Fairness ist keine Kunst

von Michael Wolf

9. Januar 2018. Wenn Sie diesen Text lesen, kennen Sie Theater wahrscheinlich aus dem Parkett. Sie sind ein Zuschauer, kein Theatermacher. Die interessierten sich nämlich nicht besonders für Theater, sofern es nicht ihr eigenes ist. Unter erfolgreichen Regisseuren etwa gilt es als schick, die Inszenierungen ihrer Kollegen zu ignorieren. Wenn Theaterschaffende sich doch mal zusammentun, um grundsätzlich zu sprechen oder Forderungen zu formulieren, dann geht es ihnen nicht um das Theater, das Sie kennen: Die Kunst, also das auf der Bühne. Es geht ihnen um den Betrieb. So auch, als der Deutsche Bühnenverein die Schriftstellerin Sibylle Berg einlud, um sich von ihr die Leviten lesen zu lassen.

Frau Bergs Rede lässt sich auf zwei Aussagen herunterbrechen. Zunächst: Politisches Theater hat keine Auswirkungen auf die Gesellschaft (und ist meistens nicht besonders gut). Diese erste These halte ich für eine Binse. Interessant und bezeichnend finde ich, was Frau Berg daraus ableitet: Wenn wir daran etwas ändern wollen, sollten wir erst mal Leitungsstrukturen und Arbeitsbedingungen an Theatern verbessern.

Die Kausalkette ist so unbewiesen wie abgedroschen: Erst wenn fair produziert wird, gibt es gute Kunst. Und erst wenn gute Kunst da ist, kann Theater die Gesellschaft verändern. Ich glaube im Gegenteil, dass gerade die Selbstbezüglichkeit des Betriebs einen großen Anteil daran hat, dass Theater nicht politisch wirksam und oft schlecht ist. Und dass diese Argumentation nur ein Trick ist, das Publikum auf die eigene Seite zu ziehen.

kolumne wolfNehmen wir als Beispiel die Aktion Pro Quote, die fordert, dass die Hälfte künstlerischer Leitungspositionen mit Frauen besetzt werden sollen. Auf die Frage, ob es denn auch eine typisch weibliche Ästhetik gebe, antwortete die Aktivistin Angelika Zacek: "Ich glaube, dass Frauen schon einen anderen Zugriff haben. Es gibt Unterschiede, und das ist auch in Ordnung. Man könnte sich gegenseitig und das Publikum bereichern." Frau Zacek, gehen Sie mal ins Foyer eines beliebigen Stadttheaters und fragen Sie herum, ob der eben gesehene Abend von einem Mann oder einer Frau inszeniert wurde. Ich setze ein Parkett-Abo darauf, dass die Mehrheit keine Ahnung hat. Und ich lege noch ein Sitzkissen drauf, dass es den Leuten total egal ist. Wem es wichtig ist, dass ein Abend von einer Frau inszeniert wurde, fragt auch nach, ob die Zutaten Bio sind, um entscheiden zu können, ob das Essen schmeckt.

Ich selbst bin natürlich trotzdem für die Frauenquote. Ich glaube, dass ich als Zuschauer davon profitieren könnte, wenn männliche Dilettanten nicht mehr talentierten Frauen vorgezogen würden. Ein netter Nebeneffekt, um den es den Aktivistinnen aber sicher nicht geht. Kunst ist nur die Branche, in der sie nun mal arbeiten. Niemand würde sich die Mühe machen, einen Verein zu gründen für das Ziel gelungener Inszenierungen. Qualität bleibt Partikularinteresse der einzelnen Produktionen. Theater soll nicht besser werden im Sinne von zeitgemäßer oder schöner. Es soll besser werden im sozialen und moralischen Sinne. Dagegen habe ich nichts. Die Revolutionäre gegen das böse System mögen aber bitte nicht so tun, als ginge es ihnen um das Publikum oder die Kunst.

