Presseschau vom 2. Februar 2018 – Die Süddeutsche Zeitung über die Auslastungs- und Abozahlen der Münchner Kammerspiele
Mehr Junge, weniger Abos
Mehr Junge, weniger Abos
2. Februar 2018. Kurz nachdem die Münchner Kammerspiele mit zwei Inszenierungen ("Trommeln in der Nacht" und "Mittelreich") zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurden, muss sich deren Intendant Matthias Lilienthal vor dem Münchner Kulturausschuss zu den Auslastungs- und Abozahlen erklären. Darüber berichtet in der Süddeutschen Zeitung (2.2.2018) Christiane Lutz. Die Auslastung ist laut Kammerspiele in der Saison 2016/17 im Vergleich zur Vorsaison um 10 Prozent auf 63 Prozent gesunken. Auch wurden statt 4661 nur noch 3808 Abonnements verkauft, die Besucherzahlen (insgesamt 142.000) gingen um 10.000 zurück.
Lilienthal verweist laut Lutz darauf, "dass rund zwei Drittel des Verlustes an der Abendkasse kompensiert würden. Übersetzt: Die Kammerspiele ziehen weniger klassisches Abopublikum an, sondern Menschen, die spontan Karten kaufen wollen." Aktuell ins Programm genommene Klassiker (Brecht, Feuchtwanger, Strindberg) sollten jene ansprechen, "die mit dem Theater zur Zeit fremdeln", schreibt Lutz. Lilienthal zeigte sich vor dem Ausschuss zuversichtlichlich, "dass sich alles wieder einrenkt" und sprach der SZ gegenüber von einem "starken strukturellen Wandel" an den Kammerspielen, wo es gelinge, "junges Publikum ans Haus zu binden und das Theater somit für die Zukunft zu öffnen."
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Kommen da für drei kündigende alte Abo-Knacker zwei Studierende reingeweht, die dann sagen "Wir kaufen jetzt jeweils 6 Karten an der Abendkasse, um diese drei Abokündigungen zu kompensieren, liebe Kammerspiele"?
Wie kann man denn kausal Abendkasse und Abo in Zusammenhang stellen, wenn es um verschiedene Käufergruppen geht?
Fakt ist:
- Rückgang von 152000 auf 142000, also minus 10000.
- Von den 10000 sind rund 5000 Abokarten (853 Abos weniger mal rund 6 Vorstellungen pro Abo, https://muenchner-kammerspiele.de/abo)
- Die übrigen rund 5000 weniger verkauften Karten sind Freiverkaufskarten.
- Mehr kann man nicht sagen aus dem vorliegenden Datenmaterial. Woher kommt also die Behauptung "Zwei Drittel sind kompensiert"?
- Um mehr zu sagen, braucht es eine Aufschlüsselung der Verkäufe von Abos und des Freiverkaufs nach Altersgruppen.
- Wenn dann aber der Freiverkauf bei jungen Leuten überproportional gestiegen ist, dann ist *auch der Freiverkauf bei alten Leuten* überproportional gesunken, nicht nur der Aboverkauf (bei alten Leuten).
- Dann wäre die Aussage aber: Aboverkäufe sinken, Freiverkauf bei alten Leuten sinkt stark, Freiverkauf bei jungen Leuten steigt leicht.
- Dann lugt aber auch ein Budgetproblem am Horizont, denn alte Leute geben statistisch sicherlich mehr Geld pro Karte aus als junge (selbst nach Abzug des Abo-Rabatts). Die Gesamteinnahmen sinken also in zwei Dimensionen: Anzahl Karten & Durchschnittserlös pro Karte.
Wenn Sie jetzt auch noch eine statistisch zu betrachtende Differenzierungsmenge zwischen "alten" und "jungen" Leuten finden oder genau definieren, was für Sie "alt" und was "jung" ist, würde ich Ihnen ein Angebot als Theater-Buchhalter machen .
Wenn Sie mir aber schon so freundlich ein Angebot unterbreiten, möchte ich pragmatisch antworten: Jünger als der Intendant = jung. Älter als der Intendant = alt. Lilienthal ist 58.
Und ich muss zugeben, mir liegt die Möglichkeit auch spontan Abends eine Karte kaufen zu können sehr. Gerade weil ich nicht langfristig
planen kann. Dadurch gehe ich öfter und riskiere somit auch mal ein schlecht besprochenes Stück zu sehen und: erlebe so manch positive
Überraschung! Mir ist natürlich bewußt, dass ich mit dieser Vorliebe nicht den Zuschauerraum fülle, aber vielleicht ein Anregung es zu tun. Nur dann bekommt man spontan keine Karten mehr.
Verzwickt:)
P.S . Ich bin nicht mehr ganz jung, aber etwas jünger als der Indendant.
Das Problem bei der Ursprungsmeldung ist dreierlei:
- Rückgang der Aboverkäufe
- paralleler Rückgang der Abendkassenverkäufe
- plus: etwas dubiose Verrechnung (siehe #2) durch Lilienthal (wenn die Abenkassenverkäufe genauso stark gestiegen wären wie die Aboverkäufe zurückgegangen sind, dann hätte man sagen können "wir sind bei plusminus null rausgekommen", aber wenn beide Verkaufsarten rückläufig sind, ist das Verrechnen ohne weitere Datenquelle nebulös)
Man will kein Theater, das ein irgendwie geartetes Anliegen in hoher Kunst vertritt, aber leer ist? Nun gut.
Da müssten halt die Theatermacher halt mal anfangen, ihr Anliegen auf die Rezeptionslust des Publikum zu projizieren!
Geht nicht? Wieso?
Deshalb: Weil die Form irgendetwas sein muss (also modern, oder konservativ, oder subversiv, oder bahnbrechend neu, oder theatral, oder antitheatral, oder postdramatisch, oder oder oder), und das Anliegen dem schon vorab mehr oder weniger geopfert wird.
Also erreicht den Zuschauer kein Anliegen (vulgo Inhalt), aber eine Form, die sich oft genug darüber definiert, dass sie entweder eh keiner mag, oder gerade in Theaterkreisen (kleine Minderheit!!!) hip ist.
Ich glaube diese loose-loose Situation beschreibt nicht nur, aber derzeit besonders gut die Kammerspiele hier.
Und viel Theater sonst leider auch.
Und nein, Einladung auf dieses Theatertreffen sind keine Ausrede.
Das ist nur eine Privatsache von 7 Kritikern, die auf Moden reinfallen (oder proaktiv eingehen, mag sein) und vielen Theaterinsidern, die darauf reinfallen, dem eine Wichtigkeit beizumessen.