Wählen Sie die wichtigsten Inszenierungen des Jahres!

17. Januar 2018. Hier veröffentlichen wir eine Vorschlagsliste mit 38 Inszenierungen, die von den nachtkritik.de-Korrespondent*innen und -Redakteur*innen als die wichtigsten der letzten zwölf Monate nominiert worden sind.

Bis zum 24. Januar 2018 um 24 Uhr können Sie ihre Stimme für 1 bis 10 Inszenierungen dieser Liste abzugeben. Die zehn am häufigsten gewählten Produktionen werden gelobt und gepriesen und bilden die Auswahl des virtuellen nachtkritik-Theatertreffens 2018. Das Ergebnis veröffentlichen wir am 26. Januar 2018.

Hier geht es direkt zur Abstimmung

Folgend sind die regional geordneten Vorschläge für das nachtkritik-Theatertreffen 2018 gelistet. Jede/r Korrespondent*in und jede/r Redakteur*in hatte eine Stimme. Nominiert werden konnten Produktionen, deren Premiere im Zeitraum vom 19. Januar 2017 bis 12. Januar 2018 lag. Durch einen Klick auf die einzelnen Kandidaten öffnet sich die jeweilige Begründung der/s Nominierenden sowie, wenn vorhanden, ein Link zur Nachtkritik:

 

Baden-Württemberg

{slider=1. Faust I  von Johann Wolfgang Goethe mit Texten aus FaustIn and out von Elfriede Jelinek
Regie: Stephan Kimmig
Schauspiel Stuttgart, Premiere am 7. Oktober 2017|closed}

Starkes Theater, das Widersprüche aushält: Faust ist ein zappeliger Hipster auf Droge – und Gretchen viel mehr als nur ein Opfer. Und doch geistert in Kimmigs präziser Regie ab und zu ein weiteres Menschenexperiment dazwischen – Texte aus Jelineks "Begleitdrama" über den Kriminalfall Josef Fritzl, der seine Tochter 24 Jahre lang in einem Keller gefangen hielt und mit ihr sieben Kinder zeugte.
Zur Nachtkritik

 

{slider=2. Was hält uns zusammen wie ein Ball die Spieler einer Fußballmannschaft? von René Pollesch
Regie: René Pollesch
Schauspiel Stuttgart, Premiere am 27. Oktober 2017 |closed}

Pollesch-Verächter werden sagen: Immer dasselbe! Wohl wahr. Immer dasselbe – wie bei Marthaler, wie bei Thomas Bernhard, wie im Western. Wer Pollesch mag, spricht von Handschrift oder von Personalstil. Und der ist auch diesmal eigenwillig, ausgeprägt, faszinierend. Zugegeben: die Nennung gilt dem radikal antinaturalistischen Theater, und sie könnte auch einer anderen Pollesch-Inszenierung zufallen. Aber warum nicht dieser? Es muss ja nicht alles aus Berlin kommen.

Zur Nachtkritik

 

 

Bayern

{slider=3. Antigone von Sophokles
Regie: Mizgin Bilmen
E.T.A. Hoffmann Theater Bamberg, Premiere am 12. Mai 2017|closed}

Der Ungeheuerlichkeit Mensch begegnet Mizgin Bilmen mit rauschhaftem Überschwang. Vor den hohen Glasfenstern des Studios thront eine üppige, von Blumen und Äpfeln übersäte Festtafel. Die Figuren stecken in langen Pelzmänteln. Einfache Bilder, die greifen. Sehr körperlich inszeniert Bilmen das Duell von Antigone und Kreon, die sich wie Tiere ineinander verbeißen. Überwältigend das Ende, wenn sich die Rückwand des Studios zum Park hin öffnet, Kreon ins Freie tritt, und die Frischluft die Zuschauer trifft wie eine Erkenntnis.

Zur Nachtkritik

 

{slider=4. Das Erbe von Olga Bach
Regie: Ersan Mondtag
Münchner Kammerspiele, Premiere am 22. Juni 2017 |closed}
Mit einer Aneinanderreihung bizarr-schöner Momente beweist Mondtag zum einen, dass man einer allzu komplex werdenden Welt immer noch mit Witz und Würde entgegentreten kann, ohne in die Verbissenheit einer Avantgarde von gestern zu verfallen. Zum anderen macht er deutlich, dass die Kammerspiele eben doch das wichtigste Theater mindestens in dieser Stadt sind und die Art, wie Matthias Lilienthal Theater denkt, eben doch noch Maßstäbe setzen könnte in der Zukunft. 

