Presseschau vom 23. November 2017 – Die Medien über die Aktion des ZpS, neben Björn Höckes Wohnhaus ein Holocaust-Mahnmal zu errichten

Denkmal vor Höckes Haus

Denkmal vor Höckes Haus

23. November 2017. Ein Holocaust-Mahnmal hat das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) vergangenen Mittwoch neben dem Wohnhauses des AfD-Politikers Björn Höcke im thüringischen Bornhagen errichtet. Erinnern möchte das ZPS damit an Höckes Dresdener Rede Anfang des Jahres: In dieser hatte Höcke das Berliner Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnet, das die deutsche Geschichte "mies und lächerlich" mache. Wie reflektieren und kommentieren die Medien die neueste ZPS-Aktion gegen Rechtsextremismus?

Im Interview mit der Berliner Zeitung (23.11.2017) erklärt und verteidigt Philipp Ruch vom ZpS die Aktion: "Wir bedrohen unseren Nachbarn nicht. Wir sind interessierte Mieter und Nachbarn und verschönern unseren Garten mit Kunst. Innerhalb der Bauordnung stören wir niemanden." Und: "Wir stellen mit der halben Zivilgesellschaft im Rücken auf unserem angemieteten Grundstück das Holocaust-Mahnmal auf. Wie das jeder anständige Bürger tut, der mit halbwechs wachem Verstand die Dresdner Rede gehört hat. Das können wir nicht einfach auf sich beruhen lassen." Widmann fragt weiter: "Sind Sie verrückt, Herr Ruch?" Worauf er antwortet: "Ich bin vernünftig." Und dass Größenwahn die Grundkraft des Zentrums für Politische Schönheit sei. 

Für Spiegel Online (22.11.2017) berichtet Peter Maxwill, was in Bornhagen nach Bekanntgabe der Aktion los ist: "Am Mittag wird der Auflauf vor dem Haus der Höckes immer größer. Ein halbes Dutzend Einsatzwagen stehen inzwischen da, das Ordnungsamt ist vor Ort, überall laufen Reporter und Kameramänner umher. Vor dem Haus der Aktivisten rottet sich am Nachmittag ein aufgebrachter Mob zusammen, ein Polizist rechnet sie der AfD zu." Die ZpS-Aktivisten wollen "kein Holocaust-Museum und erst recht keinen Publikumsverkehr", denn das würde bei einem Teil ihrer Arbeit als "zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz" stören. "Gegen Nazis wenden wir Nazimethoden an", wird ZpS-Aktivist Morius Enden zitiert. Spon schreibt dazut: "Das klingt kernig - aber es beantwortet nicht die Frage, ob die Lage in Deutschland tatsächlich so ernst ist, dass im politischen Gefecht auch das Privatleben angegriffen werden darf." Eine Bornhagener Rentner wiederum begrüßte Journalisten mit den Worten: "Ich muss jetzt mal 'nen Knüppel herholen. Früher hätt' ich euch mit der Schlinge weggefangen!"

"Ist es nicht am Ende Höcke selbst, der sich als Opfer einer linksgrünen Schmutzkampagne inszenieren kann – und von der Aktion womöglich noch profitiert?", fragt der Spiegel Online Text. Diese Kritik bringt der Aktion auch Andrian Kreye in der Süddeutschen Zeitung (23.11.2017) deutlich entgegen: "Die Opferjammerlappen der AfD aber ließen die Chance nicht ungenutzt: Sie beklagten die linke Gesinnungshetze und die Übergriffigkeit der Aktion. Ausgerechnet Björn Höcke, der in seiner Partei doch schon an den Rand gedrückt war, darf sich jetzt also als Verfolgter stilisieren." Kreyes Fazit: "Ein größeres politisches Geschenk hätte ihm das Zentrum für Politische Schönheit nicht machen können."

Auf Faz.net (23.11.2017) heißt es: "Kritik an der Aktion der Gruppe entzündet sich vor allem an der Behauptung des ZPS, den AfD-Politiker vom angemieteten Nachbargrundstück aus seit zehn Monaten zu observieren." Die Polizei prüfe derzeit, ob dabei ein Strafbestand vorliege, wie eine Polizeisprecherin sagte. "Bei der Aufforderung, Höcke solle vor dem Denkmal in Berlin oder dem Nachbau auf die Knie fallen und um Vergebung für die deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs bitten, andernfalls werde man die gesammelten Informationen über ihn veröffentlichen, liege der Anfangsverdacht der Nötigung vor. Bei der mutmaßlichen Beobachtung könne es sich um Nachstellung – also Stalking – handeln", so die FAZ.

