Was jetzt?

von Dirk Pilz

19. Dezember 2017. Zum Abschluss des Jahres ein paar Fragen. Und bitte, werte Leserschaft, es sind wirklich Fragen.
Noch einmal kurz zur Lage der Dinge:

In Österreich sitzen die Rechtsradikalen in der Regierung.

In Deutschland sitzen sie im Bundestag.

In Sachsen holten sie bei der Bundestagswahl die meisten Stimmen und werden dies, vermutlich, bei den Landtagswahlen 2019 wieder tun.

Vor dem Brandenburger Tor werden Davidsterne verbrannt, dazu "Tod den Juden"-Rufe.

Knapp 700 antisemitische Straftaten wurden allein im ersten Halbjahr 2017 in Deutschland gezählt.

In Nordhausen wurde kürzlich ein Hinweisschild zur KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora mit dem Wort "Neueröffnung" beschmiert, und die Thüringer Polizei ermittelt wegen "Sachbeschädigung". Ein Beispiel.

Empören oder Hoffen?

Wie sollen, wie können denn wir Theatermenschen, die an den Theater Schaffenden, die Kritiker, das Publikum, darauf reagieren? Stille Empörung und Hoffen, dass es doch alles noch gut wird?

kolumne 2p pilzAls der furchtbare Anschlag auf Charlie Hebdo geschah, setzten viele Häuser auf ihre Webseite oder über die Hauseingänge den Slogan "Je suis Charlie". Dergleichen geschieht jetzt nicht. Warum? Weil man das nicht vergleichen kann? Stimmt das? Weil es falschen Alarmismus zu vermeiden gilt? Und was wäre richtiger?

Braucht es jetzt (noch) mehr Theaterabende zum Thema? Welche? Hilft es, "Nathan der Weise" zu spielen? Oder besser Elfriede Jelineks "Am Königsweg"

Oder braucht’s vielleicht weitere Podien, Vorträge, Publikumsgespräche? Eine Resolution aller Theater? Oder wenigstens ein Wort vom Bühnenverein?

Warum schweigen die Regisseur*innen und Dramatiker*innen in den öffentlichen Debatten, zum Beispiel zum grassierenden Antisemitismus? Oder habe ich da was überhört?

Vorbereitet sein

Vielleicht ist es angesagt, alle Kraft und alle Energie in schlicht gute Theaterarbeit zu setzen? Auch, um gut vorbereitet zu sein, wenn die AfD oder die FPÖ oder die SVP die "linken" Theater und vornehmlich die staatlichen resp. kommunalen Fördergelder in Frage stellen werden, was sie im übrigen ja längst tun?

Was wird die Antwort sein, wenn mehr "nationale" und weniger "linke" Kunst und mithin tendenziell die Abschaffung der Theater gefordert wird? Dass Theater sein muss? Warum?

Nur ernst gemeinte, hass- und zynismusfreie Antworten bitte in die Kommentarspalte oder per Post an die Redaktion. Und bitte, wenn’s geht, ohne vorschnelle Bescheidwisserei oder gekränktes Beleidigtsein. Danke.

Und noch etwas: Vielleicht bräuchte es einen allgemeinen, großen, offenen Theaterkongress, auf dem über diese Fragen gemeinsam nachgedacht werden könnte? Nicht nur darüber, es gibt noch andere wichtige Fragen, siehe die jüngst erschienen Texte hier auf nachtkritik.de von Necati Öziri und Sibylle Berg zum Beispiel. Aber die Fragen nach dem politischen Wie-Weiter sollten dabei keine Nebenrolle einnehmen. Es sind die entscheidenden.

Ich wünsche allen ein gutes, erfülltes neues Jahr.

 

Dirk Pilz ist Redakteur und Mitgründer von nachtkritik.de. In seiner Kolumne "Experte des Monats" schreibt er über alles, wofür es Experten braucht.


Zuletzt las Dirk Pilz für seine Kolumne Edgar Allan Poe, um die Debatten über Sexismus und Rassismus zu begreifen.

