Fegefeuerchen ist, in dem man hier herumsteht. Sondern nur ein sterbenslangweiliger Limbo." Die "durchaus eindrückliche Vorführung" des Beckett-Teils sei "unter falsche Vorzeichen gesetzt, nämlich wie ein museales Ausstellungsstück behandelt, um neben den zeitgenössischen Übungen auch die klassische Moderne zu zeigen. Nichts als klischeehaftes Kuratorendenken steckt hinter dem Ganzen."

"Die Eröffnungsparty der Volksbühne zeigt die Bilder seiner Ausstellung, jener von Chris Dercon. Es ist ein Gang zu seinen Theatervätern", schreibt Daniele Muscionico in der Neuen Zürcher Zeitung (15.11.2017). Um Gemeinschaft solle es wohl gehen, um Sprachfindung und um das Wesen von Gesellschaft und Theater, "doch es ist ein bisschen wie im Museum, (…) am Ende nimmt jeder ein andere Ausstellung mit nach Hause. Oder eine enttäuschte Erwartung." Anne Tismer sei "das Beckett-Mädchen, das zwar lebt, aber nicht wirklich geboren wurde", so Muscionico: "Es passt zur schweren Auspressung eines Theaters, das an diesem Abend noch nicht zur Welt kommt. Nicht auf unsere zumal, die der Zuschauer."

Dercon zeige an seinem ersten Volksbühnen-Abend, "was sein Theater nicht sein wird: ein Haus, worin ein stabiles Ensemble ein Repertoire entwickelt, eine Zentralstelle erkennbarer künstlerischer Handschriften und Köpfe". Als einen "Rummel der Reprisen" bezeichnet Peter Kümmel in der Zeit (16.11.2017) diesen Auftakt. Becketts "Nicht Ich", geschrieben "für ein Theater von der Größe und Stille eines Beichtstuhls", werde "von Dercon ins maximale Format gezwungen". Sehgals "These Associations" wirkt auf ihn wiederum "wie der eingekaufte Versuch einer Neubeseelung des Tempels – durch eine durchreisende Miettruppe." Der Kritiker "erkennt kein überwölbendes Programm, keinen eigensinnigen Kunstwillen. Nichts, was hier gezeigt wird, wirkt, als sei es für diesen Abend, diese Räume gemacht. Das Wenigste an diesem Auftakt funktioniert." Es stimmten weder "Programm-Proportionen" noch "Rhythmus", es fehle der "Inhalt (von Beckett abgesehen)" – "eine Theaterwiederöffnung ohne menschliche Geste, stattdessen werden die Scharniere und Gelenke des Apparates bewegt". Man müsse die Volksbühne schützen, "vor der Besetzung durch Theater-Inkompetenz, die zum Normalfall zu werden droht".

Kommentare  
Beckett/Sehgal, Berlin: soweit ist es gekommen
"Man mag ja nach all der Vorab-Kritik an Dercon und Piekenbrock eigentlich nicht mehr meckern, das wirkt so wohlfeil."

ja, soweit ist es nun schon gekommen: DARÜBER wäre mal tief nachzudenken!!!

ich bin ja sehr facettenreich und frei von manipulation und freue mich!! und stelle mal wieder fest, dass schadenfreude - wenn sie in meinem verständnis die "richtigen" trifft sehr wahr und echt ist (vor allem wenn schon sonst NIX authetisches möglich ist)



danke auch an André Mumot+dlf-kultur

"Misslungen und theaterfern"

http://www.deutschlandfunkkultur.de/saison-auftakt-an-der-volksbuehne-misslungen-und-theaterfern.1013.de.html?dram:article_id=400398
Beckett/Sehgal, Berlin: kein Gemecker
Lieber Herr Kasch,
vielen Dank für diese ausgesprochen informative, kenntnisreiche und feinsinnige Kritik. Und Respekt, dass Sie sich nicht haben hinreissen lassen in das dämliche allgemeine Gemecker.
Klasse!
Beckett/Sehgal, Berlin: düster-entkerntes Universum
Asmus wählt einen minimalistischen Ansatz, der die Vorlagen sogar noch reduziert. So lässt er Nicht Ich in völliger Dunkelheit spielen, einzig Anne Tismers Mund ist sichtbar, von einem Lichtstrahl hell erleuchtet. Der bei Beckett noch vorhandene stumme, zuweilen resigniert mit den Schultern zuckende Zuhörer entfällt. Ähnlich in Tritte: Da spricht Anne Tismer, welche die nach genauen, mechanisch präzisen Schrittangaben die schmale, fahl erleuchtete Laufbahn hin- und herschreitet, beide Stimmen – die eigene wie die bei Beckett vorgesehene Off-Stimme, eine autoritäre, viellicht imaginierte Mutter-Instanz. Bei Asmus ist dagegen alles internalisiert, Selbstgespräch. Der Sprechakt wird zum Lebensrest – ob in panisch erregter Form wie in Nicht Ich, bei der das Weiterreden zur letzten Barriere gegen die völlige Auslöschung wird, oder in gespenstischer Monotonie wie in Tritte, wo das Sprechen Zwang ist, den erwünschten Stillstand, das Vergehen in der Erstarrung aufhält, ein Leben, das sich wiederwillig einstellt. Das brüchige, mechanische, zwanghafte Erinnern ist hier einmal letzter Lebensstrohhalm und einmal finale Gegenwehr eines verhassten, nurmehr imaginierten Universums.

Und in einem dritten Fall Strafe. In He, Joe ist die Stimme dann doch extern und ist es doch nicht. Hier sind – wie im Beckett-Text – Körper und Sprache getrennt. (...) Das Ergebnis sind 75 höchst intensive Minuten, die das düstere, entkernte Universum Becketts, die entvölkerte Welt einer Erde, deren Herr sich in immer neuen Selbstauslöschungsroutinen ergeht, hervorholen aus der schwarz-weißen Erinnerung und – fahl und gespenstisch, als stiller geisterreigen – lebendig machen.

