Presseschau vom 31. Dezember 2017 – Milo Rau im Berner Bund über seine Ausladung von einem Debattenforum des Ringier-Verlages
Privatisierung der Schweizer Debattenkuktur
Privatisierung der Schweizer Debattenkuktur
31. Dezember 2017. Vor ein paar Tagen habe ihn der Ringier-Publizist Frank A. Meyer in einem Essay als 'Liliput-Lenin' und 'Parlaments-Verächter' verspottet, schreibt Milo Rau in der Berner Zeitung Der Bund. Daraufhin habe er in seiner letzten Kolumne mit einem Verriss von Meyers Blick'-Videoblog reagiert. Einen Tag später sei er, so Rau weiter, obwohl bereits aus Deutschland angereist, aus dem Ringier-Debattenformat 'Denkwerkstatt' ausgeladen worden.
"In Russland konnte ich mich, zwei Tage nachdem ich die orthodoxen Kirchenführer in den Moskauer Prozessen blossgestellt hatte, in der grössten Talkshow des Landes erklären. In Berlin nahmen im November an meinem Weltparlament und dem darauf folgenden "Sturm auf den Reichstag" – unter dem Motto 'Sie nennen es Parlament, wir nennen es Mafia' – zehn Abgeordnete des Bundestags teil. Das Kongo-Tribunal führte zur Entlassung zweier Minister, trotzdem wurde im Kongo der Film in mehreren Städten gezeigt. Und als ich in Belgien von Kindern die Affäre um den Kindermörder Marc Dutroux nachspielen liess, sassen die Angehörigen der Opfer in der Premiere. Der Schweizer Ringier Verlag hingegen habe ihn einer satirischen Kolmune wegen des Hauses verwiesen.
"Beunruhigend ist, dass der grösste Schweizer Verlag wegen privater Beleidigtheiten einen Künstler auslädt, der mit seinen Journalisten über politische Debattenkultur hätte sprechen sollen. Und auch das wäre egal, würde es nicht einen Trend bezeichnen: die Selbstverstümmelung einer ohnehin von allen Seiten bedrohten Schweizer Debattenkultur im Rahmen ihrer Privatisierung."
(sle)
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Wenn sich irgendetwas in irgendwelchen Debatten überhaupt bewegen soll, sollte man erst einmal aufhören, pausenlos von „Avantgarden“ und „Eliten“ zu reden. Und erst recht aufhören, sich als solche zu empfinden. Das wäre schon einmal ein guter Schritt in Richtung einer Demokratie, die die Grundrechte des Einzelnen auch innerhalb von Staats-Räson - geht für Bärfuss voll in Ordnung - zu wahren weiß.
An die heilige Kuh des Elitedenkens geht aber auch Lukas Bärfuss nicht heran und deshalb ist das auch nur ein irgendwie identitärer Sermus: Elite-Empfinden als Identität.
Was zum Teufel ist Elite? Eine Auslese, eine Besten-Auslese. Aber was bitte besagt das schon?
:Eine Wirtschafts-Elite kann aus Idioten an emotionaler Intelligenz bestehen und eine Kunst-Elite aus Asozialen und unreifen Beziehungskrüppeln. Eine Bildungs-Elite kann aus weltfremden Utopisten bestehen, die jeglichen Blick für komplexe politisch-ökonomische Zusammenhänge verloren hat und alles nur noch als Phänomen zu konstatieren vermag. Und eine Elite an psycho-sozialem Einfühlungsvermögen kann aus lauter Manipulatoren bestehen, die aus purem Egoismus den Selbstzweck über die Gemeinschaft von gleichberechtigten BürgerInnen stellen- Schließlich kann eine Politiker-Elite aus nahezu erbarmungswürdigen Dummköpfen bestehen, denn wenn sie sich selbst als Elite im Staat versteht, dann ist sie in Wahrheit das Gegenteil von dem, was sie meint zu sein und weiß es nicht einmal.
Wenn ihnen, den „Eliten“, Propaganda unwidersprochen überlassen bleibt, dann wird selbst aus propagierter Aufklärung Gehirnwäsche, die nix als mundtot machen soll und damit Demokratie aushöhlt. Es ist nicht wahr, dass man den Wert und den Nutzen von Bildung für alle oder den Wert von Kunst und Kultur für eine Gesellschaft nicht begründen kann, wie Bärfuss im "Blick" behauptet. Wäre es so, hätte es niemals eine Aufklärung gegeben. Bärfuss proklamiert einerseits die Berechtigung einer staatstragenden Propaganda (und genau damit die Notwendigkeit von Billag), weil sie immerhin die Werte der Aufklärung propagiert und behauptet andererseits, dass die Inhalte der Aufklärung gar nicht propagiert werden KÖNNEN – Napravo- eine "schonungslose Analyse" sieht für mich jedenfalls anders aus...