Theater mit Vorbildfunktion? Wie rührend

Sobald irgendwo ein Kollektiv ein Theater übernimmt, sind alle ganz aus dem Häuschen. Dabei ist die Geschichte bislang Beweise schuldig geblieben, dass Fairness und flache Hierarchien zu großer Kunst führen. Sonst hießen die Theaterhauptstädte nicht Berlin, Wien und München, sondern Jena oder Oberhausen. Der neue Intendant dort, Florian Fiedler, erntete im letzten Herbst viel Beifall, als er ankündigte, auf einen Teil seines Gehalts zu verzichten, um damit die Gagen seines Ensembles aufzubessern.  Ich habe die Kritiken zu seinem holprigen Intendanzstart gelesen und vermute, dass der Durchschnittszuschauer vor Ort sich mehr über kluges, zeitgenössisches Theater freuen würden, als über Herrn Fiedlers Bescheidenheit.

Theater sollten gesellschaftliche Vorreiter sein, heißt es oft. In ihnen dürften nicht solche Verhältnisse herrschen, die sie auf der Bühne kritisieren. Es rührt mich immer, wenn Theaterschaffende glauben, sie hätten eine Vorbildfunktion. Man möchte sie sanft anstupsen und dran erinnern, dass wir das Jahr 2018 schreiben. Die Lebensumstände des Publikums haben kaum etwas mit dem von Stadttheaterangehörigen zu schaffen, ganz abgesehen von verstaubten Stoffen und Spielweisen auf deren Bühnen. Das Theater als Kunst müsste sich dem Zeitgeist stellen, eine große, öffentliche Diskussion führen, wie sie spielen wollen in einer hochtechnisierten Mediengesellschaft, die sich immer schneller verändert. Und nein: Gerechtigkeit ist keine ästhetische Kategorie.

Was wichtiger wäre als eine Betriebsreform? Zeitgemäße Kunst

Die größte Gefahr besteht nicht darin, dass die meisten Intendanten alt, weiß und männlich sind. Sie liegt darin, dass die Theater als Betriebe durch die ständige Beschäftigung mit sich selbst vergessen, dass auch die Kunst Theater dringend reformiert gehört. Aber diese Art der Veränderung scheuen selbst die Unzufriedenen. Sobald gewohnte Produktionsweisen und Genrekonventionen in Frage gestellt werden, verteidigt man das eben noch so fiese System. Da rücken sie dicht zusammen, schauen tief in die Quelle, aus der ihre Subventionen sprudeln, und summen die alte Weise von der Diätwurst "Ich will so bleiben wie ich bin."

Die Nabelschau führt zu teils absurden Allianzen. Etwa, wenn Frank Castorf als Märtyrer im Kampf gegen den Neoliberalismus in Stellung gebracht wird. Also derselbe Intendant, der seinen darmkranken Schauspieler Marc Hosemann in Windeln auf die Bühne schickte. Apropos Castorf: Es sollte nicht entgangen sein, dass die Avantgarde meist in Settings experimentiert, in denen Betriebsräte und Tugendwächter an Panikattacken litten.

Denken Sie an Vinge/Müller, SIGNA, das ZPS, Susanne Kennedy. Die diskutabelsten und radikalsten Arbeiten dieser Tage finden sich ganz am Rande dessen, was Theater ist und wie es im herkömmlichen Sinne produziert. Das sollte all jenen zu denken geben, die nur Forderungen stellen, wenn es um ihre eigenen Pfründe geht. Schmeißt gerne alle blöden Intendanten raus, erhöht eure Gagen, macht es euch nett. Aber fangt danach bitte an, über ein Theater der Zukunft zu spinnen. Seid wieder mehr Künstler als Angestellte. Sonst wird das Theater eines Tages eine nette kleine Instutition am Randes des Kulturbetriebs. Mit Kollektivleitung, Gender-Quoten, diversen Ensembles, Kinderbetreuung, Beamtenstatus ab Erstengagement – nur leider ist das Spiel so last season, dass sich auch das Publikum nicht mehr interessiert.

 

Michael Wolf, Jahrgang 1988, ist Redakteur bei nachtkritik.de. Er mag Theater am liebsten, wenn es schön ist. Es muss nicht auch noch wahr und gut sein.