Und am Ende als – noch – „nur“ Theater entlarven. Da verlässt Tismer die Bühne, schließt sich dutzenden Performer*innen an, die wie in einem kirchlich rituellen Gesang die Stühle wegräumen, während auf der Bühne Arbeiter das Bühnenbild entfernen. In These Associations, einer Sehgal-Arbeit von 2012 mischen sich die Akteur*innen unters Publikum, singen – unter anderem vom technischen Fortschritt – bewegen sich mechanisch, nur um sogleich loszurennen, den Raum zu erobern, einzelne Zuschauer*innen mit Geschichtsfetzen zu belästigen, diese in den nun vermischten, gemeinschaftlichen Zuschauer- und Bühnenraum zu ziehen, eine körperliche wie rein phatische sprachliche Kommunikation aufzubauen, die vor allem dazu dient, überhaupt zu kommunizieren, den Kanal offen zuhalten, gegen die Absurdität und Leere von Becketts gerade erlebter Geristerwelt anzureden und anzurennen. Der Abend endet offen, erst, wenn der letzte Zuschauer geht und damit die Kommunikationskette unterbricht. Und so entsteht am Ende dann doch eine Verbindung über die Genre- und Künstler*innen- und mit ihnen die Zeit-Grenzen hinweg, auch wenn diese nur auf Bühne und Auditorium beschränkt bleibt. Ein kurzer interdisziplinärer, grenzüberschreitender Kunst(t)raum, der nach all den abgebrochenen und gescheiterten Versuche der erste Hälfte dieses brüchigen Abends, so etwas wie Verbindung, Weitergehen, Denkraumöffnung auch nur vorstellbar macht. Ein wenig Hoffnung inmitten all der Gespenster.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2017/11/11/unter-geistern/
Beckett/Sehgal, Berlin: Anstand
Georg Kasch ist wirklich ein sehr anständiger Mensch.
Beckett/Sehgal, Berlin: hinreichend deutlich
In meinen Augen ist die Kritik ein einziges Gemecker, aber ein völlig Berechtigtes. "Man mag ja nach all der Vorab-Kritik an Dercon und Piekenbrock eigentlich nicht mehr meckern" ist eine nette rhetorische Geste, aber das Nichtige des Abends hat Kasch trotzdem auf den Punkt gebracht. … "endgültig im Kitsch gelandet" – das ist hinreichend deutlich.
Beckett/Sehgal, Berlin: Asmus-Archiv
Dirk Peitz schreibt von der nunmehr etablierten Einmaligkeit des Berliner theatralen Archiv-Gedankens. Doch das kann eigentlich auch nicht ganz stimmen. Wäre das richtig, könnten beisdpielsweise sämtliche Castorf-Adepten sich auf die Fahne schreiben, sie seien das Castorf-Archiv. Es ist doch unerheblich, wie nah Asmus Beckett einst war und wie fasziniert er von Beckett nach wie vor ist - das sind doch sehr viele Literatur- und Theaterkenner zurecht bis heute.
Fakt ist: es ist keine bis ins Detail nachgestellte Beckett-Inszenierung, sondern eine Beckett-Inszenierung von Asmus.
Und deshalb ist es auch kein Beitrag zu einer Beckett-Archivierung, sondern allenfalls einer zu einer Asmus-Archivierung. (Und das weiß ich nicht, ob es einer Asmus-Archivierung bedarf, ich lese diese Beckett-Texte lieber noch einmal nach, denn es ist sehrsehr lange her - dafür ist mir der Bericht von dem Ereignis freilich Anregung genug).

PS: Hat man es jetzt eigentlich so zu verstehen, dass die neue Volksbühne mit Anne Tismer nunmehr die erste Schauspiel-Ensemble-Stelle besetzt hat? Wenn Sophie Rois dann re-beurlaubt ist, sind sie schon zwei Damen. Und man kann sich offenbar, soweit ich Anne Tismer im DF verstanden habe - um die Stellen auch bewerben... Für SchauspielerInnen die AUCH PerformerInnen sind, ist das dann eine wesentlich bessere Option als noch vor diesem Beckett/Seghal-Abend
Beckett/Sehgal, Berlin: Bluff
Nicht einmal Rüdiger Schaper mag Worte des Jubels äußern.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/volksbuehne-der-auftakt-nicht-ich-wer-dann/20570868.html

"Auf einer Theaterbühne wirken Sehgals Exerzitien anämisch. Sie kommen aus Galerie- und Museumszusammenhängen, waren in Berlin im Gropius-Bau zum Teil schon zu sehen. Als Ausstellungsperformance mag es funktionieren, aber auf einer so großen und mächtigen Bühne wie der am Luxemburg-Platz zerplatzt diese Arbeit wie Seifenblasen. Sehgals Spieler rennen, summen, singen, sprechen die Zuschauer an, als Interakteure. Es wirkt wie eine Sektenveranstaltung. Es ist ein mittelgroßer Bluff. Man ist unangenehm berührt, doch auch ungern schroff zu diesen Menschen, die ein seltsames Leuchten in den Augen haben."

