Mit Stereotypen hantieren

von Sebastian Huber

15. November 2017. Der von Amy Stebbins in ihrem Artikel "Die Stunde des Whoppers" vom 12.11.2017 auf ZEIT online formulierten Kritik (hier unsere Zusammenfassung) an Ayad Akthars Stück "Geächtet" als anti-islamisch und von identitärer Ideologie nicht unterscheidbar muss widersprochen werden.

Mit einem Whopper hat die amerikanische Theaterwissenschaftlerin und Regisseurin Amy Stebbins das Drama "Geächtet" ihres Landsmanns Ayad Akhtar verglichen, das am 13. November 2017 mit dem österreichischen Theaterpreis "Nestroy" als bestes fremdsprachiges Theaterstück ausgezeichnet wurde. Ein Whopper, so viel ist bekannt, schmeckt nach nichts, sättigt kaum, ist industriell gefertigt, billig – und amerikanisch. Schlimm genug. Aber Stebbins geht noch weiter. Aus den Ingredienzien: amerikanischer Erfolgsautor und österreichischer Theaterpreis, also Trump und Kurz, gut verrührt mit einer Prise Ressentiment gegen das dumme und saturierte Publikum im Parkett, mixt sich Stebbins ihre These.

Der Vorwurf lautet, kurz gesagt, der Erfolg des Stückes beruhe darauf, dass es die anti-islamischen Vorurteile seines Publikums bekräftige, indem es einen Muslim zeige, der die Anschläge vom 11. September 2001 rechtfertige und seine Frau schlage. Es sei damit nicht zu trennen von identitärer Ideologie.

Geaechtet 560a MatthiasHorn uBereit zum Schlagabtausch: Szenenfoto aus Antoine Uitdehaags Inszenierung am Residenztheater München © Matthias Horn

Um zu diesem Befund zu kommen, der auch schon von einzelnen Kritikern in Amerika erhoben wurde, darf man es, gelinde gesagt, mit der Lektüre des Stückes nicht zu genau nehmen. Der erste und für ein halbwegs zutreffendes Verständnis des Textes allerdings entscheidende Fehler dieser Darstellung besteht darin, dass es sich bei der Hauptfigur des Stücks nicht um einen Muslim handelt. Amir hat dem Glauben, in dem er erzogen wurde, seit langem abgeschworen. Seine Tragik besteht gerade darin, dass es ihm nicht gelingt, seine Umgebung von dieser Tatsache zu überzeugen. Egal, was er sagt und tut, seine Frau, seine Verwandtschaft, seine Vorgesetzten, die Muslime, die Öffentlichkeit – und leider auch die Kommentatorin – behandeln ihn weiterhin als Muslim. Sie sind es, die, oft mit den besten Absichten, die bekannten Stereotype reproduzieren, gegen die sich Amir verzweifelt, wütend, tobend zur Wehr setzt.

Das ist der Inhalt und das zentrale Thema des Stücks, und zwar nicht irgendwo im Verborgenen, sondern ganz an der Oberfläche, gewissermaßen in jeder Zeile dieses Textes. Wenn man das übersieht oder negiert, dann, man muss es so deutlich sagen, macht man das Stück für die Stereotype verantwortlich, mit denen man selbst hantiert ("Muslim schlägt Frau"). Das Stück arbeitet nach sehr gängigen dramaturgischen und sprachlichen Mustern, zweifelsohne, dennoch sollte man als Kommentatorin darauf bedacht sein, die Komplexität des Textes nicht zu unterbieten. Dazu gehört auch, das Ende nicht einfach auszuklammern. Es schließt nämlich eben nicht mit der Pointe, auf der die Besprechung von Amy Stebbins aufbaut. Im Schlussbild, nach seiner sozialen (Selbst-)Hinrichtung, weist Amir alle Identitäts-Angebote, die seine Umwelt (jetzt erst recht) für ihn bereithält, erneut ab. Das emanzipatorische Potential, das Ayad Akhtar der aufgeklärten Position Amirs zutraut, gleich mit dem ganzen Stück entsorgen zu wollen, ist das eigentlich Befremdliche an Stebbins' Kritik.

P.S.: Ich schreibe in meiner Eigenschaft als Chefdramaturg des Residenztheaters, wo "Geächtet" in der Inszenierung von Antoine Uitdehaag weiterhin auf dem Spielplan steht. Amy Stebbins war im Rahmen eines Humboldt-Stipendiums zur Zeit der Premiere am Residenztheater tätig und hat u.a. einen überaus informativen Vortrag über die Entstehung von "Geächtet" gehalten; darin hatte sie dem Stück bereits eine gewisse Marktgängigkeit vorgeworfen, ihre Sichtweise auf die politische Dimension des Werks ist jedoch neu.

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Kommentare  
Debatte "Geächtet": eigentlich relevant
Sehr geehrter Sebastian Huber,
ich finde es ausgezeichnet, dass sich hier einmal ein Chefdramaturg für gewiss u.a. seine Stückwahl persönlich ins Zeug legt und einer öffentlichen Kritik an dem Stück durch eine Wissenschaftlerin an prominenter Stelle sachkundig und praxiserfahren durch Erprobung widerspricht.
Ich gestehe: Auch ich hatte einige Bauchschmerzen als ich gestern den Text von Amy Stebbins las.
So fragte ich mich zu allererst: Was stimmt mit mir nicht, dass ich gar nicht weiß, was ein Whopper ist? Als ich bemerkte, dass es sich um etwas mit mehr oder weniger Genuss zu verzehrendes Essbares ging, war ich beruhigt und beunruhigt gleichzeitig. Man ist ja irgendwie was man isst - und wenn der Whopper allgemein anerkannt etwas so wenig Genuss bereitendes Essbares ist, scheint das Stück, das so viel gespielt wird, unserem Sein momentan nicht besonders zuträglich...?