"Ruch spricht von einer 'privaten Gartengestaltung'. Die Polizei sei vorab informiert worden und mit einem Streifenwagen vorbeigekommen, alles habe seine 'gute deutsche Ordnung'", wird Philipp Ruch von Patrick Wildermann im Tagesspiegel (23.11.2017) zitiert. Sie wohnten seit zehn Monaten "Zaun an Zaun zum Posterboy der Rechten" und beobachteten seitdem aus der Nachbarschaft das Treiben des thüringischen AfD-Partei- und Fraktionschefs, so das ZpS-Video, schreibt Wildermann und fasst die Ereignisse nochmal im Text zusammen.

Noch einmal auf Spiegel online (23.11.2017) kommentiert Christoph Twickel: "Das Zentrum für Politische Schönheit zahlt mit seiner Höcke-Belagerung voll auf den Opferkult der AfD ein. Das soll kein Argument sein, antifaschistische Aktionen zu unterlassen. Diese hier allerdings tut so, als hinge von dem Kniefall eines rechtsradikalen Pimpfs irgendetwas ab."

Noch einmal in der Süddeutschen Zeitung (24.11.2017) diesmal auf der Meinungs-Seite des Politik-Teils, kommentiert Jan Heidtmann die Aktion: Der Vorwurf ans ZPS die AfD und Höcke erst wieder an die Öffentlichkeit gezerrt zu haben, sei falsch: "Zum einen steht Höcke in der AfD nicht im Abseits, er ist Partei- und Fraktionschef in Thüringen, im Fall von Neuwahlen hat er bereits angekündigt, für den Bundestag kandidieren zu wollen. Zum anderen sollte spätestens seit der Bundestagswahl klar sein, dass die Rechtspopulisten nicht weggeschwiegen werden können", so Heidtmann: "Das Gegenteil ist richtig, die Auseinandersetzung muss immer wieder geführt werden." Das ZPS habe genau das getan: "Sie sind mitten ins Eichsfeld gegangen, dorthin, wo sich die Rechten gerne tummeln. Die AfD und Höcke dabei noch einmal mit seiner unsäglichen Aussage zum Holocaust-Gedenken zu konfrontieren, ist richtig. Oder glaubt wirklich jemand, dass dessen Haltung in der Partei keine Rolle mehr spielt?"

"Auf die Radikalisierung der politischen Verhältnisse antwortet das ZPS mit einer Verschärfung der ästhetischen Mittel", analysiert Harry Nutt in der Berliner Zeitung (24.11.2017). Ihr künstlerisches Risiko liege am Ende nicht nur in einer möglichen Strafverfolgung, sondern auch in einer Ermattung der Reize, die sie hervorzurufen beabsichtigen. "Dabei war es doch immer ein ganz besonderes Anliegen der Kunst, die Grenzen des Schönheitsempfindens zu erweitern."

"Was wäre das Denkmal wert ohne die rechte Randale? Ohne die rechten Trolle im Netz, die dafür sorgten, dass der YouTube-Kanal des ZPS am Mittwochnachmittag zwischenzeitlich gesperrt wurde – wegen angeblicher 'schwerwiegender Verstöße' gegen die Richtlinien der Plattform", fragt Brigitte Werneburg in der taz (25.11.2017). "Das Niveau, auf dem das Zentrum agiert, beschreibt ZPS-Aktivist Morius Enden gegenüber dem Spiegel so: 'Gegen Nazis wenden wir Nazimethoden an.'"

Als "Opfer" des ZpS gelte Björn Höcke auch deshalb, "weil sich viele Medien auf die Täter-Opfer-Verdrehung einlassen", kommentiert Katja Thorwarth für die Frankfurter Rundschau (27.11.2017). Die Kunstaktion des ZpS werde, "wie merkwürdigerweise alles, was man gegen die AfD unternimmt/kommuniziert", in den "Tätermodus gedreht". Die allgemeine Kritik, so Thorwarth, ziele vermutlich auf "das Diskreditieren eines linken Protestes, mit dem Konservative immer ein Problem haben".

