Utopieschleuder mit Unwucht

von Elena Philipp

Berlin, 10. Dezember 2017. Die Geburtsstunde des Haufen-Theaters ist eine zähe Angelegenheit. Erinnert der Szenenhaufen, den Showcase Beat Le Mot in ihrer Performance "Super Collider" auf die Bühne des Berliner HAU 2 kippen, doch etwas zu sehr an ihre eigene Beschreibung des titelgebenden Teilchenbeschleunigers: Darin tobe nicht das Leben, verkündet Veit Sprenger, während er sich in die Seile wirft, in die ihn die Bondage-Künstlerin Dasniya Sommer zuvor eingeknüpft hat. Ein Teilchenbeschleuniger, lässt der verschnürt pendelnde Performer wissen, ist "vor allem ein leerer Schlauch" – eine Kollision hat Seltenheitswert. So wie an diesem Abend die Momente, in denen es produktiv knallt. Und doch…

Space Acts statt Fake Facts

Aufrichtig erscheint das Ausgangsgefühl für die aktuelle SCBLM-Zusammenarbeit: Entsetzen oder zumindest Ärger über die Weltlage – Stichwort: Trump –, was für einen düsteren Subtext im heiter-kryptischen Ankündigungstext sorgt. Statt aber für "apokalyptische Resignation" (Theater-)Strom zu verschwenden, will das Performancekollektiv "den Diskursrahmen um das Weltall erweitern". Antennen auf Senden, das Bühnenbild ist die Message, das Publikum der Röhrenverstärker: "Space Acts statt Fake Facts". Gewichtige Anliegen, dem dadaistischen Gestus zum Trotz.

SuperCollider 560 Atia Trofimoff xOuter Space – diese Sprossenleiter-Gänge führen bei Showcase Beat Le Mot zur Raumstation © Atia Trofimoff

Eingeladen wird das Publikum für das Experiment "Utopieschleuder" auf eine handgezimmerte Raumstation: eine Handvoll Spielörtchen, drei von ihnen erreichbar nur durch kniehohe Gänge aus Sprossenleitern. Durchqueren lassen sich diese Gänge von den Performer*innen nur bäuch- oder rücklings, mal liegen sie auf einem Rollwägelchen, mal hangeln sie sich an den Sprossen entlang wie Astronauten in der Schwerelosigkeit. Nahezu simultane Aktionen auf dem unübersichtlichen Set, auf dem wir Zuschauer*innen frei umherwandeln, halten uns in Bewegung: Im von Außen nicht einsehbaren, bunt bemalten Sexagon links hinten auf der Bühne püriert Veit Sprenger grüne Smoothies; das Rotieren des raumkapselähnlichen Mixers überträgt er per Kamera auf einen der bühnenmittig angebrachten Bildschirme. Dasniya Sommer verliest in der Box rechts hinten einen retroavantgardistischen, kunstgeschichtssatten Text – "Kontinente lösen sich aus Verankerungen, 5 4 3 2 1 Zero. Ein Pferd verschluckt seine Zähne. Eine gelbe Sonne" –, derweil im quadratischen Mini-Häuschen vorne links Nikola Duric, Thorsten Eibeler und Dariusz Kostyra ein somnambules Tänzchen abspulen.

Bälleballett, Badeschaumglitsch und Tortenschmiere

Theatral aufgeboten wird für "Super Collider" Etliches: Im Prolog, den das Publikum frontal erlebt, lassen die SCBLM-Performer*innen im schmalen Spalt zwischen zwei schwarzen Panels mal ihre nackten Bäuche, mal Bauhaus-bunte Scheiben kreisen, sie spielen Kasperletheater mit Steckdosen und parodieren japanisches Noh-Theater. Später gibt's ein Ballett der Bälle, Badeschaumgeglitsche splitternackt, und Duric wie Kostyra verbeugen sich vornüber in eine Torte. Was hier so launig, verspielt und abwechslungsreich klingt, ist beim Zusehen allerdings meist schwer langweilige Kost. Der gemessene Ernst, mit dem alberne Abläufe absolviert werden, nervt. Irgendwie stimmt das Timing nicht. Und wenn Veit Sprenger mit glaubwürdiger Verzweiflung (Achtung: echt?) das Publikum beschimpft – "Honigkuchenmenschen grinsen mich an. Nachbesserer. Korrigierer. Gesundbeter. Saubermacher. Vorgarten-Politiker. Alles-wird-gut-Politiker" –, dann wirkt das larmoyant. Nein, am Premierenabend hebt hier atmosphärisch gar nichts ab, der Funkenflug bleibt aus.