Das hat ja auch niemand ahnen können. Oder?
Man macht nicht ungestraft aus einem Theater ein Museum.
Beckett/Sehgal, Berlin: jämmerliches Theater
Um 18 Uhr ging ich in die Volksbühne, meine Frau hatte sich weise entschlossen, nicht mitzukommen. Ich wurde ihre Karte auch gut los. Um es kurz zu machen, es war ein dekadenter, "theaterferne" Abend. Da half leider auch die großartige Anne Tismer nichts.
Lautstark wurden die Zuschauer begrüßt. Man ging durch einen Lampenblitzregen durch das Theater, was nervend war; Lärm- und Lichtgewitter. Um 18 saß ich dann in der zweiten Reihe auf dem Boden. Was sollte das? Wollte man zeigen, nach Castorf kommen dann doch die Stühle. Denn sie kamen nach der Lichtperformance, in der man den Nichttheatergängern zeigte was die Bühne und das Licht in einem Theater so machen können. Zum Schluss dieser knapp 15 Minuten senkte sich der Kronleuchter der Volksbühne. Manch ein Nichttheatergänger war fasziniert. So einfach ist es heutzutage, Zuschauer im Theater zu begeistern. Diese Trivialität zog sich auch durch den Abend. Ein Kritiker beschrieb es richtig: "Es herrscht die Atmosphäre einer überfüllten Vernissage, auf der die Kunst die Neben- und die Frage nach dem nächsten Glas Weißwein die Hauptsache ist.“
Nun musste man aber die nächste Stunde in diesem Gewimmel überstehen. Sehgal und seine jungen Performer (Jugendtheater?)wurden vom Publikum verheizt. Alles ging im Gequassel der Kunstliebhaber unter. Diesen Gesprächen mochte man wirklich nicht folgen, es war beschämend.
Nach 1 ½ Stunden ging es dann los, was eigentlich hätte in Kammerspielen aufgeführt werden sollen, nicht aber auf dieser Riesenbühne. Man denke an die gewaltigen Raumabende der Castorf Ära, die diesen Raum ausfüllten. Ich saß in der ersten Reihe und hatte somit Glück, dem musealen Geschehen zu folgen.
Nach den drei Beckettstücken wurde mir der Stuhl unterm Hintern weggerissen. Singend wanderten Seghal Performer durch die Reihen. Die Zuschauer waren plötzlich auf der Bühne. Man, wie kann man staunen über diesen Effekt. Wie hoch ist der Schnürboden, aber diesen Begriff kennen diese Menschen gar nicht. Auf mich kommt ein Performer zu, grinst mich an und sagt: „Ich hatte einen Traum.“ Ich schaue ihn an und sage: „Ich auch. Mein Traum ist wann verschwindet Dercon und dieser Spuk hört auf und Castorf ist wieder da!“ Verstört ging der Mensch weg, und ich verließ dieses jämmerliche Theater. Vorläufig werde ich es nicht wieder betreten.
Ich war neugierig und vorurteilslos!
Beckett/Sehgal, Berlin: Technikgespiele
Das ist ja lustig wie sicn einige der wichtigen Hauptstadtkritiker über das Technikgespiele mit Leuchterfahrt freuen. Sowas machen viele normale Stadttheater zum Theaterfest. Mit coolen Effekten und lauter Musik nennt sich das dann Technikshow. Auch Leuchterfahrt hab ich schon gesehen
Beckett/Sehgal, Berlin: Traum
zu #8

dercons traum:

"Lautstark wurde er begrüßt und ging durch einen Lampenblitzregen durch das Theater ...
als Nichttheatermann war er fasziniert, was die Bühne und das Licht in einem Theater so machen können...
er schaffte eine Atmosphäre, auf der die Frage nach dem nächsten Glas Weißwein die Hauptsache ist.“

...
Beckett/Sehgal, Berlin: Ehret die Kassandras!
kritiker-realität (neu?)

" Natürlich muss zum Schluss auch hier noch gesagt werden, dass sich der Kritiker aufgrund der vorangegangenen Kontroversen um Dercon gestern wirklich bemüht hat, in dieser Volksbühneneröffnung Schneisen in die ästhetische Zukunft des Hauses zu erkennen. Aber dieser Flop wirkt fatal, weil in ihm für die Volksbühne derzeit keine Chance auf eine glückliche Fusion von bildender Kunst und Theater erkennbar ist."

http://eberhard-spreng.com/chris-dercon-eroeffnet-die-volksbuehne-mit-tino-sehgal-und-samuel-beckett/

ich wiederhole meine frage nochmal: warum die betonung dieses bemühen, welche - selbst wenn sie nicht so klar formuliert ist wie hier - alle kritiken zur eröffnung der vb unter dercon durchzieht?

wieweit fehlt schon die liebe zur kunst - ihre pflege - das vertrauen in sie als fast einziger gesellschaftlicher freiraum für utopien/warnungen und tiefere erkenntnis der psychosozialen zusammenhänge ... ???

WARUM werden nach den nun geboteten tatsachen - z.b. NICHT die kassandras geehrt? ich sag mal so: wenn man die (theater)kunst abwickeln und vernichten will, so geht dies am besten ohne künstler, mit ständig (praktizierter + gut finanzierter) verwässerung dieses sensiblen schatzes ... wenn sich politik, medien und geld anmaßen, in sie soweit (bereits erfolgreich) einzugreifen - und die theaterkritiker sich um einen spagat BEMÜHEN >>>> brauchen sie nicht, wenn sie sich als "regierungssprecher" bewerben und sich als anwälte der KUNST dann konsequent verabschieden ... zumindestens schafft dies dann klarheit für die "ZUKUNFT" der kunst ... die wohl bald "plattform" heißen wird bzw. in den untergrund oder das abseits verlagert wird ...

ich will das nicht - ich will keine esoterik, keine effekthaschende unterhaltung, keine kunstbefreite gesellschaft ... heute fürchte ich mehr in die KUNST diffus-beliebiges (bis ideologisch instrumentaliserbares) hineinzutransformieren und DIES als neu-zukünftige avantgarde zu etikettieren und GLEICHZEITIG eine genre-spezische tradition der wirklichen künstlerischen weiterentwicklung als "altbacken und überholt" zu verteufeln ... eine zukünftige pina bausch, ein bert neumann u.v.a. werden so nicht arbeiten und sich entfalten können ... vielleicht bin ich ja nur altmodisch und von gestern - wenn erst die roboter die schauspieler ersetzen - die stücke schreiben und dramaturgie programmiert wird durch sie ... und ich schaue verträumt alte bühnenaufzeichnungen an und "man" mich für subversiv hält = kunstverdächtig bzw. verrückt
Beckett/Sehgal, Berlin: Klänge der Ränge
@8
Lieber Olaf,
die Begegnung mit den Performern heißt Neudeutsch Immersion. Das Du da so reagiert hast und auf den Traum des Performers geantwortet hast, ja das glaub ich, dass das den Performer überrascht hat, so dass er die Flucht ergriff. In Sachen immersion wird noch eine Menge auf das Theater zukommen. Einen Vorgeschmack bieten die "Klänge der Ränge" von den Berliner Eisbären. Sehr interessant "Wir machen aus den Haien - Fischbouletten!" (Link: https://www.youtube.com/watch?v=lII-Sh9vNYw) oder auch, was der Herr Castorf dem Herrn Dercon bestimmt nicht verraten hat (ich bin mal so nett): "Wir sind Eisbären, aus dem Osten! Keiner mag uns, scheißegal!" (Link: https://www.youtube.com/watch?v=rM7ggYDrYLc). Die netten Theaterkritiker mit dem ostdeutschen Migrationshintergrund sind bestimmt noch ganz angenehm zu ertragen. Spannend wird es, wenn die Volksmassen mal nicht zum Eishockey gehen, aber in die Volksbühne. Also hier wären in Sachen Immersion und neue ästhetische Linie des Hauses gewiss noch ein paar Überraschungen zu erwarten.
Beckett/Sehgal, Berlin: schöne Kritik
Hier noch eine schöne Kritik, der man anmerkt, dass die Kritikerin auch was mit Kunst zu tun hat