Zur Nachtkritik

 

{slider=5. Biedermann und die Brandstifter von Max Frisch
Regie: Christoph Mehler
Staatstheater Nürnberg, Premiere am 10. Juni 2017|closed}

Eine radikal konzentrierte Sprech-Oper mit Chor-Attacken und Solo-Explosionen hat Christoph Mehler aus Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" gemacht – und dem modernen Klassiker die Betroffenheits-Ablagerungen weggerüttelt. Stefan Lorch ist eindringlicher Panik-Protagonist dieser irritationswuchtigen Produktion, die dem Zuschauer nach 80 Minuten in den Alltag nachschleicht.

 

{slider=6. Drei Winter von Tena Štivicic
Regie: Sibylle Broll-Pape
E.T.A. Hoffmann-Theater Bamberg, Premiere am 19. Mai 2017|closed}

Da stimmt alles: Einführung und Darstellung der Personen, die die spannende bewegte Geschichte einer kroatischen Familie im Wandel der Zeiten erzählen, eine unaufgeregte Regie, die die grandiosen Dialoge des Textes messerscharf ausleuchtet, und ein Ensemble zum (häufig behaupter, hier stimmt's) Niederknien. Geschichte wird zerteilt in Geschichten, die den Zuschauer direkt angehen und treffen.

Zur Nachtkritik

 

{slider=7. Hamlet von William Shakespeare
Regie: Christopher Rüping
Münchner Kammerspiele, Premiere am 19. Januar 2017}

Christopher Rüping erzählt "Hamlet" in dunkelroten Erinnerungsflashs des letzten Überlebenden Horatio, abwechselnd und fantastisch gespielt von Katja Bürkle, Nils Kahnwald und Walter Hess. Hamlet wird zum fanatisierten Jugendlichen, der in einer Welt ohne Sinn und ohne Halt im Ego-Shooter-Style seine eigene Moral durchpeitscht – bis der letzte von 240 Litern Kunstblut vergossen ist.

Zur Nachtkritik

 

{slider= 8. Trommeln in der Nacht von Bertolt Brecht
Regie: Christopher Rüping
Münchner Kammerspiele, Premiere am 14. Dezember 2017}

Wenn schon Repräsentationstheater, dann aber richtig: Christopher Rüping bringt Bertolt Brechts "Trommeln in der Nacht" zunächst als engagiertes Re-Enactment der Uraufführung von 1922 auf die Bühne der Kammerspiele. Im Spiel mit den Verfremdungseffekten und dem romantischen Glotzen, das Brecht einst plakativ anprangerte, lässt Rüping die Moderne allmählich einbrechen und denkt die möglichen (Bühnen-)Umstürze ins Phantastische weiter. Das Hier und Jetzt, die Lust am Augenblick wird im Pop zelebriert. Die immer noch frischen Songs dazu impft der formidable Damian Rebgetz dem Geschehen ein und komplettiert so ein Ensemble, das zwischen Ernst und Augenzwinkern die ach so weite Distanz zwischen klassischem und postdramatischem Theater wunderbar überbrückt.

Zur Nachtkritik

 

Berlin

{slider=9. Faust nach Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Frank Castorf
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin, Premiere am 3. März 2017|closed}

Frank Castorf hat das deutscheste aller Dramen zerlegt und dann im Sinne seiner Anklage neu zusammengebaut. Ihm dabei Fremdtexte und -motive wie Botox unter die welken Wangen gespritzt (die davon freilich manchmal zu bersten drohen): von Paul Celan bis Victor Hugo. Heraus kam ein dunkel funkelndes Höllenpanorama mit dem alten weißen Mann Faust im Zentrum: ein Frauen- und Länder verschlingendes kolonialistisches Monster voller Selbstmitleid. Castorf erweist sich darüber hinaus mit diesem Acht-Stunden-Marathon einmal mehr als virtuoser Beherrscher einer komplexen und hochgerüsteten Theatermaschinerie. Auch das macht ihm so schnell keiner nach.