 

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Kommentare  
Kolumne Wolf: Avantgarde?
Mal ehrlich, Michael Wolf wollte eine Kolumne schreiben, um endlich einmal Vinge/Müller, Signa, ZPS und Susanne Kennedy, ohne rot zu werden, in einem Atemzug zu nennen. Als Mutprobe. Oder um die Integrität von nachtkritik auszureizen. Susanne Kennedy ist doch eben ausgerechnet nicht radikales Theater, sondern eine weichgespülte Kopie von Vinge/Müller. Also das Gegenteil von Avantgarde.
Kolumne Wolf: Lob
... schöner text
Kolumne Wolf: journalistisch originell
Ich lese ja den kolumnenden Herrn Wolf wirklich richtig gern, denn er macht um seine meist geradeheraus gedachte Logik nicht viel Aufhebens und krampft sich nicht ab, literarisch originell sein zu wollen, sondern bemüht sich zumeist erfolgreich journalistisch originiell zu formulieren (er verzichtet damit bisher altruistisch auf literarischen Journalistenerfolg, der literarischem Literatenerfolg in Literaturagenturen, Verlagen und Jurys heutzutage oft im Wege steht, wenn man mich fragt) und passt irgendwie auf, dass sein Understatement nicht zu erwachsen rüberkommt. Das ist für die nächsten 5 Jahre ein sehr erfolgversprechender Kritiker-Stil und erst dann muss er sich vielleicht langsam was überlegen, um seinen Stil mit seinem Alter mitwachsen zu lassen.
Bis dahin aber werde ich ihn als junge Stimme der Kritik, die sich elegant zwischen Understatement und Ernsthaftigkeit mit einer angenehmen Leichtigkeit bewegt, genießen!

Nur seiner Empfehlung, dass Theater sich dem Zeitgeist dergestalt stellen müssten, dass sie eine große, öffentliche Diskussion führen sollten über die Art, wie sie in einer sich immer schneller verändernden Mediengesellschaft spielen wollten bitte ich d r i n g e n d, nicht zu folgen! - Sie, die Theatermacher, mögen bitte darüber eingehend in ihren mehr oder weniger schönengutenwahren Räumen brüten und sich darüber intern fetzen und ansonsten bitte einfach spürbar ein entsprechendes Spielen MACHEN.
Der öffentlichen Diskussion über das GEMACHTE Spiel, dürfen sich dann gern die Fachkräfte wie Herr Wolf und seine KollegInnen und die Damen und Herren in den Hochschulen und die nicht mehr in Unten oder Oben unterscheidbaren Jeansträger z.B. annehmen.
Das öffentliche GEQUATSCHE von/in Theatern über ein Theater wie es zukünftig sein könntesolltemüsstedürfte, ist GRAUENHAFT, abtörnend, unsexy und vor allem: vollkommen überflüssig.
Kolumne Wolf: Radikalität
radikalität ist keine kunst
Kolumne Wolf: Glaubwürdigkeit
Natürlich stimmt die Aussage nicht "Erst wenn fair produziert wird, gibt es gute Kunst.", soweit kann ich folgen. Es gibt ja auch gute Socken, die von Kinder in Bangladesh produziert werden.