http://www.monopol-magazin.de/volksbuehne-tino-sehgal-anne-tismer-beckett

(Vielen Dank, werter Stefan, sie steht bereits in der Kritikenrundschau. Mit besten Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Beckett/Sehgal, Berlin: mit gelben Socken?
Ich habe eigentlich nue eine einfache Frage und schäme mich entsprechend hier unter den Auskennern, ein Glück kann man annonym fragen: Wieviele Menschen waren denn so da. Ich meine, mehr zahlende oder mehr performende? Performer, die träumen - das find ich gelinde ziemlich gemein, so sensiblen Menschen, die unter lauter heutzutage alltäglichen Unmenschen noch Träume haben können so unhöflich zu begegnen, nur weil man jemandenbeneidet oder nicht leiden kann. Man sollte doch froh sein, noch ausnahmsweise sensible, empfindsame menschen treffen zu können. Wenigstens gegen Bezahlung! Außerdem hätte ich gerne gewusst, wieviele Menschen gelbe Socken getraegen haben wegen der Olsenbande um sich als Beckett-Fans zu outen... Aber die Fragen die einen wirklich interessieren, bevor man in ein theater geht und auch noch jemanden überredt mitzukommen, beantwortet hier einem nie keiner ...
Beckett/Sehgal, Berlin: ohne Sachkenntnis
Dass ein Kunstmagazin diese „Premiere“ mit ziemlichem Wohlwollen beschreibt, könnte man als symptomatisch bezeichnen. Leider entsteht bei Elke Buhrs Text der Eindruck, dass sie sich relativ selten in viele unterschiedliche Theater einfindet und leider über keinerlei fundierte Sachkenntnis in diesem Sujet verfügt.
Beckett/Sehgal, Berlin: Monopol ist Medienpartner
@jean
Monopol ist Medienpartner der neuen Volksbühne... zusammen mit ein paar anderen Medien.
Beckett/Sehgal, Berlin: lieber zur Zierfischausstellung
Jetzt wird alles noch schwieriger, denn ich habe in der Zeitung gelesen, dass das Gorki-Museum jetzt auch documenta-mäßig Museums-Theater macht - richtig gutes stadtmittiges Ausstellungstheater! Haben die Intendanzen sich jetzt da das Gesamt-Volksbühnengeld dafür geteilt und ist die Volksbühne deshalb so leer? Oder ist das am ende alles abgesprochen, wo jeder sein Teil macht?
Ich war auch ganz erstaunt, dass das "monopol" ein Kunst-Magazin ist, oder wenigstens durch Werbung sein soll, ich dachte sonst immer, wenn einer das erwähnt hat, das sei ein börsenmagazin und nun das -mit Theater kaann man sich wirklich nur blamieren - ich glaube, ich gehe doch lieber in eine West-Reinickendorfer Zierfischaustellung mit meiner Freundin, mit Theater oder Museum krieg ich die nie rum - alles eins - Zierfische - da weiß man was man hgat- bunt, lautlos, handwarm und unterm Nachtkritik-Radar...
Beckett/Sehgal, Berlin: Schuld der Lokalpolitik
Zur großen Wiedereröffnung einer der wichtigsten Schauspielbühnen der letzten Jahrzehnte in Deutschland finden auf der großen Bühne 3 Einakter/Molologe mit 2 Schauspielern statt. Das dass auf die Berliner zukommt, konnte man ja schon dem Spielzeitheft entnehmen. Dazu ein teils altbackenes Rahmenprogramm mit Beiträgen von 2000 (!unfassbar!) bis 2017. Dercon ist absolut nichts vorzuwerfen, denn hat ja auch nie anderslautende Versprechungen gemacht. Berlin bekommt nun das, wofür sich die örtliche Lokalpolitik entschieden hat.
Beckett/Sehgal, Berlin: ankommen lassen
...immerhin machen einige differenzierte aeusserungen neugierig auf das was eventuell neue theaterakzente in berlins kultur erwarten laesst - profis sind dabei und am start, lassen wir sie erstmal ankommen oder...
Beckett/Sehgal, Berlin: warten auf Dünnes
Mir geht das mit dem "Ankommen lassen" langsam auf den Keks. Erst heißt es: Warten wir auf's Konzept. Dann kommt kein oder ein dünnes Konzept, dann heißt es: Warten wir auf die Pressekonferenz. Dann kommt eine dünne PK. Dann heißt es: Warten wir auf den Start. Dann kommt ein dünner Start. Dann heißt: Lassen wir sie erst einmal liefern. War das nicht alles von Beginn an so vorgezeichnet, wie es jetzt kommt?
Beckett/Sehgal, Berlin: bis es rote Zahlen rieselt
Nun liegen alle Ergebnisse auf dem Tisch und sie sind fast durchgehend als negativ zu bewerten. Der Hausherr ist nicht ausreichend in der Lage sein Theater zu bespielen, er zersetzt den Ensemble- und Repertoirebetrieb und dies alles für unzulängliche künstlerische Ergebnisse.

Es ist eine Sache als Museumsdirektor schon fertige Werke auszustellen oder sie als Programmdirektorin und Kuratorin auszuwählen, eine ganz anderes Ding ist es Kunst und Theater zu produzieren und die verschiedenen Werke und Stücke in einen Zusammenhang zueinander zu setzen. Letzteres war das Ziel, welches verfehlt wurde am Eröffnungsabend der Volksbühne.