Zur Nachtkritik

 

{slider=10. Lenin von Milo Rau,
Regie: Milo Rau
Schaubühne Berlin, Premiere am 19. Oktober 2017}

Ganz neu ist die Geschichte nicht von der Revolution, die ihre Kinder frisst. "Lenin" ist aber auch ein großes Nachdenken über das Theater, den Film und die Möglichkeiten der Darstellbarkeit. Dieser Abend zerrt und zuppelt am (sozialistischen) Realismus-Begriff herum, probiert aus, verwirft. Pralles Theater voller Verwandlungslust und -kunst, die immer dann geschickt gebrochen wird, wenn sie zu perfekt zu werden droht. Und in ihrer Rohheit viel über unmenschlich prinzipientreue Revolutionäre erzählt, denen die Macht wegbröckelt – und die dennoch auf den nahen Sieg der Weltrevolution warten wie aufs Jüngste Gericht. Ihr Glauben allerdings hat nicht geholfen.

Zur Nachtkritik

 

{slider=11. Nationaltheater Reinickendorf von Vegard Vinge und Ida Müller
Regie: Vegard Vinge / Ida Müller
Berliner Festspiele, Premiere am 1. Juli 2017}

Berühmt geworden in der deutschsprachigen Theaterszene sind Vegard Vinge und Ida Müller 2012 mit ihrem "John Gabriel Borkman" im Prater der Volksbühne, einer Ibsen-Schürfung, die Rahmenbedingungen des Theaterbetriebs und Sehgewohnheiten des Publikums sprengte. In Baumeister Solness’ "Nationaltheater" war die nun bekannte Vingesche / Müllersche Bildwelt atemberaubend ausdifferenziert und mit neuer Wut aufgeladen. Von Hamlet als Gastfigur im Ibsen-Kosmos wurde das Publikum mit Sahnetorten bombardiert, bis es auch nicht mehr wusste, wo der Ausgang ist – bzw. der Ausweg.

Zur Nachtkritik

 

{slider=12. Roma Armee von Yael Ronen und Ensemble
Regie: Yael Ronen
Gorki Theater Berlin, Premiere am 14. September 2017}

Ein schillerndes Selbstporträt der Roma-Community und ein starker, musikalisch getriebener, dokumentarisch gestützter Abend der Selbstermächtigung. "Ich wünsche, wir würden Roma rebranden", sagt eine der Akteur*innen Sandra Selimović einmal an die Adresse des Publikums. "Ich wünsche mir, dass sie uns als Freigeister sehen würden." Der Wunsch geht auf, sie haben es vollbracht.

Zur Nachtkritik

 

{slider=13. Women in Trouble von Susanne Kennedy
Regie: Susanne Kennedy
Voksbühne Berlin, Premiere am 30. November 2017}

Unablässig rotiert die Drehbühne, auf der rätselhafte Nicht-Figuren sterben und gleich darauf wiedergeboren werden. Ästhetisch hochpräzise und konsequent präsentiert Susanne Kennedy ihre Versionen der Zukunft von Mensch und Theater.

Zur Nachtkritik

 

Hamburg

{slider=14. Am Königsweg von Elfriede Jelinek
Regie: Falk Richter
Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere am  29. Oktober 2017|closed}

Die Welt ist eine Shakespeare-Komödie. Mit wahnsinnigem Herrscher, speichelleckendem Hofstaat und intellektuellen Beobachtern, die den Irrsinn des Geschehens nicht nachvollziehen können und sich die Welt entsprechend als Shakespeare-Komödie vorstellen ... Ups! Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek nimmt sich den rechtspopulistischen Komplex von Trump bis Erdogan vor und verzweifelt am eigenen Unvermögen angesichts der galoppierenden Groteske. Und Uraufführungsregisseur Falk Richter macht aus der Vorlage kongenial ein Kinderpoptheater des Grauens.

