Ein stummer Schrei nach Liebe

von Michael Wolf

28. November 2017. Ein gefürchteter Journalist hat meinen Beruf folgendermaßen beschrieben: "Ein Kritiker ist ein Zeitungsmann, dessen Mädchen mit einem Schauspieler oder Regisseur durchgebrannt ist." Bei mir trifft das nicht zu. Bei mir war es ein Zimmermann. Bevor Sie fragen: Ich habe es ausprobiert, aber Türrahmen lassen sich nur schwer kritisieren.

Ein Assistent macht alles, was später keiner sieht

Wenn traumatische Erfahrungen für meine Berufswahl eine Rolle spielten, dann meine Zeit als Regieassistent. Nach dem Abitur verweigerte ich den Wehrdienst und leistete meinen Ersatzdienst im Rahmen eines sogenannten Freiwilligen Kulturellen Jahres an einem Stadttheater ab. Ich hatte keine Lust, angebrüllt oder in ein Krisengebiet geschickt zu werden – unter diesen Gesichtspunkten die falsche Wahl.

kolumne wolfAber ich war jung und wusste nicht, was ein Regieassistent macht. Den meisten Zuschauern geht es ähnlich. Sofern sie überhaupt wissen, dass es Regieassistenten gibt. Im Programmheft stehen ihre Namen ganz unten. Manchmal dürfen sie die Applausordnung bestimmen. Selbst beklatscht werden sie fast nie. Auf Probe- und Hinterbühnen, in finsteren Technik-Kabuffs und staubigen Requisiten-Kellern führen sie ihr Schattendasein.

Und was machen Assistenten da? Sie koordinieren, protokollieren, soufflieren, richten die Bühne ein, vermitteln zwischen Regisseur und Gewerken, wachen als Abendspielleiter darüber, dass Schauspieler nicht die Inszenierung zerhacken, stellen sich in die Flugbahn wutentbrannt geworfener Stühle, reichen Taschentücher, lecken die Wunden sensibler Künstler undsoweiter. Kurzum: Ein Assistent macht alles, was dann später keiner sieht. Sein Job ist vergleichbar mit dem, was eine klassische Hausfrau und Mutter leistet. Nur ohne Muttertag.

Nüchtern betrachtet gibt es keinen Grund als Regieassistent zu arbeiten

Mein größtes Lob aus dieser Zeit verdanke ich einer – sehr bekannten – Regisseurin. Nach sechs 70-Stunden-Wochen hob sie feierlich ihr Glas in meine Richtung: "Michael, ich habe bei meinen letzten Inszenierungen immer gedacht: Ich brauche eigentlich gar keine Assistenten. Die bringen mir gar nichts. Aber du, du hast mir immer Kaffee gebracht." Eine andere Regisseurin wollte mir zum Dank eine Flasche Sekt schenken. Kaufen sollte ich ihn selbst. Und sie hat ihn dann doch mit dem Ensemble getrunken.

Früher war der Weg über Assistenzen eine Art Ausbildung zum Regisseur. Seit den 90er Jahren gelten Absolventen von Regie-Studiengängen als vielversprechendere Kandidaten. Vielleicht weil es für einen Spielleiter nicht förderlich ist, wenn Schauspieler ihn als den armen Trottel kennen, der das Geld für die Pizza-Bestellung vorstreckt. Wenn sie Glück haben, dürfen Assistenten vielleicht mal eine Matinee oder eine Lesung einrichten. Inszenieren dürfen sie, wenn überhaupt, erst nach mehreren Jahren an einem Haus und dann meist ohne Budget. Nein, nüchtern betrachtet gibt es keinen Grund als Regieassistent zu arbeiten, weshalb der Job auch einen guten Start in den Alkoholismus bietet.

Wenn ich morgens als erster die Probebühne betrat, legte ich Portishead auf. Oh sour times sang Beth Gibbons, meine Tränen fielen in die eingetrocknete Theaterkotze auf dem Boden. So konnte ich sie wenigstens leichter wegkratzen. Spät am Abend rauchte ich auf dem Heimweg die übrig gebliebenen Zigaretten von der Vorstellung. Meine Gage reichte nicht aus für eine Nikotinsucht.

Fangen Sie klein an!