Dann fragte ich mich, seit wann eigentlich das Theater verpflichtet ist, ein Publikum zu bedrohen? Oder seit wann es zumindest ein linksliberales Publikum bedrohen muss?- Jedenfalls wenn es nach der Theaterwissenschaft von Amy Stebbins und also nach ZEIT online geht?

DAS wäre ja eine überaus relevante Frage, auch für die Theaterwissenschaft, nicht nur für das Regietheater oder Produktionsdramaturgen oder Intendanten:
Muss Theater Publikum bedrohen und wenn ja, warum?

Offenbar halten wir uns aber lieber als an die relevanten Fragen lieber an Whopper-Vergleiche.
Ich meine, nicht nur Frau Stebbins mit ihrer Theatererfahrung, sondern auch Sie und mich z.B.
WARUM tun wir das?

Die nächste Frage, die ich mir stellte, war:
WARUM möchte Amy Stebbins offenbar lieber ein hungrig und unglücklich aus dem Theater gehendes Publikum als ein sattes und glückliches? Was genau soll daran erstrebenswert sein für Theatermenschen, Publikum hungrig und unglücklich zu machen?

Ansonsten fand ich Stebbins Ausführungen, was den Nachweis des Identitären als Populismus verstärkendes, dramaturgisches Prinzip von Stück und Autor betraf, anscheinend genauso oberflächlich und verkrampft wie Sie das offenbar tun, Herr Huber.

Was ich aber nicht verstand und auch nach dem, was ich hier von Ihnen lese, nicht verstehe, ist, dass Sie garnicht auf den Hauptvorwurf Stebbins eingehen, denn eben dieser geht uns alle besonders an auch im deutschsprachigen Theater- wie Literaturbetrieb:

Nähmlich der Vorwurf, dem Produzieren von Kunst, Literatur und eben auch Theater nach dem Marketing-Prinzip widerstandslos zu huldigen. Dem gezielten Abschleifen aller Ecken und Kanten, UNLÖSBARER Widersprüchlichkeiten auf eine - und letztlich nur noch als Konsumenten gedachte - Ziel-Gruppe von Rezipienten hin.

DAS ist die eigentlich relevante Aussage von Stebbins Text und das andere an ihrer Kritik ist eventuell bereits dem Marketing des Mediums, in dem die Kritik - eben auch zielgruppengerecht- erschien geschuldet. Die Kritik am Wesentlichen hat sie m. E. auf jenen aktualsierten Diskurslevel gebracht, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ihre darunter liegende grundlegendere Kritik überhaupt in nenenswerter Öffentlichkeits-Reichweite erscheint...
Soweit meine Vermutung.

Mich würde überaus interessieren, was Sie als Chefdramaturg des Residenztheaters, einer der wenigen, die sich hier auch als Chefdramaturgen mit offenem Visier äußern und jemals geäußert haben, zu dem eigentlichen Kern dieser Kritik denken, wenn Sie die detaillierten Inhalte des Stückes nur vorübergehend einmal als das sekundäre Problem betrachteten...

Es grüßt Sie freundlich d.o.
Debatte "Geächtet": Religion Privatangelegenheit
In "Geächtet" etwas anti-islamisches sehen zu wollen erfordert schon ein gehöriges Maß an Missverständnis und Mangel an Empathie für gesellschaftliche Problematiken.

Die Inhalte einer Religion werden von Außenstehenden verhandelt und in alle Richtungen interpretiert bis zuletzt kein Kern mehr vorhanden ist, dem es wert wäre nachzueifern. Zwar holt das Religiösität wieder dahin zurück, wo sie hingehört - nämlich in der privaten Bereich, in dem jeder selbst entscheiden und prüfen muss, welche Aspekte der Religion wie gelebt werden - doch macht sie eben auf zum Spielball politischer und radikaler Positionen.

Die Groteske in "Geächtet" ist zu sehen, wie sich alle Beteiligten zwar auf gesellschaftliche Gepflogenheiten, wie das Partyverhalten einigen können, nicht aber auf die Sichtweisen auf ihre Religionen und eben auch die Abgründe der eigenen Person. So verschwimmt dann die Grenze zwischen Gewalt, die aus der Religion hergeleitet wird und der Affekttat des betrogenen Amirs und bricht selbst die Ansichten seiner aufgeklärten Frau Irene (Emely?).

Letztlich zu dem Schluss zu gelangen, dass eben die Aussenansicht und politische Instrumentalisierung der Religion für die Angehörigen selbst unüberwindbar ist, sollte Muslimen, wie Christen und Juden gleichermaßen erreichen, um zu erkennen, dass nur unsere persönliche Sicht auf andere Religionen geändert werden kann, nicht aber die Vorurteile die unserer eigenen entgegengebracht werden.
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