Zur Nachtkritik

 

{slider=15. Das halbe Leid von Signa
Regie: Signa und Arthur Köstler
Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere am 16. November 2017|closed}

Die vertrauten Signa-Methoden, also der fundamentale Bruch der "vierten Wand" und die (nach dem Modewort) "immersive" Beteiligung von uns allen an dem, was Theater sein kann und möglich macht, gelangt diesmal zu überwältigender Intensität – im Umgang mit- wie im Verstehen für- und Lernen voneinander. Schauspielerinnen und Schauspieler, deren Künste extrem beiläufig und unauffällig sind, uns aber an der Seele packen und in deren tiefsten Abgründen, treiben Signas Phantasie an die Grenzen der Wahrheit und Wirklichkeit. Und darüber hinaus.

Zur Nachtkritik

 

{slider=16. Der Zerbrochne Krug von Heinrich von Kleist
Regie: Michael Thalheimer
Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere am 25. März 2017}

Ein gewaltiges Bühnenbild von Olaf Altmann, eine aufs Wesentliche reduzierte Figurenzeichnung und ein äußerst präziser Umgang mit der Sprache: Die vertraute, bewährte, radikale Thalheimer-Regiesprache funktioniert immer noch. Gerade bei Kleist und vor allem dann, wenn es gelingt dem "Lustspiel" jedwede Lustigkeit unter den Füßen wegzuziehen. Dazu: Schaupieler in Höchstform!

Zur Nachtkritik

 

{slider=17. Die Odyssee nach Homer
Regie: Antú Romero Nunes
Thalia Theater, Premiere am 20. Mai 2017}

Zwei große Jungs kämpfen auf der Bühne verzweifelt verspielt gegen die Leerstellen an, die die verlorenen Gewissheiten der Alten hinterlassen haben. Unter handwerklich perfektem Einsatz von sagenhaft gutem Theaterzauber werden aus trauernden Söhnen unter anderem Vampire, griechische Lustknaben, Ringer – und schließlich Monster, die mit Kettensägen bewaffnet ins Publikum stürmen. Ein ungemein sinnlicher Frontalangriff auf die Übermacht abwesender Überväter, musikalisches Körper- und Raumtheater mit hohem Verführungspotential.

Zur Nachtkritik

 
 

Hessen

{slider=18. Wir werden unter Regen warten von Ihsan Othmann
Regie: Ihsan Othmann
Staatstheater Wiesbaden, Premiere am 13. September 2017 |closed}
Keine große, keine perfekte Inszenierung, aber ein Stück, das berührt und irritiert: Der aus dem Irak stammende Kurde Othmann verleiht darin gestorbenen Flüchtlingen eine Stimme, ohne diese Figuren zu idealisieren. Eine außergewöhnliche Beschäftigung mit dem Thema Flucht.

 

 

Nordrhein-Westfalen

{slider=19. Bilder von uns von Thomas Melle
Regie: Henri Hüster
Wuppertaler Bühnen, Premiere am 13. Oktober 2017|closed}

Melles Stück greift die Missbrauchsfälle am Bonner Aloisiuskolleg auf und geht doch weit über den konkreten Fall hinaus. Was wie ein Krimi beginnt, verwandelt sich in eine komplexe Reflexion über das menschliche Erinnern und die Lügen, die wir uns selbst erzählen. Eben diese existentiellen Fragen übersetzt Henri Hüster zusammen mit der Choreografin Sylvana Seddig in extrem stilisierte Szenen und Bilder, die tief ins Herz treffen und zugleich philosophische Diskurse anstoßen.

 

{slider=20. Die Fremden / Der Kaufmann von Venedig von William Shakespeare
Regie: Stefan Otteni
Theater Münster, Premiere am 4. November 2017}

Eine präzise Engführung von Shakespeares Kaufmann in Venedig mit heutigem Fremdenhass, die zudem klug die Manipulierbarkeit von Opferdiskursen ausleuchtet – und das Publikum in AfD-Geiselhaft nimmt. Ein glänzend aufgelegtes Ensemble, ein energetischer, beeindruckender, toller Abend.

Zur Nachtkritik

 

{slider=21. Istanbul von Selen Kara, Torsten Kindermann und Akin E. Sipal
Regie: Selen Kara, Musikalische Leitung: Torsten Kindermann
Schauspielhaus Bochum, Premiere am 20. Oktober 2017}
Theater der Gemeinsamkeit, witzig, satirisch und berührend. Wie viele Deutsche geht auch der Bochumer Klaus als Gastarbeiter in das Wirtschaftswunderland Türkei. Die Schauspieler singen auf türkisch Lieder von Selen Kara und erzählen von den Problemen des Zusammenlebens. Roland Riebeling als Klaus ist das warme Herz eines wunderschönen Feelgood-Abends, wie er im Theater sonst kaum zu erleben ist.