Die Frage ist meiner Meinung nach aber, wie glaubwürdig Kunst ist, die unfair produziert ist. Und das sollte das Publikum schon interessieren.
Kolumne Wolf: Kursänderungen
Eine Reform des Theaterbetriebs wirkt selbstverständlich an der Möglichkeit der Innovation auf der Bühne mit. In den entstandenen Strukturen hat sich eine Geschichte abgelagert, aber auch eine Vielzahl von tieferen Überzeugungen: Wie läuft Theater, was ist Theater, wie arbeitet man zusammen usw. usf. So etwas kann dahinter stehen, wenn man sagt, ich bin hier der Intendant oder du bist hier die Intendantin. Dieses strukturell verankerte Wissen ist kein optimaler Nährboden für eine lernende Umgebung, mitunter kann es erneuerungsfeindlich sein. Daher halte ich eine Reform für notwendig, um - wie gewünscht - auch auf der Bühne etwas voran zu bringen. Es sei auch erwähnt, dass hier alle Mitarbeiter*innen gemeint sind, da zu oft auf die Künstler*innen verkürzt wird.
Punkt 2 wäre das Bild der "guten Socken" aus fairen Arbeitsbedingungen. Bitte glauben Sie nicht an einfache Ursache-Wirkungsprinzipien. Vielleicht stehen die wirtschaftlichen Bedingungen der Verwirklichung der Potentiale und persönlichen Visionen dieser Kinder im Wege, wenn Sie so wollen wie den "talentierten Frauen". Es ist daher nur ein Anstoß, der weitreichendere Folgen hat.
Um beide Anmerkungen zusammenzuführen, müssen wir uns davon verabschieden für komplexe Probleme Lösungen zu fordern, die schon morgen Ergebnisse zeigen. Also um das Beispiel der Bescheidenheit in Oberhausen zu bemühen, man soll bitte abwarten, was zeitlich und womöglich auch räumlich versetzt dadurch in Gang gesetzt wird.
Kolumne Wolf: Status kompliziert
Soweit ich das mathematisch kenne, lassen sich komplexe Probleme nur ein komplexes Ergebnispaket lösen oder gar nicht. Jedenfalls nicht eher, ehe nicht ein komplexes Ergebnispaket als ProblemlösungsPAKET dem komplexen Problempaket gegenübersteht, das es dann substituiert. Hier eine Strategie der ewig kleinen Schritte zu fordern, heißt die Problemlösung eines komplexen Problems gar nicht angehen wollen.
Deshalb ist es ratsamer zu sagen, es handelt sich um eine Fülle zusammenhängender komplizierter Probleme, die kann man nacheinander lösen.
Ein Kunstwerk ist komplex und ein Kunstbetrieb ist lediglich kompliziert.
Komplizierte Probleme hat das Publikum selbst genug zu lösen und löst die auch, warum soll es sich also für die Lösung komplizierter Probleme interessieren?
Komplexe Probleme, die ihm unlösbar scheinen, wie zum Beispiel sein Leben als Ganzes, hat das Publikum auch genug, deshalb interessiert es sich für Kunst wenn die nicht lediglich kompliziert, also eigentlich keine Kunst ist, sondern nur dann, wenn sie komplex, also wirklich Kunst, ist.
Kolumne Wolf: Ursache-Wirkung
@Stefan Prochnow: Ursache-Wirkungs-Prinzipien in seine Überlegungen, Analysen und Lösungstrategien einfließen zu lassen, ist keine Frage des Glaubens, weil das naturwwissenschaftlich erwiesen ist, dass es ein Ursache-Wirkungs-Prinzig in a l l e n Bereichen des Lebens gibt.
Kritisch wird es erst, wenn jemand daran glaubt, dass prinzipiell a u s s c h l i e ß l i c h Ursache-Wirkungs-Prinzipien zur Entscheidungsfindung in gleich welcher Angelegenheit von uns befragt werden sollten. In aller Regel kommt man aber mit der Befragung für eine Entscheidungsfindung schon sehr weit...
Kolumne Wolf: Lustkiller
Lieber Herr Wolf,
ich gebe Ihnen ja gerne recht, dass faire Bedingungen noch keine gute Kunst garantieren. Kunst sollte definitiv mit Lust und Wagemut produziert werden. Und nicht mit guten Absichten. Aber vielleicht sind die vielen diskriminatorischen Erfahrungen und die beschissene Selbstherrlichkeit einer quasi feudalen und damit wohl gestrigen Führungsidee in den Theatern einfach auch riesige Lustkiller, die dass von ihnen bejammerte same old, same old in der Produktion wesentlich mitbedingen. Wenn der Betrieb in seiner Struktur Duckmäuser, Depressive und Asoziale herausmodelliert - wie ich es zuhauf erlebt habe, dann kommt da wohl zumeist nichts Radikales, Avantgardistisches, Kritikertaugliches bei raus, sondern im Wesentlichen mutloser Dienst nach Vorschrift aus der Elendsabwehrdynamik. Und da kommen wir zu einem Punkt, der wirklich nur als elitäre Kritikerkackscheiße zu beschreiben ist: nämlich ihr allumfassender Anspruch an supidupigeile Avantgardekunst. Das ist doch völliger Blödsinn zu erwarten, dass jede Produktion immer den NK-Preis gewinnen muß. Es gibt einen Alltag in der Arbeit - gerade in der Fläche der Theater (auch wenn Ihr Interesse verständlicherweise vor allem der Spitze gilt) und da wären so einige arbeitsrechtliche auch quotierte Fortschritte ein guter Weg aus der Betriebsdepression hin zur lustvollen Arbeit, die dann wohlmöglich auch noch gut wird vor dem Auge der Kunstrichter von Publikationsgnaden.
Beste Grüße aus den langweiligen Mühen der Ebene.
Kolumne Wolf: sehr vorgestern
Was bitte ist originell oder auch nur im ansatz zukunftsweisend an diesem neoliberalen gewäsch von herrn wolf? Ich finde es wirklich extrem ärgerlich, wie in den artikeln von herrn wolf, ohne sinn und verstand, alle möglichen aktuellen debatten, von quote bis castorf, und darüber hinaus, verramscht werden für die ewig gleiche und sehr alte argumentation, dass ja alles "mit" genauso wenig bewiesen wäre, wie "ohne". Das ist einfach nur „aua. und entspricht mehr dem sz streiflicht und ähnlichen wahnsinnig lustigen glossen, hat aber mit einer profunden auseinandersetzung, wie ich sie von nk erwarten würde, nichts zu tun. Insofern wäre kein beitrag besser also so einer, der allem mißtraut, es sei denn es währet schon ewiglich.
Kolumne Wolf: Keine Sorgen
Vielen Dank für Ihre Bemühungen Herr Wolf,
aber als langjährige Abonnenten des Theater Oberhausen können wir Ihnen versichern, dass sowohl meine Frau als auch ich sehr froh sind, über den Wechsel der sich hier ereignet. Wir erleben sehr spannendes und vielfältiges Theater. Nach fast jeder Vorstellungen werden Gespräche angeboten, die wir als sehr anregend empfinden. Ausserdem ist insgesamt ein frischer, aufgeschlossener Geist zu verspüren, der uns immer wieder neu für dieses Theater begeistert. Ob das nun trotz oder wegen der Versuche der Theaterleute ist, gerechter zu bezahlen usw. vermögen wir nicht zu beurteilen. Wir freuen uns einfach über diese hochmotivierte Truppe.
Kolumne Wolf: Aufruf der Deneuve
Michael Wolf kann ja gerne verwetten was er will. Aber wenn eh allen alles egal ist, warum schreibt er dann überhaupt darüber? Aber es ist wie mit dem Aufruf der Deneuve. Hauptsache, ich habe mal was zum Thema gesagt, auch wenn es meilenweit am Thema vorbeischießt.
Kolumne Wolf: Anspruch!
Klar,
ich schreibe einen Text auf nachtkritik und behaupte, den lesen nur Zuschauer... wenn es irgendeine Plattform gibt, wo nur die Branche liest, dann haben Sie ihn ganz zufällig gerade gefunden...