Vor einem Buffet zu stehen und auszuwählen, macht einen noch nicht zum Foodhunter, Fooddesigner oder gar Sternekoch. Und wer sich darüber hinaus auch noch vorgenommen hat das Kochen auf ganz hohem Niveau und die Produktion von Kunst zeitgleich an einem Ort in der gemeinsamen Fertigung zu dialogisieren, der sollte zu mindestens einmal selber ein Ei gekocht haben.

Nun, ein Ei haben die beiden HausherrenInnen wohl sicherlich schon gekocht oder sogar ein Omelett gebraten oder Buletten, nur dafür wurden sie weder bestellt noch gaben sie dies als ihre Zielsetzung vor. Es war die Zusammenführung der darstellenden und bildenden Kunst, die sie sich zur Aufgabe gestellt hatten. Dazu reicht es aber nicht alles in einen Topf zu werfen. Brei ist keine Verquickung, keine Verschränkung und schon gar nicht eine gegenseitige Befruchtung und Innovation.

Eine solche Aufgabe wäre eventuell zu leisten von Künstlern und Künstlerinnen, die jahrelange praktische Erfahrungen in ihrem Bereich gesammelt hätten und nun von einer kongenialen künstlerischen Leitung zusammengeführt werden, einer Leitung, die selber als Produzenten in beiden Bereichen lange tätig waren, aber Ausstellen und Kuratieren ist nun mal nicht gleich dem Produzieren von Kunst und Theater.

Sicherlich wurden nicht der Bock und die Ziege zum Gärtner gemacht, doch sieht es nun so aus, dass, als die Kuratorin und der Direktor selber die Harke und den Spaten in die Hand nahmen, die wahren Gärtner und Innen ihnen Rat und Samen verweigerten, und sie selber sich nicht zu helfen wussten. Salat verspeisen ist eben etwas anderes als Salat im Feld zu setzen. Dies müssen die Beiden nun bitter erfahren. Kritik und Warnungen hatten sie genug erhalten. Nun stehen sie vor dem verödeten Feld und die Ernte bleibt aus. Das Ensemble der Kundigen hat sich auf die anderen Gärten verteilt und es ist ein Rufen im morschen Wald, dass tonlos verhallt. Der Rest ist schweigende Politik bis es rote Zahlen rieselt. Dann wird man vielleicht endlich anderen den Stuhl unter dem Arsch wegreißen als den Zuschauern. Aber die Entscheidung wird sicherlich noch eine Zeit verschoben, weil gerade beginnende Weihnacht ist.
Beckett/Seghal, Berlin: Mitdenken ist möglich
Was mir nach dem intensiven Sonntag Abend noch so durch den Kopf ging:

Wenn man in ein Theater geht, ist es offenbar so, dass man zielstrebig seinen Platz aufsucht, redet bis das Licht erlischt, dann nach vorne schaut - vielleicht konzentriert, vielleicht auch ermüdet und hustend -, und dass man in Pausen im Foyer und in den Umgängen etwas trinkt und sich angeregt unterhält.

Wenn man in ein Museum geht, ist es dagegen so, dass man schweigend und konzentriert schauend von einem Ausstellungsgegenstand zum nöchsten wandelt, manchmal etwas länger vor einm Objekt verweilt - eine Tafel lesend oder eine Erläuterung hörend -, und dass man mit neuen Eidrücken gefüllt im Cafe sich darüber austauscht.

Wenn sich ein Handlungsmuster eingeprägt hat, wenn sich über längere Zeit eine dichte Atmosphäre von Wehmut und/oder Missgunst ausgebreitet und verstärkt hat, ist es vermutlich schwer, seinen Blick aus den wahrnehmungsleitenden Mustern herauszuwinden.

Wittgenstein nannte das Erlernen einer Sprache einen Vorgang des Abrichtens. Wie verlernt man eine Sprache oder lernt eine neue hinzu?

Für mich war es eine gute Erfahrung, eine eröffnende, die zum mitdenken anstiftet. Und ich freue mich auf mehr.
Beckett/Sehgal, Berlin: geübtes Publikum
@22
Unerträglich mit welcher Arroganz die schlimmen Verfehlungen von Dercon stets den Zuschauern oder der Stadt angelastet werden. Selber Schuld, wenn ihr nicht richtig zuschauen könnt, ist die schlimmste Schutzbehauptung der Verantwortlichen. Und das in Berlin an der Volksbühne, wo es bundesweit sicherlich das geübteste Publikum für alle Kunstformen gibt.
Beckett/Sehgal, Berlin: Publikums-Kontinuität?
@23: Im Prinzip stimme ich zu, nur weiß ich nicht so recht, ob die Aussage zum "geübten Publikum" stimmt. Bis zum 1.7. sicherlich, aber gibt es danach eine Kontinuität? Ich persönlich bin seitdem bei keiner Vorstellung der Volksbühne Berlin gewesen und habe das auch nicht vor, wenn ich die Kritiken lese.
Beckett/Sehgal, Berlin: kompetent und aufgeschlossen
Ganz allgemein kann man sagen, lieber Thomas Pannicke: das Hauptstadtpublikum ist über weite Strecken sehr kompetent und allen denkbaren Sehgewohnheiten gegenüber aufgeschlossen und keinesfalls mit solchen Darbietungen überfordert, falls sie denn einen Fokus und eine Blickführung haben.
Beckett/Sehgal, Berlin: Sprache umlernen
@22:
Ja, es ist immer schwer aus eingeübten Wahrnehmungsgewohnheiten herauszufinden. Besonders schwer, wenn man es soll oder sich dazu genötigt fühlt. Das scheinen viele Theater zu ignorieren...