 

{slider=22. La Révolution #1 von von Joël Pommerat
Regie: Stefan Otteni
Theater Münster, Premiere am 22. April 2017}

Stefan Otteni macht aus Pommerats Textmonster einen beeindruckenden Abend über die Geschichte und vor allem die Mühen der Demokratie. Ganz zurecht zeigte sich das Münsteraner Publikum von dieser vielschichtig wie präzise choreographierten Arbeit restlos begeistert.

Zur Nachtkritik

 

{slider=23. Romeo und Julia von William Shakespeare
Regie: Pınar Karabulut
Schauspiel Köln, Premiere am 14. Oktober 2017}

Die Liebe entdecken, sich selbst entdecken, indem man einen anderen entdeckt – man kann es nicht begreifen, nur vorgefertigte Sprachformeln nachstammeln. Eine spannende Interpretation der berühmtesten Liebesgeschichte, alle Erzähltechniken des gegenwärtigen Theaters rasant gemischt.

Zur Nachtkritik

 

Rheinland-Pfalz

{slider=24. 7 Minuten. Betriebsrat von Stefano Massini
Regie: Carole Lorang
Koproduktion Théâtre des Capucins Luxemburg mit dem Staatstheater Mainz, Premiere in Mainz am 4. November 2017|closed}

"7 Minuten. Betriebsrat" von Stefano Massini fragt, ob Arbeitsethik heute noch eine Rolle spielt – oder ob sie im unerbittlichen Fortschreiten des Postfordismus verlorenging. Es greift viele aktuelle Diskurse um die weitreichende Prekarisierung von Arbeit auf und weiß sie klug an sein Personal zu knüpfen: die elf Mitglieder eines Betriebsrates, deren entscheidende Sitzung Carole Lorang als eindringliches, vielschichtiges, hochmusikalisches Kammerspiel mit durchweg grandiosen Schauspielerinnen inszeniert.

Zur Nachtkritik

 

Sachsen

{slider=25. Homohalal von Ibrahim Amir
Regie: Laura Linnenbaum
Staatsschauspiel Dresden, Premiere am 31. März 2017|closed}

Der syrisch-kurdische Autor nimmt eine fiktive Beerdigung im Kreis einer interkulturellen Familie im Dresden des Jahres 2037 zum Anlass für eine bissig-komödiantische Rückschau auf die Integrationsbemühungen der Gegenwart. Was ist Attitüde, was echte Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen, und wie moralisch sind Scheinehen zu deren Einbürgerung? Kein Kampf der Kulturen, eher ein augenzwinkernder Blick auf Allzumenschliches überall auf dieser Erde, wobei die kaputte Welt keineswegs auf die heile trifft, als die wir uns gern sehen möchten.

Zur Nachtkritik

 

{slider=26. Peer Gynt von Henrik Ibsen
Regie: Philipp Preuss
Schauspiel Leipzig, Premiere am 28. Januar 2017}

7 Peers, tolle Musik und eine phantastische Bühne: Was könnte Ibsens Drama gegenwärtiger verbildlichen als ein wabernder Berg aus Schaum?

Zur Nachtkritik

 

Österreich

{slider=27. Anatol von Arthur Schnitzler
Regie: Susanne Lietzow
Landestheater Linz, Premiere am 1. Dezember 2017|closed}
Schnitzler völlig entkleidet des "raunzerischen" Wiener Tons. Susanne Lietzow fokussiert, indem sie alle Frauenrollen einer Schauspielerin anvertraut. Martina Spitzer als diese All-in-one-Liebelei wirkt verwundbar, aber nicht ohnmächtig gegen den Macho Anatol.