Trotzdem haben Sie Recht, aber nicht ausschließlich... Kunst und Verbeamtung werden nicht funktionieren! Radikalität und Avantgarde entstehen nicht durch faire Bezahlung und probenfreie Samstage. Aber das Gegenteil davon führt auch nicht automatisch zu großer Kunst. Weil nichts zwingend zu großer Kunst führt. Sonst wäre sie nicht mehr groß und einzigartig, sondern alltäglich und von der Stange.
Ich glaube das größte Problem ist, dass die Theater sosehr gezwungen werden einem ökonomischen Ideal zu entsprechen, dass sie schlicht nicht mehr in der Lage sind, frei zu denken, frei auszuprobieren... und da liegt das große Dilemma.
Castorf, ob er in Zürich, München oder in Wien inszeniert, ist letztlich nicht ohne Berlin zu denken. Nach der ersten Pause in einem Castorf-Stück in München (bei den Premieren und Dernièren ist es anders...) sind von 600 Leuten, die es überhaupt sehen wollte, nurmehr 120 da – glauben Sie mir, ich habe einige davon gesehen (bis zum Schluss, übrigens). Will sagen: Theater ist nicht ohne seine Umgebung denkbar. In Berlin konnte Castorf zu Castorf werden,oder es sein, weil er die Freiheit hatte und das Publikum, das seine Experimentierfreude mitgegangen ist. Ähnliches versuchte Hartmann in Leipzig, aber Leipzig blieb zu Hause und Hartmann musste schließlich gehen...
Ich glaube schon, dass Theater Debatten anstoßen können und auch sollte und so bereichert werden können. Das Gorki-Theater hat mit seiner Ausrichtung ein ganz neues Publikum gewonnen und eine Debatte losgetreten, die bis in die kleinsten Stadttheater vernehmbar geworden ist. Möglicherweise waren die Spieler unter Petras stärker, dafür setzt das Gorki Schwerpunkte mit Abenden, die ganz andere Herangehensweisen wollen, sich mehr mit der Biographie des einzelnen Spielers auseinandersetzten, und auf etwas Anderes und Neues setzten. Das mag nicht jedem gefallen und die vergraulen, die Schauspielertheater sehen wollen und kein performatives. Aber Avantgarde ist es trotzdem. Neu und radikal.Und: es findet sein Publikum und ich glaube, das ist das eigentlich entscheidende, was Theatererfolg generiert oder verhindert.