Wer Requisiten-Kippen raucht, fickt auch Statisten? Schön wär's gewesen. Auch sexuell befindet sich der Assistent ganz unten in der Hierarchie. Selbst dem Amt des Dramaturgen wird mehr Attraktivität zuerkannt – und damit Menschen, denen man in Bands instinktiv die Bassgitarre in die Hand drücken würde. Eines Nachts beobachtete ich einen Assistenten-Kollegen, wie er an das verschlossene Portal des Theaters onanierte. Eiskalter Wind ruckelte an den Toren, vor denen er die Hose herunterließ. Seine Erektion: ein stummer Schrei nach Liebe.

Fehlende Zuneigung kann Menschen in extreme Richtungen treiben. Schauen Sie sich mich an, ich bin jetzt Kritiker. Was wäre, wenn Assistenten meinem Beispiel folgten? Schon bald würden sie eine kritische Masse erzeugen, die jedes noch so stolze Haus unter sich begrübe. Aus guten Gründen sollten Theater also erwägen, ihre Assistenten besser zu behandeln. Mehr Freizeit wäre schön, Bezahlung von Überstunden, vor allem aber: bessere Aufstiegschancen. Liebe Intendanten, liebe Regisseure, ist das schon zu viel verlangt? Dann fangen Sie klein an: Kochen Sie Ihrem Assistenten jetzt einen Kaffee.

 

Michael Wolf, Jahrgang 1988, ist Redakteur bei nachtkritik.de. Er mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein.

 

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Kommentare  
Kolumne Michael Wolf: andere Zeiten
Ich erinnere meine Assistentenzeit ganz anders.
Aber seitdem sind mehr als fünfzig Jahre vergangen.
Es war der Anfang eines Lebens als Regisseur, bereits im ersten Jahr.
Ich halte diesen Weg wie andererseits das Hochschulstudium auch noch immer für einen gangbaren.
Möglicherweise hängt der erinnerte Unterschied davon ab, dass sich der Umgang der Menschen miteinander sehr verändert hat.
Mit freundlichen Grüßen
Kolumne Michael Wolf: was falsch gemacht
Lieber Herr Wolf, Sie müssen irgendetwas falsch gemacht haben!

1. Als Tochter eines Zimmermannes und langjährige Geliebte von u.a. anderen liebevoll allgemein so bezeichneten "Holzwürmern" weiß ich: An einem Türrahmen beispielsweise kann so viel kritisiert werden, dass, wüssten Theaterkritiker davon, die Späne von ihren veröffentlichten Kritiken nur so abfliegen würden...

