In Textgewittern

von Tobias Prüwer

Leipzig, 20. Januar 2018. Die Axt lockt. Die Axt zieht an. Die Axt liegt im Zentrum. Drei Männer rennen plötzlich los, rasen auf die Axt zu, die in greifbarer Nähe zu den Zuschauern liegt. Dass dder brachiale Kampf ums Überleben das Thema von "Eigentlich sollten wir tanzen" ist, macht der Werkzeug-Waffen-Zwitter am Schauspiel Leipzig symbolisch deutlich. Die Axt musste Regisseur Daniel Foerster, von 2015 bis 2017 Mitglied des Regiestudios am Schauspiel Frankfurt, nicht an Heinz Helles Roman legen, um dessen 170 Seiten auf bühnentaugliche Länge zu stutzen. Das besorgte der Autor gleich selbst.

Leiden letzter Menschen

So zumindest weiß das Programmheft: "Im Auftrag des Schauspiel Leipzig hat er mit dem gleichnamigen 'Eigentlich müssten wir tanzen' sein erstes Theaterstück geschrieben." Inhaltlich aber sind nicht nur das Grundthema in Buch und Stück identisch, es flossen auch wesentliche Ereignisse der Romanvorlage ins dramatische Werk ein.

Fünf Schulfreunde wollen in der Abgeschiedenheit einer Almhütte ihr altes kollegiales Wir-Gefühl wieder stärken. Bei ihrer Rückkehr entdecken sie, dass sie die einzigen Überlebenden einer Katastrophe sind. Als letzte Menschen schleppen sie sich durch die postapokalyptische Alpenlandschaft - jede andere menschlich Existenz hat für sie ihre Daseinsberechtigung verloren. Sie vergewaltigen eine Schwerverletzte, lassen ein Kind im Stich, klammern sich an Erinnerungen und gehen an sich selbst zugrunde.

Eigentlich muessten wir tanzen1 560 RolfArnold u © Rolf Arnold

In nüchterner Prosa hat Helle das aufgeschrieben. Kalt ist sein analytischer Blick, beschreibend bleibt die Sprache, was zunächst auf der Bühne noch funktioniert. Doch zusehends verflüchtigt sich die Konzentration durch zuviel Satzaufsagen, der szenische Anteil ist einfach zu gering.

Stationen statt Szenen

Alles spielt sich in einer muffigen Turnhalle ab. In dem mit Sprossenwand, Basketballkörben und Spielfeldmarkierungen realistisch gestalteten Raum haben die fünf Darsteller schon auf Feldbetten Platz genommen, als das Publikum eintritt. Nebel nimmt den Atem. Dann beginnt das Hörtheater mit gelegentlicher Illustrierung.

Immer wieder werden die Schlafstätten umhergeschoben: Wer wird Herr der Liegen? Die Figuren sprechen zu sich, untereinander, nicht an die Zuschauer gerichtet. So versuchen sie, Ihr "Wir", dessen Tun und Treiben sie in langen Satzverkettungen runterrasseln, zu beglaubigen. Als ein Freund wegen eines gebrochenen Fußes zurückbleiben muss, triumphieren erstmals Theatermittel: Der Verletzte steht in der Mitte, die anderen blicken durch ihn hindurch und sprechen über ihn, als ob er schon nicht mehr wäre: "Wir hoffen, dass es heute Nacht nicht so kalt wird, dass er im Dunkeln sterben muss. Aber kalt genug, dass es bald nach Sonnenaufgang vorbei ist."

Blasse Figuren

Der Schauspieler geht dann ab, kehrt aber später des öfteren wieder. Dieses Spiel mit der An- und Abwesenheit soll dem Stück wohl mehr Tiefe verleihen. Dadurch - sowie mit Projektionen von witzig gespielten Dialogen, die die szenische Schwäche noch weiter offen legen - werden Momente der Vergangenheit als lose Verknüpfungen hervorgeholt.