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Kommentare  
Kolumne Pilz: eine neue Aufklärung
ich bin nicht der ansicht dass wir als theaterleute besonders gefragt sind, oder sagen wir mehr gefragt als die bankerin, der bäcker, der lehrer oder die taxifahrerin. wir sind alle, als gesellschaft, gefragt, uns
1. zu bilden. wir haben praktisch das gesamte wissen der menschheit jederzeit in der hosentasche. nutzen wir das, sapere aude. neue aufklärung, selber. auch
2. verantwortung zu übernehmen. integration selber vorantreiben. stets freundlich sein, auch zum "gegner" - gerade populisten reagieren auf fundamentalopposition, daraus ziehen sie kraft und sympathisanten (die systempresse redet nicht mit uns - die demonstranten wollen uns niederbrüllen etc). wie gesagt, man kann, wenn man 1. bedient hat, diesen menschen argumentativ begegnen, sie öffentlich aushebeln, und wenn man sie dabei ernst nimmt - als menschen - nimmt man ihnen follower und sympathisanten ab.
3. die frage nach den ursprüngen konsequent denken. unser wirtschaftssystem ist schon lang keine soziale marktwirtschaft mehr. diese form des (spät?)kapitalismus funktioniert über ausgrenzung, funktioniert über marginalisierung und eine wachsende ungerechtigkeit. das ist kein fehler im system, das ist immanent. solange diese zusammenhänge nicht erkannt, offen diskutiert und behoben werden, wirds nicht besser, und wenn wir uns aufn kopf stellen.

was wir in unserer eigenschaft als theatermacher, -kritiker und -fans machen können: in unserer fantastischen, von öffentlicher hand geförderter theaterlandschaft die räume öffnen für austausch, bildung, diskussion. auch mit unbequemen gegnern. ich muss auch meine positionen hinterfragen lassen, wenn ich sie ernst nehme. bin ich ein realitätsfremder träumer, weil ich für eine solidarischere gesellschaft eintrete? wie viel "missempfindung", opferbereitschaft habe ich?

eines der stärksten argumente gegen rechtspopulismus: die leute haben immer nur angst vor dem was sie nicht kennen, vor dem flüchtling, dem chaoten, der spinne, was weiß ich. niemand hat angst vor mahmud, der lecker brot backen kann und richtig schlecht aber sehr gern schach spielt, oder vor ylva, die in schweden bei einer NGO arbeitet, in hamburg für eine gerechtere gesellschaft auf die straße gehen wollte und zur falschen zeit vor der falschen kamera war, oder vor thekla, die gern räder spinnt und am liebsten mücken isst.

ich weigere mich zu glauben dass das so wahnsinnig kompliziert ist. wir sind doch "dem system", "der politik", den kräften die da walten nicht hilflos ausgeliefert. wir müssen uns halt hinstellen und sagen nö, ich finde das nicht. aber wir reagieren ja auf so sachen wie pulse of europe schon mit der gleichen ironischen abwehr, dem diskursiven totgelabere, mit dem wir auf alles reagieren, auch auf der bühne. weil wir schiss haben vor haltungen, davor uns weh zu tun. und weil wir jede gelegenheit nutzen uns angegriffen zu fühlen und dadurch wie ein sehr trauriges & wütendes kind alle wegschubsten die vielleicht auch auf unserer seite stünden.

ich glaub wirklich dass es wichtig wäre unsere kräfte jetzt zu bündeln, gemeinsam den tendenzen entgegen zu wirken, die uns gerade die demokratie, das vertrauen auf die nächsten und die gesellschaftliche freiheit unterm arsch wegklauen. ohne uns dabei allerdings, wie so oft, in fruchtlosen grabenkämpfen zu verlieren.

aber was weiss ich schon.
Kolumne Pilz: so manches Kind
Ohne besser Bescheid wissen zu wollen und nur sich am eigenen Beispiel auskennend: Ja, verehrter Dirk Pilz, Sie haben, glaube ich, etwas überhört...

Die öffentliche Debatte des Dramatikers - (auch der -In, bitte) IST die Inszenierung.
Die öffentliche Debatte des Regisseurs - (auch der -In, bitte) IST die Vorstellung.
Wenn sich die gespielte Dramatik oder die gespielten Vorstellungen nicht wirksam genug anti-antisimitisch in die Herzen und Sinne der Leute spielen, dann muss man nach der vorhandenen, aber ungespielten schauen und die unwirksameren RegisseurInnen - einstweilen(?) - vom Inszenierungs-Auftrag entbinden.

Tipp zur Dramatik: Diese Dramatik wird eventuell nicht in Verlagen liegen.
Tipp zur Regie: Diese Regie wird eventuell nicht dem allergegenwärtigsten Diversitätsdiktat gerecht werden können.

Die Fragen nach einem politischen Wie-Weiter sind überflüssig, wenn das politische Jetzt nicht unwidersprochen bleibt durch Theater. Unseres. Nicht nur das polnischeamerikanischerussische... in jedem Fall: immer schön brav andere-
Deshalb sind Forderungen nach mehr Debatten um ein politisches Wie-Weiter nicht konstruktiv, sondern eher reaktionär. Denn sie befördern das konstruktive Handeln auf den Boden der Tatenlosigkeit...

