Durchhalten, aushalten, Maul halten

von Hartmut Krug

Wilhelmshaven, 13. Januar 2018. Noch haben sie ein ruhiges Leben, die Bauern am Jadebusen. Mit einem gelassenem "Moin" geht’s an die Arbeit im Schlick. Aus der Ferne klingen die Marseillaise und allerlei politische Nachrichten, wie die von einer Nationalversammlung in Frankfurt. Für den Jadebusen erst einmal viel wichtiger ist, dass der König von Preußen und der Großherzog von Oldenburg 1853 einen Vertrag abgeschlossen haben über einen Stützpunkt für die Entwicklung der preußischen Kriegs-Marine. Preußen wird auf eigene Kosten einen Kriegshafen bauen und zahlt Oldenburg für ein Gebiet von etwa 160 ha 500 000 Reichstaler, jetzt gibt es viel Arbeit, für alle: die Seeleute, die bürgerlichen Offiziere und die Industriearbeiter. Zwar muss man gegen die Anapholes Mücke und die Malaria kämpfen, doch 1869 ist der Kriegshafen fertig und Preußens jüngste Stadt wird auf den Namen Wilhelmshaven getauft. Was noch fehlt, ist eine starke Flotte für den Platz an der Sonne.

Feuer aus den Kesseln 560a XXX uKohle und ein Schiff aus Tischen, Im Bühnenbild von Thomas Rump: Simon Ahlborn 
© Volker Beinhorn / Landesbühne Niedersachsen Nord

Michael Uhl und seinen sechs Darstellern gelingt es wunderbar, ihr Spiel mit historischen Fakten zu unterfüttern, ohne dass dies allzu didaktisch wirkt, wozu Stephan Huck, der Leiter des Deutschen Marinemuseums, seine Kenntnisse beisteuerte. Eine Fülle von Zitaten bestimmt das Spiel, ohne dass dies aufgesetzt wirkt. Biographien und Karrieren von Seeleuten, die als Heizer tätig sind, werden vorgetragen und bestimmen das Konfliktspiel zwischen den einfachen Seeleuten und ihren Offizieren.

Konflikt und Willkür

Durchhalten, aushalten und Maul halten sind lange die Verhaltensweisen der Seeleute. Doch immer stärker wird der Konflikt mit den ihre Untergebenen drangsalierenden Offizieren. Sie bekommen, anders als ihre Soldaten, gutes Essen und Getränke, was zu Protesten und Demonstrationen führt. Die Prozesse gegen einzelne Seeleute sind von erschreckender Willkür, was hier eine zurückhaltend nüchterne Inszenierungsform besonders hervortreten lässt.

Feuer aus den Kesseln 560 XXX uMeuterei: Julius Ohlemann, Sven Heiß, Philipp Buder, Ben Knop 
© Volker Beinhorn / Landesbühne Niedersachsen Nord

Die tolle Bühne von Thomas Rump gibt der Inszenierung besondere ästhetische Kraft. Sie wird bestimmt von einer Konstruktion aus hölzernen Tischen, deren Platten stählern wirken und während der Aufführung immer mehr in die Höhe gebaut werden. In der Mitte dieser sich nach vorn öffnenden Konstruktion, die natürlich auch Schiffswand sein kann, wird Kohle gebunkert, die Befeuerung der Öfen vorgenommen.

Gedenken an eine Revolution

Michael Uhl verzahnt die Auseinandersetzungen zwischen den zunehmend selbstbewussten Heizern und ihren Offizieren mit der Schilderung der politischen Entwicklung in Deutschland. Für die Erzählung der Kriegsjahre 1916 und 1917 bedient er sich der originalen Texte aus dem Drama "Feuer aus den Kesseln", das Ernst Toller 1930 auf der Grundlage von Tagebüchern eines der Anführer der Meuterei auf den kaiserlichen Kriegsschiffen schrieb. 100 Jahre ist es nunmehr her ist, dass die Matrosen der deutschen Hochseeflotte den sinnlosen Befehl verweigerten, die britische Kriegsflotte anzugreifen, womit, gleichsam aus Versehen, die Revolution von 1918/19 begann. In Wilhelmshaven gibt das den Anlass für Michael Uhls Theaterunternehmung, für die, so wechseln die Zeiten, das Deutsche Marinemuseum die Schirmherrschaft übernommen hat.

Die Inszenierung liefert eine Fülle von Schilderungen sowie von politischen und gesellschaftlichen Erklärungen der Geschehnisse bis zur Novemberrevolution 1918. Immer versucht sie dabei, Erklärungen im Spiel zu liefern. Insgesamt ist Michael Uhl mit seinem engagierten und konzentrierten Ensemble eine überzeugende Inszenierung gelungen.

 

Feuer aus den Kesseln
von Michael Uhl nach Ernst Toller
Konzept und Regie: Michael Uhl, Bühne und Kostüme: Thomas Rump, Bühnenmusik: Kriton Klingler, Dramaturgie: Lea Redlich.
Mit: Simon Ahlborn, Philipp Buder, Sven Heiß, Ben Knop, Julius Ohemann, Jördis Wölk.
Dauer: 2 Stunden und 10 Minuten, eine Pause

landesbuehne-nord.de

 

Kritikenrundschau

Michael Uhl gelingt aus Sicht von Juliane Minow von der Wilhelmshavener Zeitung (15.1.2018) "ein beeindruckender Spagat zwischen einem eindringlichen Schauspiel, das den Zuschauer die Meuterei an Bord von 1918 hautnah miterleben lässt, und einer historisch fundierten Geschichtsstunde." Untermalt werde der "eindringliche Theaterabend" (wie es an anderer Stelle heißt)  durch ein "atemberaubendes Bühnenbild von Thomas Rump. Hervorhebenswert finden die Kritikerin auch die musikalische Gestaltung von Kriton Klingler.

"Die Landesbühne Nord in Wilhelmshaven kann das," so Ulrich Schönborn in der Nordwest Zeitung (15.1.2018), nämlich "für ein Publikum im Jahr 2018 ein Theaterstück spannend inszenieren, das heute mehr ein politisches als literarisches Denkmal ist", "mit nur sechs Akteuren die Massenaufstände von 1918 und das Ende des Ersten Weltkriegs und des deutschen Kaiserreichs darstellen" und "Bildungstheater machen und trotzdem das Publikum unterhalten". Als Zutaten für diese Leistung zählt der Kritiker "authentische Zeitzeugen-Berichte und neue Erzählebenen", "tolle Schauspieler", eine "eindrucksvolle Ensembleleistung",  ein cleveres Regiekonzept sowie ein geniales Bühnenbild auf, das aus seiner Sicht der heimliche Star des Abends ist.

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