Was Sprache anlangt (auch Bildersprachen, Formel-Sprachen, Programmiersprachen):

Man könnte mit Wittgenstein streiten, wenn man könnte: Ich denke, man verlernt eine Sprache nicht, sondern lernt sie um: Das Beherrschen einer Sprache geht durch Mangel an Interaktion in derselben sozusagen in die Resistance. Die entsprechenden kommunikativen Sende- und Empfangssignale verknüpfen sich im Hirn anders als unter dem interaktiven Gebrauch der Sprache. Und man lernt eine neue Sprache hinzu, weil individuell emotionale Anreize durch nonverbale Interaktion dafür gegeben sind und das jeweilige Hirn sich dadurch auf Lernenwollen konditioniert.
Insofern ist das "Vergessen" oder Erlernen einer Sprache kein Abrichten, sondern ein sinnvolles Einrichten auf soziale Umstände und zwischenmenschliche Kommunikation.
Nur wenn soziale Umstände erzwungen werden, die zwischenmenschlich unangenehme Folgen für das Individuum haben, kann man von einem "Abrichten" der menschlichen Hirnfunktion auf Sprache-Lernen im Zusammenhang mit Psyche sprechen.
Da die Gedanken frei sind, kann der Mensch jedoch solchen Abrichtungswillen erkennen und wird sich entsprechend dagegen wehren, wenn durch diesen gezielt angewandt seine psychischen Prägungen und sozialen Bedürfnisse missachtet werden.
Beckett/Sehgal, Berlin: Nichttheater
@21 Treffend,
danke Baucks. Da haben Sie sich was getraut und das ist auch gut so. Hoffentlich ist Weihnachten bald vorbei und dieser Spuk an der Volksbühne irgendwann auch einmal. Es war ein fürchterlicher Nichttheaterabend. Rumstehen, glotzen und Wein trinken.
Bin dann mal im BE. Zwar etwas Mainstream, aber immerhin echtes Theater. Die Volksbühne betrete ich nach all dem, was ich erduldet habe in den letzten Wochen nicht mehr.
Seghal habe ich übrigens im Haus der Berliner Festspiele sehr genossen.
Beckett/Sehgal, Berlin: schlampige Organisation
@22 Es ist begrüssenswert, daß Sie den Abend als anregend empfunden haben. Das meine ich ohne Ironie. Es kann eine Einladung sein, sich weiter mit der Thematik zu beschäftigen.

Die Museumserfahrung die Sie beschreiben ist stark idealisiert. Im Museum gibt es Aufpasser die Ruhe mahnen. Es gibt Verbotsschilder, Alarmanlagen, Raumklima-Kontrollgeräte.
Trotzdem haben Sie sich vielleicht schon einmal eine Ausstellung mit einer lärmenden Gruppe geteilt, oder konnten Stücke an einem gut besuchten Wochenende gar nicht sehen. Von dämlichen Selfies ganz zu schweigen.

Das Theater welches Sie voraussetzen ist das der Guckkastenbühne. Sie ist nach wie vor dominant, wurde jedoch schon so unzählige Male variiert und thematisiert, daß es ein allseits bekannter Stilgriff ist die klassische Einteilung des Bühnenraums zu durchbrechen. Änhlich verhält es sich mit Erzählstrukturen, ihrer räumlichen Präsentation und dem Ablauf eines Theaterabends.

Jegliches Spiel mit diesen Komponenten setzt Können, zumindest Verständnis voraus. Eine Intention entwicklen und konsequent kommunizieren: DAS ist der Job. (Für Künstler, Intendanten, Schriftsteller, Kuratoren, usw.)
Ich bin die letzte Person die gegen formale Experimente oder Assoziationen ist. Wenn die erwähnte Kommunikation misslingt, im Ansatz oder in der Praxis, kann es ein Lehrstück sein für kommende Arbeiten. Was es aber ist, ist ein Scheitern, und zwar das eigene. Was es in dieser Form definitiv nicht ist, ist institutionelle Kritik, wie von Elke Buhr bescheinigt.

Es ist nicht das erste Mal, daß ich im Stillen Parallelen zwischen den Vorgängen an der Volksbühne und der diesjährigen Dokumenta ziehe, hoffentlich zeichnet sich keine Tendenz ab: Schlampige Organisation, die sich vor die Aussage und die Künstler stellt.

Das alles MUSS besprechbar sein, am liebsten aus eigenem Qualitätsanspruch. Wenn man es selber nicht tut, und aus den eigenen Reihen nicht zulässt, arbeitet man aktiv mit an der Zerstörung des eigenen Berufs.
Beckett/Sehgal, Berlin: offensives Signal
Ja – zugegeben – am Sonntag war das Publikum in der Mehrheit interessiert und aufmerksam. Am Freitag war das offenbar nicht der Fall, denn einhellig beklagen die Rezensenten die Lärmkulisse. Stattdessen erzählen mir viele, dass sie die Stücke schon andernorts, nämlich im Museum, gesehen hätten. Was interessiert mich das? Wäre bedenkenswert nicht gerade gewesen, dass die Stücke hier, in dieser Auswahl und diesem Zusammenhang gezeigt werden? Sollte eine Dramaturgie berücksichtigen, was ein Fachpublikum schon gesehen hat und darum keine Aufmerksamkeit mehr dafür erübrigen kann?

Die Guckkastenperspektive einzunehmen ist offenbar ein sehr hartnäckiges Verhaltensmuster, wie am Sonntag wieder zu sehen war. Wenn keine Sitzgelegenheiten zur Verfügung stehen, setzt man sich halt auf den Boden oder den Asphalt und schaut geradeaus, - selbst wenn es deutliche Zeichen dafür gibt, dass der Bühnenraum dem Publikum offen steht, etwa weil ein Aufsicht führendes Abendpersonal dort zu sehen ist. Auch am Sonntag dauerte es eine ganze Weile, bis die Einladung auf den Bühnenraum zu gehen angenommen wurde. Vielleicht ist die Scheu vor dem heiligen Boden hinter der vierten Wand doch noch sehr verbreitet. Ist diese Einladung gerade am Ende einer Eröffnungsperformance nicht umso mehr ein sehr offensives Signal?