So manches Kind ist unter dem Gerede darüber, was aus ihm alles werden sollte, könnte, müsste nie dazu gekommen, eigene Erfahrungen zu machen und sich zu entwickeln zu einer emanzipierten Persönlichkeit-
Kolumne Pilz: Stop making art
Wenn sich alle Kunstschaffenden in Deutschland um Soziales kümmerten statt um ihr Werk, sähe die Politik schöner aus. Erster Vorschlag also: Stop making art!
Kolumne Pilz: gemeinsames Nachdenken
Artikelzitate:

//Vor dem Brandenburger Tor werden Davidsterne verbrannt, dazu "Tod den Juden"-Rufe.//

//Warum schweigen die Regisseur*innen und Dramatiker*innen in den öffentlichen Debatten, zum Beispiel zum grassierenden Antisemitismus?//

Vielleicht deswegen, weil z.B. die antisemitischen Muslime, die vor dem Brandenburger Tor solches und Übleres gebrüllt haben, so selten ins Theater gehen?

Oder weil man diese Muslime ja grundsätzlich davor in Schutz nehmen muß, als Antisemiten bezeichnet zu werden, weswegen man es wie in diesem Artikel vermeiden muß, sie konkret beim Namen zu nennen? Wie die Bundeskanzlerin das sehr elegant tut...?

Auch werden Lessing, Jelinek und Sybille Berg in diesen Kreisen kaum besondere Beachtung finden. Was die engen Grenzen des Theaters mit seinen aufklärerischen "Podien, Vorträge, Publikumsgespräche? Eine Resolution aller Theater? Oder wenigstens ein Wort vom Bühnenverein?"-Aktionen gegen traditionell gelebten, überzeugten Antisemitismus doch recht deutlich werden läßt.

Aber vielleicht meint der Autor in Wahrheit ja nur biodeutsche Antisemiten? (Oder hält den Brandenburger-Tor-Mob für verkleidete Biodeutsche?) Biodeutsche Antisemiten gibt es, ohne Frage, der eingefressene Antisemitismus in Deutschland muß ja nach '45 irgendwo geblieben sein; biodeutsche Antisemiten sind allerdings ja nun auch in der Linken massiv vertreten, nur heißen sie dort "Israel-Kritiker" und "Anti-Zionisten", also alles aufrechte Progressive. Und gerade die muß man ja kräftig unterstützen gegen Faschisten wie den rechtsradikalen Netanjahu, zum Beispiel mit Unterstützung von BDS ("Boycott, Divestment and Sanctions" - (dt. „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“, abgekürzt BDS) ist eine transnationale politische Kampagne oder soziale Bewegung, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will", bzw. zerstören will; also Aktivisten, die das Prinzip "Kauft nicht beim Juden" in ganz neue Dimensionen treiben. Aber nein, diese aufrechten pogressiven Antisemiten können vom empörten Artikel wohl auch nicht gemeint sein.

Bleiben eigentlich als Adressaten dieses "Was jetzt?"- Artikels nur die FPÖ, jetzt sicherlich auch die ÖVP, und natürlich die rechtsextremistischen Vollnazis der Afd, wer denn sonst, das wird im Artikel deutlich. Auf diese empört einzudreschen ist ja auch wesentlich einfacher und gefahrloser, als sich dem Mob am Brandenburger Tor "aufklärerisch" entgegenzustellen, das versteht sich.

//Und noch etwas: Vielleicht bräuchte es einen allgemeinen, großen, offenen Theaterkongress, auf dem über diese Fragen gemeinsam nachgedacht werden könnte?//

Auf diesen großen, offenen Theaterkongress, der über alle diese von mir oben angeschnittenen Fragen und Probleme gemeinsam nachdenkt, bin ich sehr gespannt.
Kolumne Pilz: Zusammenhänge
ich lese lieber diederichsen, der in größeren zusammenhängen denken kann und nicht zur hysterie neigt. zum glück sind dazu einige künstler in ihren inszenierungen fähig, weil sie sich auf ihre arbeit konzentrieren können und wollen.


" Was die Rechten zu sagen haben, ist nach Diederichsens Überzeugung bereits historisch erledigt. Wer auf sie dennoch eingeht, macht sich zur Figur ihres Spiels und verschafft ihnen unnötige Aufmerksamkeit."

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/soll-man-mit-rechten-reden-15313594.html
Kolumne Pilz: außenpolitischer Zusammenhang
ich behaupte einfach mal, dass es zukünftig weniger theater mit flüchtlingen/asybewerbern und migranten aus syrien geben wird.

