Hundeherz – Am Zürcher Schauspielhaus bügelt Alvis Hermanis den genialen Romanstoff von Michail Bulgakow glatt
Auf allen vieren
von Valeria Heintges
Zürich, 25. Januar 2018. Es ist beinahe eine Kunst für sich. Da hat ein Regisseur einen Roman, der gerade hervorragend neuübersetzt wurde und jetzt erst recht ein Ausbund an Kraft, an Witz, an Groteske ist, ein Werk, das als Mischung von "Faust" und "Frankenstein" gehandelt wird. Und dann nimmt der Regisseur diese geniale Vorlage, stellt seine Schauspieler dafür in ein altmodisches und unpraktisches Bühnenbild und lässt sie darin ideenlos vom Blatt spielen. Er knetet quasi seine geniale Vorlage so lange, bis sie wahlweise dumm-witzig oder langweilig – je länger je mehr beides – ist.
Dieses "Kunststück" hat Alvis Hermanis in Zürich fertiggebracht. Er bügelt Michail Bulgakows Roman "Hundeherz" am Zürcher Pfauen zu einem Theaterabend platt, der dem Werk in kaum einer Minute gerecht wird. Zusätzlich hat sich Regisseur Hermanis als Bühnenbildner Hermanis einen Wald von Wänden auf die Bühne gestellt, die diverse bürgerlich-zugestellte Zimmer bilden, deren Hin- und Hergeschiebe aber so lange dauert, dass sogar die dazu gedudelten Ausschnitte aus Verdis "Aida" für die Zuschauer zunehmend zur Qual werden.
Lumpikow, der lumpige Hundemensch
Versuchen wir dennoch eine objektive Beschreibung: Robert Hunger-Bühler ist Professor Filippowitsch. Der hat sich mit Operationen einen Namen gemacht, nach denen der Mann wieder über die volle Manneskraft verfügt oder die Frau Kinder kriegen kann und die dem Professor im Moskau der 1920er Jahre ein sehr luxuriöses Leben ermöglichen. Jetzt hat er Hund Lumpi aufgelesen, dem er die Hoden und die Hirnanhangsdrüse eines verstorbenen Kleinkriminellen einoperiert.
Doch das verjüngt nicht den Hund, wie der Professor gehofft hat, und auch nicht den Mann, sondern lässt aus dem Hund einen Menschen werden, dem das Fell ausfällt, der zu sprechen beginnt, der auf zwei Beinen geht, sich Lumpikow nennt und sich mit den proletarischen Revolutionären anfreundet, die dem Professor Untermieter in die zu große Wohnung setzen wollen. Allerdings bleibt Lumpikow eben doch ein Hundelump – er steigt der Köchin hinterher, verlegt sich auf das Morden von Katzen und freundet sich mit den Hausverwaltern an. Am Ende macht Professor Fillipowitsch sein Experiment rückgängig und verwandelt den Menschen Lumpikow wieder in den Hund Lumpi.
Gier und Bequemlichkeit
In Zürich ist Lumpi ein kleines, niedliches Schoßhündchen. Bulgakow lässt den Hund zu Beginn wunderbar rotzig selbst erzählen und immer wieder sein Schicksal kommentieren – das streicht Hermanis, der auch die Textfassung erstellt hat, ersatzlos. Auch ist das Wesen des Hundemenschen eindeutiger, wenn der Hund kein gerissener, straßenerprobter Streuner und Kämpfer ist. Filippowitschs Gehilfe Dr. Bormenthal hat im Original Anklänge an Wagner, Neuübersetzer Alexander Nitzberg sagt im Programmheft sogar, er habe ein Verhältnis wie von Sherlock Holmes und Dr. Watson gelesen. Auch das: Fehlanzeige.
Robert Hunger-Bühler zeigt mit schlohweißer Einstein-Perücke seine altbekannte schnoddrige Akademiker-Figur. Über den Abend wird sein Gang träger, Fillipowisch älter. Sein Entsetzen über die Tat hört man lediglich, auch den faustischen Operateur, der mit dem Skalpell Herrgott spielt, sieht man nicht. Keine Spur von der Vielschichtigkeit der Figur, die Wissenschaft behauptet, Gier und Bequemlichkeit liebt, aber zunehmend Gewissensbisse bekommt.