Ich finde zwar nicht Theater sollte noch elitärer werden, in dem Sinne, dass es das, was Zuschauer sehen wollen, komplett vernachlässigt, denn die meisten, die ins Theater kommen, schreiben und lesen eben keine Texte auf nachtkritik und wollen zumeist schlicht eine Geschichte erzählt bekommen. Diesen Anknüpfungspunkt und letztlich diesen Grund seiner Existenz darf Theater nicht verlieren!
Aber es muss sich in Zukunft stärker leisten dürfen, wieder vermehrt auf den künstlerischen Anspruch zu gucken und nicht zu sehr auf die Frage, ob da noch jemand kommt. Denn das ist für mich der eigentliche Grund, dass die Theaterhauptstädte Berlin und München heißen und nicht Jena und Oberhausen, weil sich in diesen großen Städten immer ein Publikum findet, dass bereit ist mehr oder weniger gelungene Experimente zu schauen und es sich auch leisten kann. Das im Falle von Jena und Oberhausen auf die Sinnlosigkeit von Intendanzteams zu reduzieren ist – verzeihen Sie– flachste Polemik.
Ich glaube die große Gefahr die bei den – wie ich finde – sinnvollen Debatten besteht, ist, dass diese und ihre Errungenschaften zu Marketing-Gags verkommen. Wenn es nurmehr darum geht damit zu werben, das eine Theater zu sein, in dem besonders viele Frauen, besonders viele Ausländer, besonders homosexuelle Regisseure arbeiten...
Aber die Debatten sind wichtig, damit die interessantesten Künstler überhaupt die Chance bekommen, zu zeigen, was sie können und die Gelegenheit eine maximal aufregende Kunst zu machen und nicht chancenlos bleiben, weil sie Frauen sind, Ausländer oder besonders homosexuell.

Im Übrigen haben Sie gerade wiederum ein dieser von Ihnen verhassten Debatten angestossen, die Sie nicht wollen... kleiner Tipp: dann tun Sie das doch zukünftig nicht mehr auf nachtkritik.

Vielen Dank für Ihren anregenden Text! Und die wichtigen Impulse!
K.G.
Kolumne Wolf: Schmutzige Hände
"Ich selbst bin natürlich trotzdem für die Frauenquote. Ich glaube, dass ich als Zuschauer davon profitieren könnte, wenn männliche Dilettanten nicht mehr talentierten Frauen vorgezogen würden."

--- Danke ---

Beim Rest: Ein bisschen polemisch und ein bisschen am Ziel vorbei.

Aber es gibt ne Menge zu tun, sicher!
Wer hat Lust sich die Hände schmutzig zu machen?
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