Zur Nachtkritik

 

{slider=28. Der Auftrag: Dantons Tod nach Heiner Müller und Georg Büchner
Regie: Jan-Christoph Gockel
Schauspielhaus Graz, Premiere am 3. März 2017|closed}
"Southern trees bear a strange fruit" und sie fahren mit dem Jeep über die Bühne. Stattdessen ist die Rede vom Auftrag im Aufzug, plötzlich Peru oder Jamaika oder selbstreferenzielle Bühnen-Proben-Situation. Bild und Text, da steht ein Käfig, ein Verrat, überüber Assoziation, ein Puppenspiel im Spiel im Spiel, spielt "Dantons Tod", was ist mit den Marionetten-Fäden?, was ist mit der Revolution?, "blood on the leaves and blood at the root".

Zur Nachtkritik

 

{slider=29. Die Orestie von Aischylos
Regie: Antú Romero Nunes
Burgtheater Wien, 18. März 2017|closed}

Ein gänzlich uneitles (Frauen-)Ensemblestück, das mit präziser Chorarbeit, poppigem Zombietrash und dramaturgisch dichtem Nachdenken über Rechtsstaat und Demokratie beeindruckt. Hochaktuell, ohne sich an die neueste Schlagzeile anzubiedern.

Zur Nachtkritik

 

{slider=30. Die Welt im Rücken von Thomas Melle
Regie: Jan Bosse
Akademietheater Wien, Premiere am 11. März 2017|closed}

Ganz Wien ist verliebt in Joachim Meyerhoff. Seit seiner Verkörperung von Thomas Melles tragischem Seelenstolperer (drei Stunden Ping-Pong, einer gegen alle) ist es die ganze Welt.

Zur Nachtkritik

 

{slider=31. Die zehn Gebote nach den Filmen von Krzysztof Kieślowski
Regie: Stephan Kimmig
Volkstheater Wien, Premiere am 15.Dezember 2017}

Die zwischen Moral, Konventionen, den eigenen Sehnsüchten und Ängsten zerrissenen Figuren aus Kieślowskis Filmen stattet Kimmig mit eindriglicher Körperlichkeit aus, sie dürfen ihre inneren Kämpfe in Bewegungen, Tanzschritten ausagieren – ein kluger Zugriff: aus einem theoretischen Zweifel wird so (auch dank des starken Ensembles!) berührende Verzweiflung.

Zur Nachtkritik

 

{slider=32. Die Zukunft reicht uns nicht (Klagt, Kinder, klagt!) von Thomas Köck
Regie: Thomas Köck und Elsa-Sophie Jach
Schauspielhaus Wien, Premiere am 9. November 2017}

Das Stück von Thomas Köck wirkt, als hätte jemand eine dieser genialen Jelinek-Textflächen wohlig entzerrt. In einem Bühnenbild in erhaben schönem Antikenweiß entfaltet er sich am Schauspielhaus so klug wie luzide und hinterlässt doch noch das eine oder andere Geheimnis. Über das Erben von Geld und Umwelt und Schulden und Zukunft sprechen Sophia Löffler als mütterliche Kassandra, die auch ein bisschen Ivanka Trump ist, und ein Chor aus Menschen, die wahrscheinlich nicht alle so jung sind, wie sie aussehen, aber mit festen Stimmen und fester Entschlossenheit den ganzen Konflikt der Erbenden und zu Beerbenden verkörpern. Köck überlässt seine Texte oft anderen Regisseuren, diesen hat er zusammen mit Elsa-Sophie Jach selbst in Szene gesetzt – eine hervorragende Idee.

Zur Nachtkritik

 

{slider=33. Superheldinnen von Barbi Markovic
Regie: Bérénice Hebenstreit
Volkstheater Wien, Premiere am 4. Februar 2017}

Es ist großes Kino, wie Berenice Hebenstreit den Roman von Barbi Markovic in Szene gesetzt hat: Diese Migrantinnen aus dem Osten wollen in die Mittelschicht aufsteigen, bevor diese absteigt. Sie zeigen nicht nur ihrem eigenen Schicksal den Stinkefinger – bei Sondierungstreffen wählen sie auch andere vom Glück Vergessene, um diese mit Magie auf den Weg zu bringen..