Neben ihm bleibt Claudius Körber als Bormenthal vollends blass, huscht nur dienstfertig mal hierhin, mal dorthin, steckt schemenhaft zwischen Rückgratlosem und ernsthaftem Gegenspieler fest. Merkwürdig die Entscheidung, drei Schauspielstudentinnen und zwei Statisten einzusetzen, die mit ihren Aufgaben überfordert sind. Das Hausmädchen – eine matronenhafte Karrikatur. Die Hausverwaltung – ein Möchtegern-Diktator und ein Volldepp. Ensemblemitglied Klaus Brömmelmeier darf als Verwaltungsmitglied Schwonder nicht einmal wissen, wie man ein Telefon auf die Gabel legt – wie soll von diesen Knallchargen Gefahr ausgehen? Hat sich Bulgakow 1925 mit der Zensur herumgeschlagen, damit im Jahr 2018 die russischen Revolutionäre als Idioten gespielt werden?
Zum Heulen
Und so bleibt nur der große Auftritt für Fritz Fenne als Lumpikow. Er hechelt mit heraushängender Zunge aus aufgespitztem Gebiss heraus, jault und bellt zum Gotterbarmen und ist phänomenal hündisch. Langsam beginnt er sich aufzurichten, geht schwankend auf den Außenseiten seiner Füße oder sitzt mit allen vieren auf dem Stuhl. Doch sogar er wird von der Regie ausgebremst, wenn Lumpikow noch in der letzten Hundeszene hecheln und schwankend gehen muss. Viel zu lange ist er witzig, viel zu wenig bedrohlich – das killt die Spannung, die sich zwischen Fillipowitsch und Lumpikow aufbauen müsste.
Statt Tiefgang also plattes Spiel, Langeweile und kurzfristige Slapstick-Gags, etwa wenn alle laut ins Geheul der Köchin über die von Lumpikow getötete (Stoff-)Katze einstimmen. Das mag komisch sein, befindet sich aber auf einem Niveau, das des Zürcher Schauspielhauses unwürdig ist. Andererseits: Sie haben ja recht, es war wirklich alles zum Heulen.
Hundeherz
nach dem Roman von Michail Bulgakow
Übersetzung: Alexander Nitzberg
Regie und Bühne: Alvis Hermanis, Kostüme Kristīne Jurjāne.
Mit: Robert Hunger-Bühler, Claudius Körber, Fritz Fenne, Vera Flück, Klaus Brömmelmeier, Sophie Bock, Chantal Dubs, Monika Rusconi, Ulrich Panning
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.schauspielhaus.ch
Kritikenrundschau
Auf SRF 2, dem Kulturradio des Schweizer Rundfunks sagte Andreas Klaeui (26.1.2018) im Gespräch: Der "Verwandlungsschauspieler" Fritz Fenne spiele den Hund "grandios", das "perfekte Mischwesen aus Mensch und Hund". Die Schauspieler, namentlich Robert Hunger-Bühler und Claudius Körber holten "alles an Komödiantik heraus", aber es helfe nicht, die Inszenierung von Hermanis sei "sehr betulich", "durchsichtig und eindimensional". Mit der Ästhetik eines "Heimatschutztheaters". Eine "super naturalistische Ausstattungsklamotte". Mit der Botschaft: früher sei alles besser gewesen, das klinge sehr "nach Kitsch und nach Ressentiment".
Alexandra Kedves schreibt im Zürcher Tages-Anzeiger (27.1.2018, online 12:51 Uhr): "Zahm und lahm" sei es bei der Premiere zugegangen. Keine Proteste gegen Hermanis wie noch im Vorfeld, Applaus für Fritz Fennes "frankensteinschen Hundemensch" und Robert Hunger-Bühler als "gut situierter Grantler", ein "Clou" das "wunderbare Authentizitäts-verliebte Bühnenbilderballett", ansonsten "Effekthascherei": "Glanz ohne Grund". "Seltsamerweise scheint in dieser Inszenierung gar nicht viel gedacht worden zu sein." Ein "altbackener, sinnloser Abend".
Daniele Muscionico schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung (26.1.2018, online 16:26 Uhr) die Inszenierung sei "zum Heulen". Gäbe es nicht wenigstens das "himmlische" Bühnenbild, hätte die Arbeit "verteufelt wenig Kredit". Die Erwartungen seien hoch gewesen, der Fall sei entsprechend tief. Wieso arbeite Hermanis in einer anspruchsvollen Inszenierung "hör- und sichtbar mit Statisten"? Wieso "eine eigene Fassung" wenn eine "allseits gelobte Übertragung" vorliege? Hermanis' Sprache sei "zum Heulen". Wieso würden "wichtige Parallelhandlungen" gekappt, auf die Hundeperspektive "völlig verzichtet"? Nichts als "Ausstattungstheater" und ein Schauspielerfest für Fritz Fenne und Robert Hunger-Bühler.