SuperCollider I 560 Atia Trofimoff xTänzchen auf engem Raum: Thorsten Eibeler, Nikola Duric und Dariusz Kostyra © Atia Trofimoff

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Aber zwei, drei Momente gibt es eben doch, Momente, in denen die seit zwanzig Jahren kollaborierende Vierertruppe ihren mit Diskurshöhe gepaarten anarchischen Spielwitz entfaltet. Stark ist vor allem die Haufen-Szene, ein performtes Theatermanifest. Aus Glitter, Schlonz und Übrigem türmt Thorsten Eibeler einen, tja: Haufen auf die Bühne. Kinderspiel mit Tiefsinn: "Du weißt doch, dass wir keinen Haufen machen sollen!", mahnt Duric. "Ich mache keinen Haufen, ich mache ein transzendentales Objekt", kontert Eibeler mit Kant: "Eine Sachheit, a priori. Das reine Etwas aller Dinge." Nein, das sei ein Haufen, findet auch Kostyra, und Sprenger holt zu einer philosophiegeschichtlichen Ohrfeige aus: "Nach Hegel kann ein Haufen nicht schön sein. Und kann somit auch keine Kunst sein. Deshalb sollen wir keine Haufen machen." Schon sind die Vier verwickelt in einen engagierten Streit um Schönheit, Wahrheit, Form. Denn ein Haufen, der ist formlos, "voll von barocken Verknüpfungen", ein "begriffsloses Nebeneinander". Beträchtlich komisch ist die Fallhöhe in dieser Szene. Und sie lässt aufleuchten, was Showcase Beat Le Mot trotz momentaner Formschwäche zu einer der wichtigen Theatertruppen macht: Denken als Erfahrung. Das Sprengen der Konvention. Experiment. Die Superkollision.

 

Super Collider
Konzept, Raum, Text, Umsetzung: Showcase Beat Le Mot
Shibari: Dasniya Sommer, Sound / Musik: Sebastian Meissner, Kostüm: Clemens Leander, Video: Alexej Tschernij, Licht: Klaus Dust, Bewegungslehre: Nina Kronjäger, Bühnenbauten: Jörg Fischer.
Mit: Nikola Duric, Thorsten Eibeler, Dariusz Kostyra, Dasniya Sommer, Veit Sprenger.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.hebbel-am-ufer.de

 

Kritikenrundschau

Das Absitzen dieses Abends sei eine Qual, stöhnt Georg Kasch in der Berliner Morgenpost (12.12.2017). Man könne die Texte lustig finden. "Oder einfach nur bekloppt", weil sie sich eher für Rhythmus als für Inhalte interessierten. "Genau so stellen sich vermutlich Menschen, die sich nie in die freie Szene trauen, Off-Produktionen vor. Blöd, dass Showcase Beat Le Mot hier alle Klischees bestätigen."

Showcase Beat Le Mot haben in der Art alt gewordener Studenten eine hübsche Schrulligkeit kultivieren können, schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (15.12.2017). "Der Text verbindet prächtige Verblasenheit mit den drängenden Fragen einer Performer-Existenz: 'Wovon soll ich leben? Von Luftpartikeln, von Resten, von Übriggebliebenem.'" "Resteverwertung als künstlerisches Programm, wenn das nicht die souveräne Befreiung vom ewigen Zwang zu Originalität und Produktivität ist." Fazit: "Kunst, die weiß, dass die Welt sie nicht braucht – das hat zumindest den Charme der Unaufdringlichkeit und offen eingestandenen Überflüssigkeit."

Ungewöhnlich redselige und pessimistisch gestimmt findet Doris Meierhenrich von der Berliner Zeitung (12.12.2017) diese "Grundsatz- Performance" und lobt den Abend schließlich als "unbestechlich realistisches Haufentheater, das überzuckerte Honigkuchenideen von Schönheit, Wohlstand und behauptetem Glück ins All schießt".

 

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