^^natürlich^^ muß da keiner einen - sich gerade ändernden - außenpolitischen zusammenhang sehen

"Salim F. ist syrischer Flüchtling und gut angekommen in Deutschland. Er hat die Sprache gelernt und Qualifikationen anerkennen lassen. Ihm fehlt nur noch ein Ausbildungsplatz. Statt einer Stelle bekommt er jetzt einen gut gemeinten Rat: Er solle zurück in seine Heimat. Der Krieg sei vorbei."

http://www.migazin.de/2017/12/20/gehen-sie-ihre-heimat-ablehnungsschreiben/

schon lange bekannt ist in der syrischen community von deutschland eine tatsache, die medial nicht stattfindet, aber wohl auch nicht ewig verschwiegen werden kann:

"Syrische Studenten: Man muss Assad-Gegner sein, um Asyl in Deutschland zu bekommen"

https://deutsch.rt.com/inland/59716-syrische-studenten-man-muss-assad-gegner-sein-um-asyl-in-deutschland-zu-bekommen/
Kolumne Pilz: Toleranz keine Option
Ich denke, es ist gut und richtig, was das Schauspielhaus Zürich macht. Es lässt Regisseure ein, die die AfD-Propaganda lautstark reproduzieren in ihren Inszenierungen - als auch in ihren öffentlichen Äusserungen. Aussagen, die so gut wie deckungsgleich sind, wie die Aussagen von AfD-VertreterInnen, die sich in Sachsen-Anhalt so äussern. ZITAT AUS DEM ARTIKEL: "Der aktuelle Theaterbetrieb ist leider sehr einseitig. Wenn man es in politischen Kategorien ausdrücken will, ist er links. Deshalb ist es auch sehr billig, wenn Merkel und die etablierten Parteien immer die Kunstfreiheit rühmen. Das funktioniert aber nur so reibungslos, weil das Theater macht, was die Regierung will. Die Theater in unseren Bundesländern lesen ja Merkel jeden Wunsch von den Lippen ab", die Theater betrieben "Refugees welcome" Propaganda. Dagegen müsse man vorgehen, sagt Tillschneider in Richtung der Bühnen in Dessau und Halle. ZITATENDE. Wenn nun Schauspielhaus Zürich (und andere Theater, die solche Regisseure hofieren), diesen Gedanken weiterhin zu solch dominanter Präsenz verhelfen, wird sich der Zorn auf diese Institutionen, der von rechter Seite sowieso schon besteht - mit dem Zorn von linker Seite vermengen - und dann werden diese Theater abgeschafft und geschlossen und durch neu zu gründende Institutionen ersetzt, die von jungen progressiven Leuten in die Zukunft geführt werden (das meine ich nun natürlich gerade nicht - so sieht die Dystopie aus, die nicht real werden kann, weil nach Zerstörung der Häuser gar nichts mehr aufgebaut werden kann - deshalb ist Toleranz mit diesen Rechts-Positionen keine Option, sie zerstört die Häuser von innen her ) http://www.deutschlandfunkkultur.de/kulturpolitik-in-sachsen-anhalt-afd-will-theater.1001.de.html?dram:article_id=406574
Kolumne Pilz: Zweifel
Ich zweifle je länger je mehr und je mehr die Rechten Raum gewinnen, an der Konzeption von KUNST, diesem immergleichen Spannungsprinzip. Grad im Theater. Spannung ist öd. #3 hat wohl Recht.
Kolumne Pilz: weiter behandeln
"Dirk Pilz fragt sich und uns, wie Theater mit Rechtsextremismus und dem politischen Wie-Weiter umgehen sollen"

es fällt - zumindest mir - schwer, dieses thema auf das theater zu beschränken und gleichzeitig zu verallgemeinern, denn zu konkreten inszenierungen, in denen dieses thema behandelt wird, wird ja diskutiert.

mich beschäftig dann schon eher die entscheidung der akademie der KÜNSTE, einen preis an den juristen christian bommarius zu vergeben, der sich zu diesen thema geäußert hat. daran gab es viel kritik und unverständnis - die schriftstellerin daniela dahn hat sich in einem artikel dazu ausführlich geäußert:

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1074245.antisemitismus-gesinnungshatz-gefaehrdet-soziale-bewegungen.html

wenn dieser "preisgekrönte" artikel eine kulturpolitische linie vorgeben soll, sollte dieses thema wirklich diskutiert werden.

wenn es jedoch als "alternativlose" führungsrichtlinie vorgegeben und vom autor befolgt wird, ist die löschung aller unpassenden meinungen und unliebsamen fragen eine mich erschütternde antwort.


ich wünsche fröhliche und friedliche weihnacht!
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