Michael Laages schreibt auf der Website von Deutschlandfunk (27.1.2018): Was den Regisseur interessiert haben mochte am Stoff, sei kaum auszumachen. Die Inszenierung lege einen "uraltbackenen Konservatismus an den Tag", der dem Material "allen Tief- und Hintersinn" austreibe und nichts übrig lasse als "eine Art russische Version der 'Väter der Klamotte' ". Sogar hinter seinen eigenen bekannten "Goldschnitt-Fantasien der extrem konservativen Sorte" bleibe der Regisseur in Zürich weit zurück. Was etwa Robert Hunger-Bühler als Professor an "Belanglosigkeiten zusammen spielt", gehe auf keine Kuh-Haut. "Mühe gegeben" habe sich "eigentlich nur Fritz Fenne, der den Ex-Hund und werdenden Menschen mit einer großen Menge fahrig-forschender Gänge und Grimassen" ausstatte.
Auch Egbert Tholl von der Süddeutschen Zeitung (2.2.2018) sieht Hermanis' "bekennende Hinwendung zum Konservatismus" nun "in seinem eigentlichen Betätigungsfeld", der Inszenierungkunst, widergespiegelt. Bulgakows "wildes Buch" domestiziere er "zu einem bestenfalls ulkigen Abend, zur Posse, zur Klamotte. Scharf ist hier nichts mehr." In hervorragend gebautem Bühnenbild, in dem alle Sowjets "als Knallchargen" auftreten, avanciere Hunger-Bühler als Filippowitsch "zum König des Boulevards, die Geschichte wird ohne Umschweife heruntergespielt, der Menschenversuch zu einem harmlosen, faustischen Experiment." Alle Sowjets erschienen "als Knallchargen".
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Auch Bulgakow gelingt es als Romanautor Hermanis über fast ein Jahrhundert hinweg und aus dem Totenreich heraus abzustrafen für die Anmaßung, ihn zu benutzen ohne ihn zu kritisieren - z.B. durch d.o. Kritik. Ich will nicht verhehlen müssen, dass mich das außerordentlich freut.
Es tut mir Leid für all die Theaterstücke, die heutzutage geschrieben werden und die man so selten zu Gesicht bekommt, weil (...) immer noch der Diskurs herrscht, dass es besonders gut ist, wenn wir weiterhin das Gedankengut von vor mindestens 100 Jahren wiederholen, wenn auch in abgewandelter Form.
Abgesehen davon: Ich glaube nicht, dass der Text von Bulgakow heutzutage noch große Relevanz hat. Es gibt bessere, zeitgemäßere Texte. Theater sollten aufhören ein Historienspiel zu sein. (...)
Auch die obenstehende Kritik war ja eigentlich noch viel zu nett.
http://theater-marburg.com/tm/Spielplan/Stuecke/636/
A. Woron hat Meister und Margarita letztes Jahr in Konstanz inszeniert und Nitzberg ist der Hammer, ein großartiger Übersetzer und Bulgakow, der Geschundene, der immer wieder neu Vergessene, hat uns in der Tat etwas zu erzählen: dass das imperiale Zeitalter die Spuren gelegt hat, dass wir scheinbar gar nicht anders können als des Menschen Wolf zu sein. Schade ist, dass die Kritik den schnellen Aufsteigern immer wieder auf den Leim geht und die alten Meister wie Andrej Woron als Regisseur und Michael Bulgakow als Autoren vergisst oder diskreditiert: Bulgakow braucht aufbegehrende Regisseure, keine Konformisten. Wir werden sehen was Woron aus Hundeherz machen wird: Oktober 2018.
Ps: Ich habe den Abend nicht gesehen, kann sein, dass auch dieser Hermanis nicht gut war, aber das Schauspielhaus hat sich doch etwas bei dieser Besetzung gedacht. Das Mitzudenken wäre für mich ein Minimum an feuilletonistischem Anstand.
Ich weiß schon, "was geht mich mein Geschwätz von gestern an"....