 

 

 

Schweiz

{slider=34. Leonce und Lena von Georg Büchner
Regie: Thom Luz
Theater Basel, Premiere am 26. Oktober 2017|closed}

Büchners Zeitgenossen sprachen vom "zarten Elfenmährchenton" und dem "bühnenwidrigen Mondscheinflimmern" in "Leonce und Lena"- bei Thom Luz ereignet es sich. Ein etwas verwahrloster leerer Saal, früher vielleicht ein prächtiger Ballsaal, die Lüster sind noch zu erahnen, oder auch ein Tollhaus, jedenfalls der Welt abhanden gekommen. Ein Raum, in dem die Melancholie haust und die Ironie Platz hat. Darin gibt Luz Büchners androiden Automaten Gestalt, seiner politischen Satire, seinem Dunkel, den Verspiegelungen – namentlich diesen, vor allem auch musikalisch. Und bricht es wieder mit einer kleinen neckischen Geste, wenn Leonce zum Schluss regelrecht wegfliegt; wenn eine Schuhputzmaschine Geige spielt: Es ist das pure Theaterglück!

Zur Nachtkritik

 

{slider=35. Unterwerfung von Michel Houellebecq
Regie: Katrin Hentschel
Theater Neumarkt Zürich, Premiere am 24. September 2017|closed}

Regisseurin Katrin Hentschel nutzt die Enge eines Circus maximus, der ins Theater Neumarkt gebaut wurde, für Konzentration in jeder Hinsicht: In gut 100 Minuten zeigen mit Marie Bonnet und Martin Butzke zwei hervorragende Schauspieler und ein verschiebbarer Würfel aus Neonröhren auf ansonsten leerer Bühne die schleichende Verwandlung der laizistischen Gesellschaft in ­einen islamischen Vorzeigestaat. Hier platzt keine Bombe; vielmehr entweicht permanent ein Gas. Bevor die Gesellschaft merkt, wie tödlich es ist, haben alle längst zu viel davon eingeatmet.

 

{slider=36. Vor Sonnenaufgang von Ewald Palmetshofer nach Gerhart Hauptmann
Regie: Nora Schlocker
Theater Basel, Premiere am 24. November 2017}

Auch wenn bis über die Hälfte des Stückes sehr viel gelacht wird, ist es Palmetshofer mit seiner Familienhölle absolut ernst, in der er die Menschen in der mittelständischen Familie buchstäblich bis auf die Unterhosen als Gefühlssimulanten, Reaktionspuppen und Bedürftigkeitsmonstren auszieht. Aber anders als die Soap und ihre Figuren will er nicht demütigen, sondern aufweisen. Ein Schauspielfest, das einen über weite Strecken in Hochspannung versetzt: sorgfältig erarbeitet, diszipliniert, klar akzentuiert und virtuos. Das Publikum jubelte, spendete donnernden Applaus.

Zur Nachtkritik 

 

{slider=37. Woyzeck von Georg Büchner
Regie: Ulrich Rasche
Theater Basel, Premiere am 15. September 2017}

Mit seinem Gesamtkunstwerk auf der heb-und senkbaren Drehbühne zeigt Ulrich Rasche den Menschen Woyzeck – er ist Täter, nicht Opfer. In dieser Welt zerfallen die Werte wie die Würde der Figuren, die in die Leere taumeln. Büchners schroffe Sprachlandschaft, die das Bühnenfragment prägt, übersetzen die Spieler in starke Gefühle ebenso wie in kluge Studien der Macht.

Zur Nachtkritik

 

 

Internationale Koproduktionen

{slider=38. Kleine Seelen nach Louis Couperus
Regie: Ivo van Hoove
Produktion der Toneelgroep Amsterdam, Premiere auf der Ruhrtriennale am 24. September 2017|closed}.

Eine der bleibenden Entdeckungen der Ruhrtriennale 2015 bis 2017 sind die Romane des vielgereisten niederländischen Dandys Louis Couperus (1863 bis 1923), inszeniert von Ivo van Hove und seiner Toneelgroep Amsterdam. "Kleine Seelen" (1901/1903) – ein Familien-Porträt, angesiedelt in einer Villa am Rand von Den Haag – zieht in hauchfeiner Kontur die bürgerliche Verfallslinie. Wehmütiger Fatalismus, unerlöste Wünsche und all die anderen Lebensmuster werden ungemein präzise und in vollendeter Klarheit in einem Treibhaus der Pflanzen und stillen Wasser ergründet.

 

Zur Abstimmung.