In der Blase

von Theresa Luise Gindlstrasser

Wien, 22. Januar 2018. Knarr!, knarzt die Bewegung, klonk-klirren die Dosen, reißen drei schlumpfblaue Schlümpfe ihre Köpfe gen Nacken. Es ist wegen des Suppenkonsums: Schlürf! "Schmeckt sie dir?" Familienvater Franz bejaht. "Das Besondere an so einer Suppe ist, sich gemeinsam über den Geschmack zu freuen", betont Mama Magda. Also: "Uns geht es gut."

Im panischen Plastikbau

Rieke Süßkow und Emre Akal servieren "Heimat in Dosen" am Theater Drachengasse als statisches Spiel mit Sound-Extravaganza und Ausstattungs-Pedanterie. Beim Nachwuchswettbewerb 2017 zeigte das Regie-Duo vergangenen Sommer einen 20-minütigen Teaser. Von der Jury prämiert, ward daraus nun ein 60-minütiger Abend. Zack!

HeimatinDosen1 560 Barbara Palffy uIn der dystopischen Blase: hinten Burak Uzuncimen und Julia Carina Wachsmann, vorne Philipp Stix.
© Barbara Palffy

Akal, der zum Beispiel 2016 am Gorki Love it or leave it! gemeinsam mit Nurkan Erpulat und 2017 am Landestheater Niederösterreich Die Eroberung des goldenen Apfels gemeinsam mit Hakan Savaş Mican erarbeitet hat, dosiert als Autor von "Heimat in Dosen" die Worte sparsam. "Gut!" und "schön" und "aus tiefstem Inneren Magda: Schön". Magda und Franz leben mit Sohn Bernd abseits der Welt. Raumstation, Unterwasserblase, Glasglocke fernab vom Geschehen; eine bühnenraumgreifende Plastikkugel suggeriert klinische Sicherheit und betörende Enge. Im Klaustrophobischen stehen, sitzen, "reden" die Schauspielenden Julia Carina Wachsmann, Philipp Stix und Burak Uzuncimen. Setzen sie zum Sprechen an, dann atmen sie abrupt und bewegen die Münder in Überartikulation zur Tonaufnahme. Sounddesigner Paul Wolff zerrt manche Sätze unwahrscheinlich nah aneinander, überzeichnet die Roboter-Bewegungen mit Comic-Geräuschen. Bühnen- und Kostümbildner Lukas Fries präsentiert Dosen, Kaktus, Zeitung, Strickzeug, Kleidung, Perücken, alles was das Heimat-Herz im selbstgewählten Exil begehrt, in einem panischen Plastikblau.

Panik, Wut, Verzweiflung, Misstrauen

Draußen gibt es "keine Welt mehr". Ob Naturkatastrophe oder Menschenkatastrophe oder überzeugtes Sekten-Exil, Familie Schlumpf hat sich für das Wohnen unter Plastik entschieden. Sie haben sich selber konserviert, essen Suppe aus Konservendosen und beteuern: Es „war die einzig richtige Entscheidung“. Eine vierte Stimme aus dem Off unterbricht die Szenenfolge. Erzählt bei zärtlich-verträumter Sound-Kulisse vom Draußen. Da tutet es wie Schiffshorn und bläst es wie Wind. Draußen wird ein Nachbarskind erschossen, erzählt die Stimme. Und dass es keine Maisfelder mehr gibt. Und dass die Vögel ihren Nachwuchs "mit alten Kondomen und verwaschenen O.B.’s füttern". Drinnen gibt es Sicherheit, sicherlich keine Freiheit und ein ausgewachsenes Kommunikations-Problem.

Stix lässt sein Jojo knapp am stoisch zeitungslesenden Uzuncimen vorbeisirren. Der Sohn rebelliert. Er muss "erst mal nachdenken", bevor er antwortet. In einer so engen Sprach- und Erlebniswelt ein krasser Affront. Auch Magda zweifelt. In der Wiederholung der immer gleichen Sätze und Gesten agiert Wachsmann mit zunehmend auffälliger in Mundpartie und Augenpartie auseinanderfallenden Grimassen. Hier Lächeln, dort Panik, Wut, Verzweiflung, Misstrauen. "Heimat in Dosen" arrangiert ein sehr überschaubares Satzrepertoire in immer dringlicheren Schleifen: "Schön?", "Gut!". Bei Szenenumbau geht das Licht aus, versucht abstraktes Rauschen über die Umbauarbeit hinweg die Stimmung zu halten. Naja. Das dauert. Stop-and-Go macht mühsame Monotonie.

Als ästhetisch eindringliches Stimmungsbild einer in sich selbst marinierenden Scheuklappen-Gesellschaft funktioniert "Heimat in Dosen" dennoch tadellos. Das Unvermögen mit sich selbst, den anderen, der Welt in Kontakt zu treten wird durch die Technisierung der Klang-Ebene präzise umgesetzt. Wachsmann, Stix und Uzuncimen stehen starr in der Plastikkugel, festgefroren in unbequemen Posen. Lippen, Nasenflügel, Augenbrauen avancieren zum maximal vielfältigen Ausdrucksorgan. Diese Akrobatik schreibt der Aufführung ein hochemotionales Bedrohungsszenario ein. Mit weit klaffenden Augen: Schlürf! "Gemeinsam". Schön.

 

Heimat in Dosen
ein Projekt von Rieke Süßkow und Emre Akal
Text: Emre Akal, Regie: Rieke Süßkow und Emre Akal, Bühnen- und Kostümbild: Lukas Fries, Kostümmalerei: Raffaela Schöbitz, Sounddesign: Paul Wolff.
Mit: Philipp Stix, Burak Uzuncimen, Julia Carina Wachsmann.
Dauer: circa 1 Stunde, keine Pause

www.drachengasse.at

Kommentare  
Heimat in Dosen, Wien: intensiv!
Spannend, nervenzerfetzend in seiner Reduktion, wahnsinnig intensiv. Schon lange nicht mehr so einen in seinen Mitteln konsequenten Abend gesehen. Hätte ewig zuschauen können und dann auch wieder nicht, weil es so quälend ist im besten Sinne!!!
Heimat in Dosen, Wien: radikal
Radikal und konsequent! Da hat man Dich getraut gegen gängige Inszenierungsformen zu gehen. Als Zuseher gibt es einiges auszuhalten und das ist mutig! Danke für den Abend gestern in Wien!
Heimat in Dosen, Wien: Super Leistung!
Auch wenns anstrengt das aushalten zu müsse, lohnt es sich. Faszinierend wie virtuos mit Text und Subtext umgegangen wurde! Top leistung!
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