Eigentlich muessten wir tanzen 560 RolfArnold u © Rolf Arnold

Warum die Toten nun in Frauenkleidern auftreten, bleibt unklar: Wird das Weibliche als das ewig Andere, als Gegenstück zur Männergemeinschaft heraufbeschworen? Man weiß es nicht. Die Figuren bleiben charakterlich zu blass, um persönliche Konturen zu bekommen. An den Darstellern liegt das nicht. Haben sie Gelegenheit zum Spiel, ergreifen sie die, werden in manchen Momenten auch physisch sehr präsent. Dbei vermag Felix Axel Preißler etwas mehr Glanz zu verbreiten als seine Kollegen, erspielt sich eine größere Aura, und löst damit eine etwas unglückliche darstellerische Unwucht aus.

Verschnaufen und Verwirrung

Schöne Bilder schaffen Verschnaufpausen im Textgewitter: wenn etwa am Schluss sich alle an den Händen fassen, zum Reigen unterm verglimmenden Licht. An anderer Stelle steigert sich das monotone Stapfen der Überlebenden durch den Schnee in einen Tanzrausch. Mit rhythmischen Elektrobeats schwappt die physische Energie direkt ins Publikum. Solche Momente haben es in sich, dann ebbt die Intensität wieder ab.

Mit ihrem Bühnenbild haben sich Mariam Haas und Lydia Huller alle Mühe gegeben, um Abwechslung in den Turnhallenmief zu bekommen und optisch variierende Spielstationen zu schaffen. Von einer gläsernen Galerie mahnen die abwesenden Toten - natürlich mit Worten. Eine Tür gibt den Blick frei auf das, ebenfalls realistische gehaltene Interieur einer Almhütte, eine andere auf eine Umkleidekabine. Doch der Kulissenwechsel bringt nichts ein, auch, weil man nicht wirklich versteht, was die Turnhalle als Setting soll, wo die Fünf doch permanent unterwegs sind.

Unausgespielt, bleiben die behaupteten emotionalen Untiefen Lippenbekenntnisse. Die Gefährdung der Zivilisation, ihr möglicher Bruch und eine allgemeine Angstlust müssen sich die Zuschauer selbst dazudenken. In diesem Meer aus Textaufsagerei, mit den seltenen erholsamen Spielmomenten wird die Bedrohung nicht einmal von Ferne spürbar. Da hilft auch ein bisschen Chor nicht weiter. Auch Daniel Foerster kann die Dauerbrennerfrage nicht beantworten, wodurch Romanliteratur auf der Bühne einen Mehrwert gewinnt.

 

Eigentlich müssten wir tanzen
von Heinz Helle
Uraufführung des Auftragswerks fürs Schauspiel Leipzig
Regie: Daniel Foerster, Bühne und Kostüme: Mariam Haas, Lydia Huller.
Mit: Thomas Braungardt, Timo Fakhravar, Heiner Kock, Felix Axel Preißler, Brian Völkner.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-leipzig.de

 

 

Kritikenrundschau

Daniel Foerster und sein Team hätten aus dem Roman "ein apokalyptisches Kammerspiel gebastelt haben, gleichermaßen beklemmend und steril", so Dimo Riess in der Leipziger Volkszeitung (online 21. Januar 2018). Durch eine überraschende und variable Bühne gelinge es der Inszenierung, parallel auf zwei Zeitebenen zu spielen, was dem Abend einen "gelungenen Kontrast" verleihe. Die Spieler jedoch würden "über weite Strecken ins gängige Aufsage-Theater gezwungen" und "unter ihren spielerischen Möglichkeiten gehalten. So entstehen kaum Figuren mit Profil. Die Schauspieler erzählen, aber spielen nicht, was passiert – und so rührt die Beklemmung vor allem aus dem Text und weniger aus den Theatermitteln." Zu selten stelle sich "ein szenischer Moment berührend gegen den lakonischen Duktus."

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