2. Sie hätten es als Hospitanz versuchen sollen! Sie hätten zwar alle diese praktischen Dinge hinter und auf Probebühnen oder in Gewerkstübchen auch getan und statt wenig gar nichts verdient, aber die Regisserinnen hätte Ihnen trotzdem den Kaffee gekocht, die SchauspielerInnen hätten ihnen hinter dem Vorhang applaudiert, Sie in ihre Alkoholverstecke geführt, um mit Ihnen das letzte deponierte Bier zu teilen, obwohl sie kein Bier trinken, Sie hätten noch heute phantasievoll extra für Sie gemachte Geschenke von Dramaturginnen und Dramaturgen sowie die Dankbarkeit von Regieassistenten, die wegen Ihrer Interventionen als Regisseure wenigstens einmal eine Chance bekommen hatten. Sie hätten schöne Erinnerungen an heimliche unschuldig unvermeidbare Theaterküsse und erlebt, dass Ihnen Pförnter, die nicht einmal Ihren Namen kennen, Ihnen die Tür vom Bühneneingang aufhalten, damit Sie durchhuschen können, wenn sie wie immer als erster da sind und als letzter gehn - und natürlich hätten Sie dafür aber keine Chance auf so nette Kolumnen, wie Sie sie schreiben können, je bekommen... Ein fairer Tausch, finde ich...
Kolumne Michael Wolf: Angst
Ihr macht mir Angst O.o ;)
Kolumne Michael Wolf: Genau so!
Ja, kann ich so ziemlich unterschreiben ;)
Kolumne Michael Wolf: noch nicht alles
Ich bin Regieassistentin und ich muss gestehen, ich hasse diesen Job, nicht nur weil es erwartet wird auch noch vor und nach der Probe alle möglichen Jobs zu erledigen oder weil man scheisse behandelt wird, sondern weil die Hierarchie im Stadttheater so besteht wie im letzten Jahrhundert,es scheint wenig Veränderungen zu geben auch was die Bezahlung betrifft.
Aber als Regieassistentin ist es manchmal auch so, dass man als therapeutischer Begleiter schlechter Regisseure funktionieren muss und sich fragt, in welchem Irrenhaus ist nun wer eigentlich irre: Ich, der Intendant, der Regisseur oder die Techniker, die ihre sexistischen Sprüche nicht für sich behalten können.
Kolumne Michael Wolf: immer noch nicht alles
Auch wenn überspitzt könnte ich viele Dinge ebenso unterschreiben und noch seitenweise andere Aufgaben und Anekdoten über sexistische Regisseure, anstrengende Schauspieler und idiotische Aufgaben hinzufügen, ABER es gibt eben auch genau so viele schöne Momente, verantwortungsvolle Aufgaben, Regisseur*Innen die mit einem beim (ausgegebenen wein) Szenen diskutieren und die Kritik auch annehmen und tatsächlich sogar Szenen inszenieren lassen oder sich dafür einsetzen, dass man nicht von allen getreten wird und endlich auch Mal selber inszenieren darf. Es gibt so viele furchtbare und so viele tolle Momente und deswegen liebe ich den Job! Umso mehr frage ich mich @Kiska, warum zur Hölle arbeitest du denn dann als Regieassistentin? Das sich einiges ändern muss stimmt absolut. Wir brauchen flachere Hierarchien, bessere Bezahlung und die sexistischen Sprüche sollen sich diese Idioten in ihren allerwertesten schieben, aber wenn ich den Job hasse, dann mache ich ihn doch nicht...
Kolumne Michael Wolf: Techniker ohne Beifall
Meine Erfahrung ist, dass man sexistische Sprüche von u.a. Technikern am besten mit sexistischen Sprüchen (re-)pariert und wenn der Schock darüber sich gesetzt hat, dann das auch noch einmal kurz kommentiert. Das war dann zumeist der letzte sexistische Spruch, an dem sie so richtig Spaß hatten in dem speziellen Einzelfall... Das ist vielleicht immer noch besser als Techniker, die man im Theater genauso braucht wie AssistentInnenn oder SchauspielerInnen oder SchneiderInnen, für Idioten zu halten, nur weil sie gern mal den verdorbenen Macker spielen. Ist das ein Wunder, wo alle diese SchauspielerInnen immer soviel Beifall kriegen wenn sie softige Macker, heilige Huren oder versiffte Kinder spielen und sie selbst als Techniker keinen, obwohl sie zu dem Ganzen auch dazu gehören? Zu flacheren Hierarchien gehört eben auch, dass Regieassistentinnen auch Techniker nicht gleich für Idioten halten, weil sie sich mal daneben benehmen und nicht nur fordern, dass Regisseure keinesfalls sexistisch oder herrisch oder wasweißich sein dürfen...
Kolumne Michael Wolf: dienende Unterschicht
Ich danke Ihnen für die Erwähnung der dienenden Unterschicht im Theater.
Ich möchte Ihren Gedanken aufgreifen, dass sich vor allem die Veränderung in der anfänglichen Entwicklung einer Regisseurin hin zu einer Ausbildung in Regieschulen und dergleichen, die Vorzeichen für das Arbeiten als Regieassistentin verändert haben.
Das sag ich, natürlich auch als jemand, der früher fest daran geglaubt hat, dass der praktische Weg über eine Assistenz der bessere ist.
Mittlerweile muss man sich aber fragen, welchem Menschen, den man achtet, die Arbeit in dieser Form noch wünscht. Assistentinnen werden belächelt und bemitleidet. Wegen der Arbeitsfülle und dem geringen Gehalt. Sie bieten einem im besten Fall die Möglichkeit spendabel zu sein. Aber wehe, es funktioniert der Probenablauf nicht.
Ein Verhältnis zu einem Menschen auf Augenhöhe findet selten statt. Ich rede hier bewusst nicht von einem Gesprächspartner, sondern von einem Menschen. Das alles wird gerechtfertigt mit dem Ausbildungsgedanken. Die Assistentinnen bekommen als Gegenleistung die Chance, erfahrene Regisseurinnen bei der Arbeit zu studieren und nach zwei Jahren eine angekündigte Inszenierung (meist in der Studiobühne). Hier komm ich zum Anfang.
Wie rechtfertige ich vor mir und vor dem jungen Menschen, der da vor mir steht, das Theater liebt und für dieses brennt, dass er Teile seiner Jugend opfert, obwohl ich genau weiß, dass ihm Absolventinnen von Regieschulen die Inszenierungen vor der Nase wegschnappen wird?
Ehrlichkeit mit den angehenden Assistentinnen wäre ein erster Schritt. Ein Zweiter, ob nicht lieber die Funktion auf drei oder mehr Leute aufgeteilt erträglicher wäre. Es gibt ja so schöne Funktionsbeschreibungen von Aufgaben, die heutzutage Assistenz-Arbeit ist: Soufflage, Disposition, Requisite, Inspizienz, Mitarbeit, Catering, Abendspielleitung, Regiebuch, Fahrerin, Persönliche Referentin, Feel-Good-Beauftragte und und und...