Überhaupt zur Eröffnungssituation: Vor ein paar Jahren wurde ein anderes Theater in Berlin unter neuer Intendanz eröffnet. In diesem Zusammenhang wurde die Aneignung von Haus und Räumen sehr vielfältig bedacht. Das Echo darauf war sehr wohlwollend und positiv. Was hat man denn jetzt erwartet? Den großen Wurf, der die Summe allen Könnens zur Schau stellt? Die Überbietung dessen, was man mit nostalgischem Blick als Erinnerungsschatz bewahrt? Kann gemessen daran überhaupt irgendetwas positiv bemerkt werden? Es ging um eine Eröffnung, und die hat viele Zeichen gesetzt. Deshalb kann ich mich auf das freuen, was mir zukünftig angeboten wird, wohl wissend, dass es Gelingendes und Misslingendes geben wird, und dass die Erfüllung von allem nicht eintreffen wird.

PP.S.
Gerade geht mir die Frage durch den Kopf, ob wohl noch jemand genau erinnert, wann die letzte Verlängerung der vorherigen Intendanz veröffentlicht worden ist. Das Datum weiß ich nicht mehr, ich erinnere mich aber, dass die Tatsache, dass nur noch ein Jahr verlängert wurde und damit 25 Jahre voll sind, allgemein dahingehend eingeschätzt wurde, dass danach wohl etwas Neues kommen werde. Und ich erinnere mich, dass ich zu dieser Zeit nicht selten in Vorstellungen war, die bei mäßiger Besucherzahl noch vor dem Stückende von etlichen Besuchern verlassen wurden. Hat damals schon jemand die Botschaft zur Kenntnis genommen? Gab es jemanden - ob Interessierter oder Akteur -, der gesagt hat, ich will nicht, dass sich etwas ändert? Hat jemand die Initiative ergriffen und Vorschläge gemacht, wie man darauf hinwirken kann, damit alles so bleibt wie es war? Wollte das damals überhaupt jemand?
Beckett/Sehgal, Berlin: Fokus schaffen
Lieber Anton, vielleicht nehmen sie einmal diese Kritik als eine Antwort auf ihre Haltung. Es geht darum professionell einen Fokus zu schaffen, eine Blickführung, die den Betrachter lenkt, hinlenkt auf die Ereignisse, von denen man wünscht, dass er sie aufmerksam betrachtet, das ist Teil der Kunst, die das Team Dercon nicht beherrscht. Da geht es um berufliche und künstlerische Fähigkeiten die Aufmerksamkeit des Betrachters, Zuschauers zu erlangen, die dem Team fehlt und nicht um die eventuelle Inkompetenz des Publikums überhaupt betrachten, zuschauen zu können.

http://www.leverage-magazine.com/volksbuehne-chris-dercon-serviert-einen-nothing-burger/?utm_source=facebook&utm_campaign=xyz
Beckett/Sehgal, Berlin: Chronologie Renner/Dercon
@29: Zu Ihrer Frage im PPS, ob "damals schon jemand die Botschaft zur Kenntnis genommen" habe: Ja, die Verlängerung um ein Jahr wurde sehr wohl als "Rauswurf" verstanden. Verlängerungen um ein Jahr sind *extrem* unüblich und waren das klare Signal, das Tim Renner schon jemanden für 2017/18 an der Angel hatte. (Alles andere wäre noch unprofessioneller.) Dass dies niemand anderes als Chris Dercon gewesen ist, war ebenso klar, wenn Sie sich die damaligen Pressebewegungen ansehen:

Chronologie
- 27.02.14 Wowereit schlägt Renner öffentlich als neuen Kultursstaatssekretär vor
- 28.04.14 Renner tritt Amt an
- 26.08.14 Wowereit kündigt öffentlich Rücktritt zum 11.12.14 an
- 30.12.14 Dercon nimmt als Renners Begleitung an der 100-Jahr-Feier der Volksbühne teil
- 19.03.15 Castorf erwähnt 1-Jahres-Verlängerung (und Vertragsende 2017) in der ZEIT
- 19.03.15 Renner bestätigt Vertragsende 2017 auf 3sat
- 21.03.15 auf nk erwähnt ein Kommentar Dercon als Nachfolgekandidaten
- 31.03.15 Senat bestätigt Verlängerung, nk erwähnt Dercon
- 01.04.15 Peymann erwähnt Dercon als Nachfolger, Renner spricht von "Gerüchten"
- 04.04.15 Dercon dementiert seine Nominierung in der FAZ *nicht*
- 23.04.15 Müller/Renner ziehen Dercon-Nominierungspressekonferenz hastig vor

Schon direkt an die Veröffentlichung der 1-Jahres-Verlängerung schlossen sich kritische Stimmen an. Hier zwei Beispiele:

19.03.15
https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=10707:frank-castorf-wird-als-volksbuehnen-intendanz-in-absehbarer-zeit-aufhoeren

31.03.15
https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=10756:frank-castorf-noch-bis-2017-an-berliner-volksbuehne

Diese (frühen) kritischen Stimmen nahmen ab dem 31.03.15 kontinuierlich zu, was letztlich der Grund für die vorgezogene PK war.

Es ging nie darum, dass "alles so bleibt, wie es war"! Solche Stimmen werden Sie schwerlich finden. Aber es gab Dutzende, Hunderte, ja tausende Stimmen, die sowohl den Prozess als auch das Ende der Castorf-VB als auch die Ernennung Dercons heftig kritisierten. -- Von Anfang an. --


PS: Statt sich zu diesen Stimmen zu verhalten, hat Dercon festgehalten. Seit 2015 hat er trotz aller kritischen Stimmen am Vertrag festgehalten, als ob es diese Stimmen nicht gäbe. Warum war nur dieser Weg möglich?
Beckett/Sehgal, Berlin: Diskrepanz
#31 "Warum war nur dieser Weg möglich?"

auf jeden fall hätte es andere wege gegeben! aber vielleicht nicht für die sich verabredeten "weggefährten".
in seinem letzten interview in der schweiz(!) fabuliert dercon von einem unterschied zwischen "kritikern" und "gegnern" in seiner wahrnehmung - als ob diese noch irgendjemand interessieren würde ... und irgend etwas von der diskrepanz seiner blumigen worte und der gesehenen realität relativieren könnte - aber er allein nimmt sie wohl noch immer ernst und glaubt an sich ... wer wird seinem weg folgen?

https://www.nzz.ch/feuilleton/ich-nehme-meine-gegner-nicht-ernst-ld.1328464
Beckett/Sehgal, Berlin: nicht für diese Räume
peter kümmel stellt in der "zeit" eine frage, die auch mich sehr beschäftigt ... und auf die ich gern eine antwort hätte

"Nichts, was hier gezeigt wird, wirkt, als sei es für diesen Abend, diese Räume gemacht.

