Presseschau vom 28. Dezember 2017 – Auf Deutschlandfunk äußert sich Chris Dercon zur Kritik an der von ihm geleiteten Volksbühne Berlin

Das neuartige Mischwesen

Das neuartige Mischwesen

28. Dezember 2017. Im Gespräch mit Barbara Behrendt äußerte sich Chris Dercon auf Deutschlandfunk (26.12.2017) zur Kritik an der gegenwärtigen Praxis der Berliner Volksbühne.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Dercon sagt, sein Haus bekäme schlechte Kritiken und gute Kritiken und "sympathische" Kritiken. Das Haus sei nicht leer, das Haus sei in den Vorstellungen von Susanne Kennedys "Woman in trouble" gut besucht, nicht voll, aber gut besucht, genauso bei Jerome Bels "The Show must go on". Viele "junge Menschen" kämen ins Haus, die froh seien, endlich die berühmte Show von Bel selbst sehen zu können. Offenbar seien die Hervorbringungen der siebziger und achtziger Jahre vergessen; insofern erfülle die Volksbühne auch ihre Aufgabe als Theatermuseum.

Publikum

Es gäbe ein total neues junges Publikum, aber genauso wie ein Repertoire müsse ein neues Publikum erst nach und nach aufgebaut werden. Und natürlich gebe es in Berlin ein ausreichend großes Publikum für sein Programm.

Kein Festivalhaus

Die Volksbühne sei anders als das HAU und die Berliner Festspiele. Die Volksbühne sei ein "neuartiges Mischwesen", sie biete "unterschiedliche Disziplinen", die Künstler, die mittlerweile das Haus kennengelernt hätten, känen nun aus Haus zurück und würden beginnen, mit dem Haus und den Werkstätten der Volksbühne "zu arbeiten". - "Wir wollen ein metadramatisches Theater, wo jede Sparte der Künste eingeladen ist, um das Haus zu benützen, die Werkstätten zu benützen, um eine theatrale Form zu denken, das ist wirklich eine experimentelle Produktionsform."

Ensemble

Dercon erklärt zum wiederholten Male: "Wir bauen ein Ensemble auf. Vielleicht nicht in der klassischen Form, wie wir es vom Resi kennen." Das Ensemble habe bis jetzt vier Mitglieder (Sir Henry, Silvia Rieger, Frank Willems und Anne Tismer) und man wolle das Ensemble "langsam aufbauen". Natürlich seien "unsere Künstler", "unsere Regisseure" auch Teil dieses Ensembles. Die Volksbühne sagt Dercon, baue eine "andere Art von Ensemble" auf. Die Künstler könnten "Schauspieler, Tänzer, experimentelle Künstler oder Musiker" sein. Das Ensembleverhältnis als "engste Arbeitsverhältnisse" seien für ihn und Marietta Piekenbrock "ganz, ganz wichtig". Diese Künstler müssten das "neuartige Mischwesen" auch "betreuen" können. Mit Heiner Goebbels sagt Dercon: "Wir machen andere Produktionen und wenn wir jetzt einen Elefant auf der Bühne benützen, kann dieser Elefant nicht Mitglied des Ensembles sein". Weil "wir andere Produktionen realisieren, muss man auch die Idee des Ensembles anders als das klassische Schauspielerensemble verstehen." Aber gemeint seien damit keine free lancer.

Mischwesen

Was ist nun dieses neuartige Mischwesen? Ein Zitat von Susanne Kennedy beschreibe das sehr gut: "Vielleicht kann das Theater ein Raum sein, in dem wir unser eigenes 'Unwahrnehmbar-Werden' durch die Wesen auf der Bühne probieren können. Ich sehe ein Theater, in dem es keine Protagonisten mehr gibt und die Bühne, auf deren Mittelpunkt sie immer standen, ist angefüllt nun mit anderen Wesen – menschlichen und nicht-menschlichen. Sie sprechen mit Stimmen und Gesichtern, die nicht ihre eigenen sind. Sie kommunizieren in Sprachen, die wir erst noch lernen müssen."

Es gebe immer wieder neue Künstler, die eine theatrale Form suchen. Was bedeute das? Eine "neue Form der Kommunikation" werde gesucht, zwischen denen, die etwas vormachen und denen, die zuschauen. Bei "The Show must go on" etwa gebe es eine "unglaubliche Form von Anwesenheit", eine Spannung von professionellen und nicht-professionellen Darstellern.

Es sei nicht so, dass "wir" den menschlichen Konflikt oder Schauspieler scheuten, es gehe aber um die Andeutung anderer Konflikte. In der heutigen Gesellschaft erlebe man Kommunikation in einer völlig anderen Art und Weise als vorgestern. Man müsse genau die gesellschaftliche Kommunikation der sozialen Medien reflektieren.

Das Theater von heute

Die Theaterkritiken seien oft schlecht. Nicht unbedingt ,weil die Stücke schlecht seien, sondern weil man sich frage "was soll das Theater heute noch sein, was könnte das Theater von morgen sein?". Die Diskussion, die jetzt über Theater und Politik geführt werde, wie man "neue Setzungen" machen könne, das sei ein "ganz wichtiger Auftrag", sagt Dercon. Alle suchten jetzt nach Formen für ein Theater, das der Gesellschaft von heute entspreche.

Petition

Gefragt nach der Petition der 40.000 antwortet Dercon, das Problem mit solchen Petitionen und das Problem mit den sozialen Medien sei ihre Beliebigkeit.

(jnm)

 

 

 

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