--
Auch wenn nur die weibliche Form verwendet wurde, sind alle Geschlechter gemeint.
Kolumne Michael Wolf: positive Erfahrung
Was ist denn Ihr Punkt, Herr Wolf? Bzw. was ist das für ein Text? Soll das Satire sein oder zugespitzter persönlicher Erfahrungsbericht? Den Text mit "Über den Berufsstand..." zu überschreiben schießt jedenfalls übers Ziel hinaus bzw. greift krass kurz. Kann meine Assistenzzeit (zugegeben: nur 2 Jahre, bin weiß, männlich, heterosexuell) überwiegend positiv beschreiben. Viel Verantwortung, zeitweise Überforderung (mag ich gerne), Wertschätzung(!), (ja ok, schlechte Bezahlung, aber das ist nichts, was speziell auf Regieassis zutrifft), Blick auf Theater geschult, krasses Sprungbrett für den nächsten Schritt.

Und auch wenn ein Theater hierarchisch organisiert ist, ist jeder auch in der Verantwortung für sich selbst, Dinge anzusprechen, die schief laufen. Und ich glaube nicht, dass in der Mehrzahl der Chefetagen noch "Kaiser regieren" , denen die AssistentInnen egal sind (jedenfalls meine Erfahrung).

Und trotzdem stimmt es (im Theater wie in anderen Organisationen) auch: Wo Menschen und Macht zusammenkommen, gibts Stress, Missbrauch, Konflikte. Aber daraus Erkenntnisse "über einen Berufsstand" abzuleiten, finde ich gewagt und fahrlässig. Sie haben offenbar keine gute Erfahrung gemacht - das ist schade.

@ Kiska: Bitte schnell kündigen.
Kolumne Michael Wolf: ich kann nur lachen
Oh Gott ja, ich erinnere mich. Danke, Herr Wolf, für die absolut korrekte Beschreibung! Ich teile auch Ihre Einschätzung: Hätten Sie sich für die Offizierslaufbahn entschieden, hätten Sie Ihr Studium nicht bezahlen müssen, hätten Rentenansprüche und hätten sich bei Auslandseinsätzen eine goldene Nase verdienen können, die so gefährlich nun auch nicht waren, da ja - offiziell zumindest - das Brunnenbohren im Vordergrund stand. Übrigens wären Sie auch besser behandelt worden und der Wehrbeauftragte des Bundestages hätte Ihre Beschwerden entgegen genommen. Ich kann nur lachen über den Zustand des Statdtheaters. Oh, dass ich da viele Jahre meiner Jugend verschwendet habe, ich will mich daran nicht erinnern. Das war der idealistische Fehler meines Lebens! Das dümmst daran: ich dachte, es wird alles besser! Nein, nein, das war falsch geglaubt! Und Herr Wolf, danke für die korrekte Beschreibung der Verhaltensweisen weiblicher Regisseure - die legen eine Ignoranz und einen Chauvinismus an den Tag - wie gesagt, im Offiziercorps wäre Ihnen das nicht passiert, und mir auch nicht. Aber wir haben uns falsch entschieden. Herzlichen Glückwunsch, Kollege!
Kolumne Michael Wolf: anspruchsvoller Job
ich hab das auch alles gemacht. und ich hab auch viel anerkennung bekommen. heute bin ich regisseur und wundere mich, warum die assistent*innen davon ausgehen, dass ihre pure anwesenheit bewunderung verdient. wer seine arbeit gut macht, wirklich interessiert ist und vorausschauend mitdenkt - bekommt von jedem hausmitglied bewunderung, zigaretten und vielleicht auch sex (wenn erwünscht..), blumen und champagner. wir lieben gute assistent*innen. denn es ist ein anspruchsvoller job, und er fängt eben erst lange nach dem kotzeabwischen, probenplan durchgeben und kaffekochen an. dann ist es auch ein künstlerischer beruf. aber eben erst, wenn der "kram" erledigt wurde. wer das nicht schafft, wird immer das gefühl haben, zu kurz zu kommen. dann lieber was anderes machen. zum beispiel lustige kolumnen schreiben.
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