.. es ist eine Theaterwiederöffnung ohne menschliche Geste, stattdessen werden die Scharniere und Gelenke des Apparates bewegt – dass ein neuer Geist es bewohnt, muss man für ausgeschlossen halten.

Wenn es aber einen neuen Geist in der Volksbühne gibt, dann ist er wohl schon jetzt erschöpft. Bis Jahresende verzeichnet der Spielplan etliche Schließtage. Auch so gesehen: Die Volksbühne ist erst mal leer; eine fein getäfelte, hohle Nuss.

Draußen parken derweil zwei Mannschaftswagen der Polizei: Man weiß ja nie, es ist noch nicht lang her, dass die Volksbühne besetzt worden ist und ein paar Tage unter dem luftigen Regime von "Gentrifizierungsgegnern" gestanden hat – das soll nicht noch einmal passieren. Allerdings, damals war der Spuk nach ein paar Tagen vorbei...

Welche Instanz schützt die Volksbühne nun vor der Besetzung durch Theater-Inkompetenz, die zum Normalfall zu werden droht?"

http://www.zeit.de/2017/47/volksbuehne-chris-dercon-wiedereroeffnung/seite-2
Beckett/Sehgal, Berlin: erste Petition 2016
Vielen Dank Hans Zisch für die Chronologie der Ereignisse. Zu 29: Bereits beim Berliner Theatertreffen 1.-17.5.2015 standen eine Frau und ein Mann (eine Person war ich) vor dem Festspielhaus und sammelten Unterschriften "gegen den Abbau der Strukturen an der Volksbühne und für den Erhalt eines Ensemble- und Repertoire-Theaters an der VB". Diese beiden eröffneten im Juni 2016 eine erste Petition, die leider nicht mehr als 3438 Unterstützer fand. Evelyn Annuß und ihre Leute waren da professioneller und brachten es auf immerhin 40736 Unterstützer.
Beckett/Sehgal, Berlin: Danke
Vielen Dank für die vielen Informationen, vor allem für die Chronik der Ereignisse.
Beckett/Sehgal, Berlin: Klingeln bei Castorf
Aus dem Interview in der NZZ:

"Haben Sie Fehler gemacht?

Ja, natürlich. Einer der grössten Fehler war, dass ich mehr hätte unternehmen müssen, um mit Leuten wie Pollesch, Fritsch oder Marthaler ins Gespräch zu kommen. Oder mit Castorf. Es war falsch, so oft an Politiksitzungen teilgenommen zu haben, ich hätte besser jeden Tag an der Tür von Castorf geklingelt. Ich hätte unbedingt dafür sorgen müssen, dass ich das Alte mit dem Neuen verbinde...."
2 Fragen,
1. Mit welchem Neuen hätte er gern das Alte verbunden? Neues war bisher nicht.
2. Was meint er mit Politiksitzungen? Den Jour fixe mit der Senatskulturverwaltung oder die Anhörung im Kulturausschuss?

Das sind jetzt keine unendlichen Termine, die ihn davon hätten abhalten können, seine Arbeit zu machen und sein Programm für das große Haus zu füllen.
Auch jeden Tag bei Castorf klingeln dauert nur eine halbe Stunde. Der hätte ihn sicher nicht reingelassen und so hätte Dercon dann wieder in die Volksbühne zurückgehen können zum Arbeiten.
Beckett/Sehgal, Berlin: Satire ist auch Literatur
Satire ist auch Literatur
@21 Hallo Martin Baucks, da haben Sie sich ganz schön ins Zeug gelegt und einem Anspruch als literarischer Kommentator alle Ehre gemacht: Satire ist auch Literatur. Ich will mich zur Sache selbst gar nicht äußern. Zu Ihrer entschiedenen Haltung haben Sie ja nicht ganz geradlinig gefunden, wenn ich mich recht erinnere, sondern eher im Zickzack-Kurs.
Sie schreiben, die Entscheidung, endlich anderen den Stuhl unter dem Arsch wegzureißen als den Zuschauern, werde sicherlich noch eine Zeit verschoben, weil gerade beginnende Weihnacht ist. Man muss kein besonderer Kenner der Berliner Politik sein, um zu fragen: Welche Weihnacht meinen Sie, nach der eine Entscheidung zu erwarten sei? 2025? Oder ist das zu früh?
Beckett/Sehgal, Berlin: Satire?
Vielleicht ist es ja eine Satire von Dercon, dem Publikum und den Kritikern das zu geben was sie erwartet haben.
Beckett/Sehgal, Berlin: Zahlen statt Wunder
Um ihre Frage einmal zu beantworten, lieber Claus Günther, ich hoffe ja nicht auf ein Wunder, sondern auf die absolut verlässliche Beschränktheit der Kulturverwaltung. Wenn erst einmal die roten Zahlenkolonnen auf den Schreibtischen in der Brunnenstraße einmarschieren, und das werden sie, denn selbst wenn alle Vorstellungen ausverkauft wären, würde die Anzahl der Veranstaltungen nicht ausreichen, um die Zahlen zu schreiben, die sich die Verwaltung wünscht, dann werden auch die Schlafriesen in den Büros dort endlich wach und beginnen wild mit den Armen zu fuchteln. Dann werden Prognosen auf Grund der vorhandenen Zahlen erstellt, das neue Programm ab Ende Januar nach seiner wirtschaftlichen Tragfähigkeit untersucht, und dann dürfte es wohl endgültig unangenehm für alle Seiten werden. Niemand wird sich dann mehr wegducken können, denn dieses Desaster war ja durch die Programmvorstellung im ehemaligen Restaurant von Tempelhof ökonomisch vorprogrammiert und die Chancen stehen gut, dass sich daran auch in der zweiten Hälfte der Spielzeit, im Frühjahr 2018 nichts ändern wird. Sie sehen, ich baue auf die Zahlenkolonnen, denn Wunder kann man nicht kalkulieren.
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