(Hinweis der Redaktion: Der Kommentar bezieht sich auf einen, in der Presseschau nur verlinkten und nicht zusammengefassten Text von Lukas Bärfus in der Zeitung "Blick":
https://www.blick.ch/news/politik/die-schonungslose-analyse-von-schriftsteller-lukas-baerfuss-no-billag-bedeutet-anarchie-id7787532.html?utm_source=blick_app_ios&utm_medium=social_user&utm_campaign=blick_app_iOS
https://www.blick.ch/news/politik/die-schonungslose-analyse-von-schriftsteller-lukas-baerfuss-no-billag-bedeutet-anarchie-id7787532.html
Hier mal die Dystopie:
Es stehen mehrere Armadas gut beschuhter & geschniegelter, unter Testosteron stehende Meinungsmacher-Männlein und Max Frisch Epigönlein pfeiferauchend in den Startlöchern für die grosse kapitalistische Meinungs-Endschlacht bis 4. März (diese Feiertage müssen die Hölle gewesen sein für diese Männlein, aber hey: übermorgen geht es los!!).
Da wird sich ein Daniel Binswanger (u.a. am Schauspielhaus für die "Republik" aufplustern) als Grand Monsieur des leicht blasierten elitären Europadiskurses und arrogant-kühl wie immer Haltung vermeiden (weil die Republik ja die ARENA eigentlich übernehmen will im Falle eines SRG Crash - mit Christof Moser (auch von der Republik) als neuer Moderator. Letzterer wird in jedem Fall bis am 4. März den Bad Guy geben - als SRG-Wadenbeisser (damit etwas redaktionsinterne Spannung entsteht wie bei einem schmierigen Plattenlabel in den 70er Jahren - die Republik braucht einen "Hahnenkampf"!). Moser wird leicht dauerverkatert den "Wilden" geben und für die Abschaffung der SRG aus "linker Perspektive" plädieren. Milo Rau wird von Seiten TA-Media etwas chauvinistisch lustig das ganze als lächerliches Kasperli-Theater beschreiben, das in keinem Verhältnis steht zu den echten und wahren Gräueln der Welt (und damit leicht zizek'sch blochern). Lukas Bärfuss wird noch ein paar Mal kernig-ambivalent (und dabei gegen schlechte SRF Filme polemisierend) die Nazi-Keule schwingen und auf den Widerspruch von biederer geistiger Landesverteidigung und für ihn zwingenderen internationalen Auftrag der SRG hinweisen. Constantin Seibt wird mit irgendeinem brillianten heissen Züri-Scheiss die Diskurs-Lücke füllen. Ein reines Männerballett. Die Frauen werden danebenstehen und wie in Gehegen von kämpfenden Geissböcken gleichmütig Gras kauen und dem lächerlichen Treiben der stinkenden Geissböcke zugucken. Das restliche intelletkuelle Zürich wird sich auf FB fertigmachen. Und es gibt ein knappes Ja an der Urne - und die SRG ist zerstört und Blocher übernimmt die Medien.
Die Utopie: Es läuft ganz anders ab. Weibliche Stimmen. Androgyne Stimmen. Klare Stimmen. Vernünftige Stimmen. Mehrsprachige Stimmen. Den ganzen Prozess begleitet die Burschenschaft Hysteria aus Wien als strenge, aber gütige Patronin. Elemente aus Bärfuss eigentlich klarer und guter Argumentation fliessen ins gesellschaftliche Bewusstsein ein, befreit von dem Testosterongeruch seiner Wut. Milo Rau erkennt die Elemente toxischer Maskulinität in seiner Argumentation und lädt Frank A- Meyer zu einem Demokratie-Walzer auf dem Bundesplatz ein. Franziska Schutzbach und Güzin Kar reflektieren in farbigen Zeppelinen über Bern über die SRG von morgen. Es gibt ein knappes NEIN an der Urne. Gemeinsam als ungeschlechtliche Wesen gehen wir Schweizer*innen dann die Reform der SRG an und drehen u.a. zusammen eine vierstafflige multilinguale Serien-Version von Jeremias Gotthelfs DIE SCHWARZE SPINNE - als SRG-Koproduktion mit Netflix, dem ETH-Disney-Lab und den Wachowski-Geschwistern als Showrunnerinnen. Bettina Oberli, Petra Volpe, Ursula Meier & Sabine Boss zeichnen als Episoden-RegisseurInnen. Schweizerdeutsch wird als Landessprache abgeschafft und durch Französisch ersetzt.
(Im Moment sieht alles noch nach der Dystopie aus, aber schauen wir dann übermorgen)