"Hätten sie das doch weggelassen!" – so laute der kritische Tenor zur möglichen Überwachung von Björn Höcke durch den sogenannten "Zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz". Vielleicht sei es aber gerade dieser Teil der Aktion der über den "gelungenen Denkmal-Streich" hinaus für "Unverdaulichkeit" sorge, kommentiert Markus Reuter auf netzpolitik.org (28.11.2017): "Kunst hat nicht die Aufgabe, gefällig zu sein, sondern kann die Komplexität der Gesellschaft darstellen." Gerade durch die Grenzüberschreitung – mit der das ZPS auch das Versagen des Verfassungsschutzes im Fall des NSU kritisiere – zeige das Künstlerkollektiv, "wie unangenehm und befremdlich Überwachung eigentlich ist. Und wie illegitim." Die anlasslose Aufzeichnung aller Bürger, durch Videoüberwachung auf Bahnhöfen, Staats-Trojaner oder Konzerne wie Facebook und Google, genieße hohe Zustimmungsraten. "Aber ausgerechnet bei der Überwachung von Deutschlands bekanntestem Rechtsradikalen kommt der Aufschrei", schreibt Reuter. "Ein Aufschrei von ganz weit rechts bis in die Feuilletons."

Freude über den kühnen Mahnmals-Scherz und Unbehagen aufgrund der Beobachtung Höckes artikuliert Michael Angele im Freitag (29.11.2017) und wünscht sich einen Abbruch der Aktion: "Im Rahmen des Möglichen hat sie ihren Zweck erfüllt." Und Wunder, wie sie nach dem "heilsgeschichtlichen Erbe" der Aktionskunst à Beuys und Schlingensief nötig seien, seien nicht zu erwarten – in einen "Kosmopoliten mit solider linksliberaler Orientierung verwandeln" werde sich Höcke nicht. "Eine Pointe der Aktion besteht darin, dass sie mit umgekehrten politischen Vorzeichen auch von den 'Identitären' stammen könnte, die sich auf gemeinsame Wurzeln in der 68er-Bewegung beziehen, genauer auf Guy Debords Spektakel-Begriff", so Angele. Aber das kommunikative "Spiel" von Rechten und Linken sei eben "auch Handlung und damit auch Gewalt, symbolische und reale".

Milosz Matuschek, Kolumnist der Neuen Zürcher Zeitung (8.12.2017), verteidigt das ZPS gegen seine Kritiker*innen: "Diese Aktion wirft ein grelles Licht auf vieles: dass Teile der AfD und Höcke-Fans auch gewaltbereit sind. Dass der Verfassungsschutz in Thüringen auf dem rechten Auge manchmal blind scheint. Dass die selbstbetitelten Anständigen in der Gesellschaft es sich in der Position des 'verantwortungsvollen Beschweigens' des aufhaltsamen Aufstiegs von rechts gemütlich gemacht haben." Vor allem aber demaskiere die Aktion eine tiefsitzende Unsicherheit über Grund und Möglichkeiten von Bürgerrechten, wie der Kunstfreiheit, und damit über die Basis des liberalen Staates. "Demokratie ist im Kern eine Kampfarena der Meinungen. Die Kunst ist (nicht nur, aber auch): ein Kampfmittel. Sie darf aufregen, schockieren, provozieren."

 

Auf die Radikalisierung der politischen Verhältnisse antwortet das ZPS mit einer Verschärfung der ästhetischen Mittel. Ihr künstlerisches Risiko liegt am Ende nicht nur in einer möglichen Strafverfolgung, sondern auch in einer Ermattung der Reize, die sie hervorzurufen beabsichtigen. Dabei war es doch immer ein ganz besonderes Anliegen der Kunst, die Grenzen des Schönheitsempfindens zu erweitern. – Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/28944444 ©2017
Auf die Radikalisierung der politischen Verhältnisse antwortet das ZPS mit einer Verschärfung der ästhetischen Mittel. Ihr künstlerisches Risiko liegt am Ende nicht nur in einer möglichen Strafverfolgung, sondern auch in einer Ermattung der Reize, die sie hervorzurufen beabsichtigen. Dabei war es doch immer ein ganz besonderes Anliegen der Kunst, die Grenzen des Schönheitsempfindens zu erweitern. – Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/28944444 ©2017
Auf die Radikalisierung der politischen Verhältnisse antwortet das ZPS mit einer Verschärfung der ästhetischen Mittel. Ihr künstlerisches Risiko liegt am Ende nicht nur in einer möglichen Strafverfolgung, sondern auch in einer Ermattung der Reize, die sie hervorzurufen beabsichtigen. Dabei war es doch immer ein ganz besonderes Anliegen der Kunst, die Grenzen des Schönheitsempfindens zu erweitern. – Